BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16721 21. Wahlperiode 09.04.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Regina-Elisabeth Jäck (SPD) und Mareike Engels (GRÜNE) vom 01.04.19 und Antwort des Senats Betr.: Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe beziehungsweise in stationären psychiatrischen Einrichtungen haben Kinder und Jugendliche in der Vergangenheit Leid und Unrecht erlitten. Die Bundesregierung hat sich gemeinsam mit den Ländern und der evangelischen und katholischen Kirche für die Errichtung eines Hilfesystems für die Betroffenen entschieden und die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ gegründet. Die Stiftung hat im Januar 2017 ihre Arbeit aufgenommen und richtet sich an Menschen, die als Kinder oder Jugendliche in der Zeit von 1949 bis 1975 (Bundesrepublik Deutschland) beziehungsweise 1949 bis 1990 (DDR) in den genannten Einrichtungen Gewalt, Missbrauch und Leid erfahren haben. Über die Stiftung sollen auch die Geschehnisse öffentlich benannt, wissenschaftlich aufgearbeitet und Leid der Betroffenen durch Gespräche individuell anerkannt werden. In allen Bundesländern wurden Anlauf- und Beratungsstellen der Stiftung eingerichtet, in denen die Anträge erfasst werden. Die abschließende Prüfung und Auszahlung erfolgt durch die zentrale Geschäftsstelle der Stiftung. Um eine mögliche hohe Zahl an Betroffenen zur erreichen, haben Bund, Länder und Kirchen Anfang 2019 beschlossen, die Frist zur Antragsstellung bei der Stiftung über den 31. Dezember 2019 hinaus für ein weiteres Jahr bis zum 31. Dezember 2020 zu verlängern. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Der Senat hat zum 1. April 2017 eine Anlauf- und Beratungsstelle beim Hamburger Versorgungsamt eingerichtet, bei der insgesamt drei Beraterinnen und Berater tätig sind. In Hamburg wohnende Betroffene müssen ihre Anträge grundsätzlich bei der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle stellen. Außerhalb Hamburgs wohnende Betroffene stellen ihre Anträge bei den Beratungsstellen der anderen Länder. Aufgabe der Anlauf- und Beratungsstellen ist die Beratung der Betroffenen, die Erfassung der erforderlichen Unterlagen und die Befürwortung der Anerkennungsleistung. Hierzu wird ein Erfassungsbogen erstellt, der dann in der Bundesgeschäftsstelle der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ abschließend geprüft wird. Die Auszahlung der Anerkennungsleistung erfolgt durch die Bundesgeschäftsstelle. Unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht die Anlauf- und Beratungsstelle, dass die Beratungsgespräche auch außerhalb der Dienststelle stattfinden. Neben telefonischer Erreichbarkeit bietet Drucksache 21/16721 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 die Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle zudem einen offenen Sprechtag an, damit sich Betroffene, Angehörige und gesetzliche Betreuungen vorab informieren können. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften der Bundesgeschäftsstelle der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ wie folgt: 1. Wie viele Betroffene haben sich bislang an die Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle gewandt, um Leistungen zu beantragen? Bis zum 31.03.2019 haben 304 Menschen einen Antrag auf Unterstützungsleistungen bei der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle gestellt. 2. Bei wie vielen Anträgen wurde eine finanzielle Anerkennungsleistung ausgezahlt? Bis zum 31.03.2019 wurden von der Bundesgeschäftsstelle an 154 Betroffene finanzielle Anerkennungsleistungen ausgezahlt. 3. Wie viele Anträge befinden sich zurzeit noch in der Prüfung? Bis zum 31.03.2019 wurden der Bundesgeschäftsstelle der Stiftung 158 Erfassungsbögen der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle übersandt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Bundesgeschäftsstelle noch vier Erfassungsbögen in der Prüfung . Bis zum 31.03.2019 wurden von den 304 bei der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle gestellten Anträgen bereits 208 abschließend von der Hamburger Anlaufund Beratungsstelle bearbeitet. 