BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16382 21. Wahlperiode 05.03.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 26.02.19 und Antwort des Senats Betr.: Kinder in suchtbelasteten Familien In Deutschland leben mehr als 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche in suchtbelasteten Familien.1 Eine solche Lebenssituation bedeutet für die Kinder und Jugendlichen einen hohen Alltagsstress und vielfältige Entwicklungsrisiken . Aus diesem Grund sind ausreichende und frühe Hilfsangebote für alle Betroffenen unabdingbar. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Die Definition des „suchtbelasteten Haushalts“ wird zwischen den verschiedenen Verbänden, Fachexperten und dem Drogenbeauftragten der Bundesregierung nicht einheitlich verwendet. Welches Verständnis legt der Senat dem Begriff „suchtbelasteter Haushalt“ zugrunde? Ein suchtbelasteter Haushalt liegt dann vor, wenn mindestens ein Elternteil oder eine für die Erziehung verantwortliche Person suchtkrank ist. 2. Von welcher Zahl an suchtbelasteten Haushalten geht der Senat in Hamburg aus? Für Klientinnen und Klienten die ein Angebot der Suchthilfe aufsuchen, können belastbare Zahlen dem jährlich veröffentlichten Statusbericht der Hamburger Basisdatendokumentation entnommen werden. Regelhaft berichtet wird der Anteil der Personen , die mit minderjährigen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben. Für den aktuellen Berichtszeitraum 2017 waren dies in absolute Zahlen umgerechnet circa 1 449 Personen. Aus technischen Gründen kann nicht nachvollzogen werden, ob manche dieser Personen einen gemeinsamen Haushalt bilden, sodass die Anzahl der durch die Basisdatendokumentation erfassten Haushalte gegebenenfalls geringer sein könnte. Berechnungsgrundlage waren alle Personen, zu denen in der Basisdatendokumentation Angaben zur Fragestellung vorlagen. Da dies nicht alle erfassten Klientinnen und Klienten beinhaltet, ist anzunehmen, dass die reale Zahl höher liegt. Zusätzlich ist von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer an suchtbelasteten Haushalten auszugehen, da nicht alle Suchterkrankten das Hilfesystem in Anspruch nehmen und somit auch nicht durch die Basisdatendokumentation erfasst werden können. 3. Wie hoch ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen in suchtbelasteten Haushalten in Hamburg? Für die suchbelasteten Haushalte, von denen mindestens ein Elternteil im Hamburger Suchthilfesystem betreut wird, lassen sich Angaben aus dem Statusbericht der Hamburger Basisdatendokumentation errechnen. Für 2017 ergibt sich eine Zahl von circa 1 Die Zeitung für Suchtprävention NO. 49, Seite 1; Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung , Kinder aus suchtbelasteten Familien, Seite 4. Drucksache 21/16382 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2 246 minderjährigen Kindern, die in einem suchtbelasteten Haushalt leben. Die Zahl unterliegt aber den bereits in der Antwort zu 2. ausgeführten Beschränkungen, sodass insgesamt in Hamburg von einer höheren Zahl an Kindern und Jugendlichen auszugehen ist. 4. Welche Erhebungen bilden die Basis für die Zahlen nach Fragen 2. und 3.? Siehe Antworten zu 2. und zu 3. 5. Wie haben sich die Zahlen nach Fragen 2. und 3. in den letzten fünf Jahren entwickelt? 2013 2014 2015 2016 2017 Personen mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt 1 554 1 554 1 478 1 504 1 449 Minderjährige Kinder in suchtbelasteten Haushalten 2 364 2 467 2 252 2 303 2 246 Quelle: Statusberichte der Hamburger Basisdatendokumentation 6. Bestehen Mechanismen zur Erkennung von potenziellen Problemlagen im Zusammenhang mit Kindern aus suchtbelasteten Haushalten in den Hamburger Kitas, Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen? Zur Erkennung möglicher Kindeswohlgefährdungen im häuslichen Umfeld der in Kitas betreuten Kinder, zu denen auch Suchtbelastungen gehören können, gibt es folgende Verfahren: Alle Hamburger Kitas sind verpflichtet, der „Rahmenvereinbarung zum Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 8a Abs. 4 und 72a Abs. 2 u. 4 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII)“ beizutreten. Gemäß § 45 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch müssen die Kitas Schutzkonzepte erarbeiten, in denen dargestellt wird, wie die Umsetzung der Rahmenvereinbarung erfolgt (siehe www.hamburg.de/contentblob/119002/746e0a403c5bd6ebdb36c2c8116055ab/data/ rahmenvereinbarung.pdf). Zusätzlich enthält der Landesrahmenvertrag „Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen“ (LRV) für alle Kitas, die dem LRV beigetreten sind, verbindliche