BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16193 21. Wahlperiode 19.02.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Rath (CDU) vom 13.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Straßensozialarbeit für Obdachlose − Hat der Senat das Angebot wirklich ausgeweitet? Der NDR berichtete am 11. Februar, dass die Stadt erstmals zwei Straßensozialarbeiter zur Betreuung der Obdachlosen im Einsatz habe. Diese würden zunächst mit dem Krankenmobil der Caritas unterwegs sein, um die Klienten kennenzulernen, wie der Pressesprecher der Sozialbehörde gegenüber dem NDR erklärte. Der „tageszeitung“ zufolge sind die Straßensozialarbeiter bei dem städtischen Unternehmen f & w fördern und wohnen AöR (f & w) angestellt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Hamburg verfügt über ein umfangreiches und differenziertes Hilfesystem für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, siehe im Einzelnen unter https://www.hamburg.de/contentblob/127994/aae5929c845d3afed0566d580e984b36/ data/hilfesystem-datei.pdf sowie Drs. 21/15130. In Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe finden obdachlose Menschen nicht nur Anlaufstellen für einen sicheren, witterungsgeschützten Aufenthalt am Tag und in der Nacht, sondern auch zahlreiche niedrigschwellige Angebote, insbesondere für soziale Beratung, medizinische Versorgung, Essen und Kleidung. Ziel ist es, die Betroffenen durch niedrigschwellige Angebote aus der Obdachlosigkeit zu lösen und ihnen verlässliche Lebensperspektiven zu eröffnen. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) ist als Trägerin entsprechender Einrichtungen sowie als Zuwendungsgeberin für Projekte und Einrichtungen in freier Trägerschaft maßgeblich mit der Steuerung und Fortentwicklung dieses Hilfe- und Unterstützungssystems befasst und bewertet in diesem Zusammenhang auch kontinuierlich die bestehenden Versorgungsstrukturen. Mit der im März 2018 durchgeführten und in ihren Ergebnissen kürzlich veröffentlichten Untersuchung zu obdach- und wohnungslosen Menschen in Hamburg im Jahr 20181 hat die BASFI die umfassenden Grundlagen geschaffen, um ausgehend von den Erhebungen zur Lebenssituation der Betroffenen geeignete Handlungsansätze zu entwickeln, mit denen sich die erfolgreichen Strukturen der Hamburger Wohnungslosenhilfe weiterentwickeln und bei Bedarf auch ergänzen lassen. Hierfür ist in der ersten Jahreshälfte zusammen mit Akteuren des Hilfesystems ein gemeinsamer Fachtag vorgesehen. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen die BASFI zudem in bereits zuvor gewonnenen Einschätzungen bezüglich einer Weiterentwicklung bestehender Angebote. Dies betrifft sowohl die noch bessere Vernetzung existierender Einrichtungen und 1 https://www.hamburg.de/obdachlosigkeit/veroeffentlichungen/12033588/ obdachlosenstudie-hamburg-2018/. Drucksache 21/16193 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Projekte als auch den Ausbau niedrigschwelliger Angebote der Ansprache obdachloser , zum Teil nur noch schwer erreichbarer oder bisher nicht im Hilfesystem angebundener Menschen. Aus diesem Grund hatte sich die BASFI bereits im Sommer 2018 im Rahmen eines entsprechenden Interessenbekundungsverfahrens beim „Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen“ (EHAP) um zusätzliche Fördermittel für ein weiteres Projekt der Straßensozialarbeit mit dem Titel „Visite Sozial – Mobile Beratung auf der Straße“ beworben. Weitergehende Informationen zum EHAP sind abrufbar unter https://www.bmas.de/DE/Themen/Soziales-Europa-und-Internationales/ Europaeische-Fonds/EHAP/ehap.html. Der konzeptionelle Schwerpunkt liegt hierbei auf der Verknüpfung dieser niedrigschwelligen mobilen Sozialberatung vor Ort mit einem ebenfalls niedrigschwelligen und mobilen gesundheitlichen Versorgungsangebot. In einer Kooperation mit dem Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V. (Caritas) und dem von dort betriebenen Krankenmobil ist vorgesehen, eine in Trägerschaft von f & w fördern und wohnen AöR (f & w) durchgeführte Straßensozialarbeit für obdachlose Menschen möglichst nahe am medizinischen Beratungs- und Versorgungsangebot anzubinden. Eine solche Kooperation eröffnet aus Sicht der Kooperationspartner die Chance, noch bessere Zugangswege zu den Betroffenen zu erlangen und Beratungen zielgerichteter platzieren zu können. Das Projekt ist aus dem Bewerbungsverfahren im September 2018 als eines von bundesweit 67 geförderten