4. Was sind Verzögerungsgründe für die Antragsbearbeitung? Mögliche Verzögerungen sind in der Regel dadurch begründet, dass noch fehlende Unterlagen durch die Antragstellenden beziehungsweise den gesetzlich Betreuenden nachgereicht werden müssen. Insbesondere wenn eine Anerkennungsleistung im Kontext einer früheren Unterbringung in kleineren Einrichtungen auf dem Land oder in den ostdeutschen Bundesländern angemeldet wird, bedarf es einer Abklärung, ob die Anspruchsvoraussetzungen vornehmlich einer stationären Unterbringung vorliegen. 5. Wie hoch sind die Mittel, die Hamburg von der Stiftung zur Verfügung stehen? Die Errichter der Stiftung haben sich darauf verständigt, der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ insgesamt 280 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Hiervon sind bundesweit 244,1 Millionen Euro für die Auszahlung der individuellen Anerkennungsleistungen veranschlagt, von denen bis zum 28.02.2019 insgesamt 58,4 Millionen Euro ausgezahlt worden sind. Diese Mittel sind nicht auf einzelne Bundesländer budgetiert. Für die Kosten der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle (Personal- und Sachkosten ) kann die Freie und Hansestadt Hamburg bis 2021 insgesamt 790 832 Euro aus dem Stiftungsvermögen geltend machen. 6. In welchem Umfang wurden in Hamburg bislang Leistungen ausgezahlt a) als Pauschalauszahlung b) als Rentenersatzleistung? Bis zum 31.03.2019 wurden insgesamt 1 786 000 Euro an Betroffene aus Hamburg ausgezahlt, davon 1 395 000 Euro als Geldpauschale und 391 000 Euro als Rentenersatzleistung . 7. Wurden Anträge auch abgelehnt? Wenn ja, aus welchen Gründen? Von den 208 abschließend bis zum 31.03.2019 von der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle bearbeiteten Anträgen wurden 53 abgelehnt beziehungsweise weitergeleitet , da die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlagen beziehungsweise eine andere Anlauf- und Beratungsstelle zuständig war. Im Fall einer anderen regionalen Zuständigkeit werden die Anträge grundsätzlich an die zuständige Stelle weitergeleitet. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16721 3 Außerhalb der Laufzeit; fehlende Voraussetzungen u.ä. Andere regionale Zuständigkeit Bereits volle Leistung aus Fonds Heimerziehung erhalten Summe 41 8 4 53 8. Welche Maßnahmen hat der Senat vorgenommen, um die Beratungen und Anmeldungen der Betroffenen zu gewährleisten? Siehe Vorbemerkung. 9. Welche Aktionen und Veranstaltungen wurden in Hamburg umgesetzt, um auf die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ aufmerksam zu machen a) vom Senat? b) von Einrichtungen? Die Öffentlichkeitsarbeit (Medienkampagne, Veranstaltungen, Multiplikatorenschreiben ) zur „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ wird zentral von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales veranlasst. Neben der Unterstützung dieser Arbeit hat die zuständige Behörde zum Start der Hamburger Anlauf- und Beratungsstelle eine stadtweite Plakatkampagne initiiert. Dazu wurden Multiplikatoren wie Verbände, Einrichtungen, Krankenhäuser, Verwaltungsdienststellen und so weiter informiert. Am 20. März 2017 und am 20. März 2019 fanden gemeinsam mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf zwei öffentliche Veranstaltungen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration statt, in der Betroffene aus Hamburg als Zeitzeugen über erlittenes Leid und Unrecht berichtet haben. Beide Veranstaltungen wurden von wissenschaftlichen Vorträgen begleitet. Die Veranstaltungen sollten einerseits zusätzlich dazu beitragen, auf die Stiftung aufmerksam zu machen. Andererseits sollten sie auch dazu beitragen, die Teilziele des Stiftungsanliegens „öffentliche Anerkennung“, und „Anerkennung