BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17150 21. Wahlperiode 17.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Nebahat Güçlü (fraktionslos) vom 09.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Hamburgs Umgang mit psychisch auffälligen Menschen Der erneute Tod eines jungen Mannes während einer Fixierung wirft Fragen zum Umgang mit psychisch auffälligen Menschen auf. Innerhalb kürzester Zeit haben zwei junge Männer in Hamburg im Zuge einer Zwangsfixierung ihr Leben verloren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1) Wie stellt sich der genaue zeitliche Ablauf des Geschehens bis zum Tod des 27-jährigen Mannes dar? 2) Sind Polizeipsychologen beziehungsweise der psychiatrische Dienst bei dem Einsatz hinzugezogen worden? a) Wenn ja, ab welchem Zeitpunkt und wie sah deren weitere Beteiligung aus? b) Wenn nein, warum nicht? Der Geschehensablauf ist Gegenstand strafrechtlicher Prüfung durch die Staatsanwaltschaft . Hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs wird auf die Presseerklärung der Polizei vom 30. April 2019, siehe https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/6337/ 4258371, Bezug genommen. Darüber hinausgehende Details sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen. 3) Gibt es polizeiliche Dienstvorschriften oder interne Weisungen, die das Vorgehen der Polizei gegenüber psychisch kranken Menschen regeln? Falls ja, wie sind diese ausgestaltet? Die einschlägigen Regelungen im Umgang mit Personen, die aufgrund krankhaften Verhaltens gegen sich oder andere eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hervorrufen oder die gegenwärtige Gefahr begründen , dass diese Personen sich selbst oder andere Personen erheblich schädigen, sind in der nur für den internen Dienstgebrauch bestimmten Polizeidienstvorschrift für den täglichen Dienst der Polizei Hamburg (PDV 350 HH) festgelegt. Die Polizei hat eine solche Person gemäß § 13 des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) in Gewahrsam zu nehmen. Sofern nicht bereits ein richterlicher Beschluss vorliegt, beinhalten die Regelungen das Verfahren zur Verständigung der in diesen Fällen für die Prüfung einer sofortigen Unterbringung der Person zuständigen Stellen während und außerhalb der allgemeinen Dienststunden. Weiterhin ist in der PDV 350 das Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs gemäß § 23 SOG geregelt. Drucksache 21/17150 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 4) Welche Vorkenntnisse und Erfahrungen hatten die beteiligten Beamten im Umgang mit psychisch kranken Menschen bis zu diesem Zeitpunkt? Siehe Antwort zu 1) bis 2) b). 5) Werden Polizeibeamten Schulungen und Weiterbildungen zum Umgang mit psychisch kranken Menschen angeboten? Ja. a) Wenn nein, warum nicht? Entfällt. b) Wenn ja, bitte Angaben zu Umfang und Inhalt der Angebote machen und soweit möglich auch eine Einschätzung zur Inanspruchnahme der Angebote vornehmen. An der Akademie der Polizei (AK) ist das Thema „Umgang mit psychisch kranken Personen“ in der Ausbildung zum Laufbahnabschnitt (LA) I, dem Studium im LA II sowie bei der Fortbildung in unterschiedlichen Ausprägungen Bestandteil der Lehrinhalte : In der Ausbildung zum LA I ist das Thema „psychische Erkrankungen“ im Fach Polizeiberufskunde (PBK) mit 30 Unterrichtseinheiten (UE) verankert; in diesen 30 UE sind zwei Tageseminare integriert. Ein Seminar beschäftigt sich mit dem Thema „Umgang mit psychisch Kranken“, im zweiten Seminar zum Thema „Besondere Belastungen“ werden insbesondere die posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) thematisiert. Die