BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16053 21. Wahlperiode 08.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann, Harald Feineis und Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 01.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Handeln Bund und Länder mit der Entlastung der sogenannten Flüchtlingsbürgen rechtmäßig? „Flüchtlingsbürgen müssen nicht zahlen“ – so oder ähnlich lauteten dieser Tage die Schlagzeilen in Presse und Medien. Bund und Länder hätten sich auf diesen Forderungsverzicht geeinigt, weil „Flüchtlingsbürgen“ vor August 2016 „rechtlich falsch beraten“ worden seien oder(!) weil für sie eine Rückforderung eine besondere Härte darstelle. Bundesweit seien etwa 7 000 Personen betroffen, die sich dem Staat gegenüber finanziell verpflichtet hätten, für Kosten von Bürgerkriegsflüchtlingen aufzukommen, damit diese nach Deutschland einreisen konnten. Die Verbindlichkeiten derjenigen „Flüchtlingsbürgen “, die ihre Kostenübernahmeverpflichtung vor August 2016 abgegeben haben oder die finanziell von den Rückforderungen (die teilweise Beträge bis zu 100 000 Euro erreichen konnten) überfordert seien, sollen nun durch einen einseitigen Akt des Staates zu Lasten des Steuerzahlers von ihrer Schuld befreit werden. Was so der Öffentlichkeit gegenüber von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als selbstverständliche, großzügige Geste gegenüber hilfsbereiten Menschen verkündet wurde, könnte sich für das Rechtssystem der Bundesrepublik rasch als Bumerang erweisen: 1. Es handelt sich offenkundig um einen krassen Fall der Ungleichbehandlung . Bürgschaften sind ihrem Wesen nach immer zukunftsorientiert und mit Unsicherheiten behaftet. Oft geht es darum, dritten Personen – Freunden etwa – beim Start in eine neue (unsichere) Existenz zu helfen. Eine etwa schönfärberische „Beratung“ über die zukünftigen Risiken ist hinsichtlich der Bürgschaftsverpflichtung irrelevant. Auch spielt es keine Rolle, wenn die Motive des Bürgschaftsgebers – so wie bei den sogenannten Flüchtlingsbürgen – altruistischer Natur sind. Geht es schief, kann „Otto-Normalbürge“ im Unterschied zum „Flüchtlingsbürgen“ kaum auf eine Entlassung aus der Bürgerschaftsverpflichtung hoffen. Mit der nun erfolgten Freistellung speziell der „Flüchtlingsbürgen“ hat nun der Faktor „Willkür“ beziehungsweise „staatliche Intervention“ ein wichtiges schuldrechtliches Instrument beschädigt und könnte dessen zukünftigen Einsatz erheblich beeinträchtigen. 2. Der Staat sendet mit der eigenmächtigen Suspendierung der Bürgschaftsverpflichtungen bestimmter Personengruppen ein mehr als problematisches Signal aus. Nicht nur, dass rechtswidrige Grenzöffnungen (durch die Regierung) zunächst demonstrativ durch private Bürgschaften befördert worden sind, wird damit auch für die Zukunft ein Präzedenzfall geschaffen. Zwar sind, wie es heißt, nachträglich – ab August 2016 – Drucksache 21/16053 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 rechtliche Präzisierungen vorgenommen worden. Für mögliche vergleichbare Unterstützer-Aktionen – etwa im Umwelt- oder Europa- Bereich – wird jedoch unausgesprochen immer die Erwartung im Raume stehen, dass für ihre Aktivitäten–- zulasten der Allgemeinheit – entschädigt zu werden, egal wie die Rechtslage dazu aussieht. So kann das Rechtsystem der Bundesrepublik durch ein paralleles informelles Gefälligkeitsrecht teilweise außer Kraft gesetzt werden – ein Zustand, mit dem bislang eher mafiöse Systeme gekennzeichnet worden sind. 3. Die großzügige Schuldbefreiung betrifft im hier angesprochenen konkreten Fall der „Flüchtlingsbürgen“ unzweifelhaft Aktivisten, die den Parteien nahestehen, die