BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16096 21. Wahlperiode 12.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 06.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Einrichtung eines nationalen Implantateregisters. In welcher Form und in welchem Umfang war Hamburg an den Vorarbeiten beteiligt? Seit Jahren gibt es gesundheitspolitische Bestrebungen, in Deutschland ein zentrales Implantateregister mit verpflichtender Datenlieferung der Krankenkassen , Kliniken und Hersteller zu etablieren, um mithilfe von langfristig angelegten Datenanalysen und daraus resultierenden Studien sowohl die Patientensicherheit zu verbessern als auch anspruchsvolle Qualitätsstandards von Medizinprodukten/Implantaten sicherzustellen.1 Das Bundesgesundheitsministerium hat nunmehr einen Referentenentwurf für ein Implantategesetz angekündigt.2 Wie die Bundesregierung bekannt gab, wurden für die Umsetzung des Gesetzesvorhabens bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet. So ist beispielsweise der Aufbau und die Weiterentwicklung des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) mit Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in Form eines vorbereitenden Modellprojektes gefördert und fachlich begleitet worden.3 Zudem wurden bereits mit zahlreichen Experten-Organisationen, Verbändevertretern , Kassen und auch mit medizinischen Fachgesellschaften, die über besonders fundierte Erfahrungen in der Entwicklung und beim Aufbau von Registern verfügen, Gespräche zum Thema geführt.4 Die Bundesländer wurden durch die Bildung einer Bund-Länder- Arbeitsgruppe an den Vorarbeiten zu einem nationalen Implantateregister beteiligt.5 In Kooperation mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie mit dem Deutschen Institut für Medizinische 1  Zweck des Registers ist die Verbesserung der Sicherheit und Qualität von Implantaten und der medizinischen Versorgung bei Implantationen für gesetzlich und privat Versicherte. Dazu werden insbesondere durch Erfassung von Implantationen und Revisionsoperationen die Standzeiten der Implantate ermittelt und unter Berücksichtigung patientenbezogener sowie klinischer Faktoren und Rahmenbedingungen bewertet.  2 aerzteblatt.de, 04.07.2018 3 https://www.egovernment-computing.de/implantateregister-wird-realisiert-a-732547/. 4 Ebenda. Gespräche mit Fachvertretern der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V., der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Gemeinsamem Bundesausschuss , dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V., dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, dem Bundesverband Medizintechnologie , dem Bundesverband Gesundheits-IT und weiteren Vertretern medizinischer Fachgesellschaften. 5  BT.-Drs. 19/3193. 19. Wahlperiode, 03.07.2018: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP. Errichtung eines zentralen Implantateregisters.  Drucksache 21/16096 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dokumentation und Information (DIMDI) sollten die Länder ihre Anforderungen im Hinblick auf die Struktur und Organisation des Registers einbringen und die Zielsetzung des Registers konkretisieren. Hamburg fordert seit Jahren ein verpflichtendes Implantateregister.6 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Mit Schreiben vom 4. Februar 2019 hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Obersten Landesgesundheitsbehörden den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung des Deutschen Implantateregisters (Implantateregister-Errichtungsgesetz – EDIR) zur Stellungnahme vorgelegt. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausreform hat am 5. Dezember 2015 vereinbart, dass ein verbindliches Implantateregister eingeführt werden soll. Das Jahr 2015 sollte genutzt werden, um Erfahrungen mit dem Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) zu sammeln. Im 1. Quartal 2016 sollten die Ergebnisse von einer (kleinen ) Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Implantateregister“ dahin gehend ausgewertet werden , wie aus einem freiwilligen EPRD ein Ausbau zu einem verbindlichen Register erfolgen kann. Aufgrund regelmäßiger Gespräche zum EPRD, die zum Teil auch schon Fragestellungen einer künftigen Erweiterung betrafen, ist es jedoch nicht zu einer Bildung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Implantateregister“ gekommen. Stattdessen hat das BMG Vertreter der Länder zu den Gesprächen eingeladen. Zur Teilnahme wurden nach Abstimmung unter den Ländern von der Gesundheitsministerkonferenz Experten der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen benannt. Alle Fragen im Hinblick auf die Vorarbeiten und die Bund-Länder-Arbeitsgruppe werden insoweit als Fragen hinsichtlich der nicht gebildeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Implantateregister“ verstanden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In welchem Zeitraum war Hamburg an den Beratungen der Bund- Länder-Arbeitsgruppe beteiligt? