BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16474 21. Wahlperiode 15.03.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 08.03.19 und Antwort des Senats Betr.: Unterstützung der „Erklärung der Vielen“ durch die Behörde für Medien und Kultur (III) Die Behörde für Medien und Kultur (BKM) sowie ihr Präses Dr. Carsten Brosda (SPD) solidarisieren sich unter Verwendung ihrer Amtsbezeichnungen und unter Zugriff auf behördliche öffentliche Ressourcen mit der „Erklärung der Vielen“, einer Kampagne zahlreicher Künstler öffentlicher und öffentlich geförderter Kultureinrichtungen, die a) sich gegen einen vermeintlichen Angriff beziehungsweise eine Einflussnahme durch „rechten Populismus“ auf (Hamburger) Kultureinrichtungen wendet, b) dabei explizit – wie aus den öffentlichen Aussagen der Hamburger Unterstützer hervorgeht – die parlamentarischen Aktivitäten der AfD- Bürgerschaftsfraktion in Bezug auf Hamburger Kultureinrichtungen als eine solche problematische Einflussnahme kritisiert, gegen die es anzukämpfen gelte (Anmerkung: obwohl die BKM keinen einzigen Vorgang auf eine derartige Einflussnahme darlegen kann, Drs. 21/15134, Fragen 13. – 31.), c) im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien mit zahlreichen Artikeln und Beiträgen explizit gegen die Partei AfD hetzt, Demonstrationen gegen die Partei organisiert, zu ihnen aufruft und dabei Transparente und Parolen mit unsachlichen, vulgären und abfälligen Bezeichnungen über die Partei öffentlich präsentiert,1 d) Theater- und Kulturhäuser als Unterstützer der Kampagne führt, die regelmäßig linksextremistischen, darunter auch gewaltorientierten, Organisationen und Gruppierungen Räume zur Verfügung stellen oder mit diesen gemeinsame Veranstaltungen durchführen.2 Der preisgekrönte Schriftsteller Uwe Tellkamp kritisierte im Rahmen eines Streitgespräches im Dresdener Kulturpalast am 8. März 2018 unter anderem eine tendenzielle Berichterstattung in der Flüchtlingskrise, Beleidigungen gegenüber Ostdeutschen, die Herabwürdigung von Flüchtlingskritikern und das sich abzeichnende Versagen der Integrationspolitik.3 Die Positionen Tellkamps lösten insbesondere in der Kulturszene ein breites Echo an Kritik aufgrund Tellkamps vermeintlichen „rechtspopulistischen“ oder „AfD-nahen“ 1 Vergleiche umfassend Drs. 21/15134 (Einleitung). 2 Vergleiche umfassend Drs. 21/15134 (Fragen 32. – 92.). 3 https://www.dresdner.nu/kritik.nu/Streitgespraech-zwischen-Durs-Gruenbein-und-Uwe- Tellkamp.5AA297A7.1472.html.php (abgerufen am 04.03.2019). Drucksache 21/16474 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Positionen aus; sein eigener Verlag (Suhrkamp-Verlag) distanzierte sich von den Positionen des Autors. Einige Tage später sagte Tellkamp eine geplante Lesereise durch Norddeutschland ab, unter anderem war auch eine Lesung im Internationalen Maritimen Museum Hamburg vorgesehen. Er begründete die Absage damit, dass er sich „nach den Vorkommnissen bei der Diskussion in Dresden momentan nicht in der Lage (fühle), Lesungen vor Publikum durchzuführen“.4 Es liegt sehr nahe, dass sich Tellkamp damit auf den Druck der linksgeprägten Kulturszene und insbesondere seines Verlages vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Abhängigkeit mit weiteren politischen Statements zunächst aus der Öffentlichkeit zurückzog. In einem offenen Brief kritisierte Tellkamp im November 2018 erneut die politische Debattenkultur und ging dabei auf die kurz zuvor initiierte „Erklärung der Vielen“ ein. Er schrieb: „Diese Erklärung, ein weiteres Dokument, für das sich einige der Unterzeichner vielleicht einmal schämen werden, zeigt den viel bestrittenen Gesinnungskorridor ebenso erschütternd wie deutlich. Man wolle diskutieren, Meinungen , die nicht passen, aber kein Forum bieten. Wer zieht die Grenze? Wie will man diskutieren, ohne ein Forum zu bieten? Wer legt fest, welche Position noch diskutabel ist – und welche bereits unter „kein Forum bieten“ fällt? Ist die freie Debatte nicht eine Grundlage der Demokratie, in deren Namen sie von den Unterzeichnern dieser Erklärung behindert, wenn nicht unterbunden werden soll? Kommt man nicht erst in freier Debatte zur Selbstvergewisserung und zu Positionen, die tragen? Diese Erklärung, nach Aussagen einiger Interviewter bewußt am 9. November veröffentlicht, ist für mich ein Tiefpunkt der Debatten- und Toleranzkultur und zeugt von nichts anderem als dem moralischen und