PBK-Fachlehrer der AK führen die Auszubildenden in 14 UE in die Thematik ein und stellen ein entsprechendes Handlungskonzept vor. Das Tagesseminar „Umgang mit psychisch Kranken“ wird als sogenannte trialogische Veranstaltung durch Fachpersonal der Universitätsklinik Eppendorf (UKE) durchgeführt. An diesem Seminar nehmen auch „Krisenerfahrene“ beziehungsweise Betroffene teil, die bereits Erfahrung mit der Polizei hatten. Diese Art der Ausbildung findet bereits seit etwa zehn Jahren statt. Seit März 2016 hat der Fachhochschulbereich der AK im Rahmen des Bachelorstudienganges (LA II) das Thema „Umgang mit psychisch kranken Menschen“ im Hauptstudium speziell für Beamte der Schutz- und Wasserschutzpolizei in das Curriculum übernommen. Im Fach Psychologie befassen sich die Studierenden im Modul „Psychologie im polizeilichen Kontext“ zum Thema psychische Störungen mit den Erscheinungsbildern psychischer Störungen sowie mit dazugehörigen angemessenen Umgangsformen (Umfang insgesamt 30 UE). Im Fach Einsatzlehre werden den Studierenden im Modul „Besondere Einsatzlagen II“ Kenntnisse zum Einschreiten gegen psychisch Kranke und möglichen Handlungsoptionen beim polizeilichen Einschreiten vermittelt (insgesamt 25 UE). Zu den Inhalten zählen das Erkennen/Einordnen psychischer Auffälligkeiten sowie das Erarbeiten taktisch sinnvoller Handlungsoptionen. Im Bereich der Fortbildung an der AK wird in unterschiedlichen Lehrgängen das Erkennen und Einordnen psychischer Auffälligkeiten bei Personen sowie das Erarbeiten taktisch sinnvoller Handlungsoptionen erörtert: Im „Überleitungslehrgang „A9 (LA I) zu A9 (LA II)“ wird das Thema „Umgang mit psychisch Kranken“ seit dem Jahr 2018 in acht UE beziehungsweise als eintägige Veranstaltung durch eine externe Referentin unterrichtet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in diesem Lehrgang auch als Multiplikatoren geschult, damit sie ihr Wissen an andere Bedienstete ihrer Dienststellen weitergeben können. Im Jahr 2018 hat die AK sieben Lehrgänge mit insgesamt 165 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Für das laufende Jahr sind fünf Lehrgänge geplant, für die 110 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorgesehen sind. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17150 3 Seit Mitte 2018 erfolgt im „Aufbaulehrgang Besonderer Fußstreifendienst (BFS)“ eine thematische Befassung im Umfang von vier UE durch eine Diplom-Psychologin . Das im Jahr 2018 gegründete und der AK angegliederte Institut für Führungskompetenz (IFK) plant pro Jahr vier Lehrgänge zum Thema „Umgang mit psychisch erkrankten Personen“ mit einer jeweiligen Teilnehmerzahl von zwölf Personen. Die Adressaten des Lehrganges sind Personen aus dem Kreis des Führungspersonals , die wiederum nach erfolgter Beschulung als Multiplikatoren fungieren. Im ersten Halbjahr 2019 hat bisher ein Lehrgang stattgefunden, ein weiterer ist für das erste Halbjahr bereits geplant. Laut Bedarfsliste gibt es derzeit 49 Anmeldungen für diesen Lehrgang. Zu den Lehrgangsinhalten gehört die Grundlagenvermittlung im Bereich der psychischen Erkrankungen mit den Schwerpunkten Begegnung mit Krisenerfahrenen, Einsatzführung in der Praxis, Kommunikation sowie die Entwicklung von Vorgehensweisen . Darüber hinaus wird das Thema „Demenz“ als Sonderthema zum Umgang mit psychisch Erkrankten insbesondere in das Fortbildungsseminar „Besonderer Fußstreifendienst (BFS) – Seminar für Seniorenberater“ integriert. Das vierstündige Modul wird von zwei erfahrenen Referentinnen des Projektes Lotsenbüro des Kirchenkreises Hamburg-West inhaltlich gestaltet. Weitere Lehrgangsthemen, wie der Einsatz von Personenspürhunden, das Betreuungsrecht oder Verletzungsmuster bei Seniorinnen und Senioren ergänzen die Demenzthematik durch ihre Schnittmengen . In 2018 fand ein Seminar mit 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Für Juni 2019 ist ein weiterer Lehrgang mit bis zu 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern geplant. 