BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17049 21. Wahlperiode 10.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 02.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Ersatzfreiheitsstrafler – Wer sitzt seine Geldstrafe hinter Gittern ab? Wird im Rahmen eines Strafverfahrens festgestellt, dass der Angeklagte rechtswidrig und schuldhaft eine Straftat begangen hat, erfolgt im Rahmen der Strafzumessung durch das Gericht die konkrete Festlegung des Strafmaßes , mithin Art und Höhe der Strafe. Dabei erfolgt die Strafzumessung anhand der Strafzwecke und in Abwägung der Umstände von Tat, Täter und dessen Schuld. Wird jemand zu einer Geldstrafe verurteilt, die vornehmlich bei leichten Delikten verhängt wird, um Freiheitsstrafe zu vermeiden, muss er diese zahlen. Tut der Verurteilte das trotz Zahlungsaufforderung und Mahnung nicht, tritt an die Stelle der Geldstrafe die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe. In diesem Fall tritt der Verurteilte so viele Tage Haft an, wie Tagessätze noch ausstehen . Vor dem Hintergrund, dass Hamburgs Haftplatzkapazitäten äußerst knapp sind, ein Haftplatz den Steuerzahler täglich etwa 170 Euro kostet, die Ersatzfreiheitsstrafe der eigentlichen und primären Absicht des Urteils, den Betroffenen mit einer Geldstrafe zu belegen, widerspricht und sie gerade bei kürzeren Vollzugszeiten, also bei einer geringeren Zahl der offenen Tagessätze , auch nicht wirklich zur Resozialisierung des Gefangenen beiträgt, sind Ersatzfreiheitsstrafen möglichst zu vermeiden. Darüber besteht weitgehend Einigkeit, selbst wenn die Vorstellungen über die dazu zu ergreifenden Maßnahmen teilweise auseinander gehen; dies zeigen die Drs. 21/11084, 21/16525 und 21/16641. Der im Justizausschuss am 4. April 2019 beschlossene Antrag Drs. 21/16525 sieht unter anderem vor, dass es durch eine Änderung des Strafvollzugsgesetzes künftig für Ersatzfreiheitsstrafler nicht mehr möglich ist, zwischen zu vergütender Arbeit in der Justizvollzugsanstalt und gemeinnütziger Arbeit zum Zwecke der Abwendung der weiteren Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zu wählen. Um weitere gezielte Schritte in die Wege leiten zu können, bedarf es näherer Informationen über den Hintergrund der Ersatzfreiheitsstrafler, die häufig aus prekären Lebensumständen stammen und unter psychischen Störungen, massivem Suchtmittelmissbrauch oder Obdachlosigkeit leiden. Am 31. März 2019 befanden sich 149 Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten, in Hamburgs Justizvollzugsanstalten (Drs. 21/16737). Da im 1. Quartal 2019 bereits nach Angaben des Senats in der Drs. 21/16879 274 Eingliederungspläne durch die Fachstelle Übergangsmanagement (FÜma) beziehungsweise die Jugendgerichtshilfe erstellt wurden und davon auszugehen ist, dass die Haftentlassung der meisten der 149 Drucksache 21/17049 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Ersatzfreiheitsstrafler, die sich am 31. März 2019 in Hamburgs JVA befanden , binnen der nächsten sechs Monate erfolgt, werden die Informationen über die persönlichen Lebensumstände und Unterstützungsbedarfe auch bekannt sein. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Ersatzfreiheitsstrafler befinden sich aktuell (30. April 2019) in Hamburgs JVAs? Zum erfragten Stichtag verbüßten 89 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe in den Hamburger Justizvollzugsanstalten. a) Wie viele von ihnen sind Männer, wie viele Frauen? Von den 89 genannten Gefangenen sind 78 Männer und elf Frauen. b) Wie hoch ist der Ausländeranteil? Der Ausländeranteil liegt bei 55 Prozent. c) Wie viele sind zum Zeitpunkt der Inhaftierung im Leistungsbezug (ALG I, ALG II oder Grundsicherung)? Insgesamt bezogen zum Zeitpunkt der Inhaftierung neun Personen Leistungen nach dem SGB XII. Informationen zu Personen, welche Leistungen nach dem SGB II und SGB III beziehen , wurden dem Senat weder durch das Jobcenter noch durch die Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird mitgeteilt, dass, sofern an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB tritt, dies nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit grundsätzlich zu einem Leistungsausschluss von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II führt (§ 7 SGB II Leistungsberechtigte , RN 7.97). Hinzu kommt, dass Personen aus dem Leistungsbezug abgemeldet werden, wenn sie als Inhaftierte dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. d) Wie hoch ist der Anteil Drogenabhängiger unter ihnen? Der Anteil der Drogenabhängigen liegt bei 36 Prozent. e) Wie viele sind ohne festen Wohnsitz? 44 der genannten Gefangenen sind ohne festen Wohnsitz. 2. Wie hoch ist die durchschnittliche Verweildauer von (reinen) Ersatzfreiheitsstraflern ? Für den exemplarisch gegriffenen Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2019 lag die durchschnittliche Verweildauer von Gefangenen, die ausschließlich eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, bei 28 Tagen. 3. Wie viele Ersatzfreiheitsstrafler arbeiten aktuell vergütet in Haft? Bitte pro JVA und insgesamt in absoluten und prozentualen Zahlen zum Stichtag 30. April 2019 angeben. Zum erfragten Stichtag haben in der JVA Billwerder 13 Ersatzfreiheitsstrafler vergütet gearbeitet, was 33,33 Prozent der Gesamtzahl der Ersatzfreiheitsstrafler in dieser JVA entspricht. In der JVA Hahnöfersand hat ein Ersatzfreiheitsstrafler gearbeitet, was 100 Prozent entspricht und in der Untersuchungshaftanstalt haben zwei Ersatzfreiheitsstrafler gearbeitet, was 12 Prozent entspricht. 4. Wie schnell erfolgt die Zuteilung von vergüteter Arbeit? Durchschnittlich ist die Zuteilung von vergüteter Arbeit spätestens innerhalb der ersten drei bis vier Wochen nach Haftantritt abgeschlossen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17049 3 5. Welche Arbeiten werden als day-by-day (gemeinnützige Arbeit zum Zwecke der Abwendung der weiteren Vorstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ) angeboten? Als sogenannte Day-by-day-Arbeiten werden den Gefangenen insbesondere Küchenund Malerarbeiten sowie Arbeiten im Bereich Garten und Landschaftsbau, Gebäudereinigung , Haustechnik, Schlosserei und Tischlerei angeboten. 6. Wie ist aktuell die Relation von Ersatzfreiheitsstraflern, die day-by-day nutzen, zu denen, die vergütet arbeiten? Neun Gefangene, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, nutzen das „day-by-day“- Programm. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 7. Wie viele Tagessätze wurden im Jahre 2018 durch gemeinnützige Arbeit/day-by-day getilgt? Durch die von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration vermittelte gemeinnützige Arbeit wurden im Jahr 2018 insgesamt 16 611 Tagessätze getilgt. In den Hamburger Justizvollzugsanstalten wurden insgesamt 2 196,5 Tagessätze getilgt. 8. Wie erklärt sich die zuständige Behörde die massiv abnehmenden Zahlen getilgter Tagessätze durch gemeinnützige Arbeit (von 22 606 im Jahre 2013 auf 16 089 im Jahre 2017, Drs. 21/13308)? Der Rückgang der Zahlen getilgter Tagessätze durch gemeinnützige Arbeit ist zum einen durch den Rückgang der Verurteilungen zu Geldstrafen erklären, der im Ergebnis auch zu weniger Ersatzfreiheitsstrafen führt. Zum anderen hängt die erfolgreiche Tilgung von Tagessätzen durch gemeinnützige Arbeit – vor Verbüßung im Justizvollzug – sowohl von den durch die Staatsanwaltschaft gemeldeten Fällen (2013: 1 640 Falleingänge, 2017: 1 193 Falleingänge, 2018: 937 Falleingänge) als auch von der Leistungswilligkeit beziehungsweise -fähigkeit der gemeldeten Personen ab. Darüber hinaus wird seitens des Justizvollzuges vermutet, dass Gefangene, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, die Möglichkeit von gemeinnütziger Arbeit ablehnen, wenn die Tagessätze der Ersatzfreiheitsstrafe geringer sind als die regulären Verdienstmöglichkeiten durch vergütete Arbeit in der Justizvollzugsanstalt. 