BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1703 21. Wahlperiode 02.10.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir und Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 24.09.15 und Antwort des Senats Betr.: Salafistinnen und Salafisten werben potenzielle Anhängerinnen und Anhänger Wie bekannt ist, werben Salafistinnen und Salafisten fortwährend um neue Anhängerinnen und Anhänger. Auch die Anzahl der Aktivistinnen und Aktivisten um salafistische Gruppierungen, wie zum Beispiel „Lies!“, steigt. Dabei werden die Strategien zur Anwerbung stets ausgeweitet, sodass Salafistinnen und Salafisten beispielsweise inzwischen versuchen in Deutschland angekommene Flüchtlinge für ihre Gesinnung zu gewinnen. Darüber hinaus gibt es in der Imbrahim-Khalil-Moschee in Billstedt an Frauen gerichtete Kurse , geleitet von Frauen mit salafistischen Tendenzen. Es werden also auch gezielt junge Frauen angesprochen. Des Weiteren wurde im April 2015 ein Fall öffentlich, bei dem einem sogenannten Kulturvermittler des Landesbetriebs Erziehung und Beratung islamistische Tendenzen nachgewiesen wurden, die er versucht hat Jugendlichen zu vermitteln. Wir fragen den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von f & w fördern und wohnen – Anstalt öffentlichen Rechts (f & w). 1. Welche Erkenntnisse hat der Senat über Strategien unterschiedlicher salafistischer Gruppierungen, junge Menschen und speziell auch Flüchtlinge für sich zu gewinnen? a) Wie sehen diese Strategien aus? Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern registrieren bundesweit vermehrt Versuche der salafistischen Szene, aber auch anderer islamistischer Organisationen, die darauf angelegt sind, die Situation der Flüchtlinge unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe für ihre propagandistischen Zwecke zu missbrauchen. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand kann noch nicht von einer zentral gesteuerten Kampagne gesprochen werden. Gleichwohl werden bundesweit vermehrt Versuche von Salafisten beobachtet, mit Flüchtlingen in den Aufnahmeeinrichtungen in Kontakt zu treten. Auch in Hamburg gab es diese Kontaktversuche, siehe Dr. 21/1513 und Drs. 21/1542. Zudem bestehen Bestrebungen salafistischer, aber auch anderer islamistischer Gruppierungen , junge Menschen und insbesondere Flüchtlinge durch andere Hilfsangebote (zum Beispiel Übersetzungen, Begleitung bei Behördengängen) für sich zu gewinnen. Drucksache 21/1703 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Verschiedene Hamburger Dawa-(Missionierungs)-Organisationen versuchen seit 2012 durch öffentlich angemeldete Info-Stände und nicht genehmigungspflichtige StreetDawa -Aktivitäten neue Anhänger für sich zu gewinnen. Im Übrigen siehe Drs. 21/114 und Drs. 21/1278. Darüber hinaus versuchen bundesweit agierende salafistische Organisationen wie „Ansaar Düsseldorf“ oder „Helfen in Not e.V.“ durch Spendenveranstaltungen für Syrien gezielt Menschen für den Salafismus beziehungsweise Jihadismus zu werben. b) Um welche salafistischen und islamistischen Gruppen handelt es sich namentlich und an welchen konkreten Orten in Hamburg spielen sich ihre Handlungen ab? In Hamburg sind dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg die folgenden vier Dawa-Organisationen bekannt: 1. LIES! 2. Siegel der Propheten 3. Dawah Movement Hamburg 4. Jesus im Islam (Aktivitäten Ende 2014 eingestellt) In den letzten Jahren fanden die Aktivitäten der Organisationen fast ausschließlich im Bezirk Hamburg-Mitte statt, insbesondere im Bereich Mönckebergstraße, Spitaler Straße, Glockengießerwall, Reesendammbrücke und Jungfernstieg. Im Übrigen siehe Drs. 21/114 und Drs. 21/1278. Nach einer Aktion an