BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17255 21. Wahlperiode 28.05.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 20.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Wie bereitet sich Hamburg auf zurückkehrende Kinder aus den ehemaligen Gebieten des „Islamischen Staates“ vor? Die Rückholung von Frauen und Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit, die sich derzeit in Camps in Syrien befinden, wird zurzeit auf vielen Ebenen debattiert, wirft Fragen auf und stellt viele Fachkräfte und unterschiedliche behördliche Stellen vor neue Herausforderungen, auch in Hamburg. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie viele Kinder sind aus den Gebieten des Islamischen Staates seit Beantwortung der Drs. 21/12086 nach Hamburg zurückgekehrt? 2. In Drs. 21/12086 gab es die Information, dass weniger als fünf Kinder nach Hamburg zurückgekehrt sind. Welche Erfahrungswerte liegen der zuständigen Behörde vor? Auf welchem Weg plant sie weitere Informationen einzuholen? a. Gegen wie viele Eltern der oben genannten Kinder sind Verfahren eröffnet worden? Siehe Drs. 21/12086. Darüber hinaus liegen dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) keine neuen Erkenntnisse vor. 3. Wie sieht der Senat die Klärung des rechtlichen Status von zurückkehrenden Kindern vor, wenn a. die Staatsangehörigkeit der Erziehungsberechtigten ungeklärt ist? b. die Kinder keine gültigen Papiere bei sich haben? c. die Eltern verstorben sind? d. das Kind in einem Camp oder ehemaligen Einflussgebiet des IS in Syrien zur Welt gekommen ist? Im jeweiligen Einzelfall muss von den zuständigen Dienststellen eine individuelle Prüfung vorgenommen werden. Darüber hinaus ist die Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamtes (EZA) mit derartigen Fällen bisher nicht befasst worden. Soweit Anhaltspunkte für eine ausländische Staatsangehörigkeit zurückkehrender Kinder bestehen und ein ausländerbehördliches Handeln erforderlich ist, wird das EZA im Rahmen seiner Möglichkeiten anhand der vorliegenden Anhaltspunkte sowie der Erkenntnisse der beteiligten Behörden versuchen eine Klärung der Staatsangehörigkeit herbeizuführen oder hieran mitzuwirken. 4. Plant der Senat eine Koordinierungsstelle mit dem Schwerpunkt zurückkehrende Kinder in der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe? Drucksache 21/17255 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Siehe Drs. 21/15550. 5. Bis dato gibt es keine systematische Koordinierung der Schulsozialarbeit in Hamburg. Wie sollen die entsprechenden Fachkräfte innerhalb Hamburger Schulen im Umgang mit zurückkehrenden Kindern, die eine besondere Unterstützung brauchen, informiert und ausgebildet werden? Innerhalb der für Bildung zuständigen Behörde existiert eine zentrale Zuständigkeit bezüglich der Fallarbeit und zum Umgang mit zurückkehrenden Kindern. Die Hamburger Schulen sind darüber informiert, dass sie Beratung und Unterstützung bei der Beratungsstelle Gewaltprävention bei einzelnen Verdachtsfällen im extremistischen Spektrum erbitten können (Unterstützung bei der Fallarbeit). Diese Unterstützung bezieht auch zurückkehrende Kinder und Jugendliche mit ein. Die Schulaufsicht und das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) würden bei entsprechenden Anfragen aus Schulen auf die Beratungsstelle Gewaltprävention verweisen. 6. Wie sieht die Einzelfallprüfung/strafrechtliche Prüfung für Kinder und Jugendliche konkret aus? Existieren spezialisierte Werkzeuge zur Risiko - und Bedarfsanalyse für zurückkehrende Kinder, die vonseiten der Sicherheitsbehörden angewendet werden? Sobald der Polizei der Verdacht einer Straftat vorliegt, wird der Sachverhalt der zuständigen Staatsanwaltschaft übermittelt. Diese entscheidet dann auf Grundlage der bestehenden Gesetze über die Einleitung eines Prüf- oder Ermittlungsverfahrens. Darüber hinaus nimmt die Polizei keine Stellung zur Risiko- und Bedarfsanalyse bei Kindern. 7. Nachdem Information vorliegen, dass sich aktuell mindestens 60 deutsche Kinder in Lagern in Syrien befinden, mit deren Rückkehr im Laufe des Jahres zu rechnen ist: Gibt es Planungen des Senates in Bezug auf die Vorbereitung von Hamburger Kindertagesstätten für den Umgang mit der Integration und dem Aufbau unterstützender Strukturen für die Eingliederung und Aufnahme zurückkehrender Kinder? 8. Wie soll eine Resozialisierung und Reintegration von Kindern durch das inklusive Bildungsverständnis der Hamburger Kindertageseinrichtungen gewährleistet werden? Siehe Drs. 21/15550 und Drs. 21/12086. Im Übrigen liegen den zuständigen Behörden keine Kenntnisse darüber vor, inwieweit Hamburger Kindertageseinrichtungen davon betroffen sein könnten. 