BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16038 21. Wahlperiode 08.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 31.01.19 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz – Ist die versprochene Besserung der Situation auf den Geschäftsstellen der Hauptabteilung II der Staatsanwaltschaft endlich eingetreten? Am 1. Juni 2018 zitierte „Die Bild“-Zeitung aus einer internen Mail der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft: „Da auf mehreren Dienstposten der Hauptabteilung 2, besonders in den Abteilungen 21, 23, 24, Rückstände von bis zu zwei Monaten aufgelaufen sind, hat die Behördenleitung (...) entschieden , dass (...) die Aufgaben derart zu priorisieren sind, dass die Bearbeitung von Kosten- sowie BZR-Sachen zurückzustellen ist.“ Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte dies gegenüber der Zeitung mit folgenden Worten : „Das ist eine Sofortmaßnahme, um weitergehende Verzögerungen, z.B. bei Posteingängen, zu vermeiden.“ Nachdem die Zurückstellungsmaßnahme zunächst bis zum 31. August 2018 befristet war, wurde sie schließlich bis 31. Oktober 2018 verlängert. In dieser Zeit sind rund 4 800 BZR- und 11 700 Kostensachen aufgelaufen, die nach Angaben des Senats in der Drs. 21/14779 ab 1. November 2018 dienststellenweit abgearbeitet werden sollten. Daneben scheinen sich die Überlastung und die angespannte Personalsituation auch im operativen und damit wichtigsten Bereich der Staatsanwaltschaft auszuwirken. Wie der NDR kürzlich aufdeckte1, soll es im Fall des im September letzten Jahres in der JVA Kleve in Nordrhein-Westfalen verstorbenen Syrers A. A. auch erhebliche Versäumnisse und Fehler der Hamburger Justiz gegeben haben. Die Verwechslung mit einem malischen Staatsangehörigen , der bereits die Polizei Kleve unmittelbar nach der Festnahme des Syrers unterlegen war, soll in Hamburg tragischerweise niemandem aufgefallen sein. So soll allein aufgrund eines ähnlich lautenden Aliasnamens und des identischen Geburtsdatums um die Vollstreckung der Haft gebeten worden sein. Eine ordnungsgemäße Prüfung in Hamburg soll auch in der Folge unterblieben sein, weshalb schließlich A. A. länger als zwei Monate unschuldig in Haft saß und dort schließlich aufgrund eines Brandes in seiner Zelle ums Leben kam. Es stellt sich die Frage, ob aufgrund der schwierigen Personalsituation bei der Hamburger Staatsanwaltschaft, die der Justizsenator auch nach vier Jahren nicht in den Griff bekommt und die bereits zu der obigen Zurückstellungsanweisung geführt hat, eine sorgfältige Bearbeitung der Akte nicht möglich war. 1 https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Kleve-Fehlerkette-bei-Tod-eines- Haeftlings,kleve108.html. Drucksache 21/16038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Hintergründe der tragischen Personenverwechslung durch die Kreispolizeibehörde Kleve des A. A., der infolge eines Haftraumbrandes am 17. September 2018 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleve verstarb, stellen sich für den Senat betreffend seinen Geschäftsbereich nach den bisherigen Erkenntnissen wie folgt dar: Die Anordnung der Vollstreckung der Haft erfolgte ausschließlich für die verurteilte Person, den A. G. Ausschließlich auf diese Person und ihre Personalien lauteten die Vollstreckungshaftbefehle der Staatsanwaltschaft Hamburg. Die Polizei war daher auch ausschließlich zur Festnahme dieser Person berechtigt. Eine Anordnung der Vollstreckung nach Inhaftierung erfolgt nicht, da diese bereits durch den Erlass der Haftbefehle erfolgt ist. Die Prüfung der Identität und deren Übereinstimmung mit dem Haftbefehlsgesuch obliegen den festnehmenden beziehungsweise inhaftierenden Behörden. Die Kreispolizeibehörde (KPB) Kleve teilte der Staatsanwaltschaft mit, ein A. A. (in der Presse teilweise als A. A. bezeichnet) sei nach