BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16138 21. Wahlperiode 15.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Rath (CDU) vom 08.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Jungerwachsene Obdachlose – Warum hat der Senat versäumt, den jungen Menschen zeitnah eine Perspektive zu bieten? Dieser Tage ziehen die ersten Bewohner des neuen Jungerwachsenenprojekts (JEP) in die ehemalige Polizeiwache an der Nöldekestraße in Harburg. Vorgesehen sind 40 Plätze für Männer, während die 19 Plätze des seit dem Jahr 2009 in der Hinrichsenstraße existierenden JEP für junge Frauen umgewidmet werden. Zielgruppe sind jeweils Wohnungs- und Obdachlose zwischen 18 und 25 Jahren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In Hamburg sind in den Wohnunterkünften der öffentlich-rechtlichen Unterbringung (örU) derzeit 313 Jungerwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren untergebracht (davon 257 Männer und 56 Frauen; Stand: Februar 2019). Zudem bietet der Bericht zur aktuellen Obdachlosen- und Wohnungslosenuntersuchung eine differenzierte Darstellung der obdachlosen Menschen in der Altersgruppe 18 bis 25 Jahren: „Befragung obdachloser, auf der Straße lebender Menschen und wohnungsloser, öffentlichrechtlich untergebrachter Haushalte 2018 in Hamburg“ (S. 23, Tabelle 16), https://www.hamburg.de/contentblob/12065738/5702405ed386891a25cdf9d4001e546 b/data/d-obdachlosenstudie-2018.pdf. Die Lebenssituation von jungen Menschen ist oftmals geprägt von fehlender Stabilität in ihrer finanziellen Absicherung, Suchterkrankungen oder mangelnden Erfahrungen in Alltagsstrukturen. Es ist notwendig, diese Jungerwachsenen frühzeitig zu erreichen und zu aktivieren, damit sie die Situation der Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit verlassen, eine Verstetigung von öffentlich-rechtlicher Unterbringung vermieden wird und die Voraussetzungen entwickelt werden, sich über eigenes Einkommen unabhängig von Transferleistungen zu machen. Dazu bedarf dieser Personenkreis einer zielgruppenorientierten Form der Unterstützung und Betreuung. Das Jungerwachsenenprojekt (JEP) I in der Hinrichsenstraße bietet daher seit 2009 19 wohnungslosen männlichen Jungerwachsenen eine temporäre Unterbringung mit bedarfsgerechter, sozialpädagogischer Betreuung, um sie im Anschluss dauerhaft mit eigenem Wohnraum zu versorgen. Die Prüfung des Anspruchs auf einen Platz im JEP erfolgt durch die zuständige Fachstelle . Die in den Wohnunterkünften öffentlich-rechtlich untergebrachten Jungerwachsenen erfüllen grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Unterbringung im JEP. Die Höhe des Anteils der jungen Obdachlosen mit Anspruchsberechtigung ist nicht bekannt. Die Aufnahme in das JEP setzt neben einer Bewilligung für die örU auch eine hohe Mitwirkungsbereitschaft der Jungerwachsenen voraus, um im Rahmen der pädagogischen Arbeit mit ihnen gemeinsam Perspektiven zu entwickeln, ihre schwierige Wohn- Drucksache 21/16138 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 und Lebenssituation zu verbessern. Das schließt zum Beispiel Personen mit einer akuten Suchtproblematik aus, sofern keine konkreten therapeutischen Maßnahmen hierzu im Raum stehen. Gleiches gilt für bekannte Gewaltproblematiken, die das Zusammenleben mit anderen Menschen beeinträchtigen. Ausgeschlossen werden auch Jungerwachsene, die harte Drogen konsumieren oder mit Drogen dealen. Das JEP ist eine zielgruppenspezifische Einrichtung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung . Die Aufgaben des Sozialmanagements im JEP gehen über die vereinbarten Leistungen des Unterkunfts- und Sozialmanagements (UKSM) hinaus und umfassen eine intensive Betreuung der Jungerwachsenen, um auf ihre speziellen Bedarfe und Lebenssituation einzugehen. Sowohl f & w fördern und wohnen AöR (f & w) wie auch der Landesbetrieb für Erziehung und Beratung (LEB) übernehmen die pädagogische Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner. Durch den im Konzept festgelegten Betreuungsschlüssel des LEB von 1:5,33, der dem Betreuungsschlüssel von 1:10 bei f & w gegenüber steht, ergibt sich eine Aufteilung der Bewohnerinnen und Bewohner nach Unterstützungsbedarf. Der LEB betreut die Bewohnerinnen und Bewohner, bei denen sich aus der individuellen Lebenslage ein intensiverer Begleitungs- und Beratungsbedarf ergibt. f & w übernimmt neben der Betreuung der übrigen Bewohnerinnen und Bewohner auch die Verwaltung und Steuerung der Einrichtung sowie die Aufnahme und Dokumentation der Bewohnerinnen und Bewohner. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von f & w wie folgt: 1. Da die Obdachlosenbefragung die Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen zusammenfasst, lässt diese keine Rückschlüsse auf die ungefähre Zahl der Obdachlosen in Hamburg in der Altersgruppe zwischen 18 und 25 Jahren zu. Wie groß schätzt der Senat diese Altersgruppe der Wohnungs - und Obdachlosen ein und wie viele davon haben anteilig in etwa einen Anspruch auf einen Platz im JEP? Wie viele davon sind jeweils etwa Männer, wie viele Frauen? Siehe Vorbemerkung. 2. Seit wann ist dem Senat bekannt, dass die vorhandenen 19 Plätze in der Hinrichsenstraße zu wenig waren? Mit dem Angebot des JEP I in der Hinrichsenstraße wurden über einen längeren Zeitraum umfassende Erfahrungen mit jungen Männern aus der Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit gesammelt. In diesem Zuge wurden Bedarf und Voraussetzungen einer zielgruppenorientierten Unterbringung für junge Menschen konkretisiert und daraufhin eine Erweiterung des Platzangebots von der zuständigen Behörde entschieden . 3. Welche Angebote wurden jungen Frauen bisher gemacht, angesichts des Umstandes, dass die Hinrichsenstraße bisher nur Plätze für junge Männer bot? f & w bietet jungen Frauen in der Übernachtungsstätte „FrauenZimmer“ ein Angebot, das sie an das weiterführende Hilfesystem anbindet. 4. Ab wann dürfen die jungen Frauen den JEP-Standort Hinrichsenstraße beziehen? 5. Welche Umbaumaßnahmen und Renovierungen sind am JEP-Standort in der Hinrichsenstraße notwendig? Der Belegungsbeginn mit jungen Frauen ist für den 01.04.2019 geplant. Am Standort Hinrichsenstraße sind Renovierungsarbeiten erforderlich. Dieses sind unter anderem Malerarbeiten, Ausbesserungsarbeiten am Fußboden und die Erneuerung einer Küche. 6. Wann erfolgten jeweils welche größeren Sanierungsarbeiten über 5 000 Euro am JEP-Standort seit dessen Inbetriebnahme durch den damals CDU-geführten Senat im Jahr 2009? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16138 3 Am Standort Hinrichsenstraße gab es seit der Inbetriebnahme im Jahre 2009 eine Nassraumsanierung in Höhe von 35 289 Euro, die im Jahr 2015 (12 665 Euro) und im Jahr 2016 (22 624 Euro) durchgeführt wurde. 7. Wann hat der Senat entschieden, dass Programm JEP auszubauen? Siehe Antwort zu 2. 8. Wann erhielten f & w fördern und wohnen AöR (f & w) und der Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) den Auftrag? 9. Wann wurden die entsprechenden Räumlichkeiten gefunden und von wem angemietet? Die Kooperation zwischen f & w und dem LEB begann zum 01.05.2018. Die Räumlichkeiten wurden vor Nutzung im Rahmen des JEP vom LEB zur Unterbringung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge genutzt und waren insoweit bekannt. Aufgrund der rückläufigen Zahlen des Unterbringungsbedarfs für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge konnte der Standort zum 15.07.2018 durch f & w übernommen werden. 10. Was unterscheidet das JEP von einer öffentlich-rechtlichen Unterkunft, bei der es doch auch ein Sozialmanagement gibt? 11. Wie gestaltet sich die genaue Arbeitsteilung zwischen f & w und dem LEB beim JEP? Siehe Vorbemerkung. 12. Wie lange war in den Jahren 2017 und 2018 der durchschnittliche Verbleib im JEP der Jungerwachsenen? Der durchschnittliche Verbleib im Jahr 2017 lag im Durchschnitt bei 6,8 Monaten. Im Jahr 2018 lag der Durchschnitt bei 7,7 Monaten. 