BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17050 21. Wahlperiode 10.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 02.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Effektive Beitreibung oder Schwarzes Loch für Hamburgs Steuergelder ? – Der aktuelle Stand der Umsetzung strafgerichtlicher Kostenentscheidungen Gerichtskosten, Gebühren und Auslagen für Pflichtverteidiger, Kosten für Dolmetscher, Entschädigung von Zeugen- und Nebenklägerauslagen – schnell können in einem Strafprozess mehrere Tausend Euro Gesamtkosten entstehen. Im Falle einer Verurteilung sind diese vom Verurteilten zu tragen, § 465 StPO. Doch viele Verurteilte sind finanziell zur Zahlung dieser hohen Summen gar nicht in der Lage. Es stellt sich daher die Frage, was passiert, wenn die Verurteilten nicht zahlungsfähig sind und deshalb nicht oder nicht vollständig zahlen. Die Antwort ist dabei einfach: Der Steuerzahler muss für die aus der Verfehlung des Einzelnen entstehenden Kosten aufkommen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In Hamburg werden Gerichtskosten aus Strafverfahren gegen Erwachsene von zwei verschiedenen Stellen beigetrieben – der Staatsanwaltschaft und der Justizkasse. Wird eine Geldstrafe verhängt, zieht die Staatsanwaltschaft die Kosten des Verfahrens zusammen mit der Geldstrafe ein. Nur für den Fall, dass die Einziehung der Geldstrafe schleppend oder erfolglos verläuft, werden die Kosten des Verfahrens abgetrennt und der Justizkasse übertragen. Wird eine Freiheitsstrafe verhängt, so ist die Justizkasse für die Einziehung der Kosten des Verfahrens originär zuständig. Folglich setzt sich der Anteil der Verfahrenskosten, der durch die Justizkasse beizutreiben ist, aus all jenen Verfahren zusammen, bei denen die Aussicht auf erfolgreiche Beitreibung von Beginn an vergleichsweise gering ist. Die statistischen Daten der Staatsanwaltschaft sehen eine Splittung der Geldstrafen und Verfahrenskosten nicht vor, da nach der Einforderungs- und Beitreibungsanordnung (EBAO) beide Geldbeträge gemeinsam einzuziehen sind (§ 1 Absatz 2 EBAO). Eine händische Auswertung der Aktenbestände kann in der für eine Parlamentarische Anfrage erforderlichen Zeit nicht erfolgen. Dennoch zeigen die für die für die Staatsanwaltschaft gebuchten Erlöse der Geldstrafen einschließlich der dazu gehörenden Verfahrenskosten die erfolgreiche Einziehung aus Strafverfahren. So hat die Staatsanwaltschaft im Jahr 2016 (Gesamt-)Erlöse in Höhe von rund 15,0 Millionen Euro, in 2017 in Höhe von rund 12,8 Millionen Euro, in 2018 in Höhe von rund 15,4 Millionen Euro und bis zum 30.04 2019 in Höhe von rund 5,8 Millionen Euro erzielt: Verfahrenskosten, bei denen eine Einziehung eher aussichtslos erscheint, wurden an die Justizkasse übertragen. Aus diesen Fällen konnten dennoch weitere Erlöse gene- Drucksache 21/17050 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 riert werden. Die im Folgenden genannten Außenstände werden entweder durch Raten bedient oder mussten wegen Mittellosigkeit, Tod, Abschiebung oder Nichtermittlung ausgebucht werden. Wenn Jugendstrafrecht angewendet wird, wird nach §§ 109 Absatz 2 S. 1, 105, 74 JGG in der Regel davon abgesehen, dem Jugendlichen oder Heranwachsenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In wie vielen Fällen wurde einem Angeklagten seitens der Hamburger Strafgerichte seit dem 1. Januar 2016 eine Kostentragung nach § 465 Absatz 1 StPO insgesamt auferlegt? Bitte nach Jahr der Kostenentscheidung (nachfolgend „Anfallsjahr“) gesondert darstellen. Da im allgemeinen (Erwachsenen-) Strafrecht die Kostentragungspflicht des Angeklagten nach § 465 Absatz 1 StPO im Falle einer Verurteilung obligatorisch ist, wird im Folgenden die Entwicklung der Verurteilungen von Erwachsenen im abgefragten Zeitraum dargestellt: Anfallsjahr 2016 2017 2018 2019 (Stand: 30. April) Anzahl Verurteilungen 16.651 16.083 16.907 4.096 2. Auf jeweils welche Gesamtsumme beliefen sich die Kosten der unter Ziffer 1. fallenden Fälle seit dem 1. Januar 2016 insgesamt? Bitte nach Anfallsjahr gesondert darstellen. Die