BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16487 21. Wahlperiode 19.03.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Norbert Hackbusch (DIE LINKE) vom 11.03.19 und Antwort des Senats Betr.: Befahrensregelungen auf der Delegationsstrecke für Großcontainerschiffe , hier: Kollision der „Ever Given“ am 09.02.2019 Enak Ferlemann, MdB und Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, antwortet am 26.02.2019 auf die Fragen 295/02 bis 296/02 (Genehmigung zum Auslaufen, Leinenverbindung mit Schlepper) in Schriftlichen Fragen von MdB Manuel Sarrazin: „Die Kollision fand auf der Delegationsstrecke im Zuständigkeitsgebiet der Hamburg Port Authority statt. Der Bundesregierung liegen daher zum Unfallhergang keine eigenen Erkenntnisse vor.“ Auf die Frage 294/02 zu den Windgeschwindigkeiten in Hamburg und der Außenelbe benennt er lediglich die relevanten Windgeschwindigkeiten und Befahrensregelungen für die Bundesstrecke zwischen Tonne 125 und Tonne Elbe, aber nicht die Regelungen für die Hamburger Delegationsstrecke zwischen Hafen und Tonne 125. Es ergeben sich daraus für die Delegationsstrecke folgende Fragen an den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der Hamburg Port Authority AöR (HPA) wie folgt: 1. Außergewöhnlich große Fahrzeuge (AGF) bedürfen für das Befahren des Reviers Elbe einer Schifffahrtspolizeilichen Genehmigung (SpG) nach § 57 SeeSchStrO.1 a) Welche Windstärkenrestriktionen gelten für AGF auf der Delegationsstrecke zwischen Hafen und Tonne 125? Bitte tabellarisch nach Schiffsgrößen aufschlüsseln. Hafengrenze – Parkhafen/Waltershofer Hafen: Außergewöhnlich große Fahrzeuge (AGF) ab 330 m bis 360 m Länge maximal Windstärke 7 Beaufort AGF ab 360 m bis 400 m Länge maximal Windstärke 6 Beaufort Hafengrenze – Vorhafen AGF ab 330 bis 400 m Länge maximal Windstärke 6 Beaufort 1 https://www.elwis.de/DE/Schifffahrtsrecht/Seeschifffahrtsrecht/SeeSchStrO/Achter- Abschnitt/--57/--57-node.html. Drucksache 21/16487 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Hafengrenze – Köhlbrand/Süderelbe AGF ab 330 m bis 370 m Länge maximal Windstärke 6 Beaufort b) Auf welcher Grundlage treffen die diensthabenden Schifffahrtspolizisten über die jeweilige Ein- und Auslaufgenehmigungen ihre Entscheidung ? Wo sind diese Grundlagen öffentlich nachzulesen? Grundlage ist die jeweils erteilte schifffahrtspolizeiliche AGF Genehmigung gemäß § 57 (1) SeeSchStrO in Verbindung mit § 1 Hafenverkehrsordnung (HVO). Die Genehmigungen werden der Antragstellerin zugestellt. Kopien gehen an die Wasserschutzpolizei , die Hafenlotsen, die Elblotsen sowie an Wasser- und Schifffahrtsämter Hamburg und Cuxhaven. Eine Weitergabe von Kopien der Genehmigungen über diesen Verteiler hinaus, sowie eine Veröffentlichung erfolgt nicht. c) Durch wen sind diese Entscheidungsgrundlagen definiert worden? Durch das Oberhafenamt der HPA als Schifffahrtspolizeibehörde für den Hamburger Hafen. d) Wo stehen die für die Entscheidung relevanten Windmessgeräte und wer betreibt diese? Bitte wie bei der Bundesstrecke (Bake A) durch genaue Positionsangabe und Bezeichnung benennen. Das relevante Windmessgerät steht auf dem Gebäude „Seemannshöft“ und wird von der HPA betrieben. e) Wo sind diese Windmessungen öffentlich abrufbar? Die Windmessungen sind nur innerhalb der HPA sowie durch die Hafenlotsen abrufbar . 2. Sollten in der Entscheidungsgrundlage für windbedingte Restriktionen beispielsweise Begriffe einer „stetigen“ oder einer „mittleren“ Windgeschwindigkeit angeführt sein, bitte ich um Darlegung, welcher Algorithmus für die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Windgeschwindigkeit verwendet wird. Grundlage für die in der Antwort zu 1. a) genannten maximalen Windgeschwindigkeiten ist die Anzeige der mittleren Windgeschwindigkeit innerhalb der letzten zehn Minuten der Windmess Seemannshöft. 