BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17249 21. Wahlperiode 28.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 20.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Mathematikabitur für Hamburger Schüler mal wieder zu schwer? Vor knapp zwei Jahren war die Kritik am Hamburger Mathematik-Abitur einer der Auslöser für einen Brandbrief von bundesweit 130 Professoren und Lehrkräften 1, die massive Defizite des Mathematik-Unterrichts beklagten. Bei einer Hamburger Probeklausur für das Abitur im Dezember 2016, in der IQB-Aufgaben für das künftige Zentralabitur verwendet wurden, schafften die Schüler lediglich eine Durchschnittsnote von 4,1. Schulsenator Rabe hatte daraufhin angeordnet, die Zensuren um eine ganze Note anzuheben. Nun wird nach der schriftlichen Abiturprüfung in Mathematik ausgehend von Hamburg eine Petition gestartet, weil die Prüfung nach Meinung der Schülerinnen und Schüler zu schwer war. Schüler anderer Bundesländer folgten diesem Beispiel und stellen ebenfalls Petitionen. Es soll Überlegungen geben – wie bei der Probeklausur 2016 – die Bewertung zu verändern beziehungsweise die Noten anzuheben. Das Mathematik-Problem ist für Hamburg nicht neu. Es fehlen Fachlehrer, und Schulleistungsstudien haben gezeigt, dass 21 Prozent der Viertklässler sowie 28 Prozent der Neuntklässler in Hamburg die Mathematik-Mindeststandards nicht erreichen. Bei den Abiturienten waren es 60 Prozent, die den Oberstufenstoff nicht beherrschten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Es ist nicht zutreffend, dass die Online-Petition zur schriftlichen Abiturprüfung 2019 in Mathematik in Hamburg gestartet wurde und andere Länder diesem Beispiel folgen. In den Ländern Bayern, Thüringen und Niedersachsen wurden am 3. Mai 2019 Petitionen gestartet, in Hamburg am 4. Mai 2019. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat mit Beschluss vom 18. Oktober 2012 Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife in den Fächern Deutsch und Mathematik sowie Englisch und Französisch eingeführt und damit für diese Fächer die Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA) abgelöst. Ein von den Ländern gemeinsam verabredetes Element des Implementationsprozesses ist der Aufbau von Abituraufgabenpools für die genannten Fächer, die dazu dienen , die Anforderungen, die in den Ländern an das Erreichen des Abiturs gestellt 1 Vergleiche „Tagesspiegel“ online, vom 22.03.2017, abgerufen am 20.05.2019, https://www.tagesspiegel.de/wissen/brandbrief-gegen-bildungsstandards-der-aufstand-dermathelehrer /19550928.html. Drucksache 21/17249 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 werden, vergleichbar zu machen. Mit der Koordination der Entwicklung der Abituraufgabenpools wurde als wissenschaftliche Einrichtung der Länder das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) beauftragt, das die Erstellung mit einer dreijährigen Vorlaufzeit koordiniert. Alle Länder reichen Vorschläge für Abituraufgaben ein, die dann von den Fachvertreterinnen und Fachvertreter der Länder gemeinsam überarbeitet werden. Ein Jahr vor dem Prüfungstermin werden die im Abituraufgabenpool enthaltenen Aufgaben den Ländern als Angebot für den Einsatz in der Abiturprüfung zur Verfügung gestellt. Die jeweiligen Länder sind nicht verpflichtet, alle Aufgaben für die jeweilige Abiturprüfung dem Pool zu entnehmen. Sie können eigene Aufgaben zusätzlich verwenden oder entnommene Aufgaben länderspezifisch anpassen. So kommt es, dass die Abiturprüfungen in den Ländern zwar ähnliche Aufgaben umfassen, insgesamt aber sehr unterschiedlich sind. Die ersten Abituraufgaben standen den Ländern erstmalig für das Prüfungsjahr 2017 zur Verfügung. Seit diesem Zeitpunkt gibt es in Hamburg eine dreiköpfige Kommission aus erfahrenen Fachvertreterinnen und Fachvertretern, die nach sorgfältiger Prüfung für das Hamburger Mathematik-Abitur Aufgaben aus dem gemeinsamen Abituraufgabenpool des IQB