Projekten für eine zweijährige Förderung in den Jahren 2019/2020 hervorgegangen. Obgleich das formale Antragsverfahren noch nicht vollständig abgeschlossen ist, hat das Bundesverwaltungsamt dem Projekt im Dezember 2018 den vorzeitigen Maßnahmebeginn ab dem Jahresanfang 2019 unter dem Vorbehalt einer späteren verbindlichen positiven Antragsbescheidung gestattet. Nach ersten notwendigen Personalgewinnungsverfahren und Abstimmungen der Kooperationspartner startet das Projekt nunmehr in eine Qualifizierungs- und Erprobungsphase mit einer praktischen Kooperation der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und den Akteuren des Krankenmobils des Kooperationspartners Caritas. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von f & w wie folgt: 1. Wann hat der Senat aus welchen Grünen entschieden, eigene Straßensozialarbeiter in den Einsatz zu schicken? 2. Wann wurde f & w darüber informiert, dass es die Straßensozialarbeit übernehmen soll? 3. Wieso wurde f & w für die Aufgabe ausgewählt? 4. Um welche Art der Beauftragung handelt es sich? Die Entscheidung der zuständigen Behörde fiel anlässlich der Eröffnung des EHAP- Bewerbungsverfahrens kurzfristig im Sommer 2018. Dem EHAP-Bewerbungsverfahren gingen im Sommer 2018 Gespräche mit f & w voraus. Sowohl fachliche als auch zeitliche Gesichtspunkte waren ausschlaggebend. f & w verfügt als Betreiberin niedrigschwelliger Einrichtungen der Obdachlosenhilfe nicht nur über die hinreichende Expertise für die Wahrnehmung solcher Aufgaben, sondern hat im Rahmen dieser Angebote (zum Beispiel Winternotprogramm) auch bereits zahlreiche persönliche Kontakte zur Zielgruppe aufbauen können. Diese sollen über den gesamten Jahresverlauf nachgehalten werden, um den Hilfeprozess zu stabilisieren . Für die avisierte Zielgruppe kann das trägereigene Angebot anderer niedrigschwelliger Einrichtungen wie etwa der Notübernachtungs- und Tagesaufenthaltsstätten sowie der dabei durchgeführten umfangreichen Sozialberatung ein zusätzlicher Anreiz beziehungsweise Wegbereiter für eine möglichst durchgehende Begleitung der Betroffenen in ihrem Hilfeprozess sein. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16193 3 Sowohl die Kurzfristigkeit der Entscheidung zur Teilnahme am Interessenbekundungsverfahren im Sommer 2018 als auch die Tatsache einer mit der Förderung verbundenen Begrenzung der Projektlaufzeit auf zwei Jahre ließen es zudem naheliegend erscheinen, mit f & w einen staatlich finanzierten Akteur mit der Projektdurchführung zu betrauen. Die Beauftragung von f & w erfolgte im Rahmen der fachlichen Steuerung, die von der BASFI wahrgenommen wird. Mit dem Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V. ist in diesem Projekt ein Kooperationspartner gefunden worden, der über langjährige Erfahrungen und eine ausgewiesene Expertise im Bereich der Wohnungslosenhilfe in Hamburg verfügt. Mit dem Krankenmobil betreibt die Caritas seit vielen Jahren erfolgreich eine niedrigschwellige mobile Hilfe der Gesundheitsversorgung für obdachlose Menschen. In der praktischen Verknüpfung von niedrigschwelliger Gesundheitshilfe und Straßensozialarbeit wird ein aussichtsreicher methodischer Ansatz gesehen, noch erfolgreicher auf obdachlose Menschen zugehen zu können, um ihnen über die Nutzung der niedrigschwelligen Hilfeleistungen hinaus weitere Perspektiven für ein Leben abseits der Straße aufzuzeigen und hierbei zu unterstützen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Für wie lange ist f & w mit der Aufgabe vorerst betraut? Die Wahrnehmung der Projektaufgaben ist zunächst an den Förderzeitraum 2019/ 2020 geknüpft. Eine Verstetigung wird im Falle eines erfolgreichen Projektverlaufs angestrebt. 6. Um wie viele Mitarbeiter/VZÄ ab wandelt handelt es sich? 7. Über welche Qualifikationen verfügen die Mitarbeiter? Die EHAP-Förderung umfasst insgesamt vier Stellen (Vollzeitäquivalente (VZÄ)) Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie 0,5 VZÄ Verwaltungskraft, jeweils beschäftigt f & w bei fördern und wohnen AöR. Für das Projekt ist die Wahrnehmung von Projektkoordinationsaufgaben in der zuständigen Behörde außerhalb der EHAP-Förderung im Umfang von 0,5 VZÄ vorgesehen. Die Tätigkeit der der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Straßensozialarbeit erfordert ein Studium der Sozialpädagogik oder der Sozialen Arbeit. Die eingesetzten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verfügen über Sprachkenntnisse in Deutsch, Russisch, Litauisch, Englisch, Polnisch, Spanisch und Schwedisch. Die Tätigkeit der Verwaltungskraft setzt eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich/ Verwaltung voraus, die Tätigkeit der Projektkoordination eine entsprechende abgeschlossene Hochschulbildung. 