3. Für Seeschifffahrtsstraßen können nach § 30 (3) SeeSchStrO2 durch die zuständigen Behörden weitere Befahrensvoraussetzungen festgelegt werden. Für das Gebiet der Elbe hat die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord unter Ziffer 14.2 zum Beispiel Höchsttiefgänge und Tidefenster festgelegt. Unter 14.2.2 werden für Teile der Bundesstrecke allgemeine explizite Fahrverbote zum Beispiel Begegnungsverbot bei addierten Breiten >90m, und Beschränkungen zwischen Störmündung/Rhinplate Nord und der Landesgrenze Hamburg benannt. a) Wer legt derartige allgemeine Fahrverbote und Beschränkungen für den Bereich der Delegationsstrecke fest? Ich bitte um genaue Bezeichnung der Dienststelle. Das Oberhafenamt der HPA. b) Wo sind diese allgemeinen Fahrverbote öffentlich nachzulesen? Siehe Antwort zu 1. b). c) Wie lauten die schifffahrtspolizeilichen Vorgaben für Schlepperunterstützung bei außergewöhnlich großen Fahrzeugen (AGF, zum 2 https://www.elwis.de/DE/Schifffahrtsrecht/Seeschifffahrtsrecht/SeeSchStrO/Vierter- Abschnitt/30/30-node.html. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16487 3 Beispiel Großcontainerschiffe) bei ein- und auslaufendem Befahren der Delegationsstrecke? Bei AGF ab einer Länge von 360 m muss einkommend ab der Landesgrenze (Tonne 125) ein Schlepper mit einem Mindestpfahlzug von 50 t das Schiff begleiten. Bei AGF ab einer Länge > 371 m ist aufkommend und abgehend zwischen der Landesgrenze (Tonne 125) und Parkhafen beziehungsweise Vorhafen beziehungsweise Köhlbrand ein Heckschlepper mit einem Pfahlzug von mindestens 70 t anzunehmen und eine Leinenverbindung herzustellen. Zusätzlich sind bei AGF ab eine Länge von 360 m für alle Dreh-, An- und Ablegemanöver einkommend und ausgehend mindestens zwei Schlepper mit zusammen mindestens 100 t Pfahlzug anzunehmen. Bei Schiffen ab 370 m erhöht sich der erforderliche Pfahlzug auf mindestens 140 t. In Abhängigkeit des anzulaufenden Hafenbereiches gelten weitergehende Schlepperannahmeverpflichtungen ab Windstäke 5 und 6 Beaufort. d) Wo sind diese Vorgaben öffentlich nachzulesen? Siehe Antwort zu 1. b). 4. Das „Hamburger Abendblatt“3 berichtet am 12.02.2019: „Zum Zeitpunkt der Kollision um 9.28 Uhr lag die Windgeschwindigkeit in Hamburg demnach bei fünf bis sechs Beaufort (Südwest). Allerdings wurde nur zwei Minuten (!) nach der Kollision schließlich ein Windfahrverbot von der Revierzentrale Cuxhaven ausgesprochen. Die Windstärken waren zuvor bereits stark zunehmend, außerdem verschärften offenbar Schauer die Wetterlage.“ a) Wie werden Wetterprognosen bei der schifffahrtspolizeilichen Genehmigung von Fahrten von AGF auf der Delegationsstrecke in die Entscheidungsfindung einbezogen? Bitte die Entscheidungsgrundlagen und den Entscheidungsablauf der Schifffahrtspolizei generell und für die Fahrt der „Ever Given“ darlegen. Grundlage für Windfahrverbote auf der Delegationsstrecke sind die Messwerte der Windmessanlage Seemannshöft. Zusätzlich werden die Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes für den Hamburger Hafen und die amtlichen Sturmwarnungen des Deutschen Seewetterdienstes berücksichtigt. Im Übrigen siehe Antwort zu 6. b). b) Welche Notfallpläne existieren für AGF bei außergewöhnlichen, nicht vorhersehbaren Wetteränderungen auf der Delegationsstrecke ? Bei den in den Antworten zu 1. a) und zu 3. c) genannten Wind- und Schlepperauflagen ist die Schifffahrtspolizeibehörde jederzeit berechtigt, je nach Sachlage zusätzliche Auflagen zu erteilen, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs auch in Notfällen zu gewährleisten. 5. Das „Hamburger Abendblatt“4 berichtet am 15.02.2019: „Als unmittelbare Konsequenz aus dem Unfall wurde eine neue sogenannte schifffahrtspolizeiliche Verfügung erlassen: Schiffe, die länger als 371 Meter sind, müssen ab sofort auch beim Auslaufen aus dem Hamburger Hafen eine Leinenverbindung mit einem Schlepper halten. Bisher galt das nur beim Einlaufen.