Regelungen zur Zusammenarbeit zwischen den Personensorgeberechtigten, der Kita und dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) in Fällen von Kindeswohlgefährdung und Hilfen zur Erziehung. Wenn die Fachkräfte der Kitas bei den schwierigen Abwägungsprozessen und Entscheidungssituationen im Kontext einer Kindeswohlgefährdung Unterstützung benötigen, können die Kinderschutzkoordinatorinnen oder Kinderschutzkoordinatoren der Bezirksämter hinzugezogen werden. Das SuchtPräventionsZentrum (SPZ) des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) bietet regelhaft zur Thematik „Kinder aus suchtbelasteten Familien “ Fortbildungen im Rahmen der Beratungslehrkräfteausbildung und als ausgeschriebene Fortbildung in Kooperation mit den Beratungsstellen „Sucht und Wendepunkt “ und „Kompaß“ an (zum Beispiel http://tis.li-hamburg.de/web/guest/catalog/ detail?tspi=48505_). Im Rahmen der Fortbildungen werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die sehr unterschiedlichen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen in betroffenen Familien sensibilisiert. Es werden Interventionsschritte erarbeitet, wie Kinder und Jugendliche im System Schule unterstützt und betroffene Eltern angemessen angesprochen und für Interventionen erreicht werden können. Hamburger Hilfemöglichkeiten für Betroffene werden vorgestellt (www.drogenberatung-hamburg.de/startseite) und auf das Fachkräftenetzwerk Connect – Hilfe für Kinder aus suchtbelasteten Familien –, das in fünf Hamburger Bezirken besteht, verwiesen (www.sucht-hamburg.de/praevention/settings/familie). Zur Abklärung des Kinderschutzes beziehungsweise möglicher Kindeswohlgefährdung werden die Interventionsmöglichkeiten und rechtlichen Grundlagen erläutert. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16382 3 Im Rahmen der Beratung im System Schule werden die Vorgaben des Kinderschutzes standardmäßig berücksichtigt. 7. Welche Hilfsangebote für Kinder aus suchtbelasteten Haushalten bestehen in Hamburg? Die Hamburger Suchthilfe und Suchtprävention bieten Kindern und Jugendlichen folgende Angebote an: - Das Projekt Iglu des Trägers Palette e.V. richtet sich an Kinder und deren drogenabhängige Eltern. - Das Projekt Kompaß, des Trägers Trockendock e.V., steht Kindern und alkoholabhängigen Eltern zur Verfügung. - Der Verein Such(t) und Wendepunkt steht ebenfalls sowohl Eltern als auch Kindern beratend zur Verfügung. - Betroffene Kinder können sich ebenfalls an die Beratungsstelle Kö*Schanze wenden . Die der Selbsthilfe zugehörige Organisation „Al-Anon Familiengruppen für Angehörige und Freunde von Alkoholikern“, bietet ebenfalls zahlreiche Gruppen für Angehörige in Hamburg an. Viele Jugendhilfeträger berücksichtigen die Zielgruppe suchtbelasteter Eltern und ihrer Kinder in ihren ambulanten Konzepten und Leistungsvereinbarungen. Spezialisierte Angebote für Kinder suchtbelasteter Eltern halten Nordlicht e.V. und PINK vor. 8. Welche Hilfsangebote für suchtbelastete Eltern bestehen in Hamburg? Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung kann das Jugendamt sowohl Hilfen für suchtbelastete Eltern in Form von Sozialpädagogischer Familienhilfe nach § 31 SGB VIII als auch insbesondere Einzelbetreuung nach § 30 SGB VIII für deren Kinder bewilligen. Die Hilfen werden hierfür von den Sorgeberechtigten beim zuständigen ASD beantragt . Erhält der zuständige ASD in solchen Fällen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, handelt er entsprechend der rechtlichen Vorgaben und der für Hamburg geltenden fachlichen Standards zum Kinderschutz. Viele Jugendhilfeträger berücksichtigen die Zielgruppe suchtbelasteter Eltern und ihrer Kinder in ihren ambulanten Konzepten und Leistungsvereinbarungen. Sie reagieren flexibel auf die Lebenslagen und Bedürfnisse junger Menschen und gehen ganzheitlich auf ihre Sorgen und Nöte ein. In ihnen werden im Wesentlichen auch die Aufgaben des erzieherischen Jugendschutzes wahrgenommen, der junge Menschen befähigen soll, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen und sich gegebenenfalls weitergehende Hilfe zu suchen. Unterstützung für Kinder und Jugendliche bieten auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinder- und Jugendtelefons der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. Das Kinder- und Jugendtelefon ist ein leicht erreichbares Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche, die sich anonym und ohne Vermittlung von Erwachsenen an eine kompetente Beratung werden können. Melden sich Betroffene in psychischen Krisensituationen beziehungsweise akuten Notlagen, erfolgt auch eine gemeinsame Suche