BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16607 21. Wahlperiode 29.03.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christel Nicolaysen (FDP) vom 21.03.19 und Antwort des Senats Betr.: Was plant der Senat für Langzeitgeduldete, die über ihre Identität beziehungsweise Staatsangehörigkeit getäuscht haben? Mit Stand Januar 2019 leben in Hamburg 3 476 ausreisepflichtige Personen, die eine Duldung besitzen, sowie 1 162 ausreisepflichtig erfasste Personen, die nicht im Besitz einer gültigen Duldung sind.1 Davon sind rund 900 Personen sogenannte Langzeitgeduldete, deren Rückführung auf absehbare Zeit unwahrscheinlich ist.2 Unter dem Begriff „Langzeitgeduldete“ werden Personen definiert, die maximal innerhalb eines Jahres die zeitlichen Voraussetzungen der §§ 25a oder 25b AufenthG erfüllen. Die Langzeitgeduldeten stärker zu integrieren, entspricht den aktuellen Entwicklungen auf Bundesebene. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 12. März 2018 wurde vereinbart, für langjährig Geduldete, die die Integrationsanforderungen im Sinne des § 25a und b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) erfüllen, Verbesserungen und Vereinfachungen für den Aufenthalt und bei der Ausbildung und Arbeitsmarktintegration zu erarbeiten. Damit soll auch Klarheit für die Betroffenen hinsichtlich ihrer Zukunft in Deutschland geschaffen werden. Bisher hat Hamburg im Rahmen des Projektes „VIEL Hamburg“ 89 Personen angesprochen von denen aber nur 35 Personen bereit waren, im Rahmen des Projektes mitzuwirken. 29 Personen sollen eine Duldung mit einer Beschäftigungserlaubnis erhalten haben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die von der Fragestellerin genannten Zahlen geduldeter und ausreisepflichtiger Personen beziehen sich ausschließlich auf die jeweiligen zehn Hauptherkunftsstaaten. Bezüglich der Gesamtzahlen siehe Drs. 21/16284. Im Übrigen wird darauf hingewiesen , dass trotz des Begriffes „ausreisepflichtig“ sich hiermit nicht automatisch die Möglichkeit verbindet, den Aufenthalt auch tatsächlich zu beenden, zum Beispiel bei fehlenden Reisedokumenten, aber auch aufgrund zwingender rechtlicher Abschiebungshindernisse , zum Beispiel wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 Grundgesetz. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Plant der Senat, alle Langzeitgeduldeten, die in der Vergangenheit über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht haben, in einen gesicherten Aufenthalt überzuleiten? a. Welche zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein? 1 Drs. 21/16284. 2 Drs. 21/16080. Drucksache 21/16607 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die zuständige Behörde prüft anlässlich der Erneuerung von Langzeit-Duldungen, inwieweit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 25a, b Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bereits vorliegen beziehungsweise noch zu erfüllen sind und berät die Antragstellerinnen und Antragsteller hierzu, insbesondere durch welche Mitwirkungshandlungen der Betroffenen Gründe beseitigt werden können, die der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bisher entgegengestanden haben. Die zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen ergeben sich aus den genannten Vorschriften, ferner aus den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG sowie aus der Beseitigung gesetzlicher Versagungsgründe (§ 11 Aufenth G). b. Wie und wann wird der Betroffene Personenkreis ermittelt und informiert? Wie viele Personen wird eine diesbezügliche Regelung betreffen? Die zuständige Behörde ermittelt die infrage kommenden Personen im Rahmen von Einzelfallprüfungen. Eine ausführliche Information und Beratung erfolgt anschließend während der regulären Vorsprachen. