BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17381 21. Wahlperiode 04.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 28.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug! – Die Auswirkungen des EuGH-Urteils zum Europäischen Haftbefehl in Hamburg Der Europäische Haftbefehl, der auf dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rats für Justiz und Inneres vom 13. Juni 2002 beruht und als Instrument zur Durchsetzung nationaler Haftbefehle auf dem Hoheitsgebiet der EU- Mitgliedsländer dient, vereinfacht und verkürzt die Auslieferung von Straftätern beziehungsweise Verdächtigen, da das um Auslieferung ersuchte Land die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls grundsätzlich nicht nachprüfen darf. Mit Urteil vom 27.05.2019, Az. C-508/18, hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nun jedoch entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive bieten würden, um zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls befugt zu sein. Nach Auffassung der Luxemburger Richter müsse die Behörde, die mit der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls betraut ist, bei der Ausübung ihrer Aufgaben vollkommen unabhängig handeln – und zwar auch dann, wenn der Europäische Haftbefehl auf einem richterlich erlassenen nationalen Haftbefehl beruht. Es dürfe keinerlei strukturelle Gefahr drohen, dass die Entscheidung durch Weisungen oder Anordnungen der Exekutive beeinflusst werden könne, was in Deutschland durch § 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes, der die Weisungshoheit der Landesjustizminister gegenüber den Beamten der Staatsanwaltschaft verankert, nicht gegeben sei. Um Abhilfe zu schaffen und dem Urteil des EuGH künftig zu entsprechen, wurden seit dem Erlass des Urteils medial primär zwei Lösungsoptionen diskutiert , nämlich einerseits das Tilgen des § 146 und damit des Weisungsrechts der Landesjustizminister aus dem GVG und andererseits die Verlagerung des Erlasses Europäischer Haftbefehle auf die Gerichte. Da Letzteres angesichts des bereits bestehenden Arbeitsanfalls an Hamburgs Gerichten jedoch mit verheerenden Auswirkungen verbunden wäre, erscheint eine parlamentarische Kontrolle geboten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Europäische Haftbefehl stellt keinen Haftbefehl im Sinne der deutschen Strafprozessordnung dar. Nach Artikel 1 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses handelt es sich bei dem Europäischen Haftbefehl vielmehr um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung Drucksache 21/17381 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 bezweckt. Der Europäische Haftbefehl ist also im weiteren Sinne mit einer EU-weiten Ausschreibung zur Festnahme zu vergleichen. Dem muss jedoch stets ein nationaler Haftbefehl oder ein nationales vollstreckbares Urteil zugrunde liegen.  Die genaue Ausgestaltung des Verfahrens und das zu verwendende Formblatt sind in dem Rahmenbeschluss geregelt. Bisher haben bundesweit grundsätzlich die Staatsanwaltschaften den Europäischen Haftbefehl ausgestellt. Nach dem nunmehr ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist dies nicht mehr möglich. Die Hamburger Staatsanwaltschaften beantragen daher bereits die Ausstellung von Europäischen Haftbefehlen bei den zuständigen Gerichten. Insoweit und wegen aller weiteren Folgen aus dem Urteil des EuGH befindet sich die Justizbehörde in einem engen Austausch unter anderem mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und den übrigen Landesjustizverwaltungen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Europäische Haftbefehle wurden von den Hamburger Staatsanwaltschaften seit Januar 2016 erlassen? Bitte nach Staatsanwaltschaft und Jahr gesondert angeben. Der Erlass eines Europäischen Haftbefehls wird weder bei der Staatsanwaltschaft noch bei der Generalstaatsanwaltschaft statistisch gesondert erfasst. Bei der Staatsanwaltschaft erfolgt das Ausstellen eines Europäischen Haftbefehls aus dem Register 1052 AR heraus. Dort ist ausweislich des Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystems MESTA seit dem Jahr 2016 bis zum Stichtag 29. Mai 2019 folgende Verfahrensanzahl verzeichnet: Az.-Jahrgang Vorgänge 2016 75 2017 93 2018 72 2019 31 Ob in allen vorbenannten Verfahren ein Europäischer Haftbefehl tatsächlich ausgestellt wurde, ließe sich nur durch eine händische Auswertung aller Vorgänge feststellen . Eine solche Auswertung ist innerhalb der für eine Schriftliche Kleine Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Für die Generalstaatsanwaltschaft hat die Auswertung einer vom Bundeskriminalamt erstellten Liste aller im Schengener Informationssystem (SIS) eingestellten Europäischen Haftbefehle ergeben, dass seit 2016 zehn Europäische Haftbefehle durch die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg ausgestellt wurden und zwar in den Jahren 2016 und 2017 je vier und im Jahr 2019 zwei. 2. In wie vielen und jeweils welchen Fällen erfolgten jeweils welche Weisungen und/oder Anordnungen seitens der Justizbehörde gegenüber den Hamburger Staatsanwaltschaften seit Januar 2016? Bitte nach Staatsanwaltschaft, Jahr und Fall gesondert detailliert erläutern. In keinem Fall. 3. Wie plant die zuständige Behörde sich im Rahmen der Lösungsfindung hinsichtlich etwaiger Lösungsoptionen auf Bundesebene konkret zu positionieren ? Der Prozess der Willens- und Meinungsbildung zu dieser Frage ist noch nicht abgeschlossen ; siehe Vorbemerkung.