nach Lösungswegen. Dazu kann auch die Ermutigung gehören, eine weitergehende Beratung und Betreuung durch spezialisierte Beratungseinrichtungen aufsuchen. Spezialisierte Angebote für suchtbelastete Eltern halten folgende Träger vor: Palette e.V., Such(-t), Wendepunkt e.V. sowie Therapiehilfe e.V. Darüber hinaus finden suchtbelastete Eltern in allen Hamburger Hilfeangeboten für Suchterkrankte Unterstützung (siehe www.drogenberatung-hamburg.de). Daneben stehen die schulischen Beratungsdienste, Beratungslehrkräfte, die Beratungsabteilungen der regionalen Bildungs - und Beratungszentren (ReBBZ) und das SPZ/LI als Ansprechpartner für betroffene Kinder und Eltern zur Verfügung und vermitteln gegebenenfalls in spezialisierte Hilfeangebote. Drucksache 21/16382 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Mit den von SUCHT.HAMBURG koordinierten und verwalteten Projekten Lina-Net und Connect stehen zwei Netzwerkansätze für Fachkräfte, die mit der Klientel in Berührung kommen, zur Verfügung, die es ermöglichen, individuelle Hilfs- und Unterstützungsangebote für suchtbelastete Eltern zu ermitteln. Im Rahmen des Hamburger Landeskonzeptes Frühe Hilfen „Guter Start für Hamburgs Kinder“ unterstützt das Fachportal (www.fruehehilfen-hamburg.de) Fachkräfte bei der Suche nach den passenden Angeboten zur Unterstützung der Familie in ihrem sozialen Umfeld. Im Übrigen siehe Antwort zu 7. 9. Welche Präventionsangebote speziell für suchtbelastete Familien bestehen in Hamburg? Die Einrichtungen und Angebote der Frühen Hilfen und Familienförderung stellen wichtige präventive Unterstützungsangebote für belastete Familien dar. Suchterfahrungen in Familien treten zumeist in Kombination mit anderen Belastungsfaktoren auf. Hier gilt es, die Familien frühzeitig und niedrigschwellig zu erreichen, zu beraten und zu unterstützen und im Bedarfsfall auf spezialisierte Angebote zu verweisen. Die Angebote der Frühen Hilfen setzen mit den Babylotsen, Familienteams und regionalen Netzwerken bereits in der Schwangerschaft an und bieten insbesondere Familien in psychosozialen Problemlagen bedarfsgerechte Unterstützung mit dem Ziel der Verbesserung der Gesundheits- und Erziehungskompetenz, der Bewältigung des Alltags und einer Stärkung der eigenen Potenziale und Ressourcen. Auch die Erziehungsberatungsstellen und Familienbildungseinrichtungen, wie zum Beispiel die Elternschulen, Eltern-Kind-Zentren und konfessionellen Familienbildungseinrichtungen sowie Angebote der Familienförderung helfen, das Familiensystem zu stärken und die Familien vor Isolation zu bewahren beziehungsweise diese zu überwinden. Diese Angebote werden mit Landesmitteln und teilweise mit Bundesmitteln finanziert. Das SPZ/LI thematisiert im Rahmen suchtpräventiver Unterrichtsmaterialien, die in den Jahrgängen 7 bis 10 aller weiterführenden Schulen eingesetzt werden, sowie in der Unterrichtswerkstatt Alkohol, das Thema „Alkohol und Schwangerschaft“ und Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD). Es wird regelhaft auf Elternveranstaltungen zum Thema informiert und Materialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (zum Beispiel www.bzga.de/ infomaterialien/alkoholpraevention/alkoholpraevention/andere-umstaende-neueverantwortung /) und zu Hamburger Hilfeangeboten werden weitergegeben. Im Übrigen siehe Antworten zu 7. und zu 8. Die dort genannten Angebote haben alle auch einen suchtpräventiven Auftrag. 10. Welche Standards zum Umgang mit suchtbelasteten Familien bestehen in den Hamburger Kitas, Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen? Grundsätzlich sind alle Kindertageseinrichtungen Orte der Begegnung und Unterstützung für Familien. Für alle Kitas des Hamburger Kita-Gutschein-Systems gelten die „Hamburger Bildungsempfehlungen für die Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen“. Ein wesentlicher Aspekt der Arbeit in den Kitas ist die Bildungsund Erziehungspartnerschaft mit den Eltern. Pädagogische Fachkräfte einer Kita können gegebenenfalls aufgrund ihrer Kenntnis der familiären Situation Eltern mit individuellen Beratungsbedarfen an entsprechende Beratungsstellen, Ärzte oder Therapeuten vermitteln. Darüber hinaus bieten insbesondere die an Kitas angeschlossenen Eltern-Kind-Zentren Beratungs- und Präventionsangebote und kooperieren beispielsweise mit Erziehungs-, Familien- und Mütterberatungsstellen, Elternschulen, Hebammen sowie Akteuren aus dem Gesundheitswesen. Im Übrigen siehe Antwort zu 6. 11. Welche Projekte zur Prävention familiärer Suchtbelastung und Hilfe für suchtbelastete Familien fördert der Senat? Siehe Antworten zu 7., zu 8. und zu 9.