13. In welche Art der Unterbringung wurden im Jahr 2018 jeweils wie viele Jungerwachsene vermittelt und welche Schwierigkeiten ergaben sich bei der Weitervermittlung? Erklärtes Ziel des Senates ist es, durch eine verstärkte Vermittlung mehr wohnungslose Menschen in Wohnraum zu bringen. Daher wird das Personal in den bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle in den Bezirken aufgestockt werden. Darüber hinaus wird bei f & w ein Einzugs- und Begleitteam zur Unterstützung von anerkannt vordringlich Wohnungssuchenden bei der Integration in Mietwohnraum eingerichtet, siehe hierzu auch Drs. 21/15398, 21/15401 und 21/16101. Im Jahr 2018 kam es zu 19 Auszügen. Von den 19 Auszügen wurden acht erfolgreich in eigenen Wohnraum vermittelt (42,1 Prozent), zwei konnten in die elterliche Wohnung zurückkehren (10,5 Prozent), sechs Jungerwachsene verzogen mit unbekanntem Ziel aus der Unterkunft (31,5 Prozent), zwei (10,5 Prozent) wurden in reguläre Wohnunterkünfte verlegt, und eine Person (5 Prozent) wurde in eine Einrichtung mit ihrer Problemlage entsprechendem Unterstützungsbedarf vermittelt. Jungerwachsene Menschen ohne gesicherte Einkommensverhältnisse haben eine sehr viel geringere Chance, eigenen Wohnraum auf dem angespannten Wohnungsmarkt zu finden. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Biografie der Bewohner , denen Kenntnisse zur erfolgreichen Umsetzung der Wohnungssuche fehlen. Oftmals sind Sozialleistungsansprüche unbekannt. Hierbei unterstützen und beraten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des JEP die Jungerwachsenen. 14. Wie viele Jungerwachsene waren über die Jahre 2017 und 2018 im JEP untergebracht? Wie alt waren diese und welcher Beschäftigung (Schule, Ausbildung, Ausbildungsvorbereitung und so weiter) gingen sie jeweils tagsüber nach? Aus welchen Ländern stammten diese? Insgesamt wurden in den Jahren 2017 und 2018 57 Jungerwachse im Alter von 18 bis 25 Jahren untergebracht. Bei vielen veränderte sich die Beschäftigungs- und Arbeitssituation während ihres Aufenthalts im JEP, zum Teil mehrfach. Entsprechend der Drucksache 21/16138 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Lebensrealität der Bewohnerinnen und Bewohner (zum Beispiel mehrfach kurze Episoden von Zeitarbeit) kommen bei der Aufzählung Mehrfachnennungen vor: Schule - 6 Arbeit 18 Ausbildung - 6 Maßnahme - 5 Integrationskurs - 6 Einstiegsqualifizierung - 3 Zudem waren 15 Personen primär arbeitssuchend, elf ausbildungssuchend und eine Person in einer Reha-Maßnahme. Über zwei Personen liegen keine Daten vor. Die Herkunft der Bewohner wird als solche nicht erfasst. Die Bewohnerinnen und Bewohner des JEP hatten Staatsangehörigkeiten folgender Länder: Deutschland: 32, Türkei: = sechs, Syrien = fünf, Afghanistan = vier, Togo = zwei, Gambia = zwei, Italien = eine, Serbien = eine, Portugal = eine, Spanien = eine, Guinea = eine, Philippinen. 15. In der Berichterstattung zum neuen JEP-Standort war von einer Warteliste die Rede. a) Seit wann gibt es diese Warteliste? b) Wer führt die Warteliste? c) Wie lange ist die Wartezeit auf einen Platz im Durchschnitt? d) Wie viele Personen stehen aktuell auf der Warteliste? Wie viele davon sind Männer und wie viele Frauen? Die Warteliste gibt es seit dem Projektstart. Sie wird gemeinsam von f & w und den bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle geführt. Die Wartezeit auf einen Platz ist fallbedingt unterschiedlich. Aktuell stehen 20 Männer auf der Warteliste. Eine Warteliste für Frauen wird derzeit nicht geführt. 16. Bereits im Sozialausschuss Ende 2018 war von einem dritten JEP- Standort die Rede, der aber noch in der Konzeptionsphase sei. a) Wie ist der aktuelle Stand der Planungen? b) Für wie viele Personen soll der Standort sein? c) Soll er für Männer und/oder Frauen sein? d) Wo soll der Standort entstehen? Der dritte Standort für das JEP wird im Bezirk Eimsbüttel errichtet und soll Plätze für etwa 20 Jungerwachsene bieten. Die Planungen des JEP 3 sind noch nicht abgeschlossen . 17. Sind weitere JEP-Standorte in der Überlegung? Wenn ja, in welchem Umfang? Wenn nein, warum nicht? Das Angebot des JEP wird künftig etwa 80 Plätze für junge Menschen bieten. Der Bedarf an weiteren Platzangeboten wird evaluiert werden.