entnimmt. Hamburg hat seit Einrichtung des Pools alle Aufgaben aus diesem entnommen. Nach erfolgter Erstkorrektur werden vorab die Ergebnisse der Schulen, die am Verfahren der Externen Zweitkorrektur teilnehmen, erhoben. Dies sind in der Regel vorläufige Ergebnisse von rund 10 Prozent der am Mathematikabitur teilnehmenden Schülerinnen und Schüler. Aufgrund des Ergebnisses der Stichprobe, wurden in diesem Jahr zusätzlich die Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter Oberstufe um ihre Einschätzung der Abituraufgaben gebeten. Im Ergebnis entspricht die Abiturklausur auf erhöhtem Anforderungsniveau in der Gesamtheit den erwarteten Anforderungen und war in der zur Verfügung stehenden Zeit bearbeitbar. Die in der Klausur auf grundlegendem Anforderungsniveau gestellten Aufgaben waren einzeln für sich betrachtet zwar anspruchsvoll, aber machbar, in der konkreten Zusammenstellung für die zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit jedoch zu umfangreich. Die Stichprobe lässt erwarten, dass die Klausuren in der Bewertung voraussichtlich zu einer deutlichen Abweichung der Klausurnote von der Vornote führen . Da es in mehreren Bundesländern zu Protesten der Schülerinnen und Schüler gegen die Abiturprüfung in Mathematik gekommen ist, hat sich die KMK mit dem Thema befasst und den Ländern empfohlen, in einem solchen Fall länderspezifisch angemessene Maßnahmen zur Sicherung der – auch langjährigen – Vergleichbarkeit zu ergreifen. Die für Bildung zuständige Behörde in Hamburg wird dieser Empfehlung folgen und allen Schülerinnen und Schülern, die in Mathematik auf grundlegendem Anforderungsniveau schriftlich geprüft wurden, Gelegenheit geben, in einer mündlichen Prüfung ihren Leistungsstand in Mathematik erneut unter Beweis zu stellen. Dabei wird die Endnote im Fach Mathematik aus dem Durchschnitt der Note der schriftlichen und der mündlichen Prüfung gebildet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Hamburger Schülerinnen und Schüler haben im Frühjahr 2019 in Mathematik Abitur geschrieben? Welchem Prozentsatz der Hamburger Abiturienten des Prüfungsjahrganges 2019 entspricht das? 2. Welcher Prozentsatz der Abiturienten hat Mathematik als Prüfungsfach, welcher als grundlegenden Kurs? Für das Abitur 2019 wurden 2 642 schriftliche Mathematikprüfungen (1 226 auf grundlegendem Niveau, 1 416 auf erhöhtem Anforderungsniveau) bei der für Bildung zuständigen Behörde angefordert. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17249 3 Laut Schuljahresstatistik 2018 befinden sich im Schuljahr 2018/2019 insgesamt 10 102 Schülerinnen und Schüler im Abschlussjahrgang für das Abitur. Auf Grundlage dieser Daten liegt der berechnete Anteil an Abiturientinnen und Abiturienten, die Mathematik als schriftliches Prüfungsfach gewählt haben, bei 26,1 Prozent (12,1 Prozent auf grundlegendem Niveau, 14 Prozent auf erhöhtem Anforderungsniveau). 57,9 Prozent des Abschlussjahrgangs der gymnasialen Oberstufe haben im Schuljahr 2018/2019 Mathematik als Kurs mit grundlegendem Anforderungsniveau belegt. 3. Wie viele Personen haben die im Vorspann genannte Petition in Hamburg bislang unterschrieben? Es handelt sich dabei um eine Frage, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Hamburger Senats liegt. Die erfragten Daten können aber der Internetseite https://www.openpetition.de/petition/online/beschwerde-mathe-abitur-gk-lk-2019- hamburg entnommen werden. 4. Welche Teile der Prüfung waren zentral, welche aus Hamburg? Siehe Vorbemerkung. 5. Welches waren die auffälligen Themenbereiche? Eine Aussage ist dazu noch nicht möglich, weil die Korrekturen der Abiturklausuren in den Schulen voraussichtlich erst in der 23. Kalenderwoche abgeschlossen werden. 6. Sind Abiturienten mit Prüfungsfach oder grundlegendem Kurs gleichermaßen betroffen? Wenn nein, in welchem Verhältnis? Siehe Vorbemerkung. 