BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16342 21. Wahlperiode 01.03.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 21.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Klagewelle von Krankenkassen – Sozialgericht im Ausnahmezustand? Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über vielfältige Angelegenheiten , beispielsweise über Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende, der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung. Seit Jahren nimmt die Belastung am Sozialgericht zu, weshalb der stark anwachsenden Verfahrenszahl seit Beginn der Legislaturperiode mehrfach durch personelle Verstärkung entgegengewirkt wurde. Am 9. November 2018 beschloss der Bundestag das Pflegepersonal- Stärkungsgesetz, das unter anderem die Verjährungsfrist von Forderungen für Krankenhäuser und Krankenkassen von vier auf zwei Jahre verkürzte. Dadurch kam es zu einer massiven Klagewelle. Das „Hamburger Abendblatt“ berichtete dazu am 6. Februar 2019 in einem Interview mit dem Vize-Präsidenten des Sozialgerichts, Andreas Wittenberg: „Allein in Hamburg gingen binnen weniger Tage 2.566 Klagen ein – was einem Drittel des Gesamtaufkommens in einem Jahr entspricht, in allen Rechtsgebieten zusammen. Und manche Klagen umfassen Hunderte Fälle. Wittenberg geht von 36.000 Einzelansprüchen aus. Ein in Vollzeit beschäftigter Richter schafft im Schnitt 20 Fälle pro Monat.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat und die Hamburger Sozialgerichtsbarkeit beobachten die Situation genau. Durch die kurzfristige Verstärkung um drei Vollzeitäquivalente (VZÄ) für Richterinnen und Richter sowie fünf VZÄ für den Servicebereich, die mit dem Haushaltsplan 2019/2020 beschlossen wurden, wird dem Sozialgericht zunächst die organisatorische Bewältigung der Klagewelle erleichtert. Weitere Maßnahmen hängen von der Eingangsentwicklung und dem weiteren Vorgehen der Beteiligten ab, insbesondere von ihrer Bereitschaft zur Verständigung und zu pauschalen Erledigungsabsprachen. Die zuständigen Behörden fördern diese Bereitschaft durch verschiedene Gesprächsformate. Das Sozialgericht wurde bereits durch die Drs. 21/1979 im Jahr 2015 um drei VZÄ für Richterinnen und Richter sowie drei VZÄ im Servicebereich verstärkt. Außerdem sind dort drei VZÄ für Richterinnen und Richter sowie zwei VZÄ für den Servicebereich aus dem Stellenpool für die Fachgerichte (Drs. 21/6979) eingesetzt. Auch bei der Anwerbung neuen Personals sind die zuständige Behörde und die Sozialgerichtsbarkeit erfolgreich, wodurch des Weiteren ein Anstieg beim Ist-Stellenbestand der Sozialgerichtsbarkeit erreicht werden konnte. Drucksache 21/16342 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: I. Klagen vor dem Sozialgericht 1. Wie hat sich die Anzahl a. der Neuzugänge, b. der Erledigungen seit dem Jahr 2015 entwickelt? Bitte jeweils nach Erledigungsarten (Urteil beziehungsweise instanzbeendender Gerichtsbescheid, Beschluss, Vergleich, Übereinstimmende Erledigungserklärung, Anerkenntnis, Rücknahme, sonstige Erledigung) differenziert darstellen . 2. Wie hoch waren seit dem Jahr 2015 jeweils die Bestände am 31. Dezember? 