BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15924 21. Wahlperiode 29.01.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Mehmet Yildiz (DIE LINKE) vom 22.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Seit zehn Monaten ohne Strom leben – Und das Mitten in Hamburg! Seit knapp zehn Monaten lebt Frau S. R. mit ihren drei Töchtern in ihrer Wohnung ohne Strom. Besonders jetzt, im frostigen Winter, spürt die Familie diese Sanktion besonders deutlich – dabei ist die Familie kein Einzelfall. Bis zu 9 600 weitere Hamburger/-innen sind von Stromsperren betroffen. Es ist absolut menschenunwürdig diese Sanktionspolitik aufrechtzuerhalten, besonders für die Kinder ist diese Situation unhaltbar. Die Kinderrechte werden hier mit Füßen getreten. Bis der Aufenthaltsstatus der Familie entschieden worden ist, muss die unmenschliche Behandlung endlich aufhören und stattdessen ihr helfen und sie unterstützen. Auch die SAGA GWG sollte versuchen zu vermitteln und nicht weiter mit der Räumung drohen oder diese gar durchführen. Der Anwalt der Familie argumentiert, dass das Kinderwohl durch eine Räumung offensichtlich gefährdet werden würde und somit illegal sei. Das Gericht hat „die finanziellen Interessen der Gläubiger über den Schutz der schulpflichtigen Kinder sowie des Säuglingskindes gestellt, ungeachtet der offensichtlich drohenden Obdachlosigkeit“ lautet das Gerichtsurteil (https://www.abendblatt.de/hamburg/article216237329/Hamburger-Familiemuss -seit-zehn-Monaten-ohne-Strom-leben.html.) Dieses skandalöse Urteil missachtete den Schutz der Familie und des Kindeswohls . Das Kindeswohl in Hamburg gilt also augenscheinlich nur, wenn der Aufenthaltsstatus der Eltern geklärt ist, anders ist der Fall der Familie R. nicht zu erklären. Die Sanktionen gegenüber der Familie stehen in einem krassen Widerspruch zum Sozialstaat und die Kinderrechte werden schlicht und einfach ignoriert. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Wird dem Jugendamt der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung bekannt, prüft es diesen unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Eltern. Ist zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger notwendig und können die Eltern den Kontakt nicht selbst herstellen, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein. Kann hiermit eine Gefährdung der Kinder weiterhin nicht abgewendet werden, nimmt das Jugendamt die Kinder in Obhut. Das Sozialrecht stellt sicher, dass Bürgerinnen und Bürger existenzsichernde Leistungen und Unterstützung bei drohender Wohnungslosigkeit beziehungsweise Obdachlo- Drucksache 21/15924 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 sigkeit erhalten. Gleichwohl ist die Bewilligung von Leistungen in Verbindung mit dem Ausländerrecht an Voraussetzungen gebunden, da nicht jeder Aufenthalt in Deutschland zu Leistungen berechtigt. Auch in Fällen, in denen regelhafte Sozialleistungen nicht in Betracht kommen, besteht die Möglichkeit, Überbrückungsleistungen zu gewähren sowie zur Vermeidung von Obdachlosigkeit eine öffentlich-rechtliche Unterbringung zu veranlassen. Sofern darüber hinaus die erfragten Informationen die Tätigkeit von Sozialleistungsdienststellen eines Einzelfalls betreffen, handelt es sich um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 61 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X, die der Senat gemäß § 67 b Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder gemäß Artikel 6 Absatz 1 S. 1 Buchstabe a DS-GVO mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Eine Einwilligung der Betroffenen zur Datenübermittlung liegt nicht vor. Der Senat ist daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach § 35 SGB I, §§ 61 fortfolgende SGB VIII, §§ 67 fortfolgende SGB X an der Beantwortung der entsprechenden Fragen gehindert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften von Stromnetz Hamburg GmbH (SNH) und der SAGA wie folgt: 1. Wie haben die zuständigen Ämter und Behörden bis heute auf den beschriebenen Sachverhalt reagiert? 2. Welche Maßnahmen wurden für die Familie ergriffen, um die Stromsperre zu beenden? 3. Wurden alternative Wohn- und Fördermöglichkeiten für die Familie seitens der Behörde oder Ämtern vorgeschlagen? Mehrfach haben durch die zuständige Ausländerabteilung eingehende Prüfungen eines etwaigen Aufenthaltsrechts der Betroffenen stattgefunden. Diese führten stets zu dem Ergebnis, dass kein Aufenthaltsrecht gegeben ist. Gegen die Versagung des begehrten Aufenthaltstitels beziehungsweise gegen die Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts wurden Klagen erhoben. Die Klagen entfalten aufschiebende Wirkung, weshalb eine Aufenthaltsbeendigung ohne freiwillige Mitwirkung der Betroffenen derzeit nicht in Betracht kommt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Wie hoch ist die Anzahl der Stromsperren im Jahr 2018/2019 in Hamburg ? (Bitte einzeln nach Monaten angeben.) Nach Auskunft von SNH als zuständigem Messstellenbetreiber, der Unterbrechungen der Stromanschlussnutzung im Auftrag der beliefernden Stromversorgungsunternehmen in Hamburg durchführt, gestaltete sich die Anzahl der Stromsperren in 2018 wie folgt: Monat Anzahl Januar 1 179 Februar 817 März 866 April 470 Mai 537 Juni 865 Juli 880 August 830 September 803 Oktober 938 November 930 Dezember 419 Summe 9 534 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15924 3 5. Wird das Kindeswohl nur gewährleistet, wenn der Aufenthaltsstatus der Eltern bekannt ist? Siehe Vorbemerkung. 6. Gibt es seitens der Behörden Pläne wie es mit der Familie R. weitergehen soll? 7. Wurden der Familie R. konkrete Vorschläge und Hilfeleistungen angeboten ? Es ist der Ausgang der durch die Betroffenen betriebenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren hinsichtlich ihres geltend gemachten Aufenthaltsrechts abzuwarten. Das weitere Vorgehen wird sich sodann an den bindenden gerichtlichen Entscheidungen orientieren. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Plant die Behörde eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung für die Familie R. auszusprechen, zumindest bis der Aufenthalt des leiblichen Vaters geklärt ist? Nein. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klagen wird zurzeit keine Abschiebung erfolgen. Der Aufenthaltsort des leiblichen Kindsvaters ist ebenso wie sein Aufenthaltsstatus bekannt beziehungsweise geklärt. Auch ihm steht kein Aufenthaltsrecht nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu. 9. Gibt es einen gesetzlichen Rahmen oder eine Verordnung, die bei Räumungsklagen das wirtschaftliche Interesse höherstellt als das Kindeswohl und den Schutz der Familie? Die Kündigungsgründe für den Vermieter, die eine Räumung der Wohnung ermöglichen , sind im Gesetz genannt, unter anderem Zahlungsverzug in bestimmter Höhe (vergleiche §§ 543, 569 BGB für die außerordentliche und § 573 BGB für die ordentliche Kündigung). Bei der ordentlichen Kündigung kann der Mieter der Kündigung wegen besonderer Härte aufgrund von Belangen seiner Kinder widersprechen (vergleiche § 574 BGB). Darüber hinaus ist es möglich, diese Belange bei Verurteilung zur Räumung als Härtegrund für die Frage einer Räumungsfrist im Sinne des § 721 ZPO zu berücksichtigen. Zudem kann der Mieter bei einer Räumung den Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO stellen. Auf diesen Antrag hin kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung (das heißt die Räumungsvollstreckung ) ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. 10. Will die SAGA GWG die Wohnung nach wie vor räumen lassen oder wird nun darauf verzichtetet? Die SAGA hatte Ende 2018 mit der Stellungnahme zur Bürgerschaftlichen Eingabe (siehe auch Drs. 21/15088) in Aussicht gestellt, dass sie zunächst von der Vollstreckung aus dem vorliegenden Räumungstitel absehen kann, sofern der gesamte Rückstand auf dem Nutzungskonto ausgeglichen wird, die Zahlung der künftig fällig werdenden Nutzungsentschädigung sichergestellt ist und keine sonstigen Verstöße gegen die Hausordnung oder andere mietrechtliche Bestimmungen festzustellen sind. Seit November 2017 sind keine Zahlungseingänge zu verzeichnen. Von Maßnahmen zur Vollstreckung oder Räumung wurde wegen des laufenden Eingabeverfahrens abgesehen. Das Eingabeverfahren endete am 11.12.2018. Derzeit ist nicht erkennbar, dass die Nutzer selbst oder Dritte diesen Rückstand ausgleichen werden und die Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung sichergestellt werden kann. Daher kann zum jetzigen Zeitpunkt, unter Berücksichtigung der gegebenen Rahmenbedingungen , die Einleitung der Räumung nicht ausgeschlossen werden. Drucksache 21/15924 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. Gab es in der Vergangenheit bereits gerichtliche Entscheidungen zum Sachverhalt Kindeswohl versus Räumungsklagen? Welches wird höher gewichtet? Die zur Beantwortung benötigten Daten werden statistisch nicht erfasst. Es hängt vom Vorbringen der Parteien ab, ob das Gericht im Einzelfall überhaupt Kenntnis davon erhält, dass minderjährige Kinder in der Wohnung leben. 12. Gab es in Hamburg bereits ähnliche Fälle, bei der die Wohnungsräumung auch die Inobhutnahme der Kinder zur Folge hatte? Wenn ja, wie viele Male war das der Fall? Zur Beantwortung dieser Frage müssten mehr als 1 800 Fallakten händisch geprüft werden, dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 13. Wie ist der Krankenschutz der Familie gesichert? 14. Was für finanzielle Hilfen (zum Beispiel Kindergeld oder Ähnliches) erhält die Familie R.? Siehe Vorbemerkung.