BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16890 21. Wahlperiode 23.04.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Lorkowski (AfD) vom 15.04.19 und Antwort des Senats Betr.: Rechtsschutz für Hamburger EU-Investoren bricht ein! Was unternimmt der Senat? Den „gemeinsamen Binnenmarkt“ der Europäischen Union (EU) gibt es nun schon seit mehr als 25 Jahren. Er gilt als allgemein als bewährtes Fundament der EU. Im ihm findet der Handel zwischen den Mitgliedstaaten unbeschränkt statt. Es gibt in ihm keine Ein- und Ausfuhrzölle oder gar Mengenbeschränkungen und er umfasst neben dem Warenverkehr noch drei weitere wichtige Säulen, darunter auch die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs . Vor etwa einem Jahr hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf diesem Gebiet stark in die Rechte der EU-Mitgliedsländer eingegriffen. Im sogenannten Achmea-Urteil entschieden die Luxemburger Richter, dass die in einem bilateralen Investitions-Schutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei vereinbarten Schiedsgerichte mit EU-Recht unvereinbar seien. Dieses Urteil entsprach der schon seit Längerem vorgetragenen Forderung der EU-Kommission, unabhängige Schiedsgerichte nicht mehr zuzulassen. Damit standen plötzlich alle bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten auf der Kippe. Solche bilateralen Investitionsschutzabkommen sind notwendig, weil die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedsländer – verglichen mit dem Anspruch eines „Binnenmarktes“ – vergleichsweise heterogen sind. In etlichen Ländern – so der generelle Eindruck – herrscht eine Rechtsprechung „pro domo“, teilweise nimmt der Staat direkt auf Gerichtsurteile Einfluss. Besondere Kritik wird an den Rechtssystemen in Polen und Ungarn geübt. Um solchen lokalen Verzerrungen auszuweichen, haben zahlreiche EU-Mitgliedstaaten daher untereinander Investitionsschutzabkommen („Intra-EU-BITs“) abgeschlossen und die Streitschlichtung an von den Nationalstaaten unabhängige Schiedsgerichte delegiert – und sich für eine solche Lösung auch immer in Brüssel stark gemacht. Allein Deutschland hat mit 14 anderen EU-Ländern, darunter auch westlichen Staaten wie Griechenland und Portugal, derartige Intra-EU- BITs vereinbart. Nun haben sich alle EU-Staaten in der Folge des erwähnten „Achmea- Urteils“ des EuGH dazu verpflichten müssen, diese Investitionsschutzabkommen bis Ende 2019 aufzuheben. Ob es dann zu einem anderen Streitbeilegungsmechanismus kommen kann und wird, bleibt aktuell offen. Die EU-Kommission hat dazu bislang keine Vorschläge gemacht. Tatsache ist, dass die EU keinen Hebel besitzt, die nationalen Rechtsordnungen der EU- Länder einseitig zu ändern. Das innereuropäische Investitionsschutzsystem fällt also – so wie es aussieht – ersatzlos weg. Investitionen in anderen EU- Drucksache 21/16890 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Ländern können daher durchaus zu kaum kalkulierbaren Risikopositionen in Millionenhöhe mutieren. Die EU entzieht den Mitgliedstaaten Lösungsmöglichkeiten zur Streitschlichtung, ohne erkennbar die Einrichtung alternativer Schiedsgerichte – etwa auf EU-Ebene – zu signalisieren oder dazu konkrete Vorschläge zu unterbreiten. So entsteht die paradoxe Situation, dass Investitionen deutscher Unternehmen in Drittstaaten außerhalb der EU sicherer sein werden als vergleichbare Engagements innerhalb EU-Europas. Dies vorausgeschickt frage ich den Senat: 1. Über den Hamburger Hafen werden nicht nur Güter in großem Stil in nahezu alle anderen europäischen Länder weitergeleitet. Basierend auf den Werten für das Jahr 2018 sind auch rund 50 Prozent der unmittelbaren Ausfuhren des Landes Hamburg für andere EU-Staaten bestimmt gewesen. Rund 20 Prozent davon gingen in EU-Länder, mit denen Deutschland Investitionsschutzabkommen vereinbart hat.1 Wie hoch ist das Volumen in Millionen Euro, das Hamburger Unternehmen oder Körperschaften in den 14 EU-Staaten2 