BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15993 21. Wahlperiode 05.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 29.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Bundesweite Vergleichsstudie zeigt Bedarfe für bessere Antisemitismusprävention auf – Was tun der Senat und die Behörde? Erst kürzlich wurde eine bundesweite Vergleichsstudie zum Thema „Antisemitismus in der Schule“ vorgestellt. In der Studie wird die die aktuelle Situation in Bezug auf Antisemitismusvorfälle in deutschen Schulen analysiert und es werden Handlungsvorschläge zur Bekämpfung des Problems genannt. In der offiziellen Kommentierung zur Veröffentlichung der Studie heißt es: „Eine erfolgreiche schulische Intervention gegen Antisemitismus kann nur durch eine Mischung aus Aufklärung, Prävention, Intervention und Repression gewährleistet werden“.1 Als vor diesem Hintergrund besonders problematisch werden ein Mangel an Problembewusstsein, eine nicht stattfindende transparente Erfassung von antisemitischen Vorfällen an Schulen, qualitativ unzureichende Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, Kompetenzorientierung anstelle des Erwerbs gesicherten Wissens sowie eine aus einem falschen Verständnis von Multiperspektivität erfolgte Toleranz gegenüber Intoleranz und Antisemitismus genannt.2 Es ist irritierend, dass das Land Hamburg im Rahmen der Studie keine Maßnahmen bezüglich der Bekämpfung von Antisemitismus genannt hat. Zitat aus der Studie: „Nur Bayern und Hamburg haben trotz mehrfacher Ansprache und Bitte um Stellungnahme an der Datenerhebung nicht teilgenommen “.3 Dabei besteht gerade in Hamburg das Problem einer ausufernden Kompetenzorientierung in den Bildungsplänen und antisemitische Vorfälle in Schulen werden bis heute nicht systematisch verfasst. Auch ein Beauftragter gegen Antisemitismus wurde bisher nur diskutiert.4 Zwar besteht bezüglich des Punkts Lehrmaterial mittlerweile eine Kooperation mit Yad Vashem, doch zum einen kann es sich hierbei nur um einen Baustein einer umfassenden Strategie zur Prävention von Antisemitismus in den Schulen handeln und 1 https://www.pressestelle.tu-berlin.de/menue/tub_medien/publikationen/ medieninformationen/2019/januar_2019/medieninformation_nr_122019/ (Stand: 29.01.2019). 2 https://www.pressestelle.tu-berlin.de/menue/tub_medien/publikationen/ medieninformationen/2019/januar_2019/medieninformation_nr_122019/ (Stand: 29.01.2019). 3 https://www.tu-berlin.de/fileadmin/i65/Dokumente/Antisemitismus-Schule.pdf (Seite 26, Stand: 29.01.2019). 4 https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/vorgang/58091. Drucksache 21/15993 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 zum anderen wurde auch im Rahmen dieser Ankündigung deutlich, dass Antisemitismus in Hamburgs Schulen nicht klar erfasst wird.5 Hamburg braucht einen ehrlichen Überblick über das Problem Antisemitismus in den Schulen und einen deutlichen Ausbau der Maßnahmen in der Bekämpfung des Problems. Hamburgs Schulen dürfen nicht zu einem Ort werden, an dem sich jüdische Schüler nicht mehr sicher fühlen! Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Antisemitismus ist ein ernst zu nehmendes Problem, dem Hamburg auf unterschiedlichen Ebenen begegnet, siehe hierzu unter anderem Drs. 21/15617 und 21/15765. Die Behörden befinden sich mit weiteren zivilgesellschaftlichen Partnern, Organisationen und Fachkräften in einem regelmäßigen Fachdialog zum Thema Antisemitismus. Demokratieförderung und damit eine frühzeitige Prävention menschenverachtender und demokratiefeindlicher Einstellungen sind integrale Bestandteile der pädagogischen Arbeit sowohl in der frühkindlichen Bildung als auch in Vorschulen, Schulen, Jugendverbänden und -einrichtungen. Grundlegend für den schulischen Unterricht