BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15907 21. Wahlperiode 29.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 21.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Braucht Hamburg eine Pflegekammer? Die in einigen Bundesländern1 bereits bestehenden Pflegekammern erfüllen als Körperschaften des öffentlichen Rechts pflegepolitische Funktionen, indem sie unter anderem die Selbstverwaltung dieser Berufsgruppe durch Experten aus den eigenen Reihen ermöglichen.2 Pflegekammern stellen fachlich spezialisierte berufsständische Vertretungen dar, die über die unmittelbare Interessenvertretung der Pflegekräfte hinaus Beiträge unter anderem bei der beratenden Mitwirkung an der Gesetzgebung, bei der Regelung der Berufsausübung und der Weiterbildung.3 in Schlichtungsangelegenheiten und nicht zuletzt bei der Sicherung von Qualitätsstandards in der pflegerischen Versorgung leisten. Bereits in 2012 wurde der Hamburger Pflegerat seitens der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz beauftragt, eine repräsentative Umfrage unter Angehörigen unterschiedlicher Pflegeberufe zur Errichtung einer Pflegekammer durchzuführen. Das Ergebnis offenbarte eine zahlenmäßig überraschend deutliche Zustimmung.4 Im Zeitraum von November 2013 bis Januar 2014 wurde durch das Marktund Meinungsforschungsinstitut INFO GmbH eine zweite Umfrage in den gleichen Pflegeberufsgruppen durchgeführt, die ein gegenteiliges Ergebnis – also eine mehrheitliche Ablehnung bezüglich der Einrichtung einer solchen Institution – aufzeigte.5 Auf der Grundlage der zweiten Umfrage nahm der Senat schließlich Abstand davon, ein Gesetz zur Gründung einer Pflegekammer auf den Weg zu bringen .6 1 Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen. 2 Deutscher Pflegerat, Stellungnahme September 2014, https://deutscher-pflegerat.de/ Downloads/DPR%20Dokumente/2014-24-09-DPR-Kommentar-zum-Kammer- Alternativkonzept-des-bpa.pdf?m=1411551360&. 3 Berufsordnungen, Weiterbildungsordnungen. 4 Nach Abschluss der Befragung hatten sich 86 Prozent der 1 149 Befragten für eine Pflegekammer entschieden, https://www.bv-pflegemanagement.de/meldung/items/267.html. 5 Ebenda: Befragt wurden insgesamt knapp 1 100 Angehörige von Pflegeberufen, von denen sich nur 36 Prozent für eine Hamburgische Landespflegekammer aussprachen. (Anm. d. Verfassers: 48 Prozent lehnten eine Pflegekammer ab, 16 Prozent waren unentschlossen.) 6 Pressemitteilung des HH-Senates: 4. Februar 2014/bgv04, https://gesundheit-sozialeshamburg .verdi.de/++file++52f0f496890e9b7ba900056f/download/bgv04.pdf. Drucksache 21/15907 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Stadt Hamburg kompensiert derzeit das Fehlen bestimmter berufsständischer Funktionen – etwa durch eine Hamburger Berufsordnung für Beschäftigte in der Pflege. Zudem erschien aus Senatssicht die Mitwirkung des Hamburger Pflegerates im Landespflegeausschuss als vorteilhaft für den Berufsstand der Pflege in Hamburg.7 Mehrere Gründe sprechen dafür, in absehbarer Zeit erneut eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Einrichtung einer Pflegekammer inzwischen wünschenswert oder nach wie vor verzichtbar ist. Die Gründe im Einzelnen : 1. Die letzte Umfrage zur Errichtung einer Pflegekammer in Hamburg liegt nunmehr fünf Jahre zurück. Inzwischen könnten in einem neuerlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess Erfahrungen und Ergebnisse berücksichtigt werden, die im Rahmen der Arbeit bereits bestehender Kammern in anderen Bundesländern gesammelt beziehungsweise erzielt wurden. 2. Aus Fachkreisen der professionellen Pflege wurde sowohl im Hinblick auf die Validität der damaligen Umfrageergebnisse als auch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen des Senats umfangreiche Kritik geäußert.8 Zweifel an der nachhaltigen Belastbarkeit des festgestellten Meinungsbildes der damaligen Umfrage werden dadurch verstärkt, dass zwei zeitlich dicht aufeinanderfolgende Befragungen zu derart konträren Resultaten geführt haben. Hier erscheint eine endgültige Klärung als wünschenswert . 3. Hinzu kommt, dass der Senat bereits damals hervorhob, dass der Hauptgrund der Kammergegner in den zu erwartenden finanziellen (Pflicht-)Beitragsbelastungen liegt und nicht etwa von einem weit gefächerten Spektrum unterschiedlicher Ablehnungsgründe auszugehen ist.9 4. Der Deutsche Pflegerat DPR10 vertritt als Befürworter von Pflegekammern seit Langem die Auffassung, dass die Vertretung berufsspezifischer Interessen in gemischt besetzten Gremien nicht sachdienlich sei. So argwöhnte der DPR, dass von Verbänden,11 welche die Interessen der Pflegeberufe dezidiert nicht vertreten, ein zu großer Einfluss ausgeübt und eine wirksame Interessenvertretung der pflegenden Berufsgruppen durch unverändert fortgesetzte Zergliederung und Fraktionierung von Zuständigkeiten be- oder gar verhindert würde. Hier wäre die Situation in Hamburg genau zu analysieren. 