investiert haben, mit denen Deutschland Investitionsschutzabkommen vereinbart hat? Bitte nach Ländern und Jahren aufschlüsseln. Angaben zu Neuanlagen (Transaktionen) innerhalb eines Jahres werden von der Deutschen Bundesbank für die Länder nicht ausgewiesen. Der Bestand an unmittelbaren und mittelbaren Direktinvestitionen Hamburgs im Ausland ist – unter Beachtung des Datenschutzes – nur für einen Teil der Mitgliedstaaten verfügbar. Angaben für das Jahr 2017 beziehungsweise das Jahr 2018 liegen noch nicht vor. Deutsche Direktinvestitionen im Ausland nach Mitgliedstaaten (Aktive Direktinvestitionen) in Mio. € Land: Hamburg Land 2013 2014 2015 2016 Portugal 202 182 160 161 Slowakei 314 390 105 119 Polen 1 148 959 1 259 1 155 Tschechische Republik 532 567 582 620 Ungarn 469 474 300 319 Summe 2 665 2 572 2 406 2 374 Quelle: Deutsche Bundesbank, Direktinvestitionen Zu den übrigen Staaten liegen keine statistischen Angaben vor, 2. Für welche EU-Länder sieht der Senat bei den Investitionen nach dem Erlöschen der Investitionsschutzabkommen per 01.01.2020 besondere Risiken – und warum? Bitte detailliert erläutern. Die zuständige Behörde verweist auf die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6. März 2018 (Slowakische Republik gegen Achmea BV, Rs. C- 284/16) verabschiedete Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zum Schutz EU-interner Investitionen vom 19. Juli 2018, in der sie betont, dass das EU-Recht alle Arten von Investitionen regelt und schützt. Dies gelte insbesondere für Investitionen, die den Kapitalverkehr und die Niederlassung betreffen. Anlegerinnen und Anleger hätten die Möglichkeit, ihre Rechte mithilfe der nationalen Verwaltungen und Gerichte nach den nationalen Verfahrensvorschriften durchzusetzen, die den wirksamen Schutz dieser Rechte gewährleisten müssen. 1 Quelle: Statistikamt für Hamburg und Schleswig-Holstein – Ausfuhren des Landes Hamburg 2018. 2 Euro-Länder: Portugal. Griechenland, Malta, Lettland, Litauen, Slowenien, Slowakei, Estland : Nicht-Euro-Länder: Polen, Tschechien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien. Quelle : Bundesanzeiger. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16890 3 3. Welche Schritte beabsichtigt der Senat zu unternehmen, um die Risiken für Hamburger Unternehmen/Körperschaften aus dem absehbaren Wegfall der Investitionsschutzabkommen zu minimieren? Bitte nach - finanziellen, - administrativen, - rechtlichen und - politischen Maßnahmen (etwa in Richtung Bundesrat, EU) aufschlüsseln . Die zuständige Behörde verweist auf die Erklärung der Vertreterinnen und Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 15. Januar 2019, in der diese unter anderem den Wunsch nach einem intensiven Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission über einen besseren und wirksamen Schutz grenzüberschreitender Investitionen in der EU bekräftigen. Die zuständige Behörde wird diesbezügliche Vorschläge der Bundesregierung und der Europäischen Kommission prüfen, sobald diese vorliegen. 4. In welcher Weise spricht sich der Senat bei den Maßnahmen unter 3. mit der Handelskammer Hamburg ab und wie soll das Vorgehen koordiniert werden? Die zuständige Behörde wird bei der Prüfung etwaiger Vorschläge der Bundesregierung und der Europäischen Kommission die Stellungnahme der Handelskammer berücksichtigen. 5. Ergeben sich aus Sicht des Senats aufgrund des oben erwähnten „Achmea -Urteils“ des EuGH beziehungsweise des jetzt feststehenden Wegfalls bilateraler EU-Investitionsschutzabkommen zum 01.01.2020 Auswirkungen auf den Streit um Schadenersatzforderungen zwischen dem schwedischen Konzern „Vattenfall“ und der „Bundesrepublik Deutschland “ in Sachen „Atomausstieg“ (AKWs Krümmel und Brunsbüttel), wobei es Presseberichten zufolge um eine Summe von rund 6 Milliarden Euro gehen soll? Falls ja, warum und in welcher Weise? Falls nein, warum nicht? Der Senat nimmt grundsätzlich zu laufenden Verfahren Dritter keine Stellung.