“ a) Sind nach dem 09.02.2019 Änderungen für die Befahrung der Delegationsstrecke durch AGF erlassen worden? 3 https://www.abendblatt.de/hamburg/article216420709/Ever-Given-Containerschiff-Hadag- Faehre-Finkenwerder-Blankenese-Pontons.html. 4 https://www.abendblatt.de/hamburg/polizeimeldungen/article216451583/Fehlerhafte- Navigation-fuehrte-zu-Kollision-mit-Hafenfaehre.html. Drucksache 21/16487 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b) Wenn ja, bitte beschreiben und öffentlich nachlesbare Quelle angeben . Wenn nein, bitte erläutern, warum nichts geändert wurde. Die schifffahrtspolizeilichen AGF Genehmigungen für Schiffe > 371 m Länge gemäß § 1 Absatz 1 Nummer 1 Hafenverkehrsordnung i.V.m. § 57 Absatz 1 Seeschifffahrtsstraßen -Ordnung wurden gemäß der schifffahrtspolizeilichen Verfügung Nummer 001/2019 wie folgt angepasst: Es besteht die Verpflichtung, auch ausgehend eine Leinenverbindung zu dem Begleitschlepper bis zur Landesgrenze (Tonne 125) herzustellen. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. b). 6. Bezogen auf die Havarie der „Ever Given“ ergeben sich aus den vorgenannten Themen folgende Fragen: a) Um welche Uhrzeit hat welche Dienststelle die SpG für das Auslaufen der „Ever Given“ am 09.02.2019 ausgesprochen? AGF ab einer Länge von 360 m müssen die Hafenlotsenbestellung gemäß der jeweiligen schifffahrtspolizeilichen Genehmigung ausgehend mindestens vier Stunden vor Abfahrt aufgeben. Diese Information wird per Datenleitung an die Systeme der Nautischen Zentrale weitergeleitet. Sofern keine Bedenken gegen das Auslaufen bestehen, wird dem nicht widersprochen. Um 8.26 Uhr hat der Hafenlotse der Ever Given das Ablegen vom Liegeplatz an die Nautische Zentrale gemeldet. b) Wie waren die Wetterbedingungen am 09.02.2019 zum Zeitpunkt der Erteilung der Auslaufgenehmigung für die „Ever Given“ im Hamburger Hafen, auf der Delegationsstrecke und in der Elbmündung? Zum Ablegezeitpunkt betrug die Windrichtung gemäß der Station Seemannshöft etwa 215 Grad. Die mittlere Windgeschwindigkeit lag auf Basis von Zehn-Minuten-Mittelwerten der Station Seemannshöft zwischen 8 und 10 m/s, entsprechend 5 Beaufort. c) Die Windprognose für den 09.02.2019 zeigte nachweislich stark zunehmende Windgeschwindigkeiten für die Elbe. Inwieweit wurden diese Prognosen in die Entscheidung über die Auslaufgenehmigung einbezogen? Zum Zeitpunkt des Auslaufens des Schiffes bestand weder für die Elbe noch für den Hamburger Hafen ein Windfahrverbot. Von daher bestand keine Begründung für eine Untersagung des Auslaufens. d) Gab es Auflagen zum Auslaufen der „Ever Given“? Wenn ja, welche? Bitte die Genehmigungen samt Anlagen beifügen. Die Vorlage der Genehmigung oder die Wiedergabe ihres Inhaltes käme einer Aktenvorlage nach Artikel 30 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg gleich, deren Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. 7. Mit den Ermittlungen zur Havarie der „Ever Given“ soll die Hamburger Wasserschutzpolizei beauftragt worden sein. a) Ist es zutreffend, dass die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) aufgrund ihrer fehlenden Zuständigkeit für die Delegationsstrecke die Untersuchungen nicht übernommen hat? Nein. Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) ist grundsätzlich auch für die Untersuchung von Seeunfällen im Hamburger Hafen zuständig, entscheidet aber in eigenem Ermessen, ob und wann sie einen Seeunfall untersucht. Derzeit sieht die BSU hierfür keine Notwendigkeit. b) Bitte benennen Sie die mit der Untersuchung der Havarie beauftragte Dienststelle. Die polizeilichen Ermittlungen werden beim Wasserschutzpolizeikommissariat 1 geführt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16487 5 c) Wann werden die ersten Untersuchungsergebnisse durch die unter 7. b) benannte Dienststelle der Öffentlichkeit vorgelegt? Im vorliegenden Fall wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen sind.