BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17067 21. Wahlperiode 14.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 06.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Wie bietet die Schulinspektion den einzelnen Schulen eine inhaltliche und systemische Hilfestellung? In der Großen Anfrage der CDU-Fraktion (GA) Drs. 21/16511 wird auf die Frage, wie äußere Differenzierung, die im Schulgesetz verankert und von der Kultusministerkonferenz (KMK) sowie der Mathematik-Expertenkommission 20181 nachhaltig empfohlen, ausgestaltet wird, ausweichend geantwortet. Stattdessen werden die Erfolge der Stadtteilschule dargestellt, die jedoch nach aktueller Umfrage der Bevölkerung nicht ausreichen. 75 Prozent der Bevölkerung votieren für G9 an Gymnasien, womit der Stadtteilschule ein eklatantes Misstrauensvotum ausgestellt wird. Die Antwort auf die GA Drs. 21/16511 offenbart, dass das Denken der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) inputorientiert, nicht output- beziehungsweise ergebnisorientiert scheint. Die Parole „Wir stecken viel hinein, also werden die Ziele erreicht“ wurde in Hamburg schon Ende der 1990er-Jahre durch die damaligen LAU-Untersuchungen unter dem Motto „empirische Wende“ aufgegeben. Dieses alte Denken belegt die Antwort zur GA Drs. 21/16511, Ziffer 8.: Die Erfüllung der normativ gesetzten Regelungen wird von der Schulinspektion überprüft, diese interessiert sich nicht für die Ergebnisse der einzelnen Schülerinnen und Schüler. Noch deutlicher ist die Antwort zur Ziffer 10.: Grundschule ist einem Prinzip verpflichtet – nicht dem zu fordernden Ergebnis, dass nämlich alle Schülerinnen und Schüler nach deren Ende die Grundfertigkeiten beherrschen . Dabei muss es nach der gemeinsamen Grundschule das Ziel einer chancengerechten und abschlussorientierten Schulpolitik sein, die Arbeit in den beiden Säulen Stadtteilschule und Gymnasien so zu organisieren, dass Eltern die Sicherheit haben, dass ihre Kinder in der von ihnen gewählten Schulform qualitätsvolle, vergleichbare, gesellschaftlich anerkannte Abschlüsse erreichen können. Das bedeutet für die Stadtteilschulen, dass bereits in der Sekundarstufe I die Grundlagen für anspruchsvolle Arbeit in der gymnasialen Oberstufe gelegt werden. Wenn diese verlässlich erwartet werden kann, dann besteht wirklich die Wahlfreiheit für ein gleichwertiges Abitur über den Bildungsgang der Gymnasien oder über den der Stadtteilschulen. Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass in dem zusätzlichen Jahrgang 11 Defizite in 1 Vergleiche Wissenschaftliche Begleitung des Mathematikunterrichts in Hamburg Bericht der Mathematik-Expertenkommission vom 03.12.2018, abgerufen am 03.05.2019, https://www.hamburg.de/contentblob/11904704/a80cee49fc0febd76d810b6514f1c108/data/ mathegutachten.pdf. Drucksache 21/17067 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 allen Fächern ausgeglichen werden können – das Gegenteil möge die zuständige Behörde belegen. Gerade weil über die Hälfte der Hamburger Stadtteilschulen keine äußere Differenzierung in der Sekundarstufe I betreiben und die anderen Hälfte der Stadtteilschulen damit meist erst in Klasse 9 beginnt, ist unter dem Gesichtspunkt der gezielten abschlussbezogenen Förderung der Schülerinnen und Schüler eine befriedigende Aussage der Lernstände der Neuntklässler hinsichtlich der potenziellen Abschlüsse gar nicht differenziert möglich. Die Antwort zur GA Drs. 21/16511, Ziffer 8., lenkt die Aufmerksamkeit auf die Schulinspektion (SI) und stellt die Frage, ob diese Einrichtung neben ihrer periodischen Inspektionstätigkeit nach dem politisch gesetzten Kriterienkatalog auch auf Hilfeersuchen einzelner Schulen eingehen kann und will, wenn sie gebeten wird. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Darstellung der Hamburger Schulpolitik trifft nicht zu, die von der Kultusministerkonferenz (KMK) verantworteten Lernstandsuntersuchungen bescheinigen dem Hamburger Schulsystem eine sehr klare Leistungssteigerung. Diese Leistungssteigerung setzte erst ab 2011 ein, also zu einem Zeitpunkt, an dem die jetzige Regelung gerade in Kraft getreten war. Die Annahme, in der Vorbemerkung der Abgeordneten in Drs. 21/16511 würde ausweichend geantwortet, trifft nicht zu. Das Hamburgische Schulgesetz (HmbSG) legt in § 3 fest, das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen in größtmöglichem Ausmaß zu verwirklichen. „Diesem Grundsatz entsprechend sollen Formen äußerer und innerer Differenzierung der besseren Förderung der einzelnen Schülerin oder des einzelnen Schülers dienen.