6) Welche Krankenhausinternen Verfahrensanweisungen gibt es im UKE im Umgang mit psychisch auffälligen Menschen in Krisensituationen? Im UKE bestehen neben den fachmedizinischen Behandlungskonzepten auch verschiedene Verfahrensanweisungen zum Umgang mit psychisch kranken Menschen, die sich in Krisensituationen befinden. Diese regeln unter anderem Voraussetzungen, Verfahrensabläufe, Dokumentation und so weiter im Falle von Fixierungen (§ 18 HmbPsychKG), Zwangsbehandlungen (§ 17 HmbPsychKG) und Zwangsmedikationen (§ 16 HmbPsychKG). 7) Eine Kliniksprecherin des UKE äußerte gegenüber „Der Welt“ am 02.05.2019, dass ihr Sicherheitspersonal umfangreich im Umgang mit psychisch erkrankten und auffälligen Patientinnen und Patienten geschult sei und Deeskalationstrainings für das Sicherheitspersonal verpflichtend seien. a) Welche Fortbildungen zum Umgang mit psychisch kranken Menschen gibt es am UKE für dessen Personal beziehungsweise das Personal dort tätiger Dienstleister? Das Sicherheitspersonal ist auf jeder Station und in jeder Situation an die Weisungen des medizinischen Personals gebunden und darf, abgesehen von Fällen der Notwehr/ Nothilfe und des Notstandes (§§ 32, 34 StGB), aus eigenem Antrieb heraus keine Entscheidungen treffen oder Maßnahmen ergreifen. In Zusammenarbeit mit der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie wird das Sicherheitspersonal im sensiblen Umgang mit psychisch erkrankten Menschen geschult. Dies geschieht in Form von Nachbesprechungen nach Zwangsmaßnahmen , interkollegialem Austausch und durch ein strukturiertes Fortbildungscurriculum . In diesem im zwei- bis vierwöchigen Abstand stattfindenden Fortbildungscurriculum wird das Sicherheitspersonal über psychische Erkrankungen geschult und es wird der deeskalierende Umgang in angespannten Situationen und insbesondere die Gesprächsführung mit akut psychisch erkrankten Menschen vermittelt. Drucksache 21/17150 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Hinzu kommen internes körperliches Deeskalations- und Verhaltenstraining durch eine Ausbilderin beziehungsweise einen Ausbilder der Polizei, interne RADAR- Schulung und Einsatznachbesprechungen. b) Welche dieser Fortbildungen sind verpflichtend für welches Personal ? Für die Sicherheitskräfte sind sowohl die Teilnahme am unter 7) a) genannten Fortbildungscurriculum als auch die Teilnahme an dem dort genannten Deeskalations- und Verhaltenstraining und an den Einsatznachbesprechungen verpflichtend. c) Welche Trainings zu Deeskalationsstrategien haben die beteiligten Security-Kräfte absolviert und wann? Angaben hierzu müssen unterbleiben, da sie im engen Sachzusammenhang mit dem laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren stehen und damit dessen Gegenstand betreffen (vergleiche bereits Drs. 21/17007 und Drs. 21/17059). d) Verlangt das UKE vom Security Personal einen Nachweis über Fortbildungen zu Deeskalationstechniken bei Einstellung? Wenn nein, warum nicht und bis zu welchem Zeitpunkt nach Einstellung erfolgt das verpflichtende Training für das Security Personal des UKE? Nach § 34a Gewerbeordnung (GewO) dürfen mit der Durchführung von Bewachungsaufgaben nur Personen beschäftigt werden, die die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen und nachweisen, dass sie über die für die Ausübung des Gewerbes notwendigen rechtlichen und fachlichen Grundlagen unterrichtet worden und mit ihnen vertraut sind (vergleiche bereits Beitrag des UKE zu Drs. 21/17080, dort zu Ziffern 14., 25.). Zur Überprüfung der Zuverlässigkeit hat die zuständige Behörde eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister sowie eine Stellungnahme der zuständigen Polizeibehörde einzuholen. Als Sachkundenachweis wäre bereits die Vorlage einer Bescheinigung der Industrie- und Handelskammer über die Teilnahme an einer 40- stündigen Unterrichtung nach §§ 1, 3 Bewachungsverordnung (BewachV) ausreichend (§ 34a Absatz 1a GewO). Für das Sicherheitspersonal des UKE beziehungsweise der KLE-GmbH wird jedoch darüber hinausgehend bereits vor der Einstellung verlangt, dass die Bewerberin beziehungsweise der Bewerber die vor der Industrie- und Handelskammer erfolgreich abgelegte Sachkundeprüfung nach § 5a BewachV nachweist, die nach § 34 Absatz 1 Nummer 3 GewO (i.V.m. § 5a Absatz 2 BewachV) sogar als Sachkundenachweis für die Ausübung des Bewachungsgewerbes als selbständiger Unternehmer genügen würde. Diese Sachkundeprüfung hat unter anderem den Umgang mit Menschen, insbesondere Verhalten in Gefahrensituationen, Deeskalationstechniken in Konfliktsituationen sowie interkulturelle Kompetenz unter besonderer Beachtung von Diversität und gesellschaftlicher Vielfalt zum Gegenstand (§ 5a Abs. 3 i.V.m. § 4 Satz 1 Nummer 5 BewachV). Vor diesem Hintergrund besteht keine Notwendigkeit, als Einstellungsvoraussetzung Nachweise über noch weitergehende „Fortbildungen zu Deeskalationstechniken“ zu verlangen. Verpflichtende vertiefende Trainings und Fachweiterbildungen starten mit Beginn der Einarbeitung und sind von da an in den festgelegten Intervallen permanent zu absolvieren . Je nach Leistung, Eignung und Befähigung wird das Personal des KLE- Sicherheitsdienstes gegebenenfalls auch zeitnah auf die dritte Ebene „geprüfte Schutz- und Sicherheitskraft“ (GSSK) weitergebildet. 8. Ist dem Senat bekannt, wie viele Beschwerden es zum Umgang mit Fixierungen in Hamburg in den letzten drei Jahren gegeben hat und in welchem Kontext es am häufigsten zu Beschwerden kommt? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17150 5 Wie schätzt die Unabhängige Beschwerdestelle für Menschen mit psychischer Erkrankung in Hamburg e.V. die Lage ein? Nach Kenntnis der zuständigen Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz hat es in den letzten drei Jahren (2016 – 2018) insgesamt drei Beschwerden bezüglich des Umgangs mit Fixierungen gegeben. Gegenstand aller drei Beschwerden ist die Zulässigkeit der Fixierung. Die Unabhängige Beschwerdestelle für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung in Hamburg e.V. hat auf Anfrage der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse mitgeteilt. 9. Welche Entwicklung lässt sich aus den Daten der Quartalsmeldungen der Krankenhäuser zur Erfassung von Zwangsmaßnahmen hinsichtlich der Anwendung von Fixierungen für die vergangenen fünf Jahre ableiten ? Der zuständigen Behörde liegen für die Jahre 2014 (Erfassung von Zwangsmaßnahmen nach HmbPsychKG seit 01.04.2014) bis 2018 folgende Daten vor: Jahr Zwangsmaßnahmen Anzahl Erwachsene und Kinder und Jugendliche, hier: Fixierungen 2014 (nur 3 Quartale ) 422 2015 598 2016 686 2017 690 2018 577 Die Anzahl der Fixierungen in den psychiatrischen Abteilungen der Hamburger Plankrankenhäuser ist trotz stetig gestiegener Anzahl der Patientinnen und Patienten relativ konstant geblieben: auf 100 Behandlungsfälle kommen zwischen 2,4 und 2,8 Fixierungen .