BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16184 21. Wahlperiode 19.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 12.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Nachwuchsgewinnung und Personalentwicklung in der Hamburgischen Justiz Das Personal ist die wichtigste Ressource der Justiz. In Zeiten knapper personeller Ausstattung, stetig wachsender Aufgaben und einer bevorstehenden Pensionierungswelle stehen Gerichte und Staatsanwaltschaften vor großen Herausforderungen. Diese werden dadurch verschärft, dass die Zahl neuer Jurastudenten bundesweit sinkt, die Abbrecherquote steigt und immer weniger Absolventen des ersten Staatsexamens das Assessor-Examen abschließen .1 Um diese geringer werdende Zahl an Anwärtern – laut dem Deutschen Richterbund (DRB) schließen nur noch etwa 1 500 Juristen pro Jahr das zweite Staatsexamen mit einem „Vollbefriedigend“ oder besser ab2 – muss die Justiz dann noch mit Ministerien, Unternehmen und vor allem Anwaltskanzleien konkurrieren. Insbesondere mit den letzten beiden Berufsgruppen ist dies schon allein aufgrund der divergierenden Gehaltsstruktur schwierig. So erhält ein Berufseinsteiger nach Angaben des DRB als Richter oder Staatsanwalt im bundesweiten Durchschnitt 48 000 Euro brutto im Jahr, während es in einem Unternehmen 87 000 Euro und in einer Großkanzlei sogar 118 000 Euro sind.3 Diese Zahlen sind zwar nur eingeschränkt vergleichbar, da die Sozialabgaben bei Richtern und Staatsanwälten deutlich geringer sind. Eine grundsätzliche Diskrepanz ist dennoch nicht von der Hand zu weisen und diese entwickelt sich im weiteren Berufsleben immer weiter auseinander , da die Gehälter in der privaten Wirtschaft mit zunehmender Qualifikation und Erfahrung um ein Vielfaches stärker steigen als im Staatsdienst. Aus den Antworten des Senats auf meine Anfragen Drs. 21/14146 und 21/10478 ergibt sich, dass im Bereich der Dezernenten bei der Staatsanwaltschaft zum Stichtag 1. Juni 2018 8,20 Stellen und bei den ordentlichen Gerichten zum Stichtag 25. September 2017 insgesamt 11,75 Stellen unbesetzt waren. Aufgrund der oben beschriebenen Situation entwickelt sich die Nachwuchsgewinnung in immer mehr Bundesländern zum Problem und die Justiz ist darauf angewiesen, die unbesetzten sowie neu geschaffenen Stellen mittels anderer Anreize zu besetzen, um den finanziellen Nachteil auszugleichen . Allein durch das Absenken der Einstellungsvoraussetzungen – so gehört das „Doppel-Prädikat“ in vielen Bundesländern, darunter auch Hamburg , schon längst nicht mehr zu den zwingenden Kriterien – wird dies nicht 1 https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/nachwuchsmangel-justiz-referendariat-alsanker -massnahmen-bundeslaender/. 2 https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/nachwuchs-mangel-personal-justiz-keinpraedikat /. 3 https://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/nachwuchs-mangel-personal-justiz-keinpraedikat /. Drucksache 21/16184 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gelingen. Deshalb haben einige Bundesländer umfangreiche Personalentwicklungskonzepte für Richter und Staatsanwälte erarbeitet, die dabei helfen sollen, die Attraktivität für geeignete Bewerber zu steigern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Hamburgische Justiz ist mit Blick auf die vielfältigen Einsatzgebiete und die guten Bedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf unverändert ein attraktiver Arbeitgeber. Ein breit angelegtes Portfolio an Personalentwicklungsmaßnahmen, welches nicht nur Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger im Blick hat, sondern die unterschiedlichen Bedarfe fach-, funktions- und lebenssituationsabhängig abdeckt, sorgt dafür, dass die hamburgische Justiz auch nach dem Einstieg als Arbeitgeber dauerhaft attraktiv bleibt. Den Grundstein bildet das Stationenmodell für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Darin durchlaufen diese, innerhalb der zwei- bis dreijährigen Probezeit mindestens zwei verschiedene Stationen , entweder in verschiedenen Einheiten oder in verschiedenen Rechtsgebieten. Dadurch werden nicht nur der fachliche Horizont erweitert, sondern auch die Sozialisation und der Austausch in der gesamten Hamburger Justiz gefördert (vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/13237). Flankiert wird das