9. Warum wurden keine Kita-Gremien mit in die bisherige Beratung einbezogen ? In welcher Weise plant der Senat den zukünftigen Einbezug von Kita-Gremien? Weder die Kita-Trägerberatung noch die Kita-Aufsicht der für Kindertagesbetreuung zuständigen Behörde sind bisher mit Anliegen oder Problemen aus den Hamburger Kindertageseinrichtungen zur Reintegration von Rückkehrer-Kindern befasst worden. Auch in den einschlägigen Kita-Gremien wurden seitens der Kita-Träger- und Verbände bisher keine Einzelfälle oder Problemlagen in Bezug auf Rückkehrer-Kinder aufgerufen . Daher wird seitens der für Kindertagesbetreuung zuständigen Behörde aktuell keine Notwendigkeit gesehen, Kita-Gremien mit dieser speziellen Thematik zu befassen . Im Übrigen siehe Drs. 21/15550, Drs. 21/16311 sowie Antwort zu 7. und 8. 10. Wie soll ermöglicht werden, dass Kinder und Jugendliche, die ihrer Schulpflicht nach Rückkehr wieder nachgehen, keiner Stigmatisierung ausgesetzt sind? Welchen professionellen Umgang sieht der Senat mit auftretender Stigmatisierung vor? 11. Mit welchen Konzepten und Strategien sollen die betroffenen Kinder in der Fürsorge und Wiedereingliederung in Schulen gefördert werden? Bitte konkret benennen und detailliert ausführen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17255 3 Sollte die schulische Integration mit Problemen verbunden sein, werden zunächst die schulinternen Beratungskompetenzen (Klassenführung, Beratungslehrkräfte, Schulsozialarbeit , Schulleitung) genutzt. Außerdem können Schulen bei den Regionalen Bildungs - und Beratungszentren (ReBBZ), um fachliche Unterstützung bitten. Bei zurückkehrenden Kindern wird in der Regel die Beratungsstelle Gewaltprävention eine Unterstützung anbieten. Je nach Fallkonstellation können zusätzlich das zuständige Jugendamt, sozialräumliche Hilfen und Angebote, die Fachberatungsstelle Legato oder andere geeignete Unterstützungssysteme hinzugezogen werden. 12. Hat der Senat Kenntnis über Leitfäden und Konzepte mit dem Schwerpunkt Kindeswohl im Kontext islamistischer Radikalisierung? Wenn ja, bitte im Anhang einfügen. Mehrere Institutionen erarbeiten derzeit fachliche Orientierungshilfen zum Thema Kindeswohl im Kontext salafistischer Radikalisierung. Der Verbund der in Norddeutschland auf religiös begründetet Radikalisierung spezialisierten Beratungsstellen Legato (Hamburg), PROvention (Schleswig-Holstein), kibab (Bremen) und beRATen (Niedersachsen) arbeitet seit 2017 kontinuierlich zum Thema „Zweite Generation – Kinder des Salafismus“. Die Ergebnisse sollen in einer Handreichung zusammengefasst werden, siehe auch Drs. 21/12086. Parallel dazu hat am 1. Januar 2019 die Fachstelle „Liberi – Aufwachsen in salafistisch geprägten Familien“ in Kiel ihre Arbeit aufgenommen (finanziert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), die mit dem Nordverbund kooperiert, konzeptionelle Fragen bündelt und aufbereitet und Fachkräfte berät. Am 7. Mai 2019 hat die Fachstelle die Analyse „Kinder in salafistisch geprägten Familien“ veröffentlicht, Handlungsempfehlungen sollen in Kürze folgen (http://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/289912/kinder-insalafistisch -gepraegten-familien). Die von der Jugend- und Familienministerkonferenz in Auftrag gegebene fachliche Orientierungshilfe liegt weiterhin nicht vor, die Erstellung wird aus vergaberechtlichen Gründen noch Zeit in Anspruch nehmen, siehe Drs. 21/14037 und 21/16409. 13. Gibt es innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg spezialisierte Fachkräfte, die auf zurückkehrende Kinder und Jugendliche vorbereitet sind? Wenn ja, wie viele und mit welchen Schwerpunkten? Wenn nein, warum nicht? a. Was tut der Senat zur Gewinnung dieser Fachkräfte? Spezialisierte Fachkräfte, die ausschließlich mit dieser Thematik befasst sind, gibt es nicht. Die Kinderschutzkoordinatorinnen und Kinderschutzkoordinatoren der sieben bezirklichen Jugendämter sind Ansprechpartner, falls es Beratungsbedarf der fallzuständigen Fachkräfte zu zurückkehrenden Kindern und ihren Eltern gibt. Sie sind entsprechend fortgebildet. Bei einer möglichen Gefährdungseinschätzung bezüglich des elterlichen Erziehungsverhaltens gelten die Standards des § 8a SGB VIII. Die Fachberatungsstelle „Legato“ steht für Fallberatungen und Fortbildungen zur Verfügung . Es gibt einen laufenden fachlichen Austausch. Für die Kinder und die Familien werden dann – nach einer Gefährdungseinschätzung – eine differenzierte Hilfeplanung und eine abgestimmte individuelle Hilfe bereitgestellt . 