BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17383 21. Wahlperiode 04.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 28.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Wahlwerbung der NPD in Hamburg Im Zuge des Europa- und Bezirkswahlkampfes wurden von der „Nationaldemokratischen Partei Deutschland“ Plakate aufgehängt, auf denen der Schriftzug „Invasion stoppen. Migration tötet“ zu lesen ist. Diese Plakate wurden von der NPD bundesweit plakatiert. In einigen Städten , so etwa in Zittau, entschieden die zuständigen Behörden, die Plakate abzuhängen, da sie durch das Plakatmotiv den Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB erfüllt sahen. Die NPD versuchte zwar im Wege des einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen, dass die Plakate aufgehängt werden durften, doch das Verwaltungsgericht Dresden,1 das Oberverwaltungsgericht Sachsen sowie das Bundesverfassungsgericht2 bestätigten die Entscheidung der Stadt. Auch in Hamburg sorgten die Plakate der NPD für Empörung. Unter anderem wurden die Plakate direkt über die Plakate anderer Parteien gehängt, die Kandidaten/-innen mit vermeintlichem Migrationshintergrund zeigten.3 Dem Artikel in der „Hamburger Morgenpost“ zufolge prüfte das Bezirksamt Wandsbek, ob gegen die Plakate vorgegangen werden könne. Nach Informationen in den sozialen Medien gehe das Bezirksamt Wandsbek im Austausch mit der Staatsanwaltschaft Hamburg und der Staatsschutzabteilung der Polizei Hamburg davon aus, dass der Plakateinhalt nicht strafbar sei. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist bei mehrdeutigen Äußerungen diejenige Deutung, die zur Anwendung sanktionierender Normen führen würde, bei der rechtlichen Würdigung nur dann zugrunde zu legen, wenn andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen sind. Das BVerfG hat in einem vergleichbaren Sachverhalt (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 24.05.2019 - Az.: 1 BvQ 45/19) hierzu ausgeführt: „Erhebliche Zweifel bestehen jedenfalls hinsichtlich der Einschätzung, alleine der Wortlaut des Slogans „Migration tötet!“ vermittele der unbefangenen Betrachterin und dem unbe- 1 Bericht der LTO vom 21.05.2019: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vg-dresden-6k385- 19-plakate-npd-migration-toetet-volksverhetzung-gefahr-oeffentliche-sicherheit/. 2 Pressemitteilung des BVerfG, Nummer 39/2019 vom 25. Mai 2019. 3 Bericht der „Hamburger Morgenpost“ vom 23.05.2019: https://www.mopo.de/hamburg/- migration-toetet--riesenaerger-wegen-dieses-npd-plakats-in-wandsbek-32584582. Drucksache 21/17383 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 fangenen Betrachter den Eindruck, sämtliche in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer oder Migrantinnen und Migranten seien als potentielle Straftäterinnen und Straftäter von Tötungsdelikten anzusehen. Diese Einschätzung lässt außer Acht, dass der inkriminierte Satz im Kontext eines Wahlkampfes steht und in abstrakter Weise auf vermeintliche Folgen der Migration aufmerksam machen will und insoweit auf einzelne Straftaten – die freilich als grundsätzliches Phänomen gedeutet werden – hinweist. Dass hierin eine pauschale Verächtlichmachung aller Migrantinnen und Migranten liegt, können die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht tragfähig begründen. Nichts anderes gilt für die Deutung des Verwaltungsgerichts, nach der die Aufforderung „Widerstand – jetzt“ als Aufforderung an die Bevölkerung zum tatsächlichen Widerstand zu verstehen sei; im Kontext einer Wahlkampagne dürfte diese Deutung kaum tragfähig sein.“ Auch in dem zitierten Fall hat das BVerfG zu der rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts Dresden und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts ausdrücklich erklärt, dass der Ausgang eines gegebenenfalls noch durchzuführenden Hauptsacheverfahrens offen und die Deutungen der Verwaltungsgerichte nach vorläufiger Bewertung „kaum tragfähig“ seien. Nur die im Eilverfahren gebotene Folgenabwägung unter Beachtung des anzulegenden strengen Maßstabs fiel zulasten der Antragstellerin „Nationaldemokratische Partei Deutschland“ aus (vergleiche BVerfG, am angegebenen Ort). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Bezirksämter haben sich mit dem Wahlkampfplakat der NPD mit der oben genannten Aufschrift befasst? Das Bezirksamt Wandsbek. 2. Welche Möglichkeiten hat welches Bezirksamt mit welchem Ergebnis geprüft, um ein Abhängen der Plakate zu erreichen? Das Bezirksamt Wandsbek hat ein Tätigwerden auf der Grundlage des Hamburgischen Wegegesetzes geprüft. Auch die Fachanweisung der zuständigen Behörde über die politische Werbung auf öffentlichen Wegen mit Werbeträgern wurde in die Prüfung mit einbezogen. Das Bezirksamt ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Abhängen der Plakate jedoch ausschließlich über § 3 SOG möglich gewesen wäre. Die Zuständigkeit für das Abhängen der Plakate oblag somit der Polizei. Mit dieser wurde unverzüglich Kontakt aufgenommen. 3. Trifft es zu, dass das Bezirksamt im Rahmen des Entscheidungsprozesses zum Umgang mit den Plakaten Kontakt zur Staatsanwaltschaft Hamburg und zur Staatsschutzabteilung der Polizei Hamburg gehabt hat? Ja. 4. Sind vonseiten der Polizei Hamburg oder der Staatsanwaltschaft Hamburg Ermittlungen wegen des Verdachtes einer Straftat eingeleitet worden ? Die Polizei hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die abschließende tatsächliche und rechtliche Bewertung des Sachverhalts erfolgt bei Abschluss der Ermittlungen durch die zuständige Abteilung 71 der Staatsanwaltschaft Hamburg. 5. Trifft es zu, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg das Plakatmotiv als nicht strafbar bewertet? Wenn ja, welche Straftatbestände wurden mit welchem Ergebnis geprüft? Bitte genau angeben, welche Erwägungen dabei berücksichtigt wurden. Wenn nein, welchen Straftatbestand erfüllt das Plakat und welche Konsequenzen wurden aus der Bewertung des Plakates als strafbar gezogen ? 6. In welcher Abteilung der Staatsanwaltschaft erfolgte die Bewertung? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17383 3 Siehe Antwort zu 4 und Vorbemerkung. 7. Inwieweit wurden bei der Staatsanwaltschaft Hamburg oder den Bezirksämtern die gerichtlichen Entscheidungen aus anderen Städten in ihrer Entscheidungsfindung zum Umgang mit den Plakaten berücksichtigt ? Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Dresden und Düsseldorf wurden bei der Prüfung des Bezirksamtes berücksichtigt. Aufseiten der Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt der rechtlichen Würdigung unter anderem auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden vom 20. Mai 2019 (Az. 6 K 385/19) bekannt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Aus welchen inhaltlichen Gründen bewertete die Staatsanwaltschaft Hamburg das Wahlplakat anders als das Verwaltungsgericht Dresden und das Oberverwaltungsgericht Sachsen? Siehe Antwort zu 5. und 6. 9. Trifft es zu, dass das Bezirksamt Wandsbek aufgrund der rechtlichen Bewertung der Staatsanwaltschaft auf ein Abhängen des Plakates verzichtet hat? Nein. Siehe Antwort zu 2.