“ Auf dieser Grundlage spezifiziert § 14 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Grundschule und die Jahrgangsstufen 5 bis 10 der Stadtteilschule und des Gymnasiums (APO-GrundStGy): Der Unterricht an der Stadtteilschule erfolgt mit Blick auf die erreichbaren Abschlüsse ab Jahrgangsstufe 7 auf drei bildungsplanbezogenen Anforderungsebenen . „Innere Differenzierung ist (…) Grundprinzip jeden Unterrichts in allen Lerngruppen.“ Nach Entscheidung der Lehrerkonferenz kann auf dem Wege äußerer Differenzierung in zwei Fachleistungskursen unterrichtet werden. Diese hamburgischen Vorschriften zur Differenzierung entsprechen den Vorgaben der KMK. Mit der konsequenten abschlussbezogenen Differenzierung in allen Fächern ab Jahrgangsstufe 7 geht Hamburg über die Anforderungen der KMK hinaus. Innerhalb dieser Vorgaben obliegt die Ausgestaltung der einzelnen Schule; sie kann entscheiden, ob sie ausschließlich eine klasseninterne Differenzierung vornimmt oder darüber hinaus äußerlich in Fachleistungskursen differenziert. Das Grundprinzip, in allen Fächern und Lernbereichen ab Jahrgangsstufe 7 konsequent so zu unterrichten, dass – unabhängig von der Organisationsform – alle drei Abschluss- beziehungsweise Übergangsberechtigungen berücksichtigt werden, hat sich in verschiedener Hinsicht bewährt, so etwa in den Übergangszahlen in Ausbildung und in die gymnasiale Oberstufe ebenso wie im Abschneiden Hamburgs bei bundesweiten Lernstandsuntersuchungen. Grundlagen für den Übertritt in die gymnasiale Oberstufe werden daher von Anfang an gelegt und nicht erst in Jahrgang 11 vorbereitet. Die Annahme der Abgeordneten, die für Bildung zuständige Behörde denke nicht output - beziehungsweise ergebnisorientiert, trifft nicht zu. Mit den jährlichen KERMIT- Testungen, die flächendeckend in sechs Jahrgangsstufen erfolgen, geht Hamburg weit über die Vorgehensweisen anderer Bundesländer hinaus. Sie bilden eine verlässliche Grundlage für die konsequente Ausrichtung der Unterrichts- und Schulentwicklung auf das bestmögliche Lernen der Schülerinnen und Schüler. Leistungsstudien auf überregionaler Ebene, zum Beispiel der IQB-Ländervergleich (IQB= Institut zur Qualitätsent- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17067 3 wicklung im Bildungswesen), werden in Hamburg regelhaft sorgfältig ausgewertet; entsprechende Konsequenzen werden gezogen, so etwa mit den Initiativen zur Verbesserung der Rechtschreibung und der sogenannten Mathematikoffensive. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Können einzelne Schulen direkt bei der Schulinspektion (SI) Untersuchungen bestellen von Fragestellungen, die ihnen aktuell bedeutsam sind? Gibt es einen Dienstweg für die Antragstellung? 2. Wie viele Schulen haben in den Schuljahren 2016/20127 und 2017/2018 einen solchen Antrag gestellt? 3. Wie viele Stadtteilschulen haben in den genannten Schuljahren Unterstützung erbeten mit einer Fragestellung, die sich auf den Komplex innere /äußere Differenzierung (bitte nach Schulen mit Fragestellung auflisten ) bezogen? Konnte die SI der Bitte in allen Fällen nachkommen? Wenn nein, warum nicht? 4. Welche Ergebnisse wurden bei Untersuchungen im Sinne von Frage 3. ermittelt (bitte schulbezogene Kurzfassung)? 5. Wie wurde jeweils der Auswertungsprozess in den Schulen gestaltet (unter anderem Beteiligung der Schulaufsicht)? Welche Maßnahmen wurden ergriffen? 6. Welche Ergebnisse wurden ermittelt (bitte schulbezogene Kurzfassung)? 7. Wenn dieses nicht im Handlungsbereich der Schulinspektion liegt und auch zukünftig nicht möglich ist, welche Möglichkeiten der Hilfestellung können einzelne Schulen stattdessen in Anspruch nehmen? Die Hamburger Schulinspektion bietet jeder Hamburger Schule auf der Grundlage standardisierter Verfahren eine Rückmeldung zu ihrer Qualität. Aufgabe der Hamburger Schulinspektion ist es, die Ausschnitte schulischer Realität zu betrachten, die relevant und repräsentativ für die Schul- und Unterrichtsqualität jeder Schule sind. Es ist das Ziel, mit den Ergebnissen der Inspektion sowohl Impulse zur weiteren Schul- und Unterrichtsentwicklung zu geben als auch die Qualität von Unterricht und Erziehung, Schulorganisation und Schulleben zu sichern. Basis für die Bewertung sind ausgewählte Bereiche des Orientierungsrahmens