BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16080 21. Wahlperiode 12.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Rath (CDU) vom 05.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Senat will Langzeitgeduldeten eine Bleibeperspektive bieten, doch warum lehnt die Mehrheit die Mitarbeit ab? Am 8. November 2018 wurde im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration das Programm „VIEL Hamburg“ (Voraussetzungen der Integration und Entwicklung Langzeitgeduldeter in Hamburg) erwähnt (Drs. 21/15935). Dies habe der Senat zusammen mit „W.I.R – work and integration for refugees“ speziell für Geduldete entwickelt, die bereits seit vielen Jahren in der Stadt leben, ohne arbeiten zu dürfen, da ihnen ein hierfür notwendiger Aufenthaltstitel fehlt. Im Januar 2019 berichtete auch der NDR über das Pilotprojekt; hier hieß es allerdings, der Zentrale Koordinierungsstab hätte es initiiert. 87 Langzeitgeduldete seien angeschrieben worden, aber nur 38 hätten sich zur Teilnahme bereiterklärt. Laut Sozialausschuss seien hiervon wiederum nur noch 25 in dem Pilotprojekt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In Hamburg leben derzeit rund 900 Langzeitgeduldete, deren Rückführung auf absehbare Zeit unwahrscheinlich ist. Vielen von ihnen ist der Zugang zu Integrationsmaßnahmen nur beschränkt möglich und war ihnen zum Zeitpunkt der Einreise gänzlich unmöglich. Sie sind daher überwiegend auf Transferleistungen angewiesen und leben häufig in öffentlich-rechtlicher Unterbringung (örU). Die Aktivierung dieser Personen mit dem Ziel einer eigenständigen und vom Transferleistungsbezug unabhängigen Lebensführung ist im Interesse der Stadt. Mit dem Projekt sollen Erkenntnisse über die Lebenslage von Langezeitgeduldeten erhalten, Integrationshemmnisse identifiziert und Maßnahmen entwickelt werden, um diese zu überwinden. Die Langzeitgeduldeten stärker zu integrieren, entspricht den aktuellen Entwicklungen auf Bundesebene. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 12 März 2018 wurde vereinbart, für langjährig Geduldete, die die Integrationsanforderungen im Sinne des § 25a und b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) erfüllen, Verbesserungen und Vereinfachungen für den Aufenthalt und bei der Ausbildung und Arbeitsmarktintegration zu erarbeiten. Damit soll auch Klarheit für die Betroffenen hinsichtlich ihrer Zukunft in Deutschland geschaffen werden. Das Projekt VIEL Hamburg“ (Voraussetzungen der Integration und Entwicklung Langzeitgeduldeter in Hamburg) wurde im Herbst 2017 durch den Zentralen Koordinierungsstab Flüchtlinge (ZKF), die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) und die Behörde für Inneres und Sport (BIS) entwickelt. Es ist zum Jahresbeginn 2018 gestartet und hat für die Teilnehmenden eine Laufzeit von maximal eineinhalb Jahren. Drucksache 21/16080 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Potenzielle Teilnehmende sind langzeitgeduldete Personen, die spätestens innerhalb eines Jahres die zeitlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erfüllen werden (bei Projektbeginn in der Regel seit mindestens sieben Jahren geduldet). Die Ansprache der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgte im Rahmen dieses Projektes über das Unterkunfts- und Sozialmanagement von f & w fördern und wohnen AöR (f & w) in ausgewählten Standorten, in denen ein hoher Anteil Langzeitgeduldeter bekannt war. Angesprochen wurden insgesamt 89 Personen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wer hat das Pilotprojekt wann warum ins Leben gerufen? 2. Was ist das Ziel des Pilotprojektes? 3. Welche Personen kommen für das Pilotprojekt infrage? Siehe Vorbemerkung. 