9. Wie hoch ist das durchschnittliche Übergangsgeld, das Ersatzfreiheitsstrafler erhalten? Bitte gegebenenfalls für Zeitraum Januar – April 2019 angeben. Ein „Übergangsgeld“ gibt es nicht. Für das durchschnittliche „Überbrückungsgeld“ gemäß § 47 HmbStVollzG ist ein Durchschnittswert nicht zu ermitteln, da Ersatzfreiheitsstrafler ihre Ersatzfreiheitsstrafe zum Teil auch in Unterbrechung einer Freiheitsstrafe verbüßen und das Überbrückungsgeld erst bei Entlassung ausgezahlt wird. Geht man aber von einer durchschnittlichen Verweildauer von 28 Tagen aus (vergleiche Antwort zu 2.), und arbeitet der Ersatzfreiheitsstrafler in dieser Zeit täglich in einer Vergütungsstufe, die durchschnittliche Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und Geschicklichkeit des Gefangenen stellt, so würde er in den 28 Tagen einen Betrag von 94,22 Euro ansparen. 10. Wie viele der sich aktuell (Stichtag 30. April 2019) in Ersatzfreiheitsstrafe befindlichen Insassen sind bereits zum wiederholten Male im Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe? Es befinden sich 37 Gefangene zum wiederholten Male im Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe . 11. Wie viele Ersatzfreiheitsstrafen wurden 2018 auf dem Gnadenwege erlassen? Drucksache 21/17049 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Ersatzfreiheitsstrafen als solche werden im Gnadenwege grundsätzlich nicht erlassen. 12. In der Drs. 21/16737 weist der Senat bei den Klienten, die vor dem Erstgespräch aus der Haft entlassen wurden, darauf hin, dass es sich regelhaft um Klientinnen und Klienten handelt, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen und kurzfristig entlassen wurden, da sie sich ausgelöst haben oder Dritte die Geldstrafe beglichen haben. a) Wie häufig wurden seit Beginn des Jahres 2019 Ersatzfreiheitsstrafler entlassen, weil sie sich ausgelöst haben oder Geldstrafen von Dritten beglichen wurden? Insgesamt wurden 193 Ersatzfreiheitsstrafler entsprechend ausgelöst. b) Wer ist der Personenkreis der Dritten, die Geldstrafen für Ersatzfreiheitsstrafler begleichen? Bei der Auslösung von Gefangenen durch eine dritte Person wird nicht erfasst, in welchem Verhältnis der oder die Gefangene zu der zahlenden Person steht. Erfahrungsgemäß handelt es sich dabei jedoch um Personen aus dem familiären Umfeld. c) Können Ersatzfreiheitsstrafler ablehnen, dass Dritte ihre Geldstrafe begleichen? Falls ja, ist das seit Beginn des Jahres 2019 vorgekommen? Falls nein, weshalb nicht? Sofern die Auslösung durch Dritte erfolgt, werden die betroffenen Gefangenen immer vorher gefragt, ob die Begleichung durch die Person erfolgen soll. Eine statistische Erhebung der Ablehnungen erfolgt nicht, ist erfahrungsgemäß aber selten. d) Inwiefern besteht nach Ansicht der zuständigen Behörde die Gefahr, dass Ersatzfreiheitsstrafler durch das Begleichen von Geldstrafen durch Dritte Zwangssituationen ausgesetzt werden können (zum Beispiel, indem sie anschließend vom Auslösenden unter Druck gesetzt werden)? Diesbezüglich dürfte grundsätzlich keine Gefahr bestehen, weil für die Betroffenen die Möglichkeit besteht, Zahlungen abzulehnen.