BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16796 21. Wahlperiode 16.04.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 08.04.19 und Antwort des Senats Betr.: Braucht Hamburg eine „vierte Reinigungsstufe“ und wäre eine Umweltabgabe auf Medikamente ein geeignetes Mittel, um eine bessere Filterung von Arzneimittelrückständen bei der Abwasseraufbereitung zu finanzieren? Auf eine Schriftliche Kleine Anfrage zum Thema „Multiresistente Erreger in Hamburger Gewässern“1 antwortete der Senat im Februar 2018 mit dem Hinweis, dass multiresistente Keime in vielen Gewässern vorkämen, in die häusliches Abwasser geklärt oder ungeklärt eingeleitet würde, und nannte als zusätzliche Ursachen für die Verbreitung multiresistenter Keime die intensive Tierhaltung sowie einen intensiven Ackerbau. Da in Hamburg weder das eine noch das andere ausgeübt würde – so der Senat –, gäbe es keinen Grund zu der Annahme, dass multiresistente Keime in Hamburg stärker verbreitet wären oder in höheren Konzentrationen vorkämen. In der öffentlichen Berichterstattung2 wurde inzwischen besonderes Augenmerk auf eine andere Ursache für antibiotikaresistente Bakterien in Gewässern gelegt. Die Rede ist von einem vermehrten Aufkommen von Arzneimittelrückständen , das auf die eingeleiteten Abwässer aus Krankenhäusern und Pflegeheimen zurückzuführen sei. Gerade in einer Metropolregion wie Hamburg aber besteht eine Ballung solcher Einrichtungen. Wasserwirtschafts- und Technologieexperten3 raten aufgrund der zunehmenden Arzneimittelbelastung zu verfeinerten Filtrierungsmethoden – in der Branche als „vierte Reinigungsstufe“ bezeichnet. Derart verfeinerte Methoden aber komplizieren und verteuern die Entfernung von Rückständen bei der Abwasseraufbereitung beträchtlich, sodass der BDEW4 unlängst angeregt hat, die Pharmaindustrie gemäß dem Verursacherprinzip an der Finanzierung eines flächendeckenden Ausbaus von Klärwerken um eine zusätzliche Reinigungsstufe zu beteiligen.5 1 Drs. 21/11939, 21. Wahlperiode, 16.02.2018, Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke und Dr. Kurt Duwe (FDP) vom 08.02.18 und Antwort des Senats, Betr.: Multiresistente Erreger in Hamburger Gewässern. 2 „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 22.10.2018. Zwei Euro Umweltabgabe für jedes Medikament . 3 Ebenda. 4 Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. 5 „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 22.10.2018. Drucksache 21/16796 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Einem vom BDEW in diesem Zusammenhang in Auftrag gegebenen Gutachten ist zu entnehmen, dass die Kosten wahrscheinlich über die gesamte Arzneimittelvertriebskette hinweg umgelegt würden und am Ende wohl letztlich bei den Krankenkassen beziehungsweise den Beitragszahlern anfallen dürften .6 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Erkennt der Senat die Aussagen der Wasserwirtschafts- und Technologieexperten an, dass eine „vierte Reinigungsstufe“ notwendig wäre, um Anreicherungen von Arzneimittelrückständen im Abwasser und somit ein erhöhtes Risiko für die Entstehung multiresistenter Bakterien in Hamburger Gewässern zu mindern? Eine vierte Reinigungsstufe ist eine geeignete Technik, um Arzneistoffe im Ablaufwasser eines Klärwerks zu reduzieren. Damit würde auch ein Beitrag zur Minderung des Entstehungsrisikos von Keimen mit Multiresistenzen in Gewässern geleistet. 2. Besteht aus Sicht des Senats in der Konzentration von Kliniken und Pflegeheimen im Ballungsraum Hamburg ein erhöhtes Risiko für die Anreicherung von Arzneimittelrückständen im Abwasser? Wenn nicht, wird um eine Antwort mit detaillierter Begründung gebeten. Nein, nach vorliegenden Untersuchungen und Risikoabschätzungen gehen von Kliniken und Pflegeheimen keine erhöhten Risiken für die Anreicherung von Arzneimittelrückständen im Abwasser aus. Arzneimittel werden hauptsächlich durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch in das häusliche Abwasser und in die kommunale Kläranlage eingetragen. Das Institut für Siedlungswasserwirtschaft der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen hat Einrichtungen des Gesundheitswesens, unter anderem Pflegeheime und Krankenhäuser, auf Emissionen von Arzneimittelrückständen und Krankheitserregern untersucht. Dabei wurden keine erhöhten Einträge von Arzneimittelrückständen im Vergleich zum kommunalen Abwasser festgestellt. Die Untersuchung in der Beispielregion Ortenaukreis wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Auch eine Untersuchung in Aarhus zeigte, dass der Eintrag von Arzneimitteln aus Krankenhäusern in die Kläranlage verglichen mit dem Eintrag durch andere kommunale Abwasserströme unter 20 Prozent liegt. 3. Prüft der Senat – etwa in Form von Laborproben oder anderen Testverfahren – den Umfang von Arzneimittelrückständen in einrichtungsnahen (zum Beispiel Kliniken, Pflegeheime) Abwässern? Das Institut für Hygiene und Umwelt Hamburg misst etwa 50 Arzneistoffe in Hamburger Gewässern an Messstellen, die im Rahmen des EU-Wasserrahmenrichtlinien- Monitorings überwacht werden. In Einzelprojekten ist auch das Abwasser der Hamburger Kläranlage unter anderem auf Arzneistoffe untersucht worden, zuletzt von November 2017 bis Oktober 2018. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 4. Hält es der Senat angesichts neuer und zunehmender Verunreinigungsformen 7 für notwendig, in der Abwasserreinigung der Hansestadt eine zusätzliche (vierte) Reinigungsstufe zu etablieren und falls ja, erscheint dem Senat der oben genannte Finanzierungsansatz als denkbare Option ? 6 Ebenda. 7 Aufgrund des demografischen Wandels werden zukünftig noch weitaus mehr Medikamente produziert und eingenommen als heute. Der BDEW beruft sich beispielsweise auf Studien, denen zufolge der Arzneimittelkonsum in Deutschland bis 2045 um bis zu 70 Prozent steigen könnte („Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 22.10.2018). Es gäbe somit erhebliche jährliche Zuwachsraten bereits in den nächsten Jahren. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16796 3 Die zuständige Behörde verfolgt das Ziel, Mikroschadstoffe aus dem bereits gereinigten Abwasser der Kläranlage zu reduzieren, da sie sich nachweislich schädlich auf die Gewässerökologie auswirken. Arzneimittel, aber auch andere Mikroschadstoffe wie Pflanzenschutzmittel, Biozide und Haushaltschemikalien sind hier zu berücksichtigen. Die zuständige Behörde befasst sich im Rahmen der Mikroschadstoffproblematik mit der aus Vorsorgeaspekten zu betrachtenden Fragestellung, ob es derzeit schon eine verfahrenstechnisch zufriedenstellende, zusätzliche Abwasserbehandlungstechnologie mit ausreichender schadstoffbezogener Breitbandeleminationswirkung für Anlagen dieser Größenordnung gibt. Kostenkalkulationen sowie Finanzierungsansätze zu verfahrenstechnischen Lösungen liegen noch nicht vor.