BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15968 21. Wahlperiode 01.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 25.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Abschiebungen von EU-Obdachlosen (II) In der Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage „Abschiebungen von EU-Obdachlosen“ (Drs. 21/15699) heißt es, dass „im Jahr 2018 bei insgesamt 389 Personen ein Bescheid zur Aberkennung der EU-Freizügigkeit erlassen“ wurde. Zudem sei davon auszugehen, dass „bei den Personen, bei denen eine Aberkennung der Freizügigkeit nach § 5 Absatz 4 EU-FreizügG festgestellt wurde, eine Obdachlosigkeit vorliegen“ würde. Dies würde demnach auf 285 Personen zutreffen. Weiter heißt es, „sofern EU-Bürgerinnen beziehungsweise -Bürger, deren Recht auf Freizügigkeit entfallen ist, ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen, besteht auch gegen diese Personen die grundsätzliche Möglichkeit, Abschiebehaft zu beantragen. Soweit eine Suchtproblematik besteht, ist hierzu die Herstellung einer Situation erforderlich , in der eine Verwahr- und spätere Reisefähigkeit gegeben ist“. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Welchen Aufenthaltstitel erhalten Personen, bei denen das Recht auf Freizügigkeit entfallen ist, aber Verwahr- und Reisefähigkeit nicht gegeben sind? Auf Personen, bei denen der Verlust der Freizügigkeit festgestellt wurde, findet nach § 11 Absatz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU das Aufenthaltsgesetz Anwendung. Sofern diese Personen auch kein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz herleiten können , sind sie ausreisepflichtig. 2. Auf welche Leistungen können die unter Frage 1. genannten Personen einen Anspruch geltend machen? Ob ein Anspruch auf Leistungen für nicht dem Freizügigkeitsrecht unterfallende Personen vorliegt und woraus sich dieser Leistungsanspruch ergibt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Je nach Aufenthaltsstatus oder -titel kann ein Anspruch auf Leistungen nach SGB II, SGB XII oder AsylbLG bestehen. 3. In die Zuständigkeit welches Leistungsträgers fällt die Unterstützung dieser Personengruppe? Die Zuständigkeit ergibt sich aus dem Aufenthaltsstatus oder -titel, nach dem sich der Leistungsanspruch richtet. Für Leistungen nach SGB II besteht eine Zuständigkeit für Jobcenter team.arbeit.hamburg, für Leistungen nach SGB XII oder AsylbLG ist eine Zuständigkeit der Fachämter für Grundsicherung und Soziales der Bezirksämter gegeben. Drucksache 21/15968 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 4. Wie werden die Betroffenen über ihre Rechte aufgeklärt? Wie ist die Beratungspflicht der Ausländerbehörde hinsichtlich der existenzbedrohenden Situationen der Betroffenen ausgestaltet? Im Hilfesystem für wohnungs- und obdachlose Menschen gibt es umfangreiche Beratungsangebote für zugewanderte EU-Bürgerinnen und EU-Bürger hinsichtlich ihrer jeweiligen Perspektiven, zu denen auch Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Freizügigkeit innerhalb der EU gehören. Im Einzelnen siehe https://www.hamburg.de/beratung-hilfen/4127910/eu-buerger-osteuropa/. Sofern die Ausländerbehörde durch die Polizei Mitteilung über eine obdachlose Person erhält, wird dieser Person zur Klärung des Aufenthaltes zunächst rechtliches Gehör gemäß § 28 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes angeboten und sie wird zur Anhörung vorgeladen. Sofern der Aufenthaltsort bekannt ist, erfolgt die Zustellung der Einladung durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde vor Ort. Eine öffentliche Zustellung erfolgt in den Fällen, in denen keine andere Möglichkeit der Zustellung besteht. Im Rahmen der persönlichen Zustellung wird dem Personenkreis mithilfe von Sprachmittlern die rechtliche Situation vollumfänglich erklärt und zugleich auch auf die Möglichkeit hingewiesen, sich hilfesuchend an karitative Institutionen, wie zum Beispiel PLATA, wenden zu können. In der Regel wird das Angebot der persönlichen Vorsprache jedoch von dem Personenkreis der Obdachlosen nicht wahrgenommen . 