Kosten, die der Justizkasse zur Einziehung übertragen wurden sind der folgenden Übersicht zu entnehmen. Der Anteil an den zu Frage 1. genannten Fällen liegt jeweils unter 50 Prozent. Anfallsjahr 2016 2017 2018 2019 (Stand: 30. April) Anzahl Fälle 7 132 7 115 5 560 2 466 Summe 5 702 799,36€ 6 834 511,17€ 5 629 107,75€ 2 217 611,93€ Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Wird die unter Ziffer 2. benannte Summe verzinst? Wenn ja, auf jeweils welcher rechtlichen Grundlage, zu jeweils welchem Zinssatz und in jeweils welcher Höhe sind Zinsen bisher insgesamt angefallen? Bitte nach Anfallsjahr gesondert darstellen. Gerichtskosten werden bundesweit nicht verzinst. 4. Welche Stelle ist für die Beitreibung der unter Ziffer 1. fallenden gerichtlichen Kostenentscheidungen zuständig? Siehe Vorbemerkung. 5. Wie hat sich die Personalsituation der unter Ziffer 4. bezeichneten zuständigen Stelle seit dem 1. Januar 2016 entwickelt? Bitte in Sollstellen und Vollzeitäquivalenten jeweils zum Stichtag 31.12. sowie für das Jahr 2019 zum Stichtag 30.04. angeben. Die Entwicklung der bei der Staatsanwaltschaft maßgeblich mit der Geltendmachung von Verfahrenskosten befassten „Qualifizierten Einheitssachbearbeiter (QESB) Kosten “ stellt sich in dem abgefragten Zeitraum wie folgt dar: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17050 3 (Stand: 31.12.2016) (Stand: 20.12.2017) (Stand: 02.01.2019) (Stand: 18.04.2019)1 Soll Ist Soll Ist Soll Ist Soll Ist 13,00 12,80 13,00 12,05 13,00 11,05 13,00 9,05 Die aktuell entstandenen Vakanzen erklären sich durch zuletzt zu verzeichnende Abgänge von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere durch Wechsel des Arbeitsplatzes. Eine umgehende Nachbesetzung wird angestrebt, die entsprechenden Ausschreibungsverfahren laufen bereits. Im für die Beitreibung von Gerichtskosten zuständigen Referat der Justizkasse stellt sich die Besetzungssituation wie folgt dar: (Stand: 31.12.2016) (Stand: 31.12.2017) (Stand: 31.12.2018) (Stand: 30.04.2019) Soll Ist Soll Ist Soll Ist Soll Ist 22,25 21,10 22,25 19,77 24,25 22,67 23,25 21,77 Die Vakanzen ergeben sich durch altersbedingtes Ausscheiden von Mitarbeiterinnern und Mitarbeitern. Das Ausschreibungsverfahren für die Nachbesetzung läuft bereits. 6. Konnten bezüglich der unter Ziffer 2 beizutreibenden Gesamtsumme bereits Erlöse erzielt werden? Wenn ja, a) in jeweils welcher Höhe? Bitte nach Anfallsjahr gesondert darstellen. Anfallsjahr 2016 2017 2018 2019 (Stand: 30. April) Erlöse 1 041 654,82€ 916 813,94€ 653 301,78€ 160 629,84€ b) wie viele der unter Ziffer 1. fallenden gerichtlichen Kostenentscheidungen wurden bereits vollständig in jeweils welcher Höhe jeweils wie beigetrieben? Bitte absolut und prozentual im Verhältnis zum Rest der unter Ziffer 1. fallenden Fälle nach der jeweiligen Beitreibungs - beziehungsweise Zahlungsmodalität sowie dem jeweiligen Anfallsjahr gesondert darstellen. c) in jeweils wie vielen der unter Ziffer 1. fallenden Fälle konnten Erlöse , ohne dass eine etwaige vollständige Tilgung bis zum heutigen Tag eingetreten ist, in jeweils welcher Gesamthöhe erzielt werden? Bitte nach Anfallsjahr gesondert darstellen. Siehe Vorbemerkung. In der folgenden Tabelle werden die Erlöse dargestellt, die den der Justizkasse übertragenen Forderungen gegenüberstehen und bisher vollständig bezahlt wurden. Der sinkende prozentuale Anteil ist Hinweis darauf, dass in der Regel Teilzahlungsvereinbarungen mit den Kostenschuldnern getroffen wurden und der Ausgleich der Forderungen über längere Zeiträume (mehrere Jahre) erfolgt. Anfallsjahr 2016 2017 2018 2019 (Stand: 30. April) Summe 746 992,54€ 740 690,59€ 450 615,30€ 129 293,26€ Anteil 13,1 % 10,8 % 8,0 % 5,8 % Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 7. Auf jeweils welche Gesamtsumme beliefen beziehungsweise belaufen sich die finanziellen Ausstände der Staatskasse aus den unter Ziffer 1. 