4. Welche Kosten entstehen für das Pilotprojekt und welche Stelle finanziert diese? 5. Wer ist Träger dieses Pilotprojekts und wie wurde er wann ausgewählt? Das Pilotprojekt wird durch den ZKF koordiniert. Die Beratung der Teilnehmenden erfolgt innerhalb der bestehenden Strukturen bei W.I.R. Die ausländerrechtlichen Fragen klärt die BIS. Es entstehen somit keine zusätzlichen Kosten. 6. Welche Maßnahmen sieht das Pilotprojekt vor und was sieht der Lehrplan vor? Die Teilnehmenden des Pilotprojekts sind heterogen. Sie werden im Zuge des Projekts individuell beraten und entsprechend ihrer Situation in die entsprechenden Maßnahmen eingesteuert; beispielsweise in Sprachkurse, arbeitsmarktvorbereitende Maßnahmen sowie die Vermittlung in Praktika, Ausbildung und Arbeit. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmenden bei Bedarf auch Unterstützung bei gesundheitlichen Themen. Mit jedem Teilnehmenden wird ein individueller Integrationsplan durch Mitarbeitende in W.I.R erstellt. 7. Über welchen Zeitraum soll eine Einzelperson dieses Pilotprojekt mit welchem individuellen Ziel besuchen? Die ersten Beratungen fanden im 1. Quartal 2018 statt. Die Teilnehmenden werden im Projekt bis zu 1,5 Jahre betreut. Da die Ausgangssituation der einzelnen Personen sehr verschieden ist, ist auch die Zeit des Unterstützungsbedarfs im Zuge des Projekts von unterschiedlicher Dauer. 8. Von wann bis wann läuft das Pilotprojekt? Siehe Antwort zu 1. bis 3. 9. Wie viele sogenannte Langzeitgeduldete leben in Hamburg und ab wann gilt eine Person als Langzeitgeduldeter? Der Begriff „Langzeitgeduldete“ ist nicht gesetzlich definiert. Im Zusammenhang mit dem Projekt „VIEL“ hat die zuständige Behörde entschieden, „Langzeitgeduldete“ als Personen zu definieren, die maximal innerhalb eines Jahres die zeitlichen Voraussetzungen der §§ 25a oder § 25b AufenthG erfüllen. Diese zeitlichen Voraussetzungen sind dabei vom Einzelfall abhängig, siehe § 25b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AufenthG. Eine gesonderte Auswertung zur Zahl der nach dieser Definition in Hamburg lebenden sogenannten Langzeitgeduldeten aus dem ausländerbehördlichen Fachverfahren ist nicht möglich. 10. Wie viele Personen wurden für das Pilotprojekt angeschrieben? 11. Wie viele haben mit welchen Argumenten abgelehnt, obwohl dieses doch eine Bleibeperspektive für sie bieten soll? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16080 3 12. Wie erklärt sich der Senat das geringe Interesse an der Teilnahme an diesem Pilotprojekt? 13. Wie viele Personen haben die Maßnahme begonnen? Aus welchen Ländern stammen diese Personen und wie lange sind sie bereits jeweils in Deutschland? Im Rahmen dieses Projekts sind bewusst Personen angesprochen worden, die bereits sehr lange Aufenthaltsdauern haben und denen bislang keine/kaum Integrationsmaßnahmen zuteilwurden, siehe auch Vorbemerkung. Bereits im Zuschnitt des Projektes war somit die Frage, ob und in welchem Umfang Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter diesen sehr schwierigen Lebensumständen aktiviert werden können, ein zentrales Thema. Vertrauen in das Projekt und die handelnden Personen musste aufgebaut werden und positive Erfahrungen mit der Beratung, ersten Qualifizierungsmaßnahmen und der Erteilung einer Beschäftigungsduldung gemacht werden. Aus Sicht des Senats ist es somit ein Erfolg, dass sich trotz der dieser Lebensumstände 38 Personen zur Teilnahme am Projekt entschieden haben. 