7 Ebenda. 8 „Ärztezeitung“, 17.11.2015: Vom Deutschen Pflegerat wurde ganz prinzipiell die Frage aufgeworfen , warum es im Vorfeld wichtiger Gesetzesvorhaben überhaupt Befragungen geben sollte. Des Weiteren wurde vermutet, die Umfrageergebnisse hätten aus einer unzureichenden Information der befragten Pflegekräfte resultiert und wären nicht zuletzt auch auf eine Blockadepolitik privater Arbeitgeber aus der Pflegewirtschaft zurückzuführen gewesen. Mit Blick auf die in Rheinland-Pfalz gegründete Pflegekammer wurde hervorgehoben, dass die in diesem Bundesland bestehende große Zustimmung einer breit angelegten Informationskampagne mit hunderten von Veranstaltungen zu verdanken war. 9 Pressemitteilung des HH-Senates: 4. Februar 2014/bgv04, https://gesundheit-sozialeshamburg .verdi.de/++file++52f0f496890e9b7ba900056f/download/bgv04.pdf. 10 Deutscher Pflegerat, Stellungnahme zum bpa-Modell, Sept. 2014, https://deutscherpflegerat .de/Downloads/DPR%20Dokumente/2014-24-09-DPR-Kommentar-zum-Kammer- Alternativkonzept-des-bpa.pdf?m=1411551360&. 11 So war beispielsweise in der 6. Amtsperiode vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2018 Herr Frank Wagner stellvertretender Vorsitzender des Landespflegeausschusses Hamburg. Herr Wagner ist Vorstandsvorsitzender bpa – Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V., Landesgruppe Hamburg und somit ein Verbandsvertreter der Arbeitgeberseite . Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15907 3 5. Und schließlich hat es im Verlaufe der vergangenen fünf Jahre im beruflichen Kontext des Gesundheits- und Pflegewesens derart gravierende Veränderungen und Umbrüche gegeben,12 dass eine erneute grundsätzliche Entscheidung darüber, ob in Hamburg eine Kammer für Pflegeberufe etabliert werden sollte oder nicht, möglichst rasch herbeigeführt werden muss. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Eine Pflegekammer ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, in der kraft Gesetzes Angehörige der Pflegeberufe Pflichtmitglieder sind. Ziel einer Pflegekammer ist die Sicherstellung einer sachgerechten, professionellen Pflege entsprechend aktueller pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Pflegekammer hat die Aufgabe, die beruflichen Belange der Pflegenden zu fördern und unter Beachtung der Interessen der Bevölkerung zu überwachen. Zurzeit bestehen in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachen Landespflegekammern. Die zuständige Behörde hat sich nach der im Jahr 2013 durchgeführten repräsentativen Befragung unter den ausgebildeten Pflegefachkräften nicht mehr mit Planungen zur Einrichtung einer Pflegekammer befasst. Die Pflegefachkräfte votierten damals lediglich mit 36 Prozent für die Einrichtung einer Pflegekammer. Hauptgründe für die Ablehnung waren die mit jeder Kammer verbundene Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer und die damit verbundenen finanziellen Aspekte. Die zuständige Behörde beobachtet die Entwicklungen zur Einrichtung von Pflegekammern in den anderen Bundesländern. So wird sich die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) auf Antrag Hamburgs mit ersten Erfahrungen zu den Pflegekammern anderer Länder befassen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist die Einrichtung einer Pflegekammer in Hamburg aus Sicht des Senates dauerhaft verzichtbar oder hält es der Senat langfristig für notwendig, die Interessenwahrnehmung der Angehörigen der Pflegeberufe in Form einer Pflegekammer zu organisieren? Falls der Senat die Einrichtung einer Pflegekammer befürwortet: a. Zu welchem Zeitpunkt sollte die Kammer ihre Arbeit spätestens aufnehmen und gibt es bereits konkrete Absichten zur Einleitung vorbereitender Schritte beziehungsweise Planungen? b. Würde der Senat die Einleitung eines entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens erneut – wie bereits 2014 – von den Ergebnissen einer vorher unter Angehörigen der Pflegeberufe durchgeführten Umfrage abhängig machen? c. Wie begründet der Senat die Notwendigkeit der Einrichtung einer Pflegekammer in Anbetracht der Tatsache, dass den Angehörigen der Pflegeberufe auch heute schon die Möglichkeit offensteht, sich in freien Verbänden – wie zum Beispiel dem DBfK13 – berufsspezifisch vertreten zu lassen? Welchen zusätzlichen Nutzen böte die Mitgliedschaft in einer Kammer den Angehörigen der Pflegeberufe über die Vorteile einer Mitgliedschaft in freien Berufsverbänden hinaus ? d. Wie beurteilt der Hamburger Senat in diesem Zusammenhang die Auffassung des Bundesverbandes für freie Kammern e.V., die Austrittsmöglichkeit von Mitgliedern aus freien Berufsverbänden, würde 12 Man denke nur an die Generalisierung der Pflegeausbildung oder an die Gesetzesinitiativen aus dem Bundesgesundheitsministerium zur Milderung der Pflegefachkräftemangels in Deutschland. 