intellektuellen Bankrott der Initiatoren. Was bleibt, ist Hysterie – ein „Wehret den Anfängen“, dem das „Wehret dem Ende“ längst abhanden gekommen ist. Wie soll ich es verstehen, wenn in meiner Heimatstadt Dresden (aber die Erklärung gilt auch für Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin) nahezu die gesamte öffentliche und öffentlich geförderte Kulturszene sich gegen „rechts“ (oder was man dafür hält), nicht aber gleichzeitig gegen „links“ stellt, man zwar erklärtermaßen dem Extrem auf der einen Seite, nicht aber auch dem auf der anderen eine Absage erteilt? Für wen meinen Staatsoper, Schauspielhaus , Philharmonie, Hochschulen, Museen zu sprechen, sind alle ihre Mitglieder und Mitarbeiter dazu befragt worden? Und von wem? Sieht so wirkliche Liberalität aus? Eine solche institutionell getragene Intoleranzmaßnahme und -erklärung, ihr Auftritt allerdings mit Rettungs-Goldfolie und im Ton der lautersten Moral und Selbstgerechtigkeit, hat es seit der Biermann-Affäre nicht mehr gegeben. Das sind die Zustände, das ist das Land.“ Bereits in Drs. 21/14041 hat der Unterzeichner auf Kritik hinsichtlich der Verwendung des Begriffes „Rechtspopulismus“ als politischen Kampfbegriff gegen Andersdenkende verwiesen. Hierzu noch einmal die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Quellen, die diese These untermauern: Der Politikwissenschaftler und Demokratieforscher Prof. Dr. Oliver Marchart vertritt den Standpunkt, dass mit dem „Schlagwort Populismus oft politische Alternativen denunziert“ würden. In einem Interview sagt er: 4 https://www.imm-hamburg.de/2018/03/lesung-uwe-tellkamp-abgesagt/ (abgerufen am 04.03.2019). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16474 3 „Es herrscht in der Forschung inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, dass Populismus keine bestimmte Ideologie ist oder bestimmte Inhalte vertritt. Während sich etwa der Sozialismus für soziale Gleichheit oder der Liberalismus für individuelle Rechte einsetzt, kann man beim Populismus keine solche Zuordnung treffen. Populismus ist eher eine politische Mobilisierungslogik , in der „das Volk“ gegen eine Elite oder einen Machtblock mobilisiert wird. Mit „dem Volk“ meine ich zunächst einmal die Wahlbevölkerung, dann aber auch die souveräne Instanz in der Demokratie: den Volkssouverän. Der ist natürlich eine politische und juristische Fiktion, aber eine unumgängliche. In diesem zweiten Sinn gehört so etwas wie Populismus zur Demokratie dazu, denn eine Demokratie ohne „demos“, auch wenn es sich dabei nur um eine diskursive Figur handelt, ist letztlich keine Demokratie. Demokratie kann diesen Schatten des „demos“ nicht loswerden, ansonsten würde sie zu einer oligarchischen Herrschaft von Funktionseliten verkommen. In den Medien begegnen wir meistens einer pauschalen Kritik an Populismus per se. Wenn aber zutrifft, dass Populismus an sich noch keinen bestimmten ideologischen Inhalt hat, dann ist auch die pauschale Kritik am Populismus inhaltslos. Denn dann wird nur eine bestimmte Form der Mobilisierung kritisiert. Wofür konkret mobilisiert wird, ist dann nebensächlich. Es gibt aber ein nicht unbegründetes Misstrauen gegenüber dem politischen Angebot. Populismus verschafft diesem Misstrauen Ausdruck. Über die dann angebotenen Alternativen lässt sich streiten. Aber die Populismuskritik durch Medien und traditionelle Parteien erscheint oft als Kritik an jeder Form der Alternative zum neoliberalen Status quo. Mit dem Hinweis „Populismus“ kann leicht jede Alternative unabhängig von ihrem Inhalt denunziert werden, egal ob sie sich als linke oder rechte Alternative definiert. Dann lässt sich nicht mehr zwischen einem autoritären und womöglich antidemokratischen Populismus und Demokratisierungsbewegungen unterscheiden, die sich auch der Semantik „Volk“ versus Regierende bedienen können. Wie etwa Podemos in Spanien und vor einiger Zeit noch Syriza in Griechenland.