einem Sexualdelikt festgenommen und aufgrund bestehender Haftbefehle der JVA Geldern Pont zugeführt worden, weiteres siehe Festnahmeanzeige. Diese enthielt den Hinweis, die Person habe bei der Festnahme keine Personalpapiere mit sich geführt und sei der Wache Geldern zugeführt worden. Bei der Identitätsfeststellung sei festgestellt worden, dass gegen den Beschuldigten zwei Haftbefehle bestünden. Die Haftbefehle waren beigefügt. Da diese die Polizei nur zur Festnahme des A. G. berechtigten, musste davon ausgegangen werden, dass die Identitätsprüfung ergeben hatte, dass es sich um den Verurteilten A. G. und bei dem Namen A. A. aus dem dortigen Erstzugriff nur um eine weitere Alias- Personalie des bereits unter mehreren Alias-Personalien im System erfassten Verurteilten handelte. Entsprechend sandte die Staatsanwaltschaft Hamburg auch an die JVA Kleve das Ersuchen, A. G., die verurteilte Person, aufzunehmen. Ein Ersuchen, einen A. A. aufzunehmen , erfolgte hingegen nicht. Wird zu einer Person eine neue (Alias-)Personalie mitgeteilt, erfolgt routinemäßig eine Klärung der Frage, ob die Zusatzpersonalie im Vorgangs- und Verwaltungssystem erfasst werden sollte oder ob eine Erfassung nicht veranlasst ist (etwa nur vorübergehende Behauptung). Um dies zu klären, verfügte die zuständige Rechtspflegerin diese routinemäßige Anfrage an die JVA Kleve, ob dort Nachweise betreffend die Personalie A. A. vorlägen. Dies diente nicht der Klärung der Identität, die dem Schreiben der KPB Kleve zufolge bereits eindeutig festgestellt war. Dass diese fehlerhaft war, wurde erst mit dem Schreiben der KPB vom 26. September bekannt, in dem mitgeteilt wurde, dass eine offenbar erneut oder tatsächlich erstmalig durchgeführte Fast-ID-Überprüfung ergeben habe, dass es sich nicht um den Verurteilten handelte. Der Verurteilte werde unter der Alias-Personalie A. A. geführt, weshalb es zu der Verwechslung gekommen sei. Dieser Zusammenhang bestätigt sich aus den hiesigen Akten nicht. Den Akten zufolge wurde die Alias-Personalie A. A. erstmalig durch die KPB Kleve gemeldet und daraufhin am 9. Juli 2018 im polizeilichen System erfasst. Die vorübergehende Priorisierung von Aufgaben in der Hauptabteilung II der Staatsanwaltschaft im Sommer 2018 bezog sich im Übrigen ausschließlich auf die Zurückstellung von Kosten- und Bundeszentralregister-Sachen (BZR) und nicht auf die Vollstreckung von Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen. Darüber hinaus sind die Hamburger Staatsanwaltschaften in den Jahren 2015 bis 2018 mit VZÄ für 20 Dezernenten und 17 Servicekräfte verstärkt worden. Mit dem beschlossenen Haushalt wird sich die Verstärkung bis Anfang 2020 auf insgesamt 55,5 VZÄ (davon 26 VZÄ für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 22 VZÄ für den Servicebereich) erhöhen.  Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele der bis zum 31. Oktober 2018 aufgelaufenen BZR- und Kostensachen wurden bereits abgearbeitet? Bitte getrennt angeben. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16038 3 Von den bis zum 26. Oktober 2018 aufgelaufenen 11 674 Kostensachen konnten bislang 8 625, von den bis dahin aufgelaufenen 4 805 BZR-Sachen 4 055 abgearbeitet werden. 2. In der Drs. 21/15058 gibt der Senat auf meine Frage hin, ob allen Prozessbeteiligten bei allen seit dem 1. Juni 2018 laufenden Strafprozessen aktuelle BZR-Auszüge vorliegen, an, dass die Gerichte jeweils aktuell erstellte Bundeszentralregisterauszüge anfordern. Wie können Gerichte jeweils aktuell erstellte BZR-Auszüge erhalten, wenn rund 4 800 BZR- Sachen aufgelaufen sind? Die Bundeszentralregisterauszüge werden durch das Bundeszentralregister erstellt. Die Auszüge geben bei Übersendung den aktuellen Stand wider. Im Übrigen siehe Drs. 21/15058. 