13 Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe. Drucksache 21/15907 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 diese Verbände stärker als etwa Pflegekammern dazu anspornen, wirklich etwas für die Mitglieder zu tun?14 e. Ist aus der Sicht des Senats die Einrichtung einer Pflegekammer konzeptionell zwingend mit einer Pflichtmitgliedschaft samt Beitragspflicht gekoppelt oder sind andere Kammerkonzepte denkbar – und welche wären das? f. Wie beurteilt der Hamburger Senat in diesem Zusammenhang und angesichts der beiden zentralen Ablehnungsgründe aus der Umfrage von 2014 (Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht) die Auffassung des Bundesverbandes für freie Kammern e.V., ein Kammerzwang könne einen Standortnachteil für die Pflegebranche Hamburgs bedeuten und Arbeitsplätze in der Pflege unattraktiver machen ?15 Siehe Vorbemerkung. 2. Falls der Senat die Einrichtung einer Pflegekammer in Hamburg dauerhaft für verzichtbar hält beziehungsweise falls senatsseitig aktuell keine konkreten Absichten bestehen, eine Pflegekammer einzurichten: a. Mit welcher Begründung geht der Senat weiterhin davon aus, dass die vor fünf Jahren im Zuge einer Umfrage ermittelte mehrheitliche Ablehnung der Angehörigen der Pflegeberufe im Hinblick auf eine Pflegekammer unverändert fortbesteht? b. Inwiefern lassen sich die neuen Herausforderungen für eine berufsständische Interessenwahrnehmung der Pflegeberufe, die sich in den letzten Jahren aus den Veränderungen in den Rahmenbedingungen der professionellen Pflege ergeben haben, auch ohne eine Pflegekammer bewältigen? Siehe Vorbemerkung. c. Durch Pflegekammern werden spezifische Funktionen erfüllt – so neben der beruflichen Selbstverwaltung unter anderem die fachspezifische Mitwirkung von Pflegeexperten des Berufsstandes an der Gesetzgebung sowie die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung hoher Qualitätsstandards in der Ausübung pflegerischer Tätigkeiten. Siehe Vorbemerkung. i. Welche organisatorischen und prozessualen Gegebenheiten bestehen derzeit in Hamburg ganz konkret, um pflegespezifisches (arbeitgeberunabhängiges) Fachwissen aus dem Berufsstand der Pflegeberufe – auch ohne Kammerorganisation – in gesundheits- und pflegepolitische Entscheidungen einfließen zu lassen? Diese Frage wird verbunden mit der Bitte um eine exemplarische, jedoch auch detaillierte Antwort im Hinblick auf Verfahrensbeispiele, beteiligte Entscheidungsgremien und gesundheits- und pflegepolitische Themenfelder. Seit 2018 findet über die sektorenübergreifende Landeskonferenz zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung pflegerisches Fachwissen Berücksichtigung. Dort sind zwei Vertreterinnen beziehungsweise Vertreter der Hamburgischen Pflegegesellschaft e.V. sowie eine Vertreterin beziehungsweise ein Vertreter der Hamburgischen Pflegeberufe Mitglied (§ 2 Absatz 1 Nummer 9 und 10 HmbSLKV). Die Landeskonferenz gibt Anregungen und Empfehlungen zur sektorenübergreifenden gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung ab. Sie behandelt insbesondere Fragestellungen zu aktuellen und zukünftigen Bedarfen einer flächendeckenden regionalen Versorgung und der Zusammenarbeit. 14 Bffk 2014, https://www.bffk.de/pflege/hh-keine-pflegekammer-in-hamburg.html. 15 Ebenda. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15907 5 Seit 2014 ist der Hamburger Pflegerat und seit 2015 die Gewerkschaft ver.di als Vertreterin oder Vertreter der Pflegeberufe an der Arbeit des Landespflegeausschusses beratend beteiligt. Der Landespflegeausschuss hat gemäß § 8a SGB XI die Aufgabe, über Fragen der Pflegeversicherung zu beraten. Der Landespflegeausschuss kann zur Umsetzung der Pflegeversicherung einvernehmlich Empfehlungen abgeben. ii. Wie begründet der Senat, dass die derzeit bestehenden Beteiligungsformen für den Berufsstand in den pflegeberufsbezogenen Entscheidungsprozessen der Hamburger Pflegepolitik ausreichend sind und es auch zukünftig einer Kammerorganisation zur Interessenwahrnehmung und zum Know-how-Transfer nicht bedarf? Siehe Vorbemerkung.