ist zunächst das Hamburgische Schulgesetz (HmbSG), dort wiederum insbesondere der in § 2 HmbSG niedergelegte allgemeine schulische Bildungsauftrag, demgemäß sich Unterricht und Erziehung an den Werten des Grundgesetzes und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ausrichten. Des Weiteren ist es Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz , der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten. Der allgemeine Bildungs- und Erziehungsauftrag bindet alle in Schule und Unterricht pädagogisch Tätigen unmittelbar. Vor diesem Hintergrund haben extremistische und antisemitische Äußerungen in Schulen keinen Platz beziehungsweise ist diesen, so sie in Schule und Unterricht auftreten, aktiv erzieherisch entgegenzuwirken. Die Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie dem Antisemitismus ist grundsätzliche Querschnittsaufgabe von Schule. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist dem Senat und der zuständigen Behörde bekannt, aus welchen Gründen Hamburg nicht an der Datenerhebung der genannten Studie teilgenommen hat? a. Wenn ja, bitte Gründe für die Nichtteilnahme ausführlich darstellen. b. Wenn nein, warum nicht? Die zuständige Stelle innerhalb der für Bildung zuständigen Behörde hatte im September 2018 einen Beitrag für die Datenerhebung erstellt, durch ein Büroversehen wurde dieser jedoch nicht an die Anfragenden weitergeleitet. 2. Bestehen vonseiten des Senats und der zuständigen Behörde Möglichkeiten , die Daten, die im Rahmen der Studie hätten abgefragt werden sollen, in irgendeiner Weise nachzuliefern? a. Wenn ja, wann und in welcher Form? b. Wenn nein, warum nicht? Den Autoren der Studie wurde angeboten, den Hamburger Beitrag zur Verfügung zu stellen. 5 https://www.abendblatt.de/hamburg/article215841043/Von-Yad-Vashem-nach-Hamburg- 500-Lernkoffer-zum-Holocaust.html (Stand: 29.01.2019) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15993 3 3. Haben sich der Senat und die zuständige Behörde mit der zitierten Studie , den darin enthaltenen Erkenntnissen und den enthaltenen Handlungsempfehlungen auseinandergesetzt? a. Wenn ja, in welcher Weise? Bitte im Detail darstellen. b. Wenn nein, warum nicht und ist eine solche Auseinandersetzung für die Zukunft geplant? Sollte eine Auseinandersetzung geplant sein, bitte auch darstellen, wann und wie über die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung berichtet wird. 4. Welche Handlungsempfehlungen entnehmen der Senat und die zuständige Behörde der zitierten Studie in Bezug auf die Hamburgischen Schulen ? Bitte im Detail darstellen, welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen und wie diese umgesetzt werden sollen. Sollten keine Maßnahmen umgesetzt werden, bitte im Detail darstellen, warum keine zusätzlichen Maßnahmen erfolgen. Die mit dem Thema Antisemitismusprävention an Schulen befassten Stellen der für Bildung zuständigen Behörde werten die Studie „Antisemitismus in der Schule“ aus und bewerten sie insbesondere auch hinsichtlich ihrer empirischen Fundierung sowie der Schlüssigkeit der aus den dortigen Analysen gezogenen Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen. Aus diesem Prozess heraus werden sich gegebenenfalls ergänzende Maßnahmen zur Antisemitismusprävention an Schulen ergeben. Im Übrigen sind die Überlegungen der für Bildung zuständigen Behörde noch nicht abgeschlossen . Einige der Empfehlungen der Studie werden in Hamburg im Bereich der Lehrerfortbildung bereits umgesetzt, so zum Beispiel eine ausgewogene Darstellung Israels, zweitens eine multiperspektivische Betrachtung des Judentums mit den Facetten Religion, Kultur und Geschichte, sowohl in historischer als auch gegenwärtiger Perspektive, als auch drittens die Vermittlung zeitgemäßen Erinnerungslernens wie