Stationenmodell durch die vom Hanseatischen Oberlandesgericht und der Staatsanwaltschaft organisierte Fortbildung für Assessorinnen und Assessoren. Ungeachtet dessen steht die Justiz in stetiger Konkurrenz mit der privaten Wirtschaft. Ziel der zuständigen Behörde ist es generell, die Nachwuchsgewinnung für die Justiz auf hohem Niveau durchzuführen. Die Möglichkeiten der Nachwuchsgewinnung werden laufend optimiert und bei Bedarf an aktuelle Erfordernisse angepasst. Die Besetzungs- und Nachbesetzungsverfahren werden jeweils mit Nachdruck betrieben . Bei der Gegenüberstellung von Stellen-Soll und tatsächlichem Besetzungsumfang handelt es sich um eine Momentaufnahme, die ständigen Schwankungen unterworfen ist. Mehrere der derzeit unbesetzten Stellen sind erst zum 1. Januar 2019 aufgrund von Beschlüssen der Bürgerschaft aus Dezember 2018 ausgebracht worden. Dabei handelt es sich um fünf R1-Stellen für die StA, drei R1-Stellen für das Sozialgericht und drei Richterstellen für das Hanseatische Oberlandesgericht (1 x R 3 und 2 x R2). Zu diesen Stellen sind die jeweiligen Besetzungsverfahren angelaufen beziehungsweise kurz vor dem Abschluss. Die personelle Verstärkung der Staatsanwaltschaften der Jahre 2015 bis 2018 wird mit dem Haushaltsplan 2019/2020 fortgesetzt. Die Hamburger Staatsanwaltschaften sind in den Jahren 2015 bis 2018 mit Vollzeitäquivalenten für 20 Dezernentinnen und Dezernenten und 17 Servicekräfte verstärkt worden. Mit dem beschlossenen Haushalt wird sich die Verstärkung bis Anfang 2020 auf insgesamt 52,5 VZÄ (davon 26 VZÄ für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 22 VZÄ für den Servicebereich) erhöhen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie stellen sich Stellen-Soll und Besetzungsumfang bei den Dezernentenstellen der Staatsanwaltschaft aktuell dar? Stellen-Soll Davon besetzt Staatsanwältinnen und Staatsanwälte 184,50 172,35 Stand: 13.02.2019 Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Wie stellen sich Stellen-Soll und Besetzungsumfang bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Fachgerichten aktuell dar? Stellen-Soll Davon besetzt Hanseatisches Oberlandesgericht 79 73,98 Landgericht 231,29 224,25 Amtsgericht 255,25 247,40 Oberverwaltungsgericht 17,50 16,65 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16184 3 Stellen-Soll Davon besetzt Verwaltungsgericht 67 66,2 Sozialgerichte 57,5 54,5 Arbeitsgerichte 33 29,3 Finanzgericht 20,5 19,1 * Stand: 13.02.2019 Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Wie viele Bewerber/-innen als Staatsanwalt/Staatsanwältin beziehungsweise Richter/Richterin beim Hanseatischen Oberlandesgericht gab es jeweils in den Jahren 2017 und 2018? Beim Hanseatischen Oberlandesgericht sind für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft im Jahr 2017 insgesamt 134 Bewerbungen eingegangen. Im Jahr 2018 insgesamt 159 Bewerbungen. 4. Wie viele altersbedingte Abgänge (Staats-, Amtsanwälte und Richter) wird es bis zum Jahr 2025 bei der Staatsanwaltschaft, den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie den Fachgerichten geben? Es wird bis zum Jahr 2025 bei den Dienststellen insgesamt 179 altersbedingte Abgänge geben. Diese verteilen sich wie folgt: Staatsanwaltschaften 34 Hanseatisches Oberlandesgericht 23 Landgericht 50 Amtsgericht 42 Sozialgerichte 9 Arbeitsgerichte 4 Finanzgericht 2 Oberverwaltungsgericht 2 Verwaltungsgericht 13 Nicht berücksichtigt sind Verlängerungsanträge, die spätestens sechs Monate vor Eintritt in den Ruhestand zu stellen sind. Im richterlichen Bereich ist dadurch die Verlängerung bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres möglich. Der Geburtsjahrgang 1964 ist von dieser Regelung nicht mehr betroffen, da mit dem Jahrgang 1964 die Vollendung des 67 Lebensjahres zum regulären Ruhestandsalter geworden ist. 5. Wie viele Abgänge vor Erreichen der Altersgrenze (Staats-, Amtsanwälte und Richter) gab es jährlich seit 2017 bei der Staatsanwaltschaft, den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie den Fachgerichten? Es hat bei den Dienststellen seit 2017 insgesamt 42 Abgänge vor Erreichen der Altersgrenze gegeben. Die Abgänge verteilen sich wie folgt: Staatsanwaltschaften 8 Hanseatisches Oberlandesgericht 2 Landgericht 3 Amtsgericht 13 Sozialgerichte 2 Arbeitsgerichte 1 Finanzgericht 2 Oberverwaltungsgericht