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren? Über kontinuierliche Abstimmungsprozesse zwischen den Gesundheitsministerien beziehungsweise -behörden der Länder und/oder durch regelmäßige Zusammenkünfte von Behördenvertretern der Länder? In anderer Weise? Siehe Vorbemerkung. Über den Stand hat das Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen der Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) beziehungsweise der Arbeitsgruppe Medizinprodukte (Arbeitsgruppe der AOLG) berichtet und zum Stand des Gesetzesvorhabens in eigenen Informationsveranstaltungen unterrichtet. 2. Die Zuständigkeit der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz vorausgesetzt: Waren neben dem Amt für Verbraucherschutz/Pharmaziewesen und Medizinprodukte V4 noch andere Stellen der Gesundheitsbehörde fachlich einbezogen? 3. Wie viele Vollzeitäquivalente wurden seitens der Gesundheitsbehörde für die Mitarbeit in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Verfügung gestellt? Siehe Vorbemerkung. 6 Patientensicherheit Prüfer-Storcks für strengere Kontrollen bei risikobehafteten Medizinprodukten . GESUNDHEITSSENATORIN: PATIENTENSICHERHEIT MUSS AN ERSTER STELLE STEHEN, pressearchiv-fhh, 26.11.2018, und: Das Desaster mit den Implantaten. Skandalöse Zustände. Viele Produkte sind lebensgefährlich. Wie Hamburgs Kliniken reagieren , „Hamburger Morgenpost“, 28.11.2018. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16096 3 4. Gab es spezifische Anforderungen an ein nationales Implantateregister, die Hamburg in die Konkretisierung der Registerzielsetzung einbringen wollte? Wenn ja, welche? Die Registerzielsetzung ist durch den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode, Dezember 2013, definiert. Darüber hinausgehende spezifische Anforderungen Hamburgs gab es nicht. 5. Welche Positionen hat Hamburg bezüglich der Struktur und der Organisation des Registers vertreten? Bitte um detaillierte Darstellung. Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 4. 6. Um eine Einflussnahme von Interessengruppen7 auf die Arbeit des Implantateregisters zu unterbinden, wurde vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gefordert, das Register mit größtmöglicher finanzieller und inhaltlicher Unabhängigkeit auszustatten. Durch welche Maßnahmen ist dies aus Hamburger Sicht zu bewerkstelligen beziehungsweise welche Maßnahmen wurden hierzu in der Bund- Länder-Gruppe erörtert? Siehe Vorbemerkung und § 18 des Gesetzentwurfs (Entgelterhebung durch das DIM- DI). 7. Damit Daten und Informationen aus dem Register zusammen mit gemeldeten Vorkommnissen zur Risikobewertung genutzt werden können , muss die Datenqualität nach Meinung des BfArM auch gehobenen Standards genügen. Durch welche Maßnahmen ist dies aus Hamburger Sicht zu bewerkstelligen beziehungsweise welche Maßnahmen wurden hierzu in der Bund-Länder-Gruppe erörtert? Es wird davon ausgegangen, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Anforderungen an den aus Sicht des BfArM einzuhaltenden Standard der Datenqualität definiert. 8. Ist das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) als Registerstelle der zentralen Datensammlung aus Sicht Hamburgs ein Garant für die erforderliche Neutralität in Bezug auf Registerauswertungen und für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben ? Wenn ja, aufgrund welcher Kriterien spricht sich Hamburg für das DIMDI aus? Wenn nein, welche Vorbehalte gibt es seitens Hamburgs gegen das DIMDI? Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ist eine nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des BMG. Gemäß des Gesetzentwurfs muss die Registerstelle die Integrität, Verfügbarkeit und Vertraulichkeit der Daten nach dem aktuellen Stand der Technik in Abstimmung mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sicherstellen. Zudem führt das DIMDI bereits das Samenspenderregister nach dem Samenspenderregistergesetz und verfügt damit sowohl über die technische Ausstattung als auch die erforderliche Expertise für den Betrieb eines solchen Registers. Insoweit bestehen keine Zweifel an der Neutralität in Bezug auf Registerauswertungen und die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben . 9. Im Zuge der Etablierung eines nationalen Implantateregisters ist die aufwendige Einbeziehung bestehender Register8 vorgesehen. Um den 7 Unter anderem Bundesverband Medizintechnologie, Klinikverbände et cetera. 