3. Wie hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer seit dem Jahr 2015 entwickelt? Wie entwickelte sich diese im Bundesdurchschnitt ? Sozialgericht Hamburg – Klagen 2015 2016 2017 2018 Eingänge 8 958 9 440 8 986 12 080 Erledigungen gesamt 8 215 8 706 8 442 8 825 erledigt durch Endurteil 576 664 650 657 Instanzbeendenden Gerichtsbescheid 810 670 689 622 Beschluss * Gerichtlicher Vergleich 545 531 705 730 Übereinstimmende Erledigungserklärung 725 917 773 869 Anerkenntnis 1 566 1 523 1 764 1 615 Zurücknahme 2 992 3 291 2 970 3 360 Sonstige Erledigung 192 239 277 304 Bestand am Jahresende 14 664 15 388 15 932 19 187 Durchschn. Verfahrensdauer in Mon. 17,3 17,1 19,0 19,8 Durchschn. Verfahrensdauer in Mon. - Bundesdurchschnitt 15,1 15,1 15,1 ** * Die Erledigungsart „Beschluss“ gibt es bei Klagen vor dem Sozialgericht nicht. ** Die bundesdurchschnittliche Verfahrensdauer für das Jahr 2018 liegt noch nicht vor. 4. In Hamburg gingen im Rahmen der Klagewelle binnen weniger Tage 2 566 Klagen mit rund 36 000 Einzelansprüchen ein. Nach Angaben des Vize-Präsidenten gegenüber dem „Hamburger Abendblatt “ schafft ein in Vollzeit beschäftigter Richter im Schnitt 20 Fälle pro Monat. a. Handelt es sich bei den durchschnittlich 20 Fällen um Einzelansprüche oder Klagen? b. Woher stammen diese Erkenntnisse? c. Entspricht das dem Erledigungsschnitt in Hamburg und in anderen Bundesländern? Eine in Vollzeit beschäftigte Richterin beziehungsweise ein in Vollzeit beschäftigter Richter erledigt auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung im Monat durchschnittlich etwa 20 Verfahren (Klagverfahren und einstweiliger Rechtsschutz). Diese Angabe entspricht dem Ganzjahresdurchschnitt des Jahres 2018 beim Sozialgericht Hamburg im Krankenversicherungsrecht. Wie viele Einzelansprüche erledigt werden, wird nicht erfasst. Die Erledigungen je Vollzeitrichterin beziehungsweise -richter liegen auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung unterhalb des Durchschnitts der Sozialgerichts Hamburg. Der Grund liegt insbesondere in dem beim Sozialgericht Hamburg seit Jahren und unabhängig von der aktuellen Klagewelle sehr hohen Anteil von Klagen wegen Streitigkeiten zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen über Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16342 3 Abrechnungen für abgeschlossene Krankenhausbehandlungen. Diese Verfahren sind überwiegend sehr komplex und in der richterlichen Bearbeitung sehr zeitintensiv. Bundesweite Zahlen für die Erledigungen auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht bekannt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. II. Eilverfahren 1. Wie hat sich die Anzahl a. der Neuzugänge, b. der Erledigungen seit dem Jahr 2015 entwickelt? Bitte jeweils nach Erledigungsarten (Beschluss, Rücknahme, sonstige Erledigung) differenziert darstellen . 2. Wie hoch waren seit dem Jahr 2015 jeweils die Bestände am 31. Dezember? 3. Wie hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer seit dem Jahr 2015 entwickelt? Wie entwickelte sich diese im Bundesdurchschnitt ? Sozialgericht Hamburg – Eilverfahren 2015 2016 2017 2018 Eingänge 2 788 2 722 2 491 2 496 Erledigungen gesamt 2 817 2 739 2 466 2 479 erledigt durch Beschluss 1 649 1 611 1 351 1 435 Zurücknahme 357 377 306 357 Sonstige Erledigung 41 41 50 43 Bestand am Jahresende 238 223 248 265 Durchschn. Verfahrensdauer in Mon. 1,1 1,0 1,1 1,1 Durchschn. Verfahrensdauer in Mon. – Bundesdurchschnitt 1,1 1,1 1,1 ** ** Die bundesdurchschnittliche Verfahrensdauer für das Jahr 2018 liegt noch nicht vor. III. Personelle Situation Wie hat sich die personelle Situation beim Sozialgericht seit dem Jahr 2015 entwickelt? Bitte Stellen-Soll und Besetzungsumfang jeweils zum 31. Dezember nennen. 31.12.2015 31.12.2016 31.12.2017 31.12.2018 Stellensoll Stellenist Stellensoll Stellenist Stellensoll Stellenist Stellensoll Stellenist R-Stellen 42 37,6 42 41,7 45 43,7 45 44,2 Andere 64,5 56,7 64,5 60 66,5 59,9 66,5 58,1 Gesamt 106,5 94,3 106,5 101,7 111,5 103,6 111,5 102,3