5. Anhand welcher Kriterien wurde die gesundheitliche Situation der unter Frage 1. genannten Personen beurteilt? Eine erste Einschätzung bezüglich der Verwahr- und Reisetauglichkeit erfolgt bereits durch die Polizei und anschließend durch die Justiz sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Einwohner-Zentralamtes. Dabei werden Erkenntnisse beispielsweise aus der Ausländerakte, aus vergangenen Aufgriffen sowie dem aktuellen Festnahmebericht der Polizei, durch Inaugenscheinnahme und Angaben der Person herangezogen . Die Verwahr- und Reisefähigkeit kann, wie bei allen Rückführungsmaßnahmen, durch Suchtproblematiken oder andere Erkrankungen beeinträchtigt sein. 6. Welche Diagnosen begründen eine Reiseunfähigkeit und wer bescheinigt diese? Eine Reisetauglichkeit beziehungsweise Transportfähigkeit wird in Zweifelsfällen durch einen Arzt festgestellt. Welche Diagnose zugrunde liegt, ist eine medizinische Frage und daher einzelfallabhängig. 7. Welche Angebote werden den Betroffenen gemacht, um ihre gesundheitliche Situation zu verbessern? Das Hilfesystem für wohnungs- beziehungsweise obdachlose Menschen enthält auch zahlreiche Angebote der niedrigschwelligen ärztlichen Versorgung. Im Einzelnen siehe https://www.hamburg.de/obdachlosigkeit/895384/krankenhilfeobdachlose /. In den Beratungseinrichtungen wird darüber hinaus zu einer weiterführenden Anbindung in Regelstrukturen der Gesundheitsversorgung beraten und unterstützt . Betroffenen steht das Hamburger Suchthilfesystem mit seinem gesamten Angebot offen. Siehe https://www.sucht-hamburg.de/hilfe/hilfe-bei-suchtfragen-und-problemen. Speziell die niedrigschwelligen Angebote bieten Unterstützung im Bereich der sogenannten Überlebenshilfe an. Für Abhängige von illegalen Drogen wird auf die Einrichtungen Drob Inn, Ragazza (weibliche Prostituierende), Stay Alive und Abrigado verwiesen , für Abhängige von Alkohol auf die Einrichtungen Park Inn und Lucafé. Inwieweit die Personen diese Angebote annehmen ist, wie bei allen anderen Personen , deren persönliche Entscheidung. 8. Welche Strategie verfolgt der Senat, um der zunehmenden Verelendung von Obdachlosen aus der EU zu begegnen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15968 3 Das Hamburgische Hilfesystem für wohnungs- beziehungsweise obdachlose Menschen ist ganz weitgehend niedrigschwellig angelegt, sodass Beratungs- und Versorgungsangebote unter anderem unabhängig von Nationalität und dem Vorhandensein von Sozialleistungsansprüchen eröffnet werden. Davon profitieren zugewanderte EU- Bürgerinnen und EU-Bürger in hohem Maße, wie nicht zuletzt auch die vielfältigen, teilweise speziell auf sie zugeschnittenen Angebote zeigen.1 Dieses Hilfesystem wird in ganz erheblichem Umfang von der Stadt Hamburg finanziert sowie bedarfsgerecht weiterentwickelt. Das Hamburgische Hilfesystem kann für diese Personen wie für alle anderen Personen Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung individueller Lebenssituationen leisten . Inwieweit sich die Personen aus dieser Lebenssituation lösen können, bleibt auch bei ihnen abhängig davon, wie weit sie diese Hilfen tatsächlich annehmen und selbst an ihrer persönlichen Situation zu arbeiten bereit sind. Soweit nach Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit Personen kein Aufenthaltsrecht beanspruchen können und ausreisepflichtig sind, kommt das Einwohner- Zentralamt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles der Aufgabe nach, bestehende Ausreisepflichten durchzusetzen. Im Übrigen siehe Drs. 21/11021. 1 siehe etwa zu 4. und 7.; darüber hinaus zum Hilfesystem insgesamt siehe https://www.hamburg.de/obdachlosigkeit/veroeffentlichungen/116870/hilfesystem-brosch/.