“5 Der Historiker Prof. Dr. Michael Wolffsohn sieht in dem Begriff „Populismus“ ebenfalls ein „Schlagwort“ und sagt über seine Verwendung im politischen Diskurs: „Das ist politisches Boxen. Der jeweilige politische Gegner soll damit nicht nur getroffen, sondern sozusagen k. o. geschlagen werden. Das Schmähwort „Populist“ ist selten Argument und fast immer eine politische Keule. Ja, Populismus ist im politischen Vokabular negativ besetzt. Der Wortbedeutung nach besagt „Populist“ eigentlich nichts Anderes als „Demokrat“, nämlich eine Person , die Wünsche aus dem Volk beziehungsweise des Volkes aufgreift. „Populus “ bedeutet im Lateinischen Volk. Das griechische Wort für Volk heißt „demos“. Daraus folgt: Wenn ein Demokrat jemanden als Populisten beschimpft, beschimpft er eigentlich sich selbst und gibt zu: Ich widerspreche dir, aber habe keine Argumente. Das wiederum heißt: Er oder sie setzt sich nicht mit den Inhalten seines Gegners auseinander, seien sie richtig oder falsch. Und daraus folgt wiederum: Durch die Dummheit von Demokraten bekommen sogenannte Populisten Oberwasser.“6 Die Politologen Prof. Dr. Dirk Jörke und Dr. Veith Selk, führend auf dem Gebiet der Populismusforschung, kritisieren in dem Grundlagenwerk „Theorien des Populismus zur Einführung“ (2017) eine „vor allem moralische Zurückweisung des Populismus, die in der liberalen Politikwissenschaft überhandgenommen hat und kaum mehr nach gesellschaftlichen Ursachen dieses Aufbegehrens“ sucht. Statt „populistische Politik bloß normativ zu ver- 5 https://www.derstandard.de/story/2000062428651/die-kritik-am-populismus-ist-inhaltslos (abgerufen am 22.07.2018). 6 http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Was-ist-Populismus;art673,2403282 (abgerufen am 22.07.2018). Drucksache 21/16474 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 dammen, tragen sie Erklärungen zusammen, die Populismus als Reaktion auf unter anderem zunehmende Bürokratisierung, die Oligarchisierung der Wirtschaft oder korrupte Eliten“ erklärt.7 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Hat sich die Behörde für Kultur und Medien (BKM) seiner Zeit mit dem Autor Uwe Tellkamp solidarisiert, weil dieser aufgrund des Drucks linker Kulturschaffender und des eigenen Verlages eine Lesereise durch Norddeutschland (mit geplanter Station im öffentlich geförderten Maritimen Museum Hamburg) absagte? Wenn nein, warum nicht? 2. Warum solidarisiert sich die BKM mit einem Verein – getragen von nahezu der gesamten Hamburger öffentlichen und öffentlich geförderten Kulturszene –, der sich gegen „rechts“ (oder was man dafür hält), nicht aber gleichzeitig gegen „links“ stellt, man zwar erklärtermaßen dem Extrem auf der einen Seite, nicht aber auch dem auf der anderen eine Absage erteilt – und überdies hinaus gemeinsame Veranstaltungen mit Linksextremisten durchführt oder diesen Räume zur Verfügung stellt? Nein. Siehe Drs. 21/15134 und 21/16473. 3. Warum macht sich die BKM überhaupt einen so umstrittenen und indifferenten Begriff wie dem des „Rechtspopulismus“ zu eigen (Drs. 21/15134, Seite 1) und warum bezieht sich die BKM hierbei auf unwissenschaftliche Quellen wie den „Duden“ oder auf tendenziöse Quellen wie die Bundeszentrale für politische Bildung (Drs. 21/15134, Seite 11), die in dem zitierten Dossier unter weitgehender Weglassung politikwissenschaftlich relevanter Kritik am „(Rechts-)Populismusbegriff“ sehr einseitig das linksliberale Konzept von „Rechtspopulimus“ als „Schwarz-Weiß-Dichotomie „Volk“ gegen „korrupte Elite““ darlegt und spezifische Parteien und Politiker diffamiert? 4. Welche Parteien und Politiker gehören denn nach Auffassung der BKM zum „Rechtspopulismus“? Die für Kultur und Medien zuständige Behörde teilt weder die Einschätzung des Fragestellers noch die Bedenken hinsichtlich des Dudens und der Bundeszentrale für politische Bildung. Darüber hinaus hat sich die für Kultur und Medien zuständige Behörde damit nicht befasst. 5. Warum warnt die BKM nicht gleichermaßen vor „linkspopulistischen“ Einflussnahmen auf die Hamburger Kultureinrichtungen und orientiert sich dabei analog an der Definition zu „Linkspopulismus“ im „Duden“ sowie an folgendem Grundlagenbeitrag der Bundeszentrale für politische Bildung : Florian Hartleb: „Linkspopulismus – ein vernachlässigtes Problem ?“? Siehe Drs. 21/16473. 6. Kann die BKM ausschließen, dass die öffentlich geförderten Hamburger Kultureinrichtungen derzeit frei von „linkspopulistischen Tendenzen“ oder „Einflussnahmen“ sind? Wenn nein, hat die BKM dadurch die Kunstfreiheit bedroht? Die für Kultur und Medien zuständige Behörde bewertet die Arbeit öffentlich geförderter Kultureinrichtungen nicht anhand politikwissenschaftlicher Klassifizierungssysteme. 7 https://literaturkritik.de/van-reybrouck-fuer-einen-anderen-populismus-selk-joerketheorienpopulismus -zur-einfuehrung-theorie-praxis-populismus,24245.html#biblio (aufgerufen am 23.07.2018).