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Einzelfallprüfungen sind belastbare Prognosen zur Größe des betroffenen Personenkreises nicht möglich. c. Wie viele der im Vortext genannten 900 Langzeitgeduldeten haben in der Vergangenheit über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht? Wie lange halten sich diese Personen bereits in Hamburg auf? Eine Auswertung im Sinne der Fragestellung ist nicht möglich. Eine händische Auswertung mehrerer Hundert Ausländerakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. d. Wie viele Personen werden im Laufe der Jahre 2019 und 2020 sogenannte Langzeitgeduldete? (Bitte, wenn möglich, nach Alter, Geschlecht und Aufenthaltsdauer differenzieren.) Siehe Antwort zu 1.b. 2. Wie lange halten sich die im Vortext genannten 4 638 ausreisepflichtigen Personen bereits in Deutschland beziehungsweise Hamburg auf? Zur genannten Zahl siehe Vorbemerkung. Die Angaben sind der Statistik des Ausländerzentralregisters (AZR) entnommen. Informationen zur Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet oder in Hamburg sind darin nicht enthalten. Die Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik der im ausländerbehördlichen Fachverfahren erfassten ausreisepflichtigen Personen, bei denen ein auswertbares Einreisedatum hinterlegt ist, ist der folgenden Übersicht zu entnehmen. Die Aufenthaltsdauer ist dabei nicht gleichzusetzen mit der Duldungsdauer, da einer Ausreisepflicht durchaus ein rechtmäßiger Aufenthalt vorangegangen sein kann. Ebenfalls ist es in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, eventuelle Aufenthaltsunterbrechungen herauszufiltern. Aufenthaltsdauer Personen bis 5 Jahre 2 684 5 bis 10 Jahre 707 11 bis 15 Jahre 270 16 bis 20 Jahre 425 21 bis 25 Jahre 201 26 bis 30 Jahre 212 31 bis 35 Jahre 53 36 bis 40 Jahre 22 41 bis 45 Jahre 15 46 bis 50 Jahre 3 über 50 Jahre 2 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16607 3 a. Wie viele dieser Personen haben bisher über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht? Beziehungsweise bei wie vielen Personen ist die Herkunft ungeklärt? Zum Stand 28. Februar 2019 waren laut Ausländerzentralregister 1 630 Personen im Besitz einer Duldung wegen fehlender Reisedokumente. Im Übrigen siehe Antwort zu 1.c. b. Unter welchen Voraussetzungen können diese Personen generell einer legalen Beschäftigung nachgehen? Siehe § 60a Absatz 6 AufenthG und § 32 Beschäftigungsverordnung. c. Wie viele der 3 476 ausreisepflichtigen Personen, die eine Duldung besitzen, haben aktuell eine Beschäftigungserlaubnis? Mit Stand 27. März 2019 sind laut ausländerbehördlichem Fachverfahren 321 Duldungsinhaber im Besitz einer Beschäftigungserlaubnis. 3. Wie viele Strafanzeigen wegen aktiver Identitätstäuschung gab es in den Jahren 2017, 2018 sowie bis März 2019? a. Welchen Ausgang hatten diese Strafanzeigen im Ergebnis? Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Eine Erfassung von Straftaten unter dem Begriff „Identitätstäuschung“ erfolgt in der PKS nicht. In der PKS werden Urkundenfälschungen unter dem PKS-Schlüssel 540001 erfasst. Hierunter fallen verschiedenste Sachverhalte; eine Differenzierung nach „Identitätstäuschungen “ innerhalb der Urkundenfälschung ist in der PKS nicht möglich. Hierfür wäre die Durchsicht mehrerer Hunderttausend Handakten bei der Polizei erforderlich, was in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg wird nicht erfasst, ob Anlass eines Verfahrens eine Anzeige der Ausländerbehörde wegen „aktiver Identitätstäuschung“ war. Es müssten daher sämtliche Verfahrensakten, die seit dem Jahr 2017 unter dem Tatvorwurf einer Straftat nach § 95 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG in MESTA notiert wurden, händisch ausgewertet werden. Eine Auswertung der insgesamt über 300 Verfahrensakten ist in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Wer einer zuständigen Behörde zu seinen Personalien unrichtige Angaben macht oder die Angabe verweigert, begeht eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 111 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG, Falsche Namensangabe). Statisch auswertbare Daten im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor; eine händische Auswertung der für die Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörde ergab, dass im erfragten Zeitraum insgesamt folgende Anzahl an Verstößen gegen § 111 OWiG bearbeitet wurden: 2017: 126 Verfahren 2018: 143 Verfahren 2019: 30 Verfahren (Stand: 22. März 2019). Bei diesen Verfahren lässt sich aber keine Zuordnung zu Sachverhalten im Sinne der Fragestellung vornehmen, da diese Regelungen auch Sachverhalte erfassen, bei denen im Zusammenhang mit zum Beispiel polizeilichen Maßnahmen Personalien falsch angegeben oder verweigert werden. b. Ist geplant, künftig bei Mitwirkung zur Klärung der Identität/Staatsangehörigkeit auf eine Strafanzeige wegen Identitätstäuschung zu verzichten? Die Verfahren beziehen sich auf Langzeitduldungsfälle, bei denen gegebenenfalls zugrundeliegende strafrechtlich relevante Umstände entsprechend regelmäßig in der Drucksache 21/16607 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Vergangenheit begründet liegen und entsprechend zu bewerten waren. Eine erneute strafrechtliche Beurteilung erfolgt vor diesem Hintergrund nicht. 4. Wie stellt der Senat sicher, dass Personen mit ursprünglich unsicherer Bleibeperspektive, die nunmehr aber jedenfalls wenigstens drei Jahre (§ 25 a AufenthG) beziehungsweise fünf oder sieben Jahre (§ 25 b Aufenth G) hier leben und ihre Identität/Staatsangehörigkeit offenbaren (und darüber hinaus die weiteren Voraussetzungen erfüllen), zukünftig integriert werden? a. Wird es ein spezielles Integrationskonzept oder ähnliches für diese spezielle Gruppe der Langzeitgeduldeten geben? b. Wird es spezielle Förderangebote für die Betroffenen oder Betriebe geben? Das Hamburger Integrationskonzept von 2017 „Wir in Hamburg! Teilhabe, Interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt“ bezieht sich auch auf die Zielgruppe der Geduldeten . Ein spezielles Integrationsangebot für diese Personen ist daher nicht erforderlich. Zu den Fördermaßnahmen insbesondere im Bereich der Sprach- und der Arbeitsmarktförderung siehe Drs. 21/10281. Für die Gruppe der Langzeitgeduldeten wurde zudem das Programm „VIEL Hamburg“ (Voraussetzungen der Integration und Entwicklung Langzeitgeduldeter in Hamburg) aufgelegt. Mit dem Programm sollen Langzeitgeduldete unterstützt und möglichst in die Lage versetzt werden, eine Ausbildung beziehungsweise Arbeit aufzunehmen (siehe Drs. 21/15935 und Drs. 21/16080). Im Übrigen siehe Antwort zu 1. und 1.a. c. Können die Langzeitgeduldeten die Integrationskurse des Bundes besuchen? Ist die Teilnahme fakultativ? Für Inhaber einer Duldung ist die Teilnahme an Integrationskursen gemäß den §§ 43 fortfolgende AufenthG grundsätzlich nicht vorgesehen; eine Ausnahme regelt § 44 Absatz 4 Satz 2 Nummer 2 AufenthG. 5. Wie will der Senat die Identitäts- beziehungsweise Staatsangehörigkeitsaufklärung der Betroffenen aktiv unterstützen? Die zuständige Behörde unterstützt Betroffene aktiv mit der Ausstellung gegebenenfalls benötigter behördlicher Schreiben, vorläufiger Reisedokumente und einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 AufenthG zur Passbeschaffung im Heimatland. 6. Soll es spezialisierte Sachbearbeiter beziehungsweise Zuständigkeiten für die Bearbeitung dieser Personengruppe in Hamburg geben? Bitte begründen. Die Beratung und Betreuung soll künftig in einem Sachgebiet der Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamts konzentriert werden. Damit werden sowohl eine einheitliche Beratung als auch feste Ansprechpartner für den Kooperationspartner W.I.R (Work and Integration for Refugees https://www.hamburg.de/wir/) sichergestellt. 7. Wie will der Senat sicherstellen, dass die schnelle Rückführung der Personen , die nicht mitwirken beziehungsweise denen die Duldung mit Beschäftigungserlaubnis wieder entzogen wird, erfolgt? Die zuständige Behörde wird weiterhin die rechtlich und tatsächlich bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen, die Identität von Personen, die nicht oder nicht mehr mitwirken , aufzuklären, um eine Rückführung zu ermöglichen.