14. Gab es innerhalb der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema der Kindeswohlgefährdung im Kontext islamistischer Familienstrukturen? Wenn ja, welche zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Teilnehmern/ -innen? Siehe Drs. 21/5039 und Drs. 21/14037. Drucksache 21/17255 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 15. Gibt es Planungen zu Möglichkeiten von Hilfen zur Erziehung im ambulanten oder teilstationären Rahmen bei einer möglichen Kindeswohlgefährdung im Kontext islamistischer Radikalisierung? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Personensorgeberechtigte haben grundsätzlich Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufgrund islamistischer Radikalisierung kann Anlass für eine Hilfe zur Erziehung sein. Je nach Notwendigkeit und Geeignetheit wird eine ambulante oder stationäre Jugendhilfeleistung gewährt. Für die Arbeit mit den Familien hält der beauftragte Jugendhilfeträger pädagogisch qualifiziertes Personal vor. Sofern es im Einzelfall erforderlich ist, können sich die Fachkräfte sowohl der Jugendämter als auch der Träger der freien Jugendhilfe themenspezifisch an spezialisierte Beratungsstellen wenden. In Hamburg steht zum Beispiel die Fach- und Beratungsstelle für religiöse begründete Radikalisierung - Legato – für dieses Thema zur Verfügung . 16. Gab es Vorbereitungen, Schulungen, Personalentwicklung oder Netzwerkarbeit beziehungsweise den Aufbau von Kooperationen verschiedener Stellen innerhalb der Hamburger Jugendhilfe, um sich auf Rückkehrer -Fälle, insbesondere zurückkehrende Frauen und Kinder, vorzubereiten ? Siehe Drs. 21/15550. a. Existieren interne Ablaufpläne innerhalb der Jugendhilfe, in den Schulen und den Kindertagesstätten, wie mit zurückkehrenden Frauen und ihren Kindern strukturell gearbeitet werden soll? Die entwickelten fachlichen Standards der Jugendhilfe sowie die Qualitätsmanagementprozesse (einschließlich entsprechender Fortbildungskonzepte) werden auch auf die Rückkehrerinnen und Rückkehrer mit ihren Kindern angewendet. Für die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung gelten inklusive Konzepte, die von einem umfassenden Fallverstehen ausgehen. Bei Bedarf wenden sich die Einrichtungen zum Beispiel Legato, an das Hamburger Pädagogisch-Therapeutische Fachzentrum (PTFZ) oder auch die spezialisierte Beratungsstelle des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE). Innerhalb der für Bildung zuständigen Behörde gibt es über die Beratungsstelle Gewaltprävention eine Empfehlung bezüglich einer schulinternen Interventionskette zum Umgang mit Verdachtsfällen (zum religiösen Extremismus): Wie können Verdachtsmomente schulintern weitergegeben beziehungsweise an die Schulleitung gesteuert werden, wer kann in entsprechenden Einzelfällen um Unterstützung gebeten werden? Dieses Schaubild wurde in den letzten Jahren auf Schulleitungskonferenzen und in der Runde der Schulaufsichtsbeamten präsentiert und diskutiert. 17. Diverse Empfehlungen von Praktikern/-innen, die mit zurückkehrenden Kindern arbeiten oder arbeiteten, sagen aus, dass eine einrichtungsübergreifende Struktur für eine erfolgreiche Reintegration dieser Kinder notwendig ist. a. Welche bedarfsgerechte Struktur wurde vonseiten des Hamburger Senats etabliert und wer ist Teil derselben (vergleiche Drs.21/15550, Frage 17.)? b. Welche Weisungsbefugnis haben die Sicherheitsbehörden innerhalb dieser Struktur? c. Wie sehen die rechtlichen Grundlagen zum Datenschutz aus, um eine einrichtungsübergreifende Informationsstruktur ermöglichen zu können? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17255 5 18. Wird bei der Planung der „bedarfsgerechten Struktur“ die Einbindung von Kinderpsychologen/-innen und/oder anderer psychologisch/psychotherapeutischen Fachpersonen berücksichtigt? Wenn ja, bitte konkret erläutern. Wenn nein, bitte konkret begründen. Die Regelsysteme und die Beratungsstelle Legato stellen bedarfsgerechte Strukturen dar, siehe Drs. 21/15550. Im Übrigen sind bei der Übermittlung personenbezogener Daten, abhängig von der übermittelnden Stelle und dem Zweck der Übermittlung, die entsprechenden Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) sowie der jeweiligen Fachgesetze zu beachten. 19. Vonseiten des Senates wird in Drs. 21/12086 auf das Protokoll des Fachaustauschs „Kinder in salafistischen Familien“ im Januar 2018 verwiesen . Ist es öffentlich zugänglich? Wenn ja, bitte im Anhang anfügen. Wenn nein, warum nicht? Das Protokoll ist nicht öffentlich zugänglich, da es vertrauliche Informationen aus den beteiligten Institutionen enthält. Eine Veröffentlichung würde Präventions- und Interventionsstrategien der beteiligten Institutionen gefährden.