BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17387 21. Wahlperiode 04.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 28.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Pflegebedürftigkeit in Hamburg: Wie sind die Abweichungen der tatsächlichen Fallzahlen von den Fallzahlenprognosen in der aktuellen Rahmenplanung der pflegerischen Versorgungsstruktur zu erklären? Am 15. Dezember 2015 wurde von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz die Rahmenplanung zur pflegerischen Versorgungstruktur veröffentlicht. Der Landespflegeausschuss hatte der Rahmenplanung zuvor zugestimmt und den an der pflegerischen Versorgung beteiligten Organisationen und Trägern empfohlen, die dort vorgeschlagenen Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Pflegeangebotes und der Strukturen umzusetzen. Damit gab es eine gemeinsame Grundlage für die Planungen von Einrichtungsträgern , Pflegekassen, der Gesundheitsbehörde und anderen an der pflegerischen Versorgung Beteiligten.1 Den Fallzahlenprognosen aus der Rahmenplanung im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit in Hamburg kommt demnach für die Akteure im Gesundheitsund Pflegewesen eine erhebliche Bedeutung zu – nicht zuletzt als Orientierungsrahmen für eigene Planungen. In einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der AfD-Fraktion2 nach dem Zusammenhang von Pflegerisiko und Armutsrisiko in Hamburg ist eine aktuelle , nach Jahren gegliederte Aufstellung der Fallzahlen für Pflegebedürftigkeit enthalten. Im Jahre 2013 betrug die Anzahl der pflegebedürftigen Personen in Hamburg 49 566. Diese Zahl findet sich naheliegender Weise für 2013 auch in der Rahmenplanung.3 Für das Jahr 2015 wird die Anzahl in der Senatsantwort mit 52 659 angegeben.4 In der Rahmenplanung findet sich für das Jahr 2015 eine Anzahl von 50 177. Diese Abweichung ist mit beinahe 2 500 nicht unerheblich . Die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Anzahl und der in der Rahmenplanung angegeben Zahl für 2015 ist wahrscheinlich auf den Umstand zurückzuführen, dass die Angaben zur Pflegebedürftigkeit alle zwei Jahre zum Stichtag 15.12. in der Pflegestatistik des Bundes erhoben werden und die Rahmenplanung just am 15.12.2015 von der BGV veröffentlicht wurde . 1 www.hamburg.de/pflege/veroeffentlichungen/4654500/pflegerische-versorgungsstruktur- 2020/. 2 Drs. 21/17166 vom 17.05.2019. 3 Alle Verweise auf die Rahmenplanung beziehen sich auf die von der BGV im Dezember 2015 veröffentlichte Rahmenplanung der pflegerischen Versorgungsstruktur bis 2020. 4 Die für die Jahre 2013 und 2015 angegebenen Zahlen schließen alle damals noch gültigen Pflegestufen mit ein. Drucksache 21/17387 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wirklich eklatant aber wird die Diskrepanz zwischen der faktischen zahlenmäßigen Entwicklung der Pflegebedürftigkeit und den in der Rahmenplanung enthaltenen prognostizierten Zahlen ab spätestens 2017. Laut Senatsantwort vom 17.05.2019 betrug die Anzahl5 der pflegebedürftigen Personen in Hamburg am 15.12.2017 63 145. In der Prognose der Rahmenplanung wird eine solche Zahl – trotz der demografischen Entwicklung – noch nicht einmal für das Jahr 2020 vorhergesagt (Rahmenplanung für 2020: 54 171 pflegebedürftige Personen). In noch gravierenderer Weise offenbart sich das Auseinanderdriften der Prognosen und der tatsächlichen Fallzahlenentwicklung, wenn man die noch weiter in die Zukunft reichenden Vorhersagen aus der Rahmenplanung zur Kenntnis nimmt: Weder im Jahr 2025 (prognostizierte Fallzahl: 58 239) noch im Jahr 2030 (prognostizierte Fallzahl: 61 239) wird laut Prognosen die bereits für 2017 tatsächlich ermittelte Fallzahl von 63 145 erreicht. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Rahmenplanung der pflegerischen Versorgungsstruktur ist nach dem Hamburgischen Landespflegegesetz (HmbLPG) regelmäßig fortzuschreiben. Die letzte Rahmenplanung wurde im Dezember 2015 als Rahmenplanung bis 2020 veröffentlicht. Es ist geplant, Ende 2020 eine fortgeschriebene Rahmenplanung bis 2025 zu veröffentlichen . Die Zahl der Pflegebedürftigen in Hamburg Ende des Jahres 2017 stieg laut Pflegestatistik im Vergleich zum Jahr 2013 um 19,9 Prozent an. Dies ist im Wesentlichen auf die Reformen der Pflegeversicherung zurückzuführen. Insbesondere die durch das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) erfolgte Neubewertung der Pflegebedürftigkeit hat den vom Gesetzgeber gewünschten Erfolg erzielt. Mehr Menschen mit einem Unterstützungsbedarf erhalten nun Leistungen der Pflegeversicherung und gelten damit als pflegebedürftig im Sinne der Statistik. In der Rahmenplanung wird auf diesen Effekt bereits hingewiesen (siehe Abschnitt 2.2.5 auf Seite 15). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In welchem Umfang sind die eklatanten Abweichungen zwischen den in der Rahmenplanung prognostizierten Fallzahlen der Pflegebedürftigkeit und den tatsächlichen Zahlen in Hamburg dadurch zu erklären, dass bei der Prognoseerstellung methodische Fehler gemacht wurden – zum Beispiel durch Überschätzung von Effekten einer Kompression der Morbidität 6 in den letzten Lebensjahren oder durch andere Fehleinschätzungen? Die Methodik der Prognoseberechnung ist in der Rahmenplanung dargestellt. Es liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor, dass eine Abweichung von der Prognose auf die Methodik zurückzuführen wäre. 2. In welchem Umfang sind die eklatanten Abweichungen zwischen den in der Rahmenplanung prognostizierten Fallzahlen der Pflegebedürftigkeit und den tatsächlichen Zahlen in Hamburg durch Neuregelungen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (seit 01.01.2017) begründet (Stichwort : Pflegebedürftigkeitsbegriff)? 5 Über alle seit dem 01.01.2017 geltenden Pflegegrade hinweg. 6 Etwaigen Effekten einer sogenannten Kompression der Morbidität in der letzten Lebensphase liegt die Überlegung zugrunde, dass bei zunehmender Lebenserwartung nicht unbedingt auch das Pflegebedürftigkeitsrisiko in gleicher Proportion ansteigt. Vielmehr wird heute aufgrund pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse davon ausgegangen, dass demografisch „hinzugewonnene “ Jahre durchaus in relativer Gesundheit verlebt werden können und sich die Morbiditätsballung in die allerletzten Lebensjahre verschiebt. Solche Effekte hätten zur Folge , dass die Fallzahlen der Pflegebedürftigkeit langsamer ansteigen als die Anzahl hochbetagter Menschen in einer Gesellschaft. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17387 3 Die Abweichungen beruhen im Wesentlichen auf der durch das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) erfolgten Neubewertung der Pflegebedürftigkeit. 3. Auf welchen Ursachen die Abweichungen zwischen den in der Rahmenplanung prognostizierten Fallzahlen der Pflegebedürftigkeit und den tatsächlichen Zahlen in Hamburg auch beruhen mögen, in jedem Fall weisen sie eine Größenordnung auf, die die Annahmen der bisherigen Rahmenplanung infrage stellen. a. Hat der Senat auf die Tatsache, dass die Rahmenplanung bereits seit spätestens Januar 2017 auf deutlich zu geringen Fallzahlenannahmen beruht, reagiert und die Rahmenplanung inzwischen an die realen Verhältnisse angepasst oder werden die aktuellen Fallzahlenentwicklungen der Pflegebedürftigkeit erst in der nächsten Rahmenplanung ab 2021 berücksichtigt? Die Auswertungen der Pflegestatistik für Hamburg des Statistikamtes Nord liegen dem Senat jeweils zum Ende des auf den Erhebungsstichtag folgenden Jahres vor. Die Daten mit Stichtag 15.12.2017 wurden im November 2018 zur Verfügung gestellt. Die Daten werden in der nächsten Rahmenplanung berücksichtigt. b. In der gegenwärtig gültigen Rahmenplanung geht es unter anderem um Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Pflegeangebotes und der Pflegestrukturen. Welche Angebote und Strukturen sollten aus Sicht des Senats angesichts der stoßartig gestiegenen Pflegefallzahlen besonders gezielt weiterentwickelt werden? Da der Planungsprozess am Anfang steht, sind hierzu noch keine Aussagen möglich.