BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16051 21. Wahlperiode 08.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Peter Lorkowski und Harald Feineis (AfD) vom 01.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Fachkräftemangel wohin man schaut – Aber die Politik feiert das „„Erfolgsmodell “ Rente ab 63“ Trotz Brexit und Trump: Die Wirtschaft in Deutschland boomt und die Beschäftigungsrate eilt von Höhepunkt zu Höhepunkt. Neueste Umfragen belegen, dass sowohl Großunternehmen als auch die mittelständische Wirtschaft selbst vor dem Hintergrund einer möglichen konjunkturellen Abschwächung ihr Personal weiter aufstocken wollen. So planen rund 38 Prozent der Unternehmen, die Zahl ihrer Mitarbeiter in den nächsten sechs Monaten zu erhöhen – so viele, wie seit 2004 nicht mehr. Als kritisch erweist sich jedoch in zunehmendem Maße der Mangel an ausgebildeten und erfahrenen Fachkräften . Nur Helferjobs stehen in ausreichendem Maße zur Verfügung. Nach Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit dauert es aktuell im Schnitt 113 Tage, bis Unternehmen eine geeignete Fachkraft finden. Vor einem Jahr waren es „nur“ rund 100 Tage. Von der dramatischen Verknappung an Fachkräften ist Hamburg mit seiner mittelständisch geprägten Wirtschaft in besonderem Maße betroffen. 2018 nahm die Beschäftigung in der Hansestadt im Schnitt zwar noch um 1,2 Prozent zu. Im produzierenden Gewerbe ist die Situation jedoch kritisch. Hier konnte die Beschäftigung angesichts des leer gefegten Arbeitsmarktes nur marginal erweitert werden. In deutlichem Kontrast zum verknappten Fachkräfteangebot steht ein in diesen Tagen in der Presse „gefeierter“ Boom beim Beschäftigungsabbau: Die „Rente ab 63“ – also die Möglichkeit, nach 45 Beitragsjahren in der Rentenversicherung vorzeitig ohne Abschläge in den Ruhestand zu gehen (sogenannte Frühverrentung) – erfreut sich im fünften Jahr seit ihrer Einführung allergrößter Beliebtheit. 2018 wurden rund eine Viertelmillion Anträge auf die vorzeitige Rente gestellt, etwa so viele wie schon 2017. Auch, wenn nicht alle Anträge genehmigt worden sind, dürften der Wirtschaft in Deutschland bis Ende 2018 voraussichtlich schon mehr als 1 Million Fachkräfte verloren gegangen sein (bis Ende 2017 wurden rund 900 000 Anträge positiv beschieden). Die Inanspruchnahme der Frühverrentung – und damit deren Kosten, die aktuell auf rund 2 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt werden – liegt damit deutlich über den Erwartungen der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Einführung. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber (BDA) spricht von der „Rente ab 63“ von einer immer mehr an Bedeutung gewinnenden „Wachstumsbremse “ und weist auf das Paradox hin, dass die Politik „ausländische Fachkräfte anwerben (möchte), um dem demografischen Wandel zu begegnen“, während wir in Deutschland „inländische Fachkräfte abschlagfrei frühverrenten“. Drucksache 21/16051 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Aber das ist noch nicht alles: Statt der erhofften „Fachkräfte“ aus dem Ausland kommen vor allem Ungelernte, für die es am Arbeitsmarkt ohnehin schon ein Überangebot gibt und die im Zweifel nur die deutschen Sozialsysteme belasten. Dies vorausgeschickt fragen wir den Senat: Die nachfolgende Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass es zunehmend gelingt, ältere Beschäftigte im Beruf zu halten. Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 55 Jahre und älter: Gesamt 55 Jahre und älter Anteil in % Jun 18 974 482 168 417 17,3 Jun 17 952 959 157 352 16,5 Jun 16 933 846 148 695 15,9 Jun 15 912 615 140 058 15,3 Jun 14 892 508 133 427 14,9 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen zum Teil auf der Grundlage von Angaben der BA, der Agentur für Arbeit Hamburg (Agentur) sowie der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Nord wie folgt: 1. Wie viele Anträge auf Frühverrentung sind bislang in Hamburg gestellt worden? Bitte nach Jahren und Berufszweigen der Antragsteller aufschlüsseln . Die Zahlen bei der DRV Nord für die Antragstellung der vorzeitigen Altersrente mit 63 mit Wohnsitz Hamburg sind der nachfolgenden Aufstellung zu entnehmen. Anzahl der Anträge und Bewilligungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.07.2014 aus dem Bestand der DRV Nord für Versicherte mit Wohnsitz in Hamburg: Jahr Anträge Bewilligungen 2014 1 836 1 836 2015 2 778 2 778 2016 2 560 2 520 2017 2 780 2 480 2018 2 772 2 538 Quelle: DRV Nord Über die Zahlen der DRV Bund für Hamburg verfügt die DRV Nord nicht. Auch gibt es bei dieser Rentenart in der offiziellen DRV-Statistik keine Aufschlüsselung nach Bundesländern , sondern lediglich nach Rentenversicherungsträgern. Berufsgruppen werden bei Altersrenten im Gegensatz zu Erwerbsminderungsrenten nicht erfasst und können somit auch nicht ermittelt werden. 2. Wie viele Anträge davon sind von Arbeitslosen oder Nicht-Erwerbstätigen gestellt worden? 3. Wie viele Anträge sind genehmigt worden – Aufschlüsselung wie unter 1. und 2.? Eine entsprechende Statistik dazu liegt nicht vor. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 4. Wie hoch ist der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtzahl der Frühverrenteten? Diese Angaben werden statistisch nicht erhoben. 5. Wie viele der Frühverrenteten sind später wieder in das Berufsleben eingestiegen ? Dabei bitte den vor der Frühverrentung ausgeübten Beruf Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16051 3 demjenigen gegenüberstellen, der nach der Frühverrentung ausgeübt wurde. Eine entsprechende Statistik liegt dazu nicht vor und könnte berufsbezogen auch nicht erstellt werden. 6. Welche Anreizbemühungen oder Initiativen unternimmt der Senat, um vor dem Hintergrund des in Hamburg vorherrschenden Fachkräftemangels Beschäftigte davon zu überzeugen, weiterhin im Beruf zu bleiben statt vorzeitig in Rente zu gehen? Welche Erfolge haben sich dabei gezeigt? Bitte detailliert erläutern. Um eine höhere Beteiligung von Menschen am Erwerbsleben bis zum Erreichen der Renteneintrittsgrenze zu ermöglichen und den Arbeitsschutz hinsichtlich vor allem psychischer Belastungen zu verbessern, haben die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) und die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) in Kooperation mit der Agentur für Arbeit Hamburg das Modellprojekt „PAG – Perspektive Arbeit und Gesundheit“ (PAG) initiiert. „PAG“ hält für Beschäftigte in belastenden Arbeitssituationen und für Betriebe ein Beratungsangebot zur Erhaltung und Förderung der psychischen Gesundheit und der Beschäftigungsfähigkeit vor. Die Beratung bezieht bestehende Angebote im Rahmen einer Lotsenfunktion ein. Die Arbeitsagentur stellt für Beschäftigte aus der Pflege und seit Herbst 2017 auch für die Branchen Handel, Gastgewerbe, Verkehr und Lagerei eine zentrale Ansprechpartnerin beziehungsweise einen zentralen Ansprechpartner bereit. Nach Ende der Projektlaufzeit (01.11.2015 bis 31.10.2018) erfolgte die Verstetigung des Angebots. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wird zudem das bisher an Modellstandorten erprobte Konzept der „lebenslangen Berufsberatung“ ab 2019 auf alle Standorte ausweiten . Ziel ist die Unterstützung von Beschäftigten angesichts der sich schnell wandelnden Anforderungen in der Arbeitswelt. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung („Qualifizierungschancengesetz“) stehen dafür entsprechende Instrumente zur Verfügung. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.