BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17395 21. Wahlperiode 04.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 29.05.19 und Antwort des Senats Betr.: Untergebrachte Straftäter – Werden sie im Maßregelvollzug nur ruhiggestellt oder vernünftig therapiert? Straftäter, die bei der Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig sind, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sind gemäß § 20 StGB schuldunfähig. Der schuldunfähige Täter kann zwar nicht bestraft werden, aber psychisch kranke oder suchtkranke Rechtsbrecher, die im Sinne von § 20 oder § 21 StGB als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gelten und bei denen zugleich unter Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat eine weitere Gefährlichkeit zu erwarten ist, können nach § 63 und § 64 StGB im Maßregelvollzug untergebracht werden. Gerade im Hinblick darauf, dass mit der zum 1. August 2016 in Kraft getretenen Novellierung des „Rechts zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB und zur Änderung anderer Vorschriften“ die rechtsstaatliche Anforderung an eine Unterbringung klarer und strenger definiert wurde, auch eine zeitliche Begrenzung der Dauer der Unterbringung auf sechs beziehungsweise zehn Jahre bei weniger schwerwiegenden Gefahren normiert wurde, ist es von erheblicher Bedeutung, dass die Untergebrachten die erforderlichen Therapien und Behandlungen erhalten. Nur so kann das Risiko der Begehung neuer Straftaten gesenkt und damit der Schutz der Allgemeinheit erhöht werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie hat sich die Anzahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren , die wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB eingestellt wurden, seit dem Jahr 2015 jährlich entwickelt? Wie viele dieser Verfahren betrafen Jugendliche und Heranwachsende? Eine automatisierte Auswertung des Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystems MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg ergab für die Aktenzeichenjahrgänge 2015 bis 2019 (Stichtag: 3. Juni 2019) folgende Anzahl an Verfahrenseinstellungen gemäß § 20 StGB: Aktenzeichenjahrgang Verfahrensanzahl 2015 472 2016 418 2017 548 2018 447 Drucksache 21/17395 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Aktenzeichenjahrgang Verfahrensanzahl 2019 95 Der Umstand, ob ein Verfahren eine zum Tatzeitpunkt jugendliche, heranwachsende oder erwachsene Person betrifft, wird in MESTA nicht zuverlässig erfasst. Für die Beantwortung der weiteren Frage müssten daher alle aufgeführten Vorgänge beigezogen und händisch ausgewertet werden. Dies ist innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Wie hat sich die Anzahl der Strafverfahren, in denen festgestellt wurde, dass der Täter gemäß § 20 StGB schuldunfähig und deshalb freizusprechen ist, seit dem Jahr 2015 entwickelt? a. In wie vielen dieser Verfahren wurde eine Maßregel der Besserung und Sicherung (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ) angeordnet? b. Wie viele dieser Verfahren betrafen Jugendliche und Heranwachsende ? In MESTA wird nicht erfasst, aus welchen Gründen ein Freispruch erfolgte. Die Anzahl der Verfahren, in denen ein Freispruch erfolgte, liegt pro Aktenzeichenjahrgang im dreistelligen Bereich. Für die Beantwortung der Fragen müssten sämtliche dieser Verfahren beigezogen und händisch ausgewertet werden. Dies ist innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 3. Wie hat sich die Anzahl der Personen, gegen die aufgrund einer Straftat im Falle von Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB oder verminderter Schuldunfähigkeit gemäß § 21 StGB strafrichterlich als Maßregel der Besserung und Sicherung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet wurde, seit dem Jahr 2015 in Hamburg entwickelt? Wie viele davon waren Jugendliche und Heranwachsende ? Die Anzahl der Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB für die Aktenzeichenjahrgänge 2015 bis 2019 (Stichtag: 3. Juni 2019) stellt sich ausweislich MESTA wie folgt dar: Aktenzeichenjahrgang Verfahrensanzahl 2015 20 2016 27 2017 34 2018 16 2019 0 Der Umstand, ob ein Verfahren eine zum Tatzeitpunkt jugendliche, heranwachsende oder erwachsene Person betrifft, wird in MESTA nicht zuverlässig erfasst. Für die Beantwortung der weiteren Frage müssten daher alle aufgeführten Vorgänge beigezogen und händisch ausgewertet werden. Dies ist innerhalb der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Wie hat sich die Anzahl der Personen, die gemäß § 126a StPO einstweilig untergebracht wurden, seit dem Jahr 2015 entwickelt? Wie viele davon waren Jugendliche und Heranwachsende? Ausweislich MESTA hat sich die Anzahl der Personen, die gemäß § 126a StPO einstweilig untergebracht wurden, in den Aktenzeichenjahrgängen 2015 bis 2019 (Stichtag: 3. Juni 2019) wie folgt entwickelt: Aktenzeichenjahrgang Verfahrensanzahl 2015 57 2016 57 2017 69 2018 32 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17395 3 Aktenzeichenjahrgang Verfahrensanzahl 2019 0 Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 5. § 2 Absatz 1 HmbMVollzG normiert, dass es das Ziel einer Unterbringung neben dem Schutz der Allgemeinheit ist, die untergebrachte Person so weit wie möglich zu heilen oder ihren Zustand so weit zu verbessern , dass sie keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt. Behandlung und Betreuung während des Vollzugs haben medizinischtherapeutischen und pädagogischen Erfordernissen Rechnung zu tragen (Absatz 2 Satz 1). In § 6 Absatz 1 heißt es: „Die Behandlung und Betreuung sowie die Unterbringung und Sicherung während des Maßregelvollzugs haben den therapeutischen Erfordernissen des Einzelfalls sowie dem Schutz der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Die sich an anerkannten aktuellen wissenschaftlichen Standards orientierende Qualität insbesondere der Behandlung, der Behandlungsergebnisse und der Versorgungsabläufe ist zu gewährleisten. Die Träger der Vollzugseinrichtungen führen regelmäßig qualitätssichernde Maßnahmen durch. Den Angestellten der Vollzugseinrichtung sollen die für ihre Tätigkeit notwendigen zusätzlichen Kenntnisse durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen vermittelt werden.“ Erhalten vor diesem Hintergrund Untergebrachte, deren Schuldunfähigkeit auf einer psychiatrischen beziehungsweise psychischen Erkrankung basiert, individuelle Therapien, die aktuellen wissenschaftlichen Standards entsprechen, zur Behandlung ihrer Erkrankung? a. Falls ja, auf welche Weise wird gewährleistet, dass sie nicht nur mit Medikamenten ruhiggestellt und verwahrt werden, sondern die für ihre jeweilige Erkrankung erforderliche Behandlung erhalten? Unverzüglich nach Beginn der Unterbringung wird für die untergebrachte Person ein vorläufiger Plan über die vorgesehenen Untersuchungen und Behandlungen aufgestellt und danach in Abständen von längstens sechs Monaten ein Behandlungs- und Wiedereingliederungsplan erstellt. Dieser enthält insbesondere Angaben zur Heilbehandlung einschließlich der psychotherapeutischen, soziotherapeutischen und heilpädagogischen Behandlung. Diese Behandlungs- und Wiedereingliederungspläne sind Gegenstand der Überprüfung und Bewertung durch die Strafvollstreckungskammer, externe Gutