BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15947 21. Wahlperiode 01.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulrike Sparr (GRÜNE) vom 24.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Kleine Teilchen, große Wirkung – Was tut Hamburg gegen Mikroplastik? „Mikroplastik“ ist in Umwelt und in der öffentlichen Diskussion mittlerweile allgegenwärtig . Als Mikroplastik gelten feste beziehungsweise unlösliche synthetische Polymere (= Kunststoffe) unterhalb einer Größe von 5 Millimetern. Die Partikel werden von vielen Lebewesen gemeinsam mit ihrer Nahrung aufgenommen. Viele Partikel sind beziehungsweise werden im Laufe der Zeit durch physikalische und chemische Prozesse noch deutlich kleiner. Mikroplastik-Partikel sind in praktisch allen Gewässern zu finden, in Flüssen, Ozeanen und Tiefseesedimenten, in den Verdauungstrakten von Muscheln, Fischen und Meeressäugern. Als Folgen wurden unter anderem Gewebeveränderungen , Entzündungen und toxikologische Auswirkungen beobachtet. An den winzigen Partikeln haften aufgrund ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften außerdem Schadstoffe (zum Teil in hundertfacher Konzentration ), die mit dem Mikroplastik von Lebewesen aufgenommen und entlang der Nahrungskette aufkonzentriert werden. So gelangen Mikroplastik- Schadstoffe letztlich auf unsere Teller. Standardisierte Verfahren, um die Belastung mit Mikroplastik zu erfassen, gibt es bisher allerdings nicht. Dementsprechend sind auch Verfahren, Mikroplastik aus Wasser oder Boden zu entfernen, allenfalls im Entwicklungsstadium . Unmittelbar und unkompliziert zu adressieren ist dagegen Mikroplastik in Kosmetika. In Kosmetika werden winzige Plastikpartikel als Schleif-, Bindeund Füllmittel eingesetzt. Sie gelangen auf diesem Wege ins Abwasser und können in Kläranlagen nur unzureichend entfernt werden. Einige namhafte Hersteller (zum Beispiel von Bio-Kosmetika) verzichten bereits auf den Einsatz von Mikroplastik. Alternativen sind also möglich. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Untersuchungen haben gezeigt, dass Mikroplastik heute zum Beispiel in vielen Binnengewässern in Deutschland vorkommt und nachweisbar ist. Der Senat nimmt mit Sorge Einträge von Mikroplastik in die Umwelt zur Kenntnis und sieht dies als ein großes Problem. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat bereits behördliche Maßnahmen initiiert, um die Einträge von Mikroplastik in die Umwelt auf vielfältige Weise zu verringern. Dazu gehören zum Beispiel folgende Aktivitäten: - die Erhöhung der Frequenz der Straßenreinigung durch die Stadtreinigung Hamburg - SRH („Hamburg – gepflegt und grün“), Drucksache 21/15947 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 - der Bau von Anlagen zur Behandlung von Straßenabwasser, darunter auch eine Untersuchung zur Wirksamkeit und Betrieb von Filtereinsätzen für die Straßenabläufe (Trummenfilter), - die Erstellung und behördenübergreifende Abstimmung eines Konzepts zu Bau und Unterhaltung von Behandlungsanlagen von Straßenabwasser, - die Prüfung und Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung von Mikroschadstoffen im Zu- und Ablauf der Kläranlage Köhlbrandhöft/ Dradenau, - Anschluss aller Hamburger Haushalte an das Sammelsystem Hamburger Wertstofftonne (HWT) beziehungsweise den Hamburger Wertstoffsack, - kostenloses Angebot der SRH für biologisch vollständig abbaubare gewachste Papiertüten für alle Haushalte, - Trennung von Kunststoffen bei der Kompostherstellung der SRH, - Beteiligung an laufenden Forschungsvorhaben zur Ermittlung der Belastungssituation und Wirkungspfade. Zu den einzelnen Maßnahmen siehe auch die Antworten zu 2. und 3. Der Senat beabsichtigt, die Anstrengungen zur Reduzierung der Einträge von Mikroplastik in die Umwelt in Zukunft weiter fortzusetzen und zu intensivieren. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Was sind nach dem Kenntnisstand des Senats die wesentlichen Eintragungswege von Mikroplastik in die Umwelt? Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik hat in der Schriftenreihe UMSICHT im Juni 2018 die Ergebnisse einer Studie mit dem Titel „Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik“ veröffentlicht, in der unter anderem die Quellen und Mengen für Kunststoffemissionen in Deutschland geschätzt wurden. Die Autorinnen und Autoren der Studie ermitteln die Gesamtemissionen auf 330 000 Tonnen pro Jahr beziehungsweise 4 000 Gramm pro Einwohner und Jahr (g/EW*a). Die Kurzfassung der Studie kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://www.umsicht.fraunhofer.de/content/dam/umsicht/de/dokumente/publikationen/ 2018/kunststoffe-id-umwelt-konsortialstudie-mikroplastik.pdf. Die Forschung zu Mikroplastik steht noch am Anfang und die ermittelten Zahlen sind als erste Anhaltspunkte zu verstehen. Die Autorinnen und Autoren der Studie verweisen darauf, dass nur wenig experimentelle Daten zur Verfügung stehen und die ermittelten Werte zum jetzigen Zeitpunkt vor allem aufzeigen sollen, wo Bedarf für vertiefte Analysen gesehen wird. Dennoch kann bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand davon ausgegangen werden, dass Reifenabrieb die größte Quelle für Kunststoffemissionen in die Umwelt darstellt. Die Kunststoffpartikel lagern sich auf den Straßen ab und gelangen in Hamburg vor allem über Regenwassersiele in die Gewässer. Die Studie Plastic Pollution in Soil des Institute for European Environmental Policy aus 2018 kommt zu folgenden Kernaussagen hinsichtlich der Belastung von Böden durch Mikroplastik (vergleiche https://ieep.eu/uploads/articles/attachments/3a12ecc3-7d09- 4e41-b67c-b8350b5ae619/Plastic%20pollution%20in%20soil.pdf?v=63695425214). Mehr als 80 Prozent der Kunststoffe, die in der Meeresumwelt gefunden werden, wurden an Land produziert, verbraucht und entsorgt. Es wird geschätzt, dass sich an Land eine mikroplastische Kontamination ergibt, die vier- bis 32-fach höher ist als in den Ozeanen. Zusätzlich zu einer unzureichenden End-of-Life-Behandlung von Kunststoff gelangen Kunststoffe aus Abfällen durch zunehmenden Einsatz für landwirtschaftliche Zwecke in Böden. Die jährlichen Einträge von Mikroplastik auf Agrarflächen in Europa werden auf bis zu 63 000 Tonnen geschätzt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15947 3 2. Engagiert sich die Stadt in Gemeinschafts- oder Forschungsprojekten, um Möglichkeiten für die genauere Erfassung und die Reduzierung des Mikroplastik-Eintrags in Hamburg zu finden? Wenn ja, in welcher Weise? Hamburg engagiert sich über die Flussgebietsgemeinschaft Elbe im Forschungsverbundvorhaben MIWA (Mikroplastik im Wasserkreislauf). Die spätere Erprobung und Verifizierung der Ergebnisse soll auch im Hamburger Abschnitt der Elbe stattfinden. Die Stadtreinigung Hamburg (SRH) ist assoziierter Partner im Projekt ENSURE, das vom 1. April 2018 – 31. März 2021 läuft. Im Projekt soll unter anderem ein vollständig abbaubarer Bio-Kunststoff entwickelt und dessen Abbau und die Ökotoxikologie untersucht werden. Bislang liegen keine Ergebnisse aus diesem Projekt vor. 3. Welche Schritte unternimmt der Senat, um den Eintrag von Mikroplastik in Hamburg zu reduzieren beziehungsweise um geeignete Verfahren dafür zu finden a) in Bezug auf Gewässer (zum Beispiel über Reifenabrieb, Spiel- und Sportplätze)? Die SRH hat die Frequenz der Straßenreinigung seit dem 1.Januar 2018 deutlich erhöht. Im Rahmen der maschinellen Fahrbahnreinigung wird zusammen mit dem Kehricht auch der Reifenabrieb vollständiger als zuvor entfernt und somit der Ablauf in die Kanalisation und die Oberflächengewässer vermindert. In einem befristeten Projekt der für Wasserwirtschaft zuständigen Behörde werden mehrere Niederschlagswasser-Einzugsgebiete vor Zulauf zum Regensielsystem dezentral mit Filtertrummen gereinigt. Die Filtereinsätze sind geeignet, auch Mikroplastik aus Straßenabwasser zu eliminieren. Die entsprechenden Untersuchungen haben begonnen, mit belastbaren Ergebnissen wird in etwa einem Jahr gerechnet. Ebenfalls unter der Federführung der für Abwasserwirtschaft zuständigen Behörde wird derzeit ein Konzept zur Reinigung von belastetem Straßenabwasser sowie weiterer belasteter Flächen in Hamburg erarbeitet, das auch die Emissionsreduzierung von Mikroplastik in die Gewässer zum Ziel hat. Das Konzept beinhaltet unter anderem eine schadstoffbewertete Priorisierung besonders belasteter Einzugsgebiete/Straßenabschnitte und die Ableitung notwendiger Maßnahmen für den Gewässerschutz sowie eine behördenübergreifende Strategie zur Finanzierung der Herstellung und Unterhaltung von zusätzlichen Regenwasserbehandlungsanlagen (RWBA). Die Fertigstellung des Konzepts ist bis Juni 2020 vorgesehen. Die für Abwasserwirtschaft zuständige Behörde hat in 2017 gemeinsam mit der Hamburger Stadtentwässerung (HSE) eine Arbeitsgruppe „Mikroschadstoffe“ gegründet. In der Arbeitsgruppe werden sowohl Strategien zur Reduzierung von Mikroschadstoffen im Zulauf der Kläranlage (Aktion „Altmedikamente richtig entsorgen – um uns und unsere Gewässer schützen, (siehe dazu auch https://www.hamburg.de/contentblob/ 10627916/584a5d2416bb6bb6be7722aa2f0d6418/data/d-flyer.pdf) als auch verfahrenstechnische Lösungen zur Elimination des verbleibenden Restmikroschadstoffinventars im behandelten Abwasser des Kläranlagenablaufs vor der Einleitung in die Elbe entwickelt. Nach Vorliegen der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wird zu prüfen und entscheiden sein, auf welchem Weg die Reinigungsleistung der Abwasserbehandlung im zentralen Klärwerk Köhlbrandhöft/Dradenau verbessert werden kann, um auch die Restemission von Mikroplastik in das Gewässer möglichst weitgehend zu reduzieren. b) in Bezug auf Böden (zum Beispiel über die Bio-Tonne)? Alle Hamburger Haushalte sind an das Sammelsystem Hamburger Wertstofftonne (HWT) beziehungsweise den Hamburger Wertstoffsack angeschlossen. Seit 2011 erfasst die SRH in der HWT im Unterschied zur Gelben Tonne anderer Kommunen auch sogenannte stoffgleiche Nichtverpackungen aus Plastik (sowie Metall) zur weiteren Verwertung. Auch Plastikartikel, die über die 18 000 Papierkörbe der SRH entsorgt werden, gelangen nicht in die Umwelt. Drucksache 21/15947 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Seit 2018 wird von der SRH eine biologisch vollständig abbaubare gewachste Papiertüte kostenlos allen Haushalten angeboten, die an die Bioabfallsammlung angeschlossen sind. Damit wird den Haushalten eine Alternative zu Plastiktüten und den im Handel erhältlichen Tüten aus „Bio“-Kunststoffen zur Verfügung gestellt. Kunststoffe werden im Biogas- und Kompostwerk (BKW) Bützberg größtenteils bereits vor dem Eintrag in die Anlage abgetrennt. Reste, die nach Durchlauf der Anlage im Roh-Kompost verbleiben, werden abgesiebt und durch Windsichter ausgeblasen. Der Anteil an Kunststoffen im fertigen Kompost der SRH liegt daher deutlich unter den bundesweit vorgegebenen Grenzwerten, siehe dazu auch Antwort zu 4. Die Sensibilisierung für mögliche Belastungen der Böden mit Mikroplastik wird zurzeit durch laufende Forschungsvorhaben verschiedener wissenschaftlicher Institute unterstützt . Gefährdungsbeurteilungen zu einer möglichen Aufnahme in die Nahrungskette über Mikroorganismen und Wurzeln liegen noch nicht vor. 4. Auf welche Weise trägt der Senat der überregionalen Bedeutung des Mikroplastik-Problems Rechnung? Angesichts der starken Verbreitung von Mikroplastik setzt sich der Senat für eine überregionale Einschränkung von Mikroplastikeinträgen und schwer abbaubaren Polymeren ein. Diese Stoffe stellen einen zusätzlichen, aber vermeidbaren Eintrag in die Nahrungskette dar. Der Senat ist der Auffassung, dass auf den Einsatz von Mikroplastik und schwer abbaubaren Polymeren insbesondere in der Kosmetikbranche verzichtet werden sollte . Auf ein etwaiges EU-weites Verbot von Mikroplastik sollte angesichts der zu erwartenden Dauer einer entsprechenden Gesetzgebung nicht gewartet werden. Aus diesem Grund bereitet die zuständige Behörde eine Bundesratsinitiative vor, mit der die besondere Herstellerverantwortung und die Rolle des Produktdesigns betont werden, die darüber hinaus auf nationale Verbote oder Beschränkungen von Produkten mit bewusst zugesetzten Kunststoffpartikeln und anderen schwer abbaubaren Polymeren abzielt und zusätzlich die Bundesregierung auffordert, Lösungen zur Verminderung der Einträge für das durch Abrieb von Reifen, Textilien und anderen Kunststoffartikeln entstehende Mikroplastik in Gewässer zu entwickeln. Die SRH beteiligt sich an der bundesweiten Kampagne „Wir für Bio“ (siehe dazu auch https://www.wirfuerbio.de/), in der sich rund 30 vorwiegend norddeutsche kommunale Entsorgungsunternehmen zusammengetan haben, um übergreifend über die Gefahren des (Mikro-)Plastikeintrags über die Biotonne zu informieren.