1 Die Staatsanwaltschaft erhebt zweimal jährlich freiwillig eine Übersicht über die Mitarbeiterzahlen im Service, deren Stellen- und Arbeitsumfang und deren Funktion. Diese beruht auf der internen Stellen- und Besetzungsplanung. Ein Stichtag beziehungsweise eine Frist ist bislang nicht vorgegeben; daher kann in dieser Übersicht kein einheitlicher Stichtag zugrunde gelegt werden.  Drucksache 21/17050 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 fallenden Fällen? (Bitte jeweils zum Stichtag 31.12. sowie für das Jahr 2019 zum Stichtag 30.04. darstellen.) Im Hinblick auf die der Justizkasse übertragen Forderungen (siehe Antwort zu 2.) betrugen die Ausstände: Jahr der Sollstellung 2016 2017 2018 2019 (Stand: 30. April) Rest 31.12. bzw. 30.04. 4 955 806,82€ 6 093 820,58€ 4 975 805,72€ 2 056 982,09€ Die vergleichsweise höheren Ausstände im Jahr 2017 korrelieren mit der in diesem Jahr vergleichsweise höheren Summe, die der Justizkasse zur Einziehung übertragen wurde. 8. Wie viele der nach Ziffer 1. kostenpflichtigen Verurteilten starben seit dem 1. Januar 2016, bevor sie die Kosten vollständig beglichen hatten? Bitte nach Jahr gesondert darstellen. 9. Falls ein Fall/Fälle der Ziffer 8. gegeben wäre/n: Auf welche Gesamtsumme beläuft sich der durch den Todesfall/die Todesfälle bedingte Ausfall für die Staatskasse? Bitte nach Anfallsjahr gesondert darstellen. Die zur Beantwortung erforderlichen Daten werden statistisch nicht erfasst. Die händische Auswertung mehrerer Tausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 10. Welche Beitreibungsarten und welche Zahlungsmodalitäten (zum Beispiel Sofortzahlung, Ratenzahlung, Stundung et cetera) zu jeweils welchem Zinssatz stehen der nach Ziffer 4. zuständigen Stelle auf jeweils welcher rechtlichen Grundlage im Rahmen der Beitreibung der Kosten und Auslagen aus Ziffer 1. jeweils zur Verfügung? Bitte jeweils separat unter Angabe etwaiger relevanter Auswahlkriterien detailliert erläutern. Die Beitreibungsarten richten sich nach § 6 Absätze 1 und 2 Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG) mit dem Verweis auf die anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). In der Regel wird eine Teilzahlungsvereinbarung mit dem Kostenschuldner geschlossen. 11. Was geschieht in den Fällen, in denen eine versuchte Zwangsvollstreckung der Kosten nicht erfolgreich ist? Gibt es weitere Möglichkeiten für den Fall, dass ein Verurteilter nicht in der Lage ist, die entstandenen Kosten zu tilgen? Falls ja, welche? Im Falle der erfolglosen Beitreibung wird die Forderung niedergeschlagen. 12. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde darüber vor, wie hoch der jeweilige Anteil der Verurteilten ist, der die Kosten und Auslagen aus Ziffer 1. in Gänze sofort, nicht auf einmal oder gar nicht begleichen kann? Bitte nach Anfallsjahr und Kategorie gesondert darstellen. Die zur Beantwortung erforderlichen Daten werden statistisch nicht erfasst. Die händische Auswertung mehrerer Tausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 13. Wie gestaltet sich die Abzahlung von Kosten und Auslagen aus Ziffer 1. bei inhaftierten Verurteilten? Die Abzahlung durch inhaftierte Kostenschuldner erfolgt in Form von Teilzahlungen, Abtretungen oder Pfändungen. 14. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde darüber vor, ob, wie und in jeweils welchem Umfang die nach Ziffer 1. kostenpflichtigen Verurteilten, die in Hamburgs Justizvollzugsanstalten inhaftiert sind, in der Lage sind, die Kosten und Auslagen Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17050 5 aus Ziffer 1. zu tilgen? Bitte absolut und prozentual nach reeller Zahlungsfähigkeit , jeweiliger Zahlungsmodalität und jeweiligem Anfallsjahr gesondert darstellen. Die zur Beantwortung erforderlichen Daten werden statistisch nicht erfasst. Eine Beantwortung kann nur durch händische Auswertung von mehreren Tausend Kassenblattsammlungen erfolgen und ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 15. Inwiefern fallen die Kosten und Auslagen aus Ziffer 1. unter die Restschuldbefreiung im Rahmen eines etwaigen Insolvenzverfahrens? Die zur Beantwortung erforderliche händische Auswertung von mehreren Hundert Vorgängen ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.