8 Unter anderem Deutsches Aortenklappenregister, Bauchaortenaneurysmen-Register (BAA- Register), Brustimplantat- und Netzregister (AWOgyn), Endoprothesenregister Deutschland Drucksache 21/16096 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Betrieb dennoch möglichst schnell aufnehmen zu können, ist geplant, das Register zunächst mit nur wenigen Medizinprodukten starten zu lassen und im Zeitverlauf sukzessive weitere Produkte einzubeziehen.9 Ist dem Senat bekannt, mit welchen Medizinprodukten das Register starten soll und welche Medizinprodukte später aufgenommen werden sollen? Wenn ja, aus welchen Gründen wurde diese Produktreihenfolge gewählt? Das Register soll gemäß BMG mit Hüft- und Knieprothesen sowie Brustimplantaten gestartet werden. Die konkreten Gründe wurden nicht benannt. Nach der Orientierung an den Erfahrungen mit dem EPRD sowie den bekannt gewordenen Problemen mit bestimmten Hüftimplantaten ist eine entsprechende Priorisierung jedoch schlüssig. 10. Wie schätzt der Senat die Akzeptanz von Klinikmanagern und Ärzten im Hinblick auf das neue Implantateregister ein? Im Mittelpunkt vieler Rechtsfragen10 stehen dabei die Arzthaftung sowie der Umgang mit den Haftpflichtversicherungen. Erhöht ein Implantateregister nach Meinung des Senats zukünftig das Prozessrisiko für Kliniken und Ärzte? Wenn ja, aus welchen Gründen? Wenn nein, aus welchen Gründen? Da bereits eine hohe Akzeptanz von Klinikmanagern und Ärzten im Hinblick auf eine Teilnahme am freiwilligen EPRD besteht (rund 750 teilnehmende Krankenhäuser) und der entstehende personelle und sachliche Aufwand durch die vorgesehene Verpflichtung zur Erfassung aller Implantationen den Gesundheitseinrichtungen erstattet werden soll, wird von einer hohen Akzeptanz ausgegangen. Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich das Prozessrisiko im Hinblick auf die Führung eines Implantateregisters ändern sollte. Im Vordergrund des Registers steht die systematische Langzeitbeobachtung, mit der etwaige Qualitätsdefizite an Produkten oder im Rahmen der medizinischen Versorgung mit Implantaten erkannt werden sollen. 11. Das Bundesministerium für Gesundheit formuliert das Ziel des zukünftigen Implantateregisters weit, indem sowohl die Implantatsicherheit als auch die Qualität der medizinischen Versorgung von Implantatempfängern beziehungsweise Revisionspatienten gesteigert werden soll.11 Mit Blick auf die Patientensicherheit sieht das BMG die Produktqualität einerseits und die Versorgungs- beziehungsweise Behandlungsqualität andererseits im engen Zusammenhang und gewissermaßen als ein Bündel sich gegenseitig beeinflussender Faktoren.12 Bezogen auf die Zurechenbarkeit von Verantwortung für fehlerhafte Medizinprodukte an die Hersteller erzeugt diese synoptische Sicht auf mögliche Einflussfaktoren allerdings Probleme.13 Letztlich besteht die Gefahr, dass Hersteller (Produkt) und Klinik (Behandlung) stets versuchen werden, sich gegenseitig die Verantwortung für Patientenschäden zuzuschieben. (EPRD), Deutsches Herzschrittmacher- und Defibrillatorregister, Sprunggelenkendoprothesen -Register (DAF-Register). 9 „Ärztezeitung“ online, 11.07.2018. 10 https://www.eprd.de/de/fuer-kliniken/rechtsfragen/. 11 https://www.eprd.de/de/ueber-uns/news/artikel/wann-kommt-das-deutscheimplantateregister /. 12 Ebenda. „(…) so der Standpunkt des BMG, sei Implantatesicherheit mehr als die reine Produktsicherheit . Daher müsse auch der Versorgungsaspekt in den Blick genommen und dessen Qualität transparent gemacht werden. Neben dem Implantat selbst betreffe dies etwa die Umstände von Operationen und den Patienten mit seinem Verhalten nach der Implantation .“ 13 So wies die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie in ihrem offiziellen Organ ZfOU, Ausgabe 3/2018 darauf hin, dass sich Implantateregister – hier das EPRD – nicht dazu eignen, Patienten auf der Grundlage belastbarer Aussagen zu Qualitätsunterschieden bei Medizinprodukten individuell zu beraten. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16096 5 Da sich die Gesundheitssenatorin wiederholt speziell im Zusammenhang mit Mängeln bei Medizinprodukten für ein Implantateregister ausgesprochen hat,14 stellt sich die Frage, mit welchen Maßgaben und Auswertungsmethoden nach Auffassung des Senats die eindeutige Zurechenbarkeit von Produktmängeln zu bestimmten Herstellern erreicht werden kann. Das BfArM ist unter anderem für die Bewertung der Sicherheit von Medizinprodukten zuständig. Durch die Registerstelle werden dem BfArM Daten aus dem Implantateregister übermittelt. Die Daten bestehen aus pseudo- beziehungsweise anonymisierten Patienten- und klinischen Falldaten sowie damit verknüpften Produktdaten. Festgestellte Minderleistungen können so einem konkreten Produkt zugeordnet werden. Die Auswertungsmethodik der erhaltenen Daten liegt im Verantwortungsbereich des BfArM. 14 Patientensicherheit Prüfer-Storcks für strengere Kontrollen bei risikobehafteten Medizinprodukten . GESUNDHEITSSENATORIN: PATIENTENSICHERHEIT MUSS AN ERSTER STELLE STEHEN, pressearchiv-fhh, 26.11.2018, und: Das Desaster mit den Implantaten. Skandalöse Zustände. Viele Produkte sind lebensgefährlich. Wie Hamburgs Kliniken reagieren , „Hamburger Morgenpost“, 28.11.2018.