51 der angesprochenen Personen haben sich gegen eine Teilnahme entschieden. Im Rahmen dieses ersten Versuches einer Aktivierung der Langzeitgeduldeten ist diese Entscheidung der angesprochenen Personen respektiert worden, um die Akzeptanz des Projekts nicht zu gefährden. Herkunftsländer und Aufenthaltsdauer der 29 Personen, die im Rahmen des Projekts eine Duldung erhalten haben, die mit einer Beschäftigungserlaubnis versehen ist, sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Herkunftsland/Staatsangehörigkeit Personen Aufenthaltsdauer (in Jahren) Aserbaidschan 13 15, 16 (fünf Personen), 17 (fünf Personen), 18, 20 ungeklärt 9 9, 10, 11, 14, 15, 16 (zwei Personen), 17, 18 Ägypten 2 10, 20 Armenien 1 20 Guinea 1 19 Indien 1 21 Russische Föderation 1 19 Sierra Leone 1 29 14. Wie viele Personen nehmen aktuell noch an dem Projekt teil? Mit Stand vom 6. Februar 2019 sind noch 17 Personen im Besitz einer Duldung (§ 60a AufenthG) und zwei Personen im Besitz einer kurzfristigen Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 AufenthG zur Passbeschaffung im Heimatland. 15. Wann haben jeweils warum wie viele Personen das Projekt beendet? Wie viele davon vorzeitig, wie viele erfolgreich? Eine Person hat unabhängig von dem Projekt im Juli 2018 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Zwei Personen erhielten im August 2018 jeweils eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Im Oktober 2018 wurde fünf Personen die Duldung wegen mangelnder Mitwirkung wieder entzogen, im November 2018 zwei weiteren Personen. Im Oktober 2018 konnte zwei Personen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erteilt werden und im Dezember 2018 einer weiteren Person. 16. Wie viele Personen haben infolge der Teilnahme an dem Pilotprojekt eine Arbeitserlaubnis erhalten? Mit der Teilnahme am Projekt erhalten die Betroffenen eine Duldung, die mit einer Beschäftigungserlaubnis versehen ist. Insgesamt haben 29 Teilnehmende eine Duldung erhalten, von denen 21 zuvor schon im Besitz einer Beschäftigungserlaubnis waren. 17. Welche konkreten Folgen haben die Teilnahme an dem Pilotprojekt und später der Abschluss auf den Aufenthaltstitel? Drucksache 21/16080 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Personen, die die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vollständig erfüllen oder diese demnächst erfüllen, bei denen eine solche Erteilung derzeit aber noch nicht erfolgen kann und bei denen eine Beendigung des Aufenthaltes aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen derzeit nicht möglich ist, erhalten die Möglichkeit, mit Unterstützung durch die beteiligten Behörden die noch nicht vorliegenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG in eigener Verantwortung herbeizuführen. Sie werden somit bei ausreichender Mitwirkung in die Lage versetzt, sowohl ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern als auch eine Verbesserung ihrer Bleibeperspektive zu erzielen. 18. Was ist nach Ablauf des Pilotprojektes geplant? Die Personen werden weiterhin ausländerbehördlich betreut. Mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis endet die offizielle Teilnahme an dem Projekt. Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt werden, wird die ausländerrechtliche Sachbearbeitung beim Einwohner-Zentralamt fortgeführt. Das Einwohner-Zentralamt wird im Rahmen des Regelgeschäftes weiterhin intensiv mit W.I.R zusammenarbeiten und im Rahmen der Einzelfallsachbearbeitung in geeigneten Fällen mitwirkungsbereiten Personen die Erteilung einer mit einer Beschäftigungserlaubnis versehenen Duldung anbieten, um es ihnen zu ermöglichen, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG in eigener Verantwortung herbeizuführen. Die über ersten positiven Beispiele werden dazu beitragen, weitere Personen zu ermutigen, diesen Schritt zu gehen. Auf die Ansprache der potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer über das Unterkunfts - und Sozialmanagement wird zukünftig verzichtet, um eine Schnittstelle zu vermeiden.