es die Materialien „Was geht mich die Geschichte an? Den Holocaust im 21. Jahrhundert unterrichten“ ermöglichen, die das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) den weiterführenden Hamburger Schulen seit Oktober 2018 kostenfrei zur Verfügung stellt. Darüber hinaus hat sich Hamburg an der Erarbeitung der Materialempfehlungen, die im Zusammenhang mit der gemeinsamen Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Kultusministerkonferenz zur Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in der Schule v. 06.12.2016 entstanden sind, beteiligt. Das LI bietet in den Fächern Geschichte, Politik und Religion regelmäßige Fachtagungen und Fortbildungsveranstaltungen zur jüdischen Geschichte und Religion sowie zu Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur an. Ein zweiter Baustein neben den Fachfortbildungen ist die spezifische Aufklärung über und Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie dem Antisemitismus. Dabei geht es zunächst um die Aufklärung des Phänomens als Ideologie und eine Sensibilisierung der Hamburger Lehrkräfte für die unterschiedlichen Formen und die Wirkung des Antisemitismus. Dabei werden sowohl die Alleinstellungsmerkmale des Antisemitismus vermittelt, als auch die häufig sehr enge Verknüpfung mit Verschwörungsideologien. In der Prävention von Antisemitismus kooperiert das LI mit einem Modellprojekt aus dem Bundeprogramm „Demokratie leben!“ zusammen: „Anders Denken“ der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V. (KIgA). Das Modellprojekt erstellt Konzepte und Materialien für die antisemitismuskritische Bildungsarbeit mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I und II. Die Bildungskonzepte fokussieren auf aktuelle Formen des Antisemitismus wie den israelbezogenen und den sekundären Antisemitismus , das Feld der Verschwörungstheorien sowie religiös-fundamentalistische Positionen . Sie zielen auf die Befähigung zu Widerspruchstoleranz und einer kritischen Urteilskompetenz ab. Die Fachkolleginnen und -kollegen der unterschiedlichen Bereiche am LI (Geschichte, Politik, Religion, Gedenkstätten, Demokratiepädagogik) stehen in einem engen inter- Drucksache 21/15993 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 disziplinären Austausch, um das Judentum in seiner Vielfalt darzustellen und mehrperspektivisch für den Unterricht zu erschließen. Darüber hinaus sind die jüdischen Gemeinden in Hamburg und die Synagoge wichtige Kooperationspartner und Lernorte für die Hamburger Schulen. Der interreligiöse Religionsunterricht fördert die Dialogkompetenz und die Toleranz gegenüber allen Glaubenseinstellungen und vermittelt Begegnungen mit dem Judentum und jüdischen Menschen als lebendige, vielfältige Religion. Für den interreligiösen Religionsunterricht ist eine eigene Buchreihe (Reihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“) entwickelt und herausgegeben worden, die jüdische Theologen und Lehrkräfte als Autoren einbindet und so authentische Materialien aus der Binnenperspektive anbietet. 5. Wie bewertet der Senat die in der Antisemitismusprävention notwendigen Elemente „Aufklärung, Prävention, Intervention und Repression“ und in welcher Weise werden diese Elemente konkret und in Bezug auf Hamburgs Schulen umgesetzt? Bitte im Detail darstellen. Aufklärung über jüdische Geschichte und Religion sowie jüdisches Leben als Beitrag zur Vermeidung antisemitischer Stereotype erfolgt fachinhaltlich vor allem in den Fächern Geschichte und Religion, aber auch mithilfe politischer Bildung im Fach Politik /Gesellschaft/Wirtschaft. Darüber hinaus enthält der Unterricht im Fach Deutsch sowie im Aufgabengebiet Interkulturelle Erziehung Inhalte und Themen, die themenbezogen der antisemitismuspräventiven Aufklärung dienen können. Zum