keine Verwaltungsgericht keine 6. Wie beurteilt die zuständige Behörde die Attraktivität des Berufsfeldes Staatsanwalt/Richter und die Nachwuchsgewinnung der Justiz in Hamburg ? Mit welchen Maßnahmen soll das Interesse verstärkt geweckt werden, um eine ausreichende Anzahl geeigneter Bewerber/-innen zu gewinnen? Siehe Vorbemerkung. Drucksache 21/16184 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 7. Gibt es Erkenntnisse über die Arbeitszufriedenheit der Staatsanwälte und Richter innerhalb der Justiz? Falls ja, welche? Falls nein, weshalb nicht? Die Identifikation der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit ihrer Tätigkeit ist unverändert sehr hoch. Insbesondere werden das selbstbestimmte Arbeiten und die mit der Arbeit verbundenen Herausforderungen als positiv wahrgenommen. Positiv bewertet werden darüber hinaus der kollegiale Umgang und der Rückhalt unter den Kolleginnen und Kollegen. Dies ergibt sich unter anderem aus der Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialgerichtes und Landessozialgerichtes zu den psychischen Belastungen am Arbeitsplatz im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung durch den AMD Hamburg aus dem Jahr 2017 sowie der Ende 2017 durchgeführten Umfrage des Hamburgischen Richtervereins zur Belastungssituation. Als belastend werden der Arbeitsumfang und die hohe Arbeitsintensität empfunden. Zu den belastenden Faktoren gehören darüber hinaus die zunehmende Komplexität der Verfahren und teilweise das Verhalten von Verfahrensbeteiligten. 8. Gibt es ein Personalentwicklungskonzept für Staatsanwälte und Richter, wie es etwa Baden-Württemberg4 erarbeitet hat? Wenn ja, welche Maßnahmen sind dort konkret enthalten? Wie werden Bewerber und bereits eingestellte Staatsanwälte und Richter über diese informiert? Wenn nein, weshalb nicht? Gibt es Planungen zur Erstellung eines solchen Konzepts? Neben dem grundlegendem Stationenmodell gibt es in den Dienststellen flächendeckend ein System verschiedenster Personalentwicklungsmaßnahmen, die nicht auf nur Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger ausgerichtet sind. Dies sind unter anderem: Allgemeine Einführungstagung in Lüdersburg Workshop für Assessorinnen und Assessoren Treffen für Assessorinnen und Assessoren/Jugendrichterinnen und Jugendrichter Mentorinnen und Mentoren-/Patenschaftsprogramme Begrüßungsmappe Begrüßungsgespräch mit der Gerichtsleitung Verhandlungsbesuch zur Lebenszeiternennung Kammergespräche Erprobungsmöglichkeiten Personalgespräche/Beurteilungswesen/Personalentwicklungsgespräche/ Gespräche des betrieblichen Eingliederungsmanagements Vorsitzendenbesprechungen Sonderverwendungen Möglichkeit als Mediatorin oder Mediator tätig zu werden Richterliche Qualitätszirkel Institutionalisierte Erfahrungsaustausche 4 https://www.mit-recht-in-die-zukunft.de/richterstaatsanwalt/dl/ Personalentwicklungskonzept_Richter_Staatsanwalt.pdf. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16184 5 Die zuständige Behörde ergänzt diese Maßnahmen mit einem breiten Fortbildungsangebot , das unterschiedlichste Fachgebiete bedient, aber auch die Weiterentwicklung personeller Kompetenzen, Leitungskompetenzen und Arbeitstechniken unterstützt (vergleiche Drs. 21/15882). Im Rahmen der Personalentwicklung kommt der Supervision eine wichtige Rolle zu. Die zuständige Behörde organisiert Supervisionen, Coachings und psychosoziale Begleitung für unterschiedliche Fachlichkeiten und Bedarfslagen und bildet seit einigen Jahren Richterinnen und Richter zu Supervisorinnen und Supervisoren aus, die dann kollegiale Fallsupervisionsgruppen leiten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird mit zahlreichen Maßnahmen aktiv unterstützt , nicht nur durch flexible Arbeits- und Arbeitszeitmodelle, sondern auch durch Kinderbetreuungsangebote. Die zuständige Behörde wurde dafür im Jahr 2018 zum wiederholten Male mit dem Familiensiegel ausgezeichnet. Die diversen Maßnahmen erreichen die unterschiedlichen Zielgruppen über die dezentralen und zentralen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Fortbildung /Personalentwicklung sowie den Sharepoint und E-Mailverteiler. Werbung für den höheren Justizdienst in Hamburg beginnt bereits im Rahmen von Praktika, Referendariatsstationen und Prüfungsbegleitung. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.