Schulqualität, die in ein kriteriengeleitetes Bewertungsraster übersetzt sind. Um die Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit der Bewertungen zu gewährleisten, sind die eingesetzten Verfahren der Datenerhebung (Fragebögen, Interviews, Dokumentenanalyse, Unterrichtsbeobachtungen) standardisiert . Das Verfahren sieht darüber hinaus vor, dass jede Hamburger Schule in regelmäßigen Abständen besucht wird; die genaue Terminsetzung erfolgt durch die Schulinspektion . Eine individuelle „Bestellung“ der Schulinspektion ist nicht vorgesehen. Schulen, insbesondere Fachleitungen und Didaktische Leitungen, wenden sich mit der Bitte um Beratung und Unterstützung zur schulspezifischen Gestaltung von Differenzierung und entsprechenden Förderkonzepten an die Abteilung Fortbildung des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung. 8. Welche Möglichkeiten bietet die Schulaufsicht in Bezug auf die Fragestellungen von den Ziffern 1. – 6.? Die Schulaufsicht über die staatlichen Schulen erfolgt insbesondere durch den Abschluss von Ziel- und Leistungsvereinbarungen (§ 85 Absatz 1 HmbSG). Die Zielund Leistungsvereinbarungen (ZLV) beschreiben schulische Entwicklungsvorhaben mittlerer Reichweite und haben eine Laufzeit von bis zu vier Jahren. Jährlich wird der Fortschritt in der Schule bilanziert und der Schulaufsicht berichtet. Der Schulinspektionsbericht kann dabei Anlass für den Abschluss einer oder mehrerer Ziel- und Leistungsvereinbarungen sein. Darüber hinaus berät und unterstützt die Schulaufsicht die Schulen in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch im Bereich der erweiterten Selbstverantwortung (§ 85 Absatz 2 HmbSG). Das kann nach erfolgter Schulinspektion beispielsweise auch eine Drucksache 21/17067 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Fortbildungsplanung gemeinsam mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung sein. Teil der systematischen Qualitätsentwicklung und -sicherung sind die Qualitätsentwicklungsgespräche (QE-Gespräche) zwischen Schulaufsicht und Schule. Sie dienen der Bilanzierung, der Beratung und Unterstützung sowie der Verabredung von Maßnahmen für die Schulentwicklungsvorhaben der selbstverantworteten Einzelschule. Das erste QE-Gespräch wird als Bilanzierungsgespräch auf Basis von Daten zur Schülerschaft („Schule im Überblick“) geführt, dazu gehört auch die Bilanzierung und gegebenenfalls der Neuabschluss der ZLV. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des ersten QE-Gesprächs verabredet die Schulaufsicht in der Regel ein zweites QE-Gespräch im zweiten Schulhalbjahr. Die Initiative für ein zweites QE-Gespräch kann auch von der Schulleitung ausgehen. Die Schulleitung informiert die entsprechenden Gremien über die Ergebnisse des QE- Gespräches. 9. In Ziffer 9. a) der GA Drs. 21/16511 erklärt die zuständige Behörde, dass Erhebungen mit den KESS-Instrumenten zu den Lernständen zu Beginn der Jahrgansstufe 11 der Stadtteilschule vorliegen. a) Erlauben diese vorliegenden Datenbestände schul- und fachbezogene Auswertungen unter der Fragestellung, ob die Durchführung von Unterricht in äußerer Differenzierung in der Sekundarstufe I zu höheren Lernständen zu Beginn der gymnasialen Oberstufe geführt hat? b) Wenn ja, hat die zuständige Behörde solche Untersuchungen vorgenommen ? Wenn ja, mit welchen Ergebnissen? Wenn nein, warum nicht? Datengestützte Schulentwicklung mit dem KESS-Instrumentarium ist ein Unterstützungsangebot für die Hamburger Stadtteilschulen, das auf Nachfrage und nach erfolgter Beauftragung durch die einzelnen Schulen vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung gewährleistet wird. Die Schulen sind Auftraggeber. Sie nutzen diese Daten für die empirisch gestützte Verbesserung ihrer Schulentwicklungsprozesse. Die Erhebung der Lernstände mithilfe des KESS-Instrumentariums zu Beginn der Jahrgangsstufe 11 zielt darauf, die Lernausgangslagen zu ermitteln, mit denen die Schülerinnen und Schüler jeweils in die Oberstufe eintreten. Dies dient einer verbesserten Einschätzung der Lerngruppe, die vielfach neu zusammengesetzt ist und die Sekundarstufe I teilweise an einer anderen Schule besucht hat. Übergreifende Fragstellungen sind nicht Bestandteil dieser Untersuchung. Die Frage, ob die innere oder äußere Differenzierung zu höheren Lernständen zu Beginn der gymnasialen Oberstufe geführt hat, kann nur im Rahmen einer eigenständigen Untersuchung beantwortet werden.