8. Anhand welcher Annahmen wurde entschieden, die Zahl der Mitarbeiter /VZÄ in der nun beschlossenen Höhe festzusetzen? Die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientierte sich an der für eine solche Pilotierung als realistisch eingeschätzten Größe des Personalkörpers. Dies lässt die Frage eines darüber hinausgehenden Bedarfs an Straßensozialarbeit unberührt. 9. Welche Kosten pro Jahr ergeben sich daraus und aus welcher Quelle werden sie finanziert? Im Rahmen der EHAP-Förderung sind Fördermittel in Höhe von rund 527 000 Euro beantragt. Als notwendiger Eigenanteil in Höhe von 5 vom Hundert werden davon 26 361,01 Euro aus der Produktgruppe 253.03 Wohnungslosenhilfe und öffentliche Unterbringung erbracht. Dies gilt auch für weitere projektbezogene, derzeit jedoch noch nicht konkret bezifferbare Kosten, soweit sie außerhalb der EHAP-Förderung liegen. Dazu gehört auch die 0,5 VZÄ für die Projektkoordination. 10. Welche Sprachen sprechen diese neuen Straßensozialarbeiter? Siehe Antwort zu 6. und 7. Drucksache 21/16193 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. Was ist mit den 2,6 VZÄ, die für das Projekt sansa des Trägers „hoffnungsorte hamburg – Verein Stadtmission Hamburg“ bisher als Straßensozialarbeiter unterwegs waren? Wird das Projekt nicht mehr fortgeführt ? Wenn es nicht mehr fortgeführt wird: warum nicht und seit wann? Wenn doch, mit wie vielen Mitarbeitern/VZÄ aktuell? Der Träger „hoffnungsorte hamburg“ hat nach Übereinkunft mit den Projektpartnern des Projektverbundes „Perspektiven in Europa schaffen“ (Diakonisches Werk Hamburg , BASFI) im Juli 2018 aus Gründen im Organisationsbereich dieses Trägers auf einen erneuten EHAP-Förderantrag verzichtet. Dem Träger ist nach Auslaufen der EHAP-Förderung zum 31.12.2018 zum Zweck der Fortführung der mit dem Projekt „sansa“ verbundenen Aufgaben eine Übernahme von zwei VZÄ in die Zuwendungsfinanzierung der Einrichtung plata bewilligt worden. plata verfügt damit über 5,25 VZÄ (bisher 3,25 VZÄ, siehe Drs. 21/5292). 12. Machen die neuen Straßensozialarbeiter andere Aufgaben als diejenigen , die für sansa unterwegs sind/waren? Wenn sie ähnliche Aufgaben haben: Wieso heißt es dann in der Berichterstattung, dass das Angebot ausgebaut wurde, obwohl es doch nur einen Ersatz darstellt? Das Projekt „Visite Sozial“ ergänzt die Kapazitäten der übrigen Straßensozialarbeit, zu denen unter anderem auch die aufsuchende Arbeit des um die früheren sansa- Aufgaben erweiterten Projektes plata des Trägers „hoffnungsorte hamburg“ gehört. Es handelt sich daher effektiv um eine deutliche Verstärkung der für die Straßensozialarbeit im Bereich der Wohnungslosenhilfe zur Verfügung stehenden Kapazitäten. 13. Warum wurden die sansa-Mitarbeiter nicht übernommen, da sie schließlich über die Erfahrung verfügen, die die neuen Mitarbeiter sich nun erst erarbeiten müssen? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von sansa sind weiter beim Träger „hoffnungsorte hamburg“ beschäftigt. 14. Erfolgt die Einarbeitung der neuen Mitarbeiter ausschließlich über die Caritas? Wenn ja, warum? Wenn nein, durch wen noch? Die Einarbeitung der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgt in Einrichtungen beider Kooperationspartner, um die Zielgruppen des Projektes sowie die Bandbreite des Hilfesystems und die diese vernetzenden Elemente umfangreich kennenzulernen. 15. Welche weiteren Maßnahmen plant der Senat jeweils wann infolge der Erkenntnisse aus der Obdachlosenbefragung zu ergreifen? 16. In der Obdachlosenbefragung heißt es, dass der Senat und „die Vertreter der Freien Wohlfahrtspflege kein Konsens über ein gemeinsames fachlich angemessenes Fazit einschließlich Handlungsempfehlungen zu dieser Untersuchung gefunden“ haben. Gab es inzwischen weitere Treffen ? Wenn ja, wann mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Eine differenzierte Bewertung der vorliegenden Befragungsergebnisse hat nun begonnen und wird auf einer für die erste Jahreshälfte 2019 geplanten Fachtagung der zuständigen Behörde gemeinsam mit den Akteuren des Hilfesystems für Obdachund Wohnungslose fortgeführt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.