die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin unterstützt haben. Allein die offenkundig sich daraus ableitende Vermutung, dass hier ganz unverhohlen Klientelpolitik betrieben wird, stellt eine Vertrauensverletzung in den Rechtsstaat dar. 4. Statt schon allein deshalb auf der Erfüllung der Selbstverpflichtung der „Flüchtlingsbürgen“ zu bestehen, um für zukünftige Fälle aus Gründen der Prävention der Öffentlichkeit zu zeigen, wohin es führen kann, wenn zur Durchsetzung politischer Ziele – und dazu gehören auch sogenannte humanitär motivierte – existenzbedrohende finanzielle Verpflichtungen eingegangen werden, demonstriert der Staat nun jenseits der geltenden Rechtsordnung: „Keine Bange, ihr werden gerettet!“ Die Parallelen zur teuren „Rettung“ des „Friedensprojektes Euro“ liegen auf der Hand! Rettungsschirme überall für die politische Klientel. Dies vorausgeschickt fragen wir den Senat: Hamburg war an den Gesprächen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales , die zu der in den Medien aufgegriffenen Einigung geführt haben, nicht beteiligt. Der Senat verfährt im Umgang mit Verpflichtungserklärungen nach den gesetzlichen Vorgaben. Bei Verpflichtungserklärungen nach § 68 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes (Aufenth G) handelt es sich nicht um Bürgschaftserklärungen im bürgerlich-rechtlichen Sinne, sondern um einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen sui generis, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Der Verpflichtungsgeber verpflichtet sich gegenüber der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung, für die Kosten des Lebensunterhalts eines Ausländers und dessen Ausreisekosten aufzukommen. Verpflichtungserklärungen werden nach den Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz auf dem vorgeschriebenen bundeseinheitlichen Formular in der jeweils geltenden Fassung abgegeben. Vor Abgabe der Verpflichtungserklärung werden potenzielle Verpflichtungsgeber über die geltende Rechtslage belehrt, vergleiche Drs. 21/15126. Mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2017 (1 C 10/16, juris) erfolgte auch eine Klarstellung dazu, dass, wie in Hamburg grundsätzlich auch angewendet , die Verpflichtungsermächtigung auch fortgilt, wenn eine Anerkennung von Schutzbedarf im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Prüfungen erfolgt. Gleichwohl ist es auch in Hamburg in Einzelfällen zu Beratungen gekommen, im Zuge derer wenigstens in Aussicht gestellt wurde, die Haftung könne mit Anerkennung als schutzbedürftig nach dem Asylgesetz wegen eines Wechsels des Aufenthaltszweckes erlöschen. Gesetzlich ist bereits seit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 in § 68 Absatz 1 Satz 4 AufenthG klargestellt, dass die Verpflichtungserklärung vor Ablauf von fünf Jahren nicht dadurch erlischt, dass ein Aufenthaltstitel nach §§ 22 bis 26 AufenthG erteilt wird oder eine Anerkennung nach §§ 3 oder 4 des Asylgesetzes erfolgt ist. Für vor dem 6. August 2016 abgegebene Verpflichtungserklärungen wurde diese Frist nach der Übergangsvorschrift des § 68a AufenthG auf drei Jahre beschränkt. Im Übrigen siehe Drs. 21/10518, 21/15126, 21/15909. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16053 3 Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) wie folgt: 1. Wie genau lauten die Bürgschaftsverträge, die mit den betroffenen Flüchtlingsbürgen abgeschlossen worden sind? Gibt es substanzielle Unterschiede (etwa zwischen Bundesländern)? Bitte erläutern. 2. Wie genau ist die in den Medien zitierte „Falschberatung“ der Flüchtlingsbürgen zu definieren und welche Rechtsfolgen ergeben sich daraus zweifelsfrei nach zum Zeitpunkt der Beratung geltenden Rechtslage? Siehe Vorbemerkung. 