7. Trifft die Behauptung zu, dass die Hamburger Schüler nicht gezielt vorbereitet waren? Nein, diese Behauptung trifft nicht zu. Das Abitur-Heft „Regelungen für die zentralen schriftlichen Prüfungsaufgaben“, das sogenannte A-Heft, enthält die verbindlichen Grundlagen für die zentralen Aufgabenstellungen im Abitur. Die fachspezifischen Regelungen informieren über die Schwerpunkte und Anforderungen der Prüfungsaufgaben. Das A-Heft wird vor dem Eintritt eines Jahrganges in die zweijährige Studienstufe veröffentlicht und steht den Hamburger Lehrkräften unter anderem auf dem Bildungsserver zur Verfügung. Seit 2017 gibt es neue Hefte mit Beispielaufgaben sowohl zum hilfsmittelfreien Teil als auch zu den komplexen Aufgaben zu allen Sachgebieten und auf beiden Anforderungsniveaus des Mathematikabiturs. Die Aufgaben entsprechen in ihrem Format den Anforderungen der Aufgaben aus dem Abituraufgabenpool des IQB. Zusätzlich haben die Schülerinnen und Schüler für ihre Prüfungsvorbereitung Zugang zu allen Hamburger Abitur-Prüfungsklausuren des Erst- und des Zweittermins seit 2017. Auf den zweimal jährlich stattfindenden Landesfachkonferenzen Mathematik werden alle Fachleiterinnen und Fachleiter Mathematik der weiterführenden Schulen regelmäßig über Regelungen und Anforderungen in der schriftlichen Abiturprüfung durch die Fachreferentinnen und Fachreferenten informiert. Zudem bietet das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Fortbildungen für die Fachlehrerinnen und Fachlehrer zu den Abiturprüfungen Mathematik an. 8. Deckten sich die Problemfelder mit den Bereichen, die zu der Anpassung des Probeabiturs Ende 2016 geführt haben? Siehe Antwort zu 5. Drucksache 21/17249 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 9. Wird die zuständige Behörde die Bewertung verändern? Wenn ja, nach welchen Kriterien und mit welcher Begründung? Erfolgt dies in Absprache mit anderen Schulministerien? Siehe Vorbemerkung. 10. Welche Bundesländer planen Anpassungen des Bewertungsschlüssels? Welche einen Nachschreibetermin? Die Amtschefkonferenz der KMK hat sich am 16. Mai 2019 über den diesjährigen Durchgang für das schriftliche Abitur im Fach Mathematik ausgetauscht. Die Auswertung der Prüfungsergebnisse in den Ländern ist noch nicht abgeschlossen. Die bereits vorliegenden Ergebnisse zeigen ein gemischtes Bild. Es wurde beschlossen, dass einzelne Länder bei Bedarf individuelle Maßnahmen ergreifen können. 11. Erfolgt bislang eine Qualitätskontrolle der zentral eingereichten Aufgabenstellungen ? Wenn ja, durch wen und ist diese Kontrolle unabhängig? Siehe Vorbemerkung. 12. Betrachtet die Schulbehörde ihre zugesagte „Mathe-Offensive“ als Erfolg – oder plant sie weitere Maßnahmen, um Hamburg auf Bundesniveau zu heben? 13. Wann werden welche Empfehlungen der Mathematikkommission unter Leitung von Prof. Köller vom Senat umgesetzt? Bitte Zeitplan angeben. Im Rahmen der Mathematikoffensive wurde im Oktober 2017 durch den Präses der für Bildung zuständigen Behörden eine Expertenkommission eingesetzt mit dem Ziel wissenschaftlich fundierte konzeptionelle und organisatorische Empfehlungen zur qualitativen Verbesserung des Mathematikunterrichts in den verschiedenen Bildungsetappen zu entwickeln. Diese Empfehlungen sind im Rahmen einer Fachtagung Mathematik im Februar 2019 mit allen Fachleiterinnen und Fachleitern Mathematik der Hamburger Schulen in zahlreichen Workshops ausführlich besprochen und diskutiert worden. Die Beratungen zur Umsetzung der Empfehlungen unter Einbeziehung der Expertise der Fachleiterinnen und Fachleiter sind noch nicht abgeschlossen. 14. Sieht die zuständige Behörde das Risiko, dass das Zentralabitur als Element der Vergleichbarkeit und zur Herstellung der Chancengleichheit beim Zugang zu Ausbildungsgängen mit NC entwertet wird? Bitte begründen. Siehe Vorbemerkung. 15. Wünscht die zuständige Behörde eine Demokratisierung des Abiturs durch plebiszitäre Elemente? Mit dieser Fragestellung hat sich die für Bildung zuständige Behörde nicht befasst.