BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17194 21. Wahlperiode 21.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 14.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Dealer-Paradies und Straftaten aus der Justizvollzugsanstalt Glasmoor heraus? (III) Die kriminellen Aktivitäten, die Freigänger der JVA Glasmoor immer wieder an den Tag legen, waren bereits Gegenstand meiner Schriftlichen Kleinen Anfragen, Drs. 21/11186 und 21/16784. In meiner letzten Schriftlichen Kleinen Anfrage vom 5. April 2019 versichert der Senat erneut, dass ein strenger Maßstab bei der Prüfung der Eignung der Gefangenen für den offenen Vollzug angelegt werde: „Gefangene, bei denen eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr angenommen werden muss, sind von einer Verlegung ausgeschlossen. Im Rahmen der Eignungsprüfung muss darüber hinaus auch festgestellt werden, dass der jeweilige Gefangene voraussichtlich den Anforderungen des offenen Vollzugs gewachsen ist. Kriterien wie zum Beispiel Zuverlässigkeit, ein angemessenes Sozialverhalten und die Bereitschaft, die geplanten entlassungsvorbereitenden Maßnahmen umzusetzen, gehören dazu.“ Umso erstaunlicher ist es, dass nur rund einen Monat nach der Festnahme des 34-jährigen Freigängers Kwadowo B., bei dem Betäubungsmittel und 11 155 Euro mutmaßliches Dealgeld sichergestellt wurden, erneut ein Freigänger der JVA Glasmoor im Verdacht steht, im großen Stil mit Kokain gehandelt zu haben: Anfang Mai stellten Drogenfahnder insgesamt 7,5 Kilo Kokain und 1 Kilo Heroin in einem Keller an der Bremer Straße sicher. Der Mann, dem das Kokain zugeordnet wird, heißt Necatin Y. Einem Bericht des „Hamburger Abendblatts“ zufolge verbüßt Necatin Y. bereits seine vierte Haftstrafe wegen Drogendelikten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der offene Vollzug bietet die besten Voraussetzungen für eine an den Lebensverhältnissen in Freiheit orientierte Vollzugsgestaltung. Er fördert zugleich die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Gefangenen und erleichtert ihnen den Übergang in die Freiheit. Insbesondere sollen durch eine schrittweise Überleitung in die Freiheit ein mögliches „Entlassungsloch“ vermieden und die Rückfallgefahr vermindert werden . Gemäß § 11 des Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes (HmbStVollzG) sollen Gefangene im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn sie hierfür geeignet sind. Danach sind Gefangene für die Unterbringung im offenen Vollzug geeignet, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere wenn nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werden. Insoweit handelt es sich um eine Prognoseentscheidung , die sich auf den konkreten Einzelfall bezieht. Das Gesetz sieht keine Aus- Drucksache 21/17194 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 nahmen für bestimmte Deliktgruppen wie Verstöße gegen das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) vor. Ebenso schließen einschlägige Vorinhaftierungen eine Verlegung nicht regelhaft aus. Auch Täterinnen und Täter aus diesem Deliktsbereich haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Prüfung und je nach Ergebnis auf eine Verlegung in den offenen Vollzug. Ob die Eignung gegeben ist, muss der Justizvollzug in jedem Einzelfall überprüfen. Bejaht er die Eignung anhand der gesetzlichen Kriterien, ist er verpflichtet, den Betroffenen in den offenen Vollzug zu verlegen. Bei der Prüfung der Eignung der Gefangenen für den offenen Vollzug wird ein strenger Maßstab angelegt. Gefangene, bei denen eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr angenommen werden muss, sind von einer Verlegung ausgeschlossen. Im Rahmen der Eignungsprüfung muss darüber hinaus auch festgestellt werden, dass der jeweilige Gefangene voraussichtlich den Anforderungen des offenen Vollzugs gewachsen ist. Kriterien wie zum Beispiel Zuverlässigkeit, ein angemessenes Sozialverhalten und die Bereitschaft, die geplanten entlassungsvorbereitenden Maßnahmen umzusetzen, gehören dazu. Im Rahmen des offenen Vollzuges werden Gefangenen Weisungen erteilt, etwa keinen Alkohol zu konsumieren, sich von bestimmten Orten oder Personen fernzuhalten oder sich zu bestimmten Zeiten bei einer bestimmten Stelle oder Person zu melden. Ob Verstöße zu Rückverlegungen führen, muss im Einzelfall entschieden werden. Kommen Gefangene einmalig um einige Minuten verspätet in die Anstalt zurück, wird dies zum Beispiel nicht zu Rückverlegungen führen, möglicherweise aber wiederholte Verstöße. Die Ermessensentscheidung im Einzelfall muss einer richterlichen Entscheidung standhalten, wenn der oder die Betroffene eine solche beantragt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie stellt sich der Sachverhalt nach derzeitigem Ermittlungsstand im Einzelnen dar? Der Beschuldigte lagerte an seiner Wohnanschrift im dortigen Keller insgesamt 7 888 Gramm Kokain und 480 Gramm Heroin zum gewinnbringenden Abverkauf. In seiner Wohnung wurden rund 5 000 Euro beschlagnahmt. Darüber hinausgehende Details sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen. 2. Welche Informationen liegen über Necatin Y. vor? (Bitte Alter, Herkunft, aufenthaltsrechtlichen Status und rechtskräftige Verurteilungen angeben .) Der 41-Jährige ist türkischer Staatsbürger und Inhaber einer Duldung. Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und die gesetzlichen Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes sieht der Senat davon ab, etwaige Ermittlungsverfahren mitzuteilen, die durch einen Freispruch oder eine Einstellung beendet worden sind. Dasselbe gilt für Ermittlungsverfahren, die zu einem Abschluss geführt haben, der entweder nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen oder nach den Tilgungsvorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht mehr zu berücksichtigen ist. Eine vorliegende Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 20. März 2019 enthält folgende mitteilungsfähige Eintragungen: Verurteilung durch das Amtsgericht Neumünster am 18.03.2003 wegen unerlaubtem gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen und unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem minderschweren Fall zu einem Jahr zehn Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg-Altona am 17.08.2006 wegen unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einem Jahr zehn Monaten Freiheitsstrafe . Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17194 3 Verurteilung durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg am 30.05.2011 wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Verurteilung durch das Landgericht Kiel am 12.02.2018 wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu zwei Jahren sechs Monaten Freiheitsstrafe. a. Seit wann befindet er sich in Haft? Seit dem 15. März 2018. Er trat die Haft als Selbststeller an, das heißt er erhielt seitens der Staatsanwaltschaft eine Ladung zum Strafantritt und trat die Haft selbständig – und nicht aus unmittelbar vorheriger – Inhaftierung an. b. Seit wann befand er sich in der JVA Glasmoor? Wo befindet er sich jetzt? Wie hoch ist/wäre die restliche Strafzeit in der JVA Glasmoor? Er befand sich seit dem 12. Oktober 2018 in der JVA Glasmoor und ist jetzt in der Untersuchungshaftanstalt untergebracht. Das Strafende ist gegenwärtig auf den 15. April 2020 notiert. c. Inwiefern ist er in der JVA Glasmoor bereits auffällig geworden? Der Gefangene ist in der JVA Glasmoor nicht auffällig geworden. d. Welcher Arbeit ging er als Freigänger nach? Der Gefangene arbeitete bei einem Lebensmittelmarkt als Markthelfer. 3. Wie viele Insassen der JVA Glasmoor sitzen aktuell eine Haftstrafe wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ab und wie viele von ihnen haben bereits mindestens eine positive Urinkontrolle abgegeben ? Aktuell verbüßen 74 Gefangene eine Freiheitsstrafe wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Davon haben zwei Gefangene eine positive Urinkontrolle abgegeben. 4. Der Senat behauptet, bei der Prüfung der Eignung der Gefangenen für den offenen Vollzug einen strengen Maßstab anzulegen. a. Inwiefern werden im Rahmen dieser Prüfung die Ergebnisse von Urinkontrollen berücksichtigt? b. Werden bei allen Insassen, bei denen eine Verlegung in den offenen Vollzug geprüft wird, eine oder mehrere Urinkontrollen in welchem Zeitraum vor der Verlegung in den offenen Vollzug durchgeführt ? Falls nein, weshalb nicht? c. Ist eine positive Urinkontrolle ein Ausschlusskriterium für die Verlegung in den offenen Vollzug? Falls nein, weshalb nicht? Bei der Eignungsprüfung gemäß § 11 Absatz 2 HmbStVollzG und § 11 Absatz 2 HmbJStVollzG haben die Anstalten des geschlossenen Vollzuges einen unerlaubten Konsum von Betäubungsmitteln innerhalb der letzten drei Monate zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass bei konkreten Anhaltspunkten für einen möglichen Suchtmittelmissbrauch die Abstinenz der Gefangenen von Betäubungsmitteln (mindestens) in den drei Monaten vor der geplanten Verlegung durch mehrere negative Urinkontrollen nachgewiesen sein muss. Ist eine Urinkontrolle positiv, so führt dies – mindestens für einen Zeitraum von weiteren drei Monaten – zu der Feststellung der Nichteignung für den offenen Vollzug. d. Wie viele Urinkontrollen wurden seit Beginn des Jahres monatlich in der JVA Glasmoor sowie im geschlossenen Vollzug durchgeführt? Drucksache 21/17194 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 i. Wie viele davon waren positiv? ii. Welche Disziplinarmaßnahmen wurden im Falle positiver Urinkontrollen jeweils eingeleitet? In der JVA Glasmoor wurden im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.05.2019 insgesamt 302 Urinkontrollen durchgeführt, hiervon waren 30 positiv. In den Anstalten des geschlossenen Vollzuges wurden im selben Zeitraum insgesamt 2 633 Urinkontrollen durchgeführt, hiervon waren 153 positiv. Urinkontrollen werden nicht bei jedem der Gefangenen, sondern nur dann durchgeführt , wenn konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Suchtmittelmissbrauch bestehen. Bei positiven Urinkontrollen werden die zulässigen Disziplinarmaßnahmen des § 86 HmbStVollzG und § 86 HmbJVollzG sowie des § 81 HmbSVVollzG angeordnet. Eine monatliche Einzelfallauswertung ist in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, da hierfür sämtliche Unterlagen über die bisher durchgeführten 2 935 Urinkontrollen und die hiermit korrespondierenden Gefangenenpersonalakten händisch ausgewertet werden müssten.