den Messehallen kam es vor der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) Jenfelder Moorpark am 19. August 2015 zu einer Koranverteilung. Neben der salafistischen Szene beschäftigt sich insbesondere auch die islamistische Hizb-ut-Tahrir mit Bestrebungen, wie man Flüchtlinge rekrutieren kann. Ansatzpunkte für diese Rekrutierungsversuche sind vornehmlich die in Hamburg eingerichteten Flüchtlingsunterkünfte. Detailliertere Angaben zum Erkenntnisstand des LfV Hamburg können aus Gründen des Staatswohls nur gegenüber dem nach § 24 HmbVerfSchG für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) gemacht werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die beobachteten Bestrebungen Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Einblickstiefe des LfV Hamburg zulassen könnten und eine künftige Beobachtung unverhältnismäßig erschwert würde. c) Wie gehen der Senat und zuständige Behörden dagegen vor? Siehe Drs. 20/13460, Drs. 21/476, Drs. 21/954, Drs. 21/1104, Drs. 21/1204, Drs. 21/1542 und Drs. 21/1674. Die Sicherheitsbehörden verfolgen die mit der Flüchtlingsthematik in Zusammenhang stehenden Aktivitäten extremistischer Organisationen aufmerksam und stehen mit den für Flüchtlinge zuständigen Behörden in einem engen Informationsaustausch. Werden dem LfV Hamburg entsprechende Vorhaben von Salafisten bekannt, dann unterrichtet das LfV Hamburg gemäß § 14 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) die Polizei und die zuständigen Behörden. Zudem hat die Polizei für präventive Maßnahmen im Sinne der Fragestellung die Dienststelle „Prävention gewaltzentrierte Ideologien“ im Landeskriminalamt (LKA 702) eingerichtet. Von dort wird eine Beratung von Mitarbeitern der Polizei Hamburg und anderer Behörden sowie von zivilgesellschaftlichen Akteuren zum Umgang mit dem Phänomenbereich des religiös motivierten Extremismus durchgeführt. In diesem Zusammenhang findet auch eine Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für Flüchtlingsunterkünfte statt. Die Beratung in konkreten Einzelfällen wird durch die Deradikalisierungsstelle für religiös begründeten Extremismus/gewaltbereiten Salafismus der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) gewährleistet . Das LKA 702 ist hierbei begleitend tätig. Im Übrigen siehe Drs. 21/1542. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1703 3 Das LfV Hamburg informiert regelmäßig in Medieninterviews, Vorträgen und über Internetbeiträge über die Gefahren des Salafismus und bestimmte Protagonisten der Szene. In Einzelfällen stehen auch Mitarbeiter des LfV Hamburg für Beratungsgespräche zur Verfügung. Darüber hinaus siehe Drs. 21/510. 2. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat zur Anwerbung von Frauen, beispielsweise in speziellen Kursen an Moscheen, vor? Bitte schildern Sie hier die Vorgehensweise der Salafistinnen und Salafisten. Terroristische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) und Al Qaida richteten ihr Augenmerk gerade in der jüngeren Vergangenheit gezielt auf die Rekrutierung von Frauen. So hat der IS auch Frauen dazu aufgerufen, in die entsprechenden Gebiete auszureisen, um sich dem IS anzuschließen. Für Frauen werden eigene Broschüren (zum Beispiel mit Tipps für eine Reise in die entsprechenden Gebiete) erstellt. Salafistinnen unterhalten eigene Facebook- und Whatsapp-Gruppen, um ihre Ideologie zu verbreiten und weitere Anhängerinnen in Sinne der Fragestellung zu finden. 3. Es gibt Moscheen in Hamburg, wie die Ibrahim-Khalil-Moschee in Billstedt , die sich darüber beklagen, keine Kapazitäten zu haben, gegen Salafistinnen und Salafisten vorgehen zu können. Von welchen Moscheen liegen dem Senat Informationen vor, mit dieser Situation überfordert zu sein und wie gedenkt er vorzugehen? Hierzu liegen den Sicherheitsbehörden keine Informationen vor. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration fördert je eine Koordinierungsstelle zur Prävention und Lotsenberatung für die alevitischen Gemeinden in Hamburg und für die in der SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. organisierten Moscheegemeinden. Durch diese Projekte soll sowohl eine Erstberatung von Gemeindemitgliedern in den alevitischen und muslimischen Gemeinden gewährleistet als auch die Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle legato gefördert werden. Darüber hinaus bildet das seit Oktober 2014 bestehende Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalisierung den Rahmen für einen erweiterten Wissens- und Informationstransfer in die dort vertretenen Religionsgemeinschaften. Siehe hierzu Drs. 20/13460 und Drs. 21/954. 4. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat über die salafistische Gruppierung „An Nisa Projects“ vor und wie gedenken der Senat und die zuständigen Behörden vorzugehen? Außer den sich aus dem Facebook-Account von „An Nisa“ ergebenen Informationen lag den Sicherheitsbehörden bisher nur ein unbestätigter Hinweis auf die Existenz von „An Nisa“ vor. Die aktuelle Bewertung des Accounts ergab, dass es sich bei „An Nisa“ um ein dem Salafismus zuzuordnendes Projekt handelt. a) Welche anderen islamistischen oder salafistischen Gruppen sind dem Senat bekannt, die sich gezielt an (junge) Frauen richten und wo sind diese tätig? Die Propaganda des IS richtet sich zunehmend auch an Frauen und junge Mädchen. So existiert im Internet eine offene zugängliche IS-Abhandlung mit dem Titel „Hijrah to the Islamic State“, das eine Art Reiseführer darstellt und Hinweise gibt, wie man am besten zum IS nach Syrien und/oder Irak gelangt. Eine andere Form der Propaganda von Frauen für Frauen findet in den sozialen Netzwerken über regelmäßig fortgeschriebene „Tagebücher“ von Frauen statt, die sich bereits in Syrien oder dem Irak aufhalten. Für gesteuerte und strukturierte „Rekrutierungen“ speziell von Frauen seitens des IS liegen keine Anhaltspunkte vor. Drucksache 21/1703 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b) Welche Maßnahmen plant der Senat, um speziell jugendliche Frauen vor der Einflussnahme von Islamistinnen und Islamisten und Salafistinnen und Salafisten zu schützen? Im Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalisierung wurde am 10. September 2015 eine gemeinsame Sitzung der AG Prävention und Intervention zum Thema „Junge radikalisierte Frauen“ durchgeführt. Die von Expertinnen vorgetragenen Handlungsansätze und von den Netzwerk-Mitgliedern herausgearbeiteten weiterführenden Fragen werden sowohl in den Hamburger Projekten als auch in den Unterarbeitsgruppen des Netzwerks weiter bearbeitet. Die Sicherheitsbehörden haben ihre Aufklärungsbemühungen in diesem Zusammenhang auch der Entwicklung angepasst. Im Übrigen siehe Antwort zu 1.c). 5. Bisher hieß es, dass von den 60 nach Syrien oder dem Irak ausgereisten Personen zehn junge Frauen waren. Haben sich diese Zahlen verändert, hat der Senat neue Erkenntnisse? Die Zahl der in Richtung Syrien und Irak ausgereisten Personen ist auf 65 angestiegen . Circa 20 Prozent davon sind Frauen. 6. Sind dem Senat weitere Fälle bekannt, in denen Personen, die im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften oder mit Flüchtlingen arbeiteten (Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittler für den LEB, Freiwillige bei f & w), aufgrund von islamistischer Gesinnung freigestellt beziehungsweise entlassen wurden? Bitte auflisten nach Datum, Ort und Anlass. Nein.