BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/16891 21. Wahlperiode 23.04.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Lorkowski (AfD) vom 15.04.19 und Antwort des Senats Betr.: Kindeswohlgefährdung durch drohende Genitalverstümmelung Auf eine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann und Peter Lorkowski vom 04.12.2018 (Drs. 21/15117) zum Thema Genitalverstümmelung 2018 teilte der Senat mit, dass für das Jahr 2017 und die ersten drei Quartale des Jahres 2018 keine Fälle von weiblicher Genitalverstümmelung in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) oder im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft (MESTA) erfasst seien. Auch wiederholte Anfragen der Partei „DIE LINKE“ für vorangehende Zeiträume (Drs. 20/10264, 21/4274 und 21/8684) beantwortete der Senat dahin gehend, es lägen keine entsprechenden Erkenntnisse vor. Seit 2013 ist die Verstümmelung weiblicher Genitalien gemäß § 226a StGB ein eigener Straftatbestand. Leider ist der Wirkungsbereich dieses Gesetzes sehr gering, da die Verstümmelung häufig im Ausland geschieht oder in den Parallelgesellschaften, in denen sie verbreitet ist, gutgeheißen wird. Nach uns vorliegenden Informationen kam Im Oktober 2018 die Mitarbeiterin eines Dienstleistungsunternehmens in Hamburg-Harburg mit einer Kundin aus Guinea ins Gespräch. Die Mutter zweier Töchter im Vorschulalter kündigte an, im Frühjahr 2019 mit den kleinen Mädchen nach Guinea zu reisen, um sie dort beschneiden zu lassen. Die Mitarbeiterin hakte nach und erfuhr, dass das für die Frau „ganz normal“ sei. Sie sei Muslimin und auch selbst „beschnitten“. Ein Kollege der alarmierten Mitarbeiterin informierte umgehend das zuständige Jugendamt in Hamburg Harburg, um Schutzmaßnahmen für die beiden Mädchen einzuleiten. Über seinen „Notruf Genitalverstümmelung“ wurde auch der Verein „TaskForce für effektive Prävention von Genitalverstümmelung e.V.“ in den Fall involviert. Die Kinderschutzorganisation arbeitet in der Regel bei drohender Verstümmelungsgefahr eng mit den Jugendämtern zusammen, stellt Informationen bereit, berät zur Rechtslage und unterstützt bei der Erarbeitung der nötigen Anträge an die Familiengerichte. Das Jugendamt Hamburg Harburg stellte jedoch gegenüber „TaskForce“ infrage, ob das Gespräch zwischen der Kindsmutter und der Mitarbeiterin tatsächlich stattgefunden habe und verweigerte jegliche Auskunft über den Schutzstatus der Mädchen. Drucksache 21/16891 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Januar 2019 übernahm die „TaskForce“ die Aufgabe des Jugendamtes, beim Amtsgericht Hamburg Harburg wirksame Schutzmaßnahmen für die beiden gefährdeten Mädchen zu beantragen und stellte einen Eilantrag auf einstweilige Verfügung mehrerer Schutzmaßnahmen, unter anderem die Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung der Gesundheitsfürsorge. Obwohl aus dem Antrag hervorgeht, dass die „TaskForce“ ihre Informationen von Dritten, also von Zeugen, erhielt, hat sich das Gericht bis heute nicht um die Aussagen dieser Zeugen bemüht! Mehr noch, das Gericht verweigert der „TaskForce“ Auskunft darüber, ob dem Eilantrag stattgegeben wurde und hat am Donnerstag, dem 07. März 2019, den Fall ohne Beteiligung der „TaskForce“ als Antragstellerin und Sachverständige sowie ohne die Zeugen (Mitarbeiterin und Kollege des Dienstleistungsunternehmens) verhandelt. (Aktenzeichen 634 F 15/19) Das Ergebnis der Verhandlung ist der „TaskForce“ nach deren Angaben nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Erhält die Polizei über einen Sachverhalt von drohender weiblicher Genitalverstümmelung Kenntnis, trifft sie in Absprache mit dem zuständigen Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) die im jeweiligen Einzelfall nötigen gefahrenabwehrenden und strafprozessualen Maßnahmen. Diese umfassen neben der Anzeigenaufnahme und dem Einleiten eines Ermittlungsverfahrens auch die Durchführung von Gefährderansprachen sowie die Meldung einer Kindeswohlgefährdung an den ASD. Bei akuter Gefahr für Leib oder Leben kann die Polizei die sichere Unterbringung der Betroffenen veranlassen (bei Minderjährigen über den ASD oder Kinder- und Jugendnotdienst (KJND), bei Erwachsenen durch die Polizei selbst). Erhält das Jugendamt Kenntnis von einer drohenden Genitalverstümmelung bei einer Minderjährigen handeln die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend der „Handlungsempfehlung der Hamburger Jugendämter zur Intervention bei weiblicher Genitalverstümmelung “ in Verbindung mit der Arbeitsrichtlinie zum Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII. Im Übrigen siehe Drs. 21/15117. Präventive Ansätze zur Verhütung von weiblicher Genitalverstümmelung werden grundsätzlich bezirksübergreifend verfolgt. In Zusammenarbeit mit der Behörde für Inneres und Sport (BIS), der Justizbehörde (JB), der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV), den bezirklichen Kinderschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren sowie Plan International hat die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) im Februar 2019 einen sogenannten Schutzbrief herausgegeben . Dieser bundesweit einzigartige Schutzbrief, der in mehreren Sprachen erhältlich ist, richtet sich in erster Linie an die Eltern potenziell von weiblicher Genitalverstümmelung betroffener Mädchen. Er erläutert sowohl die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen der Genitalverstümmelung als auch die straf- und sorgerechtlichen Konsequenzen, die bei einer Verurteilung auf Grund der versuchten oder tatsächlichen Ausführung von Genitalverstümmelung – unabhängig vom Ort der Ausführung – in Deutschland drohen. Er dient daher sowohl der Aufklärung der Eltern als auch der Familien im Heimatland und soll zur Verringerung des sozialen Drucks zur Durchführung der weiblichen Genitalverstümmelung im Heimatland beitragen, https://www.hamburg.de/opferschutz/12138124/schutzbrief-gegengenitalverstuemmelung /. Im Übrigen siehe Drs. 21/8684, 20/10994, 20/10264 und 20/10158. Soweit die erfragten Informationen personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, handelt es sich um Sozialdaten (§ 67 Absatz 2 S. 1 SGB X), die der Senat gemäß § 67 b Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder gemäß Artikel 6 Absatz 1 S. 1 Buchstabe a DS-GVO Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/16891 3 mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Einwilligungen zur Datenübermittlung liegen nicht vor. Hinsichtlich der erfragten Informationen, die personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, ist der Senat daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach § 35 SGB I, §§ 61 fortfolgende SGB VIII, §§ 67 fortfolgende SGB X an der Beantwortung der Fragen gehindert . Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist dem Senat der vorstehend geschilderte Sachverhalt bekannt? Wenn ja, seit wann und wie ist er ihm zur Kenntnis gelangt? 2. Haben die zuständigen Behörden Maßnahmen ergriffen, um eine bevorstehende Verbringung der Mädchen in ihr Herkunftsland zum Zweck der Genitalverstümmelung zu verhindern? Wenn ja, welche Maßnahmen wurden ergriffen? Wenn nein, warum nicht? 3. Stehen die zuständigen Behörden in Kontakt zu der Familie und sind sie über den Aufenthalt der betroffenen Mädchen informiert? Wenn ja, wo befinden die Mädchen sich derzeit? Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. 4. Sind den zuständigen Behörden weitere Fälle von drohender/stattgefundener Genitalverstümmelung im Bezirk Harburg bekannt? Siehe Drs. 21/15117, 21/8684. Im Übrigen liegen hierzu keine validen Daten vor. 5. Wie gehen die zuständigen Behörden gegen drohende Genitalverstümmelung auf Auslandsreisen oder auch im Inland vor? 6. Gibt es im Bezirk Harburg spezielle Präventivprogramme gegen Genitalverstümmelung ? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. 7. Ist dem Senat der Ausgang des Verfahrens 634 F 15/19 beim Amtsgericht Hamburg-Harburg bekannt? Wenn ja, welche Entscheidungen wurden vom Gericht getroffen beziehungsweise welche Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls wurden durch das Gericht angeordnet? Wenn nein, warum nicht? Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.