BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1649 21. Wahlperiode 29.09.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann und Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 21.09.15 und Antwort des Senats Betr.: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Entschädigung wegen Unterbringung in zu kleiner Einzelzelle Mit Beschluss vom 14.07.2015 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt , dass die Unterbringung von Häftlingen in einer Einzelzelle, die lediglich eine Größe von 5,25 m² aufweist und nicht über eine abgetrennte Toilette verfügt, gegen die Menschenwürde verstößt. Die Unterbringung eines Gefangenen in einer solchen Zelle löst daher amtshaftungsrechtliche Ansprüche des Gefangenen aus. Die anlässlich des Beschlusses ergangene Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes Nummer 68/2015 vom 16. September 2015 fügen wir dieser Anfrage bei. Vor dem Hintergrund dieses Beschlusses fragen wir den Senat: 1. Gibt es auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg noch Gefängniszellen, die eine Größe von 5,25 m² aufweisen oder kleiner sind? Nein. 2. Wenn dies der Fall sein sollte, wie plant der Senat auf den ergangenen Beschluss zu reagieren? 3. Rechnet der Senat mit Amtshaftungsansprüchen, die im Sinne dieses Beschlusses gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg geltend gemacht werden beziehungsweise gibt es bereits dahin gehende geltend gemachte Ansprüche? 4. Ist infolge des Beschlusses geplant, an bestehenden Gefängniseinrichtungen bauliche Veränderungen vorzunehmen und können etwaige voraussichtliche Kosten solcher Maßnahmen beziffert werden? Entfällt. • Bundesverfassungsgericht > Startseite � > Geldentschädigung wegen Unterbringung in zu kleiner Einzelzelle Geldentschädigung wegen Unterbringung in zu kleiner Einzelzelle Pressemitteilung Nr. 68/2015 vom 16. September 2015 Beschluss vom 14- Juli 2015 1BvR112z/14 Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ein Urteil des Kammergerichts in einem Amtshaftungsverfahren wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung teilweise aufgehoben. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte mit einer am 5. November 2009 veröffentlichten Entscheidung die Verletzung der Menschenwürde eines Beschwerdeführers in einem anderen Verfahren aufgrund seiner mehrmonatigen Unterbringung in einer Einzelzelle von 5,25 m2 ohne abgetrennte Toilette bei täglichem Einschluss zwischen 15 und fast 21 Stunden festgestellt. Der Beschwerdeführer dieses Verfahrens war unter ähnlichen Bedingungen untergebracht. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist das Urteil des Kammergerichts, soweit es Amtshaftungsansprüche für die Zeit vor Veröffentlichung der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs verneint und zudem eine zweiwöchige Umsetzungsfrist zur Umsetzung dieser Entscheidung einräumt. Die Ablehnung einer Geldentschädigung auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist verkennt jedoch Bedeutung und. Tragweite der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen. Sachverhalt und Verfahrensgang: Der Beschwerdeführer war in der Zeit vom 9. Juni 2009 bis zum 23. November 2009 in einer Einzelzelle mit einer Bodenfläche von 5,25 m 2 und räumlich nicht abgetrennter Toilette untergebracht. In einem parallel gelagerten Verfahren stellte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit einem am 5. November 2009 veröffentlichten Beschluss eine Verletzung der Menschenwürde fest. Die Entschädigungsklage des Beschwerdeführers wies das Kammergericht mit angegriffenem Urteil ab. Eine zweiwöchige Übergangsfrist bis zum 19. November 2009 sei für die Prüfung einzuräumen, wie die menschenunwürdige Haftsituation vieler Betroffener in der Justizvollzugsanstalt zu unterbinden sein könnte. Auch die verhältnismäßig geringfügige Überschreitung der Übergangsfrist gebiete keine Entschädigung in Geld. Vielmehr werde bereits mit der Feststellung der menschenwürdigen Haftunterl>ringung dem berechtigten Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers angemessen Rechnung getragen. Wesentliche Erwägungen der Kammer: Die Verfassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg. 1. Soweit das Kammergericht zu.dem Ergebnis kommt, ein Verschulden der zuständigen Amtsträger sei bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs am 5. November 2009 und darüber hinaus bis zum Ablauf einer zweiwöchigen Übergangsfrist µ.icht gegeben, hält sich dies jedenfalls noch im Rahmen des fachgerichtlichen Wertungsspielraums. Das Kammergericht hat vertretbar konzediert, dass die Rechtsfrage, ab welcher konkreten Haftraumgröße eine Verletzung der Menschenwürde anzunehmen ist, nicht einfach zu beurteilen gewesen sei und insbesondere bei einer Einzelzelle weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend behandelt gewesen sei. 2. Das Urteil des Kammergerichts kann allerdings keinen Bestand haben, soweit es sich auf den Zeitraum nach Ablauf der Übergangsfrist vom 20. November 2009 bis 23. November 2009 bezieht. Die Erwägungen, aufgrund derer das Kammergericht einen Amtshaftungsanspruch des Beschwerdeführers für den erlittenen menschenunwürdigen Freiheitsentzug verneint hat, werden der Bedeutung des Grundrechts der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als Grundlage einer rechtsstaatlichen Kompensation in Form eines Amtshaftungsanspruchs nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag der Menschenwürde beziehungsweise des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet, weil anderenfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten Drucksache 21/1649 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Anlage wäre. Zwar muss der hiernach rechtsstaatlich gebotene Ausgleich nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen. Vorliegend hat das Kammergericht einen Ausgleichsanspruch aber in verfassungsrechtlich ·· nicht mehr tragfähiger Weise verneint. Der Verfassungsgerichtshof für das Land Berlin hat in bundesverfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hervorgehoben, dass die Unterbringung eines Häftlings für einen Zeitraum von knapp drei Monaten in einem Einzelhaftraum mit einer Bodenfläche von 5,25 m2 und Einschlusszeiten zwischen 15 und fast 21 Stunden bei einer Gesamtschau der Umstände dessen Menschenwürde verletzt. Dabei hat der Berliner Verfassungsgerichtshof allerdings festgestellt, dass menschenwürdige Zustände in einer größeren Haftanstalt nicht von heute auf morgen hergestellt werden können und deshalb für eine Übergangsfrist von zwei Wochen hinzunehmen sind. Vor diesem Hintergrund bewegt sich die Einschätzung, für diese Übergangsfrist komme ein Amtshaftungsanspruch aufgrund mangelnden Verschuldens der verantwortlichen Amtsträger nicht in Betracht, noch im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Demgegenüb(lr stellt eine fortdauernde Inhaftierung nach Ablauf der Übergangsfrist ersichtlich ein schuldhaftes, amtshaftungsrechtliche Ansprüche auslösendes Handeln dar. http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/D E/2015/bv... 18.09.2015 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1649 3 vF1649ska_Text vF1649ska_Anlage