durch wissenschaftliche Aufarbeitung der Leid- und Unrechtserfahrungen “ unter Einbezug möglichst vieler Betroffener auch vor Ort in Hamburg umzusetzen . In beiden Veranstaltungen waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anlauf- und Beratungsstelle vor Ort und haben über die Stiftung und das Verfahren der Antragstellung informiert. Gleiches gilt für die am 20. März 2018 von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf durchgeführten Veranstaltung, auf der der Dokumentarfilm „Alsterdorfer Passion – Mitten in Hamburg“ vorgestellt wurde, in dem die Zustände in den Alsterdorfer Anstalten von 1945 bis 1979 problematisiert werden. Die drei Veranstaltungen wurden durch eine umfassende Berichterstattung in den regionalen Medien begleitet. Insbesondere in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf wurden gezielt entsprechend langjährige Bewohnerinnen und Bewohner der Alsterdorfer Anstalten angesprochen, um die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ bekannt zu machen . Gleiches gilt für weitere Einrichtungen. 10. Mit wie vielen Anspruchsberechtigten rechnet der Hamburger Senat insgesamt ? Es liegen weder für das Bundesgebiet noch für Hamburg selbst konkret ermittelte Zahlen vor. Eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Mai 2016 (http://www.stiftung-anerkennung-und-hilfe.de/SharedDocs/Downloads/DE/ forschungsbericht-jungmann.pdf) schätzt, dass zu diesem Zeitpunkt rund 97 100 Menschen anspruchsberechtigt sein könnten. In der Studie wurde die Gesamtzahl der Menschen hochgerechnet, die in den Jahren 1949 – 1975 als Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise in den Jahren 1949 – 1990 in der DDR in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie Leid und Unrecht erlebt haben. Aufgrund der Erfahrungen aus dem Fonds Heimerziehung rechnet die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ mit insgesamt bis zu 12 210 Anmeldungen auf dem Gebiet der BRD (alt) und circa 12 065 Anmeldungen auf dem Gebiet der DDR (siehe auch Drs. Drucksache 21/16721 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 21/6820). Die potenzielle Anzahl von Anspruchsberechtigten beziehungsweise Antragsstellenden bemisst sich somit am Hamburger Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerung (2017: 2,2 Prozent) bezogen auf diese Schätzwerte. Ansonsten ist davon auszugehen, dass ein Großteil der heute in Hamburg lebenden Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche aufgrund in den früheren Alsterdorfer Anstalten erlittenem Leid und Unrecht anmelden können. Während bis zum 28.02.2019 bereits 202 Bewohnerinnen und Bewohner der Alsterdorfer Anstalten Anträge bei der Hamburger und der Schleswig-Holsteiner Anlauf- und Beratungsstelle gestellt haben, ist die Zahl der heute in Hamburg lebenden Menschen, die Leid und Unrecht außerhalb Hamburger Einrichtungen (zum Beispiel in psychiatrischen Einrichtungen, Gehörloseninternaten oder auch auf dem Gebiet der DDR) erlebt haben, weiter nicht valide zu ermitteln. 11. Wie sollen die Betroffenen, die noch keinen Anspruch angemeldet haben, besser erreicht werden? Neben einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit wurden potenzielle Multiplikatoren auf Bundesebene und auch in Hamburg bereits mehrfach angeschrieben. Mit der Verlängerung der Antragsfrist auf den 31. Dezember 2020 haben die Errichter der Stiftung auch beschlossen, die zentrale Öffentlichkeitsarbeit noch einmal zu intensivieren. In Hamburg ist geplant, in diesem Jahr ein weiteres Informationsschreiben an Multiplikatoren zu senden. Darüber hinaus macht die zuständige Behörde auch in themenverwandten Veranstaltungen regelmäßig auf die Stiftung und die Verlängerung der Antragsfrist aufmerksam (zum Beispiel bei der Veranstaltung des WEISSEN RINGS zum Tag der Kriminalitätsopfer). Die Evangelische Stiftung Alsterdorf wird ebenfalls noch einmal frühere Bewohnerinnen und Bewohner gezielt informieren.