3. Zu welchen dienstellenweiten Auswirkungen hat die Abarbeitung der Rückstände seit dem 1. November 2018 geführt? Mit der Abarbeitung der Rückstände aus der Hauptabteilung II war und ist der Servicebereich der gesamten Behörde befasst. Die Mehrbelastung wirkt sich entsprechend auch behördenweit aus. Auch im Dezernentenbereich kommt es zu Auswirkungen bei der Vorlage nicht eiliger Neueingänge und den entsprechenden Rückläufen. 4. Wie viele Rückstände gibt es aktuell insgesamt auf den Geschäftsstellen der einzelnen Hauptabteilungen der Staatsanwaltschaft? Der Servicebereich der Staatsanwaltschaft Hamburg ist mit folgenden Angelegenheiten im Rückstand: Hauptabteilung Kostensachen BZR-Sachen Einheitssachbearbeitung (ESB) II 5 115 2 094 9 921 III 771 173 1 003 IV 83 63 364 V 40 25 30 VI 466 15 2 955 VII 15 100 100 Stand: 1. Februar 2019 5. Wurde, wie in der Drs. 21/14779 angekündigt, freiwillige Mehrarbeit zur Reduzierung sämtlicher Rückstände zugelassen? Falls ja, wie viele Mehrarbeitsstunden wurden seitdem geleistet? Die freiwillige Mehrarbeit wurde zugelassen. Zwischen Anfang November 2018 und Ende Januar 2019 wurden insgesamt 353 Stunden geleistet. 6. Wie hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote auf den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaft seit Juli 2018 monatlich entwickelt? Die Fehlzeiten liegen in valider Form bis November 2018 vor und ergeben sich aus nachfolgender Tabelle: 2018 Jan Feb März April Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Gesamt 2018 12,1% 13,6% 17,0% 10,8% 7,4% 7,5% 8,3% 9,8% 9,5% 11,2% 13,4% 10,9% 7. Wie viele Mitarbeiter auf den Geschäftsstellen der Hauptabteilung II waren im Jahre 2018 und sind seit 1. Januar 2019 langzeiterkrankt (mehr als 75 Tage)? In der Hauptabteilung II hatten im Jahr 2018 insgesamt 23 Mitarbeiter des Servicebereichs mehr als 75 krankheitsbedingte Fehltage. Seit 1. Januar konnten noch keine 75 Fehltage erreicht werden. Drucksache 21/16038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 8. In der Drs. 21/13922 heißt es: „Im Hinblick auf die besondere Belastungssituation und die damit einhergehenden Probleme in Hauptabteilung II hat der Generalstaatsanwalt nach vorangegangener Erörterung zum 9. März 2018 eine interne Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit allen strukturellen Fragen beschäftigt.“ In der Drs. 21/14779 gab der Senat dazu an: „Die eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitet derzeit intensiv und zeitlich eng getaktet einen umfassenden und abschließenden Bericht unter Prüfung und Einbeziehung aller möglichen Ursachen und Auswirkungen der aktuellen Situation, der voraussichtlich zum Jahresende fertiggestellt werden wird. Ziel ist die nachhaltige Verbesserung der Situation . Es wird versucht, bereits vor Erstellung des Abschlussberichts einzelne konkrete Maßnahmen auf den Weg zu bringen.“ a. Wurde der Abschlussbericht zwischenzeitlich vorgelegt? Falls ja, wann und zu welchen Erkenntnissen ist die Arbeitsgruppe gekommen? b. Falls nein, weshalb noch nicht? c. Welche konkreten Maßnahmen wurden bereits jeweils wann eingeleitet und welche weiteren werden wann eingeleitet werden? Der abschließende Bericht, der eine umfassende und intensive Prüfung beinhaltet, wird zurzeit erstellt und im Laufe des 1. Quartals vorliegen. Eine Gefährdungsanalyse psychischer Belastungen am Arbeitsplatz wurde für die gesamte Behörde in Auftrag gegeben; die Mitarbeiterbefragung soll noch im laufenden Monat beginnen. Im Übrigen wurde im Vorgriff auf den Abschlussbericht als entlastende Maßnahme die Überprüfung der Weiterleitungen des Hamburg-Service eingeleitet, da regelmäßig Anfragen eingehen, die aufgrund des Schutzes verfahrensbezogener Daten telefonisch nicht beantwortet werden können. Weitere Maßnahmen hängen von den Ergebnissen und konkreten Empfehlungen des Abschlussberichts ab. Im Übrigen siehe Antwort zu 5.