Bereich der Prävention siehe die Vorbemerkung und die Antwort zu 3. und 4. Bezogen auf „Intervention“ beziehungsweise „Repression“ sind die in Schulen bereits installierten Routinen zum Umgang mit Gewaltvorfällen beziehungsweise besonderen Vorkommnissen anzuwenden. Darüber hinaus sieht § 49 HmbSG Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen vor, die im Verhältnis zum jeweiligen Vorfall und dem Alter des Täters beziehungsweise der Täterin vom normenverdeutlichenden Gespräch bis hin zur Abschulung reichen. Diese Maßnahmen sind auch in Fällen von Antisemitismus anwendbar. 6. Wie beurteilen der Senat und die zuständige Behörde die Einschätzung, dass eine übermäßige Ausrichtung auf Kompetenzorientierung in den Lehrplänen in diesem Zusammenhang ein Problem in Bezug auf Hamburgs Schulen darstellen könnte? Bitte im Detail darstellen. 7. Wie beurteilen der Senat und die zuständige Behörde die Einschätzung, dass eine aus einem falschen Verständnis von Multiperspektivität erfolgte Toleranz gegenüber Intoleranz und Antisemitismus in diesem Zusammenhang auch ein Problem an Hamburgs Schulen darstellen könnte? Bitte im Detail darstellen. Siehe Antwort zu 3. und 4. 8. Planen der Senat und die Behörde über die Kooperation mit Yad Vashem hinausgehende Maßnahmen in Bezug auf die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien oder eine inhaltliche Verbesserung der Schulbücher in Bezug auf die Themen Antisemitismus und Antisemitismusprävention ? a. Wenn ja, in welcher Weise? Bitte im Detail darstellen. b. Wenn nein, warum nicht? Wie in anderen Bundesländern auch besteht in Hamburg kein zentrales Verfahren der Schulbuchzulassung. Insoweit sind die die Schulen im Rahmen ihrer Selbstverantwortung frei in der Auswahl der im Unterricht verwendeten Lehrwerke beziehungsweise sonstigen Unterrichtsmaterialien. Das LI berät Schulen und Fachkonferenzen über adäquate Schulbücher und Lernmittel und berücksichtigt dabei aktuelle Forschungserkenntnisse auch der Schulbuchforschung (zum Beispiel des Georg-Eckert-Instituts). Darüber hinaus ist das LI auch an der Materialerstellung von Unterrichtsmaterialien beteiligt, so zum Beispiel diversen Bücher und Handreichungen zu den Bereichen Geschichte und Politik (Curiohaus- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15993 5 Prozesse, Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof, Joseph Carlebach, Stolpersteine, Erinnerungslernen) und Religion (Reihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“, Webseite religiöse Lernorte mit pädagogischen Handreichungen). Im Rahmen der Kooperation mit Yad Vashem hat das LI exklusiv die Abdruckrechte für die Materialien „Was geht mich Geschichte an? Den Holocaust im 21. Jahrhundert unterrichten“ erhalten. Die Materialien werden seit Oktober 2018 allen Hamburger Schulen kostenfrei zur Verfügung gestellt. 9. Bestehen vonseiten des Senats und der zuständigen Behörde Pläne, antisemitische Vorfälle in den Schulen konsequent und transparent zu erfassen? a. Wenn ja, bitte die Pläne zur Erfassung von antisemitischen Vorfällen an Schulen im Detail darstellen? b. Wenn nein, bitte im Detail begründen, warum eine konsequente und transparente Erfassung von antisemitischen Vorfällen abgelehnt wird. Siehe Antwort zu 3. und 4., darüber hinaus sind zurzeit keine spezifischen Meldeverfahren für antisemitische Vorfälle geplant. Die Richtlinie zur Meldung von besonderen Vorkommnissen an die Schulleitung und Schulaufsicht umfasst auch Meldungen von Vorfällen an Schulen, die antisemitisch motiviert sind. Das LI berät Lehrkräfte auch bei Anfragen zu Antisemitismus. Die bestehende Opferberatungsstelle (empower) für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wird regelhaft in Beratungsanfragen und Fallbearbeitungen miteinbezogen.