3. Ist die jetzt geplante/beschlossene Suspendierung der Bürgschaftsverpflichtungen zuvor gerichtlich auf Zulässigkeit überprüft worden? Falls ja, bitte Richterbeschluss zitieren. Falls nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. Hamburg ist an der Herbeiführung der in den Medien zitierten Einigung nicht beteiligt gewesen. Der Senat kann schon von daher keine Auskünfte zu deren Zustandekommen erteilen. 4. Sind haftungsbeschränkende Klauseln in die Bürgschaftsverträge mit den Flüchtlingsbürgen aufgenommen oder sonst schriftlich dokumentiert worden? (Für alle/für einen Teil bitte erläutern.) 5. Wie kann es überhaupt zu einer „falschen“ Beratung kommen, wenn über Regelungen zur weiteren Behandlung der Flüchtlinge noch keine rechtsverbindlichen Regelungen vorgelegen haben (sollen)? 6. Ist es nicht gerade das Wesen einer Bürgschaft, Verpflichtungen über eine unsichere Zukunft festzuschreiben? Warum also genau werden die „Flüchtlingsbürgen“ anders behandelt als Bürgen, die etwa für eine (unsichere ) Geschäftsgründung Dritter haften? Wo genau liegen die Unterschiede zu einer „normalen“ Bürgschaft? Gab es dazu in der Vergangenheit schon vergleichbare Fälle, dass Bürgschaften aus inhaltlichen Gründen durch außergerichtliche Intervention suspendiert worden sind? 7. Sind bei Bürgschaften mündliche Nebenabsprachen nicht generell irrelevant ? Siehe Vorbemerkung. 8. Indem die Flüchtlingsbürgen (bei Bürgschaften abgeschlossen bis August 2016) von ihren Verpflichtungen befreit werden sollen: Wird der Staat (Bund, Länder) stattdessen nun die eigentlichen Schuldner – die Flüchtlinge – in „Regress“ nehmen oder übernimmt der Staat – und damit der Steuerzahler - die Verpflichtungen (komplett oder teilweise)? 9. Auch bei sogenannter falscher Beratung dürfte jedem Flüchtlingsbürgen bewusst gewesen sein, dass er zumindest für eine Übergangs/ Eingliederungszeit für die Kosten des betreffenden Flüchtlings haftet. In der öffentlichen Diskussion ging es nun wesentlich darum, dass die Kosten länger als erwartet angefallen seien. Werden die Flüchtlingsbürgen also zumindest für die in einer Anfangsphase – etwa ein Dreivierteljahr – angefallenen Kosten aufkommen müssen? Falls nein, warum nicht? Die Regelung in Hamburg hat sich nicht verändert, siehe hierzu auch Vorbemerkung. 10. Werden diejenigen Verantwortlichen in Ausländerbehörde beziehungsweise Jobcentern, die für die sogenannte Falschberatung der Flüchtlingsbürgen verantwortlich zeichnen, nun persönlich in Regress genommen ? Falls ja, bitte detailliert erläutern. Drucksache 21/16053 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Falls nein, warum nicht? 11. Wie genau sah die „Falschberatung“ aus? Gab es unterschiedliche Versionen einer Falschberatung je nach Region oder Behörde? Bitte genau erläutern. 12. Sind aus der jetzt zu erfolgenden Suspendierung von Flüchtlingsbürgschaften Folge-/Seitenwirkungen auf das zivilrechtliche Instrument der Bürgschaft zu erwarten beziehungsweise gibt es dazu schon Anhaltspunkte (etwa Klagen)? Siehe Vorbemerkung. 13. Abschließend: Wie stellt sich die Situation für Hamburg dar? Wie viele Flüchtlingsbürgschaften sind in der Hansestadt betroffen, um welche Summen geht es, bei wem bleiben die Kosten letztlich hängen? Siehe BT.-Drs. 19/6484. Eine Unterscheidung dieser Fälle danach, ob die Verpflichtungserklärung vor oder nach dem August 2016 abgegeben wurde, ist derzeit nicht möglich. Diese Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst. Die Auswertung von circa 100 000 Leistungsakten per Einzelprüfung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.