BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15883 21. Wahlperiode 25.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 18.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Stärkung des akademischen Mittelbaus – Was tun Senat und Behörde für den wissenschaftlichen Nachwuchs? Bürger berichten über Probleme in Bezug auf die aktuelle Situation des akademischen Mittelbaus. Insbesondere werden hier die Arbeitsbedingungen, eine mangelnde berufliche Perspektive und eine schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt. Für einen nachhaltigen Ausbau des Wissenschaftsstandorts Hamburg muss der Standort aber gerade auch für junge Wissenschaftler attraktiv sein und diesen eine Perspektive bieten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) als Bundesgesetz regelt seit 2007 die arbeitszeitrechtlichen Regelungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ziel des Gesetzes war es bei Inkrafttreten, durch sehr erweiterte Befristungsregelungen eine Fluktuation im akademischen Mittelbau anzuregen, mehr potenziellen Kandidaten eine wissenschaftliche Qualifizierung (zumeist Promotion) und Berufserfahrung an Forschungseinrichtungen und Hochschulen in Projekten, in Forschung und teils Lehre zu ermöglichen und damit Forschung und Lehre an den Hochschulen innovativer zu gestalten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Dies bedeutet auch, dass gezielt weit mehr Kandidatinnen und Kandidaten befristete Berufserfahrungen an Hochschulen ermöglicht wurden als letztendlich in der Wissenschaft verbleiben sollten. Im Zuge der Anwendung des WissZeitVGs hat sich herausgestellt, dass die Befristungsregelungen sehr weit ausgelegt wurden. Um prekäre Beschäftigungen zu reduzieren und dem akademischen Mittelbau während der wissenschaftlichen Qualifizierungsphase eine gesicherte Existenz zu bieten, brachten Hamburg und Nordrhein- Westfalen gemeinsam mit anderen Bundesländern einen Antrag zur Überarbeitung des WissZeitVGs in den Bundesrat ein, der 2016 zur ersten Novelle des WissZeitVG mit umfangreichen Verbesserungen führte. So sollte unsachgemäßen Kurzbefristungen entgegengewirkt werden. So wird nun beispielsweise bei Drittmittelförderung die Vertragslaufzeit des Arbeitsvertrages an die Projektlaufzeit (Dauer der Mittelbewilligung) angepasst und darf nicht kürzer sein. Als Komponente zur Vereinbarung von Familie, Qualifizierung und Beruf und Anpassung an die geänderte gesellschaftliche Situation mit einer Vielzahl von Patchworkfamilien gilt die optionale Verlängerungsmöglichkeit der Qualifizierungsphase von zwei Jahren bei Erziehung eines Kindes nunmehr nicht nur bei leiblichen Kindern , sondern auch bei Stiefkindern. Ein gesonderter Nachweis über erbrachte Betreuungsleistungen ist nicht notwendig, sodass die Inanspruchnahme erleichtert wird. Die Ausgestaltung der Beschäftigungsbedingungen im engeren Sinne an den Hochschulen , zum Beispiel auf Promotions- und Habilitationsstellen, in der Lehre bezie- Drucksache 21/15883 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 hungsweise als Lehrbeauftragte, ist im Hamburgischen Hochschulgesetz (HmbHG) geregelt. Auf Initiative der zuständigen Behörde wurde 2013 eine Arbeitsgruppe eingesetzt , die faire Beschäftigungsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Rahmen eines „Code of Conduct“ formulieren sollte. Die Vorgehensweise im Rahmen der AG Code of Conduct und der Erfolg wurde zum Vorbild des Vorgehens in anderen Bundesländern. Auf Empfehlung der Arbeitsgruppe wurde bereits vor der Novelle des WissZeitVG der Paragraf 28 HmbHG geändert, um eine ausreichende Zeit zur Qualifizierung und Planungssicherheit , bei Erstanstellung mindestens drei Jahre, zu gewähren, im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses mit grundsätzlich mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit (gesichertes Einkommen) als Untergrenze. Es soll ausreichend Gelegenheit zur Qualifikation, das heißt Zugriff auf Ressourcen der Hochschule sowie Zeit (Freistellungsanspruch von einem Drittel der jeweiligen Arbeitszeit) gegeben werden. Eine behinderungsbedingte Verzögerung des Abschlusses der Qualifizierung soll in angemessenem Rahmen (Verlängerung bis zu 18 Monaten möglich) ausgeglichen werden. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler außerhalb der Qualifikationsphase, die überwiegend mit Daueraufgaben in Forschung und Lehre beschäftigt sind, sollen unbefristete Beschäftigungsstellen vorgehalten werden (Gesetz zur Weiterentwicklung des Hochschulrechts, HmbGVBl. 2014, 269). Es gibt einen dauerhaften Dialog mit den Hochschulen zur Handhabung und zu den Erfahrungen mit dem novellierten WissZeitVG – auch im Hinblick auf die geplante Evaluierung des WissZeitVGs in 2020 – sowie zum HmbHG und zum Code of Conduct. In diesem Rahmen bestehen entsprechende Berichtspflichten der Hochschulen an die zuständige Behörde, nächstmalig im Sommer 2019. Zu Themen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen , der Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft und des Code of Conduct wird auch auf die Drs. 20/10837, 21/4680, 21/4841, 21/6788, 21/7386 sowie 21/13368 verwiesen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie beurteilen der Senat und die zuständige Behörde die Situation des akademischen Mittelbaus an den staatlichen Hochschulen in Hamburg? Sind dem Senat und der zuständigen Behörde Probleme bezüglich der Arbeitsbedingungen und der beruflichen Perspektive oder auch bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bekannt? Wenn ja, welche? Bereits seit 2011 streben der Senat und die Bürgerschaft kontinuierlich Verbesserungen zur Situation des akademischen Nachwuchses an und führen den Dialog mit den staatlichen Hochschulen. Die Themen bei der Verbesserung von Vertragsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs haben sich seither aufgrund der erfolgten Umsetzungen geändert. Gleichwohl ist laut Auskunft der jeweils betroffenen Hochschule hinsichtlich der beruflichen Perspektive einiger weniger Personen, die nach Abschluss ihrer Qualifizierung seit vielen Jahren in der Forschung, vor allem auf Drittmittelstellen, befristet beschäftigt waren, nach Einzelfallprüfung keine Vertragsverlängerung angeboten worden, da Kettenbefristungen nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts rechtsmissbräuchlich sind. Eine unbefristete Anstellung war nach Auskunft der jeweiligen Hochschule nach Prüfung des Einzelfalls zumeist nicht möglich, da die finanziellen Mittel zu einer Stellenfinanzierung nach Auslaufen der Drittmittel fehlten. Ob Drittmittelgeber erwogen haben, die Mitarbeitenden selbst anzustellen und eine Stelle anzubieten, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Die zuständige Behörde ist weiterhin daran interessiert, mögliche Praxisprobleme bei Anwendung und Auslegung des WissZeit- VGs an den Hochschulen zu erfahren und im Dialog mit den Hochschulen im Rahmen des Code of Conduct einer allgemeinen Klärung zuzuführen. 2. Welche Maßnahmen mit dem Ziel der Stärkung des akademischen Mittelbaus bestehen vonseiten des Senats und der zuständigen Behörde? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15883 3 Bitte nach Hochschulen gegliedert konkret die einzelnen Maßnahmen aufführen und im Detail, insbesondere unter Nennung der Zielgruppe, der Zielvorgabe und der Reichweite, erläutern. Grundsätzlich beziehen sich die Bemühungen der zuständigen Behörde auf alle Hochschulen gemäß HmbHG. Eine Differenz nach Hochschulen erfolgt jeweils entsprechend der Zielsetzung und des Bedarfs. So ist das Tenure-Track-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (WISNA) auf Universitäten und ihnen gleichgestellte (staatliche) Hochschulen ausgerichtet, während das kürzlich vereinbarte Bund-Länder-Programm zur Förderung der Gewinnung und Entwicklung von professoralem Personal an Fachhochschulen vom 26. November 2018 als Zielgruppe Fachhochschulen beziehungsweise Hochschulen für angewandte Wissenschaften benennt. Derzeit läuft in der AG Code of Conduct eine Umfrage der zuständigen Behörde an die Hochschulen zum Einsatz und zur Vergütung von Lehrbeauftragten gemäß § 26 HmbHG. Entsprechend der Auswertung der Umfrage werden voraussichtlich nach dem Sommer Maßnahmen initiiert werden. Im Rahmen des Tenure-Track-Programms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses , WISNA) hat in der ersten Bewilligungsrunde 2018 die Universität Hamburg (UHH) erfolgreich mehrere Professuren eingeworben. Ziel des Programms ist die planbarere und transparente Gestaltung von Karrierewegen des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen der Länder, um frühzeitig(er) als bisher Entscheidungen für/gegen einen Verbleib im Wissenschaftsbereich ermöglichen zu können. Beispielsweise bietet die UHH strukturierte Promotionsprogramme in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen an. Die Hamburg Research Academy bietet Promovierenden, Betreuenden und Postdocs vielfältige Entwicklungs- und Vernetzungsmöglichkeiten. Ein hochschulübergreifender hamburgischer Promovierendenrat sowie ein Postdoc-Rat sollen auf Initiative der Hochschulen 2019 gegründet werden. Auch in der zweiten Bewilligungsrunde von WISNA, Ausschreibungsende 31. Januar 2019, bewerben sich die staatliche Hochschulen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung ist wiederum die Schaffung von hochschulinternen und hochschulexternen Voraussetzungen für eine planbarere Karriere innerhalb und außerhalb der Wissenschaft . Die zuständige Behörde hat die zur Antragstellung erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen im Vorfeld geschaffen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Planen der Senat und die zuständige Behörde weitere Maßnahmen mit dem Ziel der Stärkung des akademischen Mittelbaus? Wenn ja: Bitte nach Hochschulen gegliedert konkret die einzelnen Maßnahmen aufführen und im Detail, insbesondere unter Nennung der Zielgruppe , der Zielvorgabe und der Reichweite, erläutern. Im Rahmen der kürzlich geschlossenen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über ein Programm zur Förderung der Gewinnung und Entwicklung von professoralem Personal an Fachhochschulen vom 26. November 2018 werden Anträge der entsprechenden Hochschulen befürwortet und unterstützt. Bewilligungsrunden werden 2020 und 2022 stattfinden; bis dahin müssen die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen von Landesseite geschaffen sein. Hier erfolgt derzeit eine behördeninterne Abstimmung und Folgenabschätzung auch hinsichtlich einer etwaigen Änderung der Situation von akademisch Mitarbeitenden an Fachhochschulen beziehungsweise Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Bei der Beantragung im Rahmen des Tenure-Track-Programms (WISNA) wurden und werden die Hochschulen unterstützt. Die zuständige Behörde hat die zur Antragstellung erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen im Vorfeld überprüft. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antworten zu 1. und 2.