BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16582 21. Wahlperiode 26.03.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Nebahat Güçlü (fraktionslos) vom 19.03.19 und Antwort des Senats Betr.: Versagt Hamburg bei der Prävention von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass? Seit Juli 2018 werden die Daten zu Hasskriminalität statistisch erfasst. Ziel ist unter anderem, die gesellschaftspolitischen Entwicklungen besser beurteilen zu können. Die ersten Daten aus Hamburg bestärken das Gefühl eines zunehmenden Rechtsrucks in unserer Gesellschaft, bei welchem anhand von klassischen Identitätskonstrukten, wie Herkunft und Religion, Konflikte geschürt werden. Die Auswertung des vergangenen Jahres für Hamburg hat deutlich gezeigt, dass Fremdenfeindlichkeit auch in Hamburg ein Problem darstellt. 57 Prozent der erfassten Fälle zu Hasskriminalität wurden als fremdenfeindlich eingestuft (Drs. 21/16409). Wenn die Daten als Spiegel der gesellschaftlichen Mentalität betrachtet werden, dann müssen bisherige Programme zur Demokratieerziehung hinterfragt werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der bundesweiten Entwicklungen ist es alarmierend, wenn eine intensive Auseinandersetzung mit bestehenden Instrumenten ausbleibt und eine „Weiter-so“-Politik gefahren wird. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass es bundesweit Bombendrohungen gegeben hat, zu denen sich die „Nationalsozialistische Offensive“ beziehungsweise „NSU 2.0“ bekannt hat. Das ist insbesondere deshalb besorgniserregend , weil die „tageszeitung“ erst vor ein paar Wochen von einem Netzwerk aktiver und ehemaliger Soldatinnen und Soldaten berichtet hat, welches den „Tag X“ plane, an dem Politikerinnen und Politiker und linksorientierte Personen unschädlich gemacht werden sollen. Gleichzeitig laufen mehrere Ermittlungen gegen Polizistinnen und Polizisten in verschiedenen Bundesländern, die in Chat-Netzwerken rassistische Nachrichten und nationalsozialistisches Gedankengut ausgetauscht haben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1) Wie bewertet der Senat die ersten Daten zu Hasskriminalität für Hamburg ? Die Polizei erfasst Straftaten der Hasskriminalität im Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK); dabei handelt es sich um eine Eingangsstatistik . Zur Entwicklung der Fallzahlen der Jahre 2011 bis 2018 siehe Drs. 21/7467, 21/10621, 21/14066 und 21/15668. Die bei der Polizei registrierten Fälle von „Hasskriminalität“ weisen für die Jahre 2011 bis 2015 steigende Fallzahlen aus; dabei haben sich die Fallzahlen im Jahr 2015 im Vergleich zu 2014 von 188 auf 357 erhöht. Seit dem Jahr 2016 ist ein Rückgang der Fallzahlen zu verzeichnen; für das Jahr 2018 liegen die Fallzahlen auf dem Niveau von 2014. Der starke Anstieg im Jahr 2015 und Drucksache 21/16582 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 der danach eintretende Rückgang in den Folgejahren dürften mit der besonderen Situation der Flüchtlingszahlen ab dem Jahr 2015 zusammenhängen. Auf Betreiben Hamburgs hat die Justizministerkonferenz im Juni 2016 beschlossen, die statistische Erfassung der Hasskriminalität künftig zu verbessern, um Ausmaß und Entwicklung des Phänomens der Hassstraftaten auch anhand justizieller Daten besser einschätzen zu können. Unter Beteiligung der Justizbehörde wurde daher von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein neuer Statistikbogen entwickelt, der nunmehr bei den Staatsanwaltschaften in den Ländern zur Anwendung kommt. Seit Juli 2018 werden bei der Staatsanwaltschaft Hamburg folgende Kriterien der Hasskriminalität erfasst: antisemitisch, antichristlich, antiislamisch, behindertenfeindlich, fremdenfeindlich und wegen sexueller Orientierung/Identität. Mehrfachnennungen sind dabei möglich. Zudem wird das Kriterium „mittels des Internets“ erfasst. Insgesamt wurden 77 Verfahren wegen Straftaten, die als Hasskriminalität zu klassifizieren sind, erfasst. Ziel ist es, die Ermittlungsstrukturen auf Grundlage der zu gewinnenden Erkenntnisse entsprechend auszurichten. Im Übrigen siehe Drs. 21/16409. 2) Welche Rückschlüsse zieht der Senat aus den Daten für seine bestehenden Programme zur Demokratiebildung und Prävention von Rechtsextremismus ? Falls aktuell noch keine Konsequenzen aus den statistischen Daten gezogen werden, ab welchem Zeitpunkt wird die Datenlage als ausreichend dafür betrachtet? 3) Die Fallzahlen bei der Beratungsstelle empower für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitistischer Gewalt haben sich seit 2015 fast vervierfacht. Hamburg versteht sich als weltoffen. 35 Prozent der in Hamburg lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund – wie gedenkt der Senat sie vor rechter Gewalt zu schützen? Präventive Maßnahmen des Senats sind vor dem Hintergrund verschiedener Einflussfaktoren und gesellschaftlicher Entwicklungen zu bewerten. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Zahl von Gewaltvorfällen und dem Erfolg einzelner Maßnahmen ist nicht herstellbar, da eine Radikalisierung ein individueller und durch eine Vielzahl an Risiko- beziehungsweise Stabilisierungsfaktoren (persönliche, familiäre, gesellschaftliche, ökonomische et cetera) beeinflusster Prozess ist. Zudem können präventive Maßnahmen nur mittel- bis langfristig wirken. Im Übrigen sind präventive Maßnahmen zudem Bestandteil des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus (siehe Drs. 20/9849), dessen Fortschreibung derzeit vorbereitet wird (siehe auch Drs. 21/16456). Die Intervention bei Verdachtsfällen von Radikalisierungen im Bereich Rechtsextremismus an allgemein- und berufsbildenden Schulen (analog zum bereits bestehenden Verfahren im Bereich des religiös begründeten Extremismus) wird (ab dem 1. April 2019) von der Beratungsstelle Gewaltprävention zentral durchgeführt. Dabei werden je nach Fall-Lage die entsprechenden Ansprechpartnerinnen und -partner eingebunden , zum Beispiel die zivilgesellschaftlichen Fachberatungsstellen und zuständige Jugendämter und Jugendhilfeträger, bei sicherheitsrelevanten Fällen auch die Sicherheitsbehörden . Ziel ist die gemeinsame Gefährdungs- beziehungsweise Risikoeinschätzung und Abstimmung der weiteren Fallbetreuung. Die Sicherheitsbehörden beteiligen sich an den umfassenden Anstrengungen der Hamburger Behörden, die im Landesprogramm dargestellt sind und die bei Bedarf aktualisiert beziehungsweise angepasst werden. 4) Über das Bundesprogramm Demokratie leben werden in Hamburg wieder mehr Projekte zur Prävention gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gefördert, doch die Gesamtevaluation durch das Deutsche Jugendinstitut konzentriert sich ausschließlich auf die Ausgestaltung und Optimierung des Bundesprogrammes und prüft nicht die Wirksamkeit der geförderten Einzelprojekte. Welche Erkenntnisse hat der Senat zur Wirksamkeit der geförderten Projekte? Welche Erkenntnisse hat der Senat zur Wirksamkeit der Maßnahmen, welche durch die Freie und Hansestadt Hamburg kofinanziert sind? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16582 3 5) Hält der Senat die Reichweite zentraler Projekte des Programmbereichs B von Demokratie leben – genannt seien hier die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, Kurswechsel und empower – für ausreichend? Bitte ausführlich begründen, unter Schilderung des Sachstandes auf dessen Basis die jeweilige Einschätzung erfolgt. Zur grundsätzlichen Vorgehensweise einer zuwendungsrechtlichen Prüfung siehe Drs. 21/13826. Die geförderten Projekte erfüllen die vorgegebenen Ziele und Zweckbestimmungen und arbeiten in diesem Sinne erfolgreich. Im Übrigen siehe Antwort zu 2) und 3). 6) Welche weiteren Bemühungen der Freien und Hansestadt Hamburg gibt es im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass? 7) Welche signifikanten Anpassungen hat es im Landesprogramm „Hamburg – Stadt mit Courage“ seit Erreichen der dritten Phase gegeben? Siehe Antwort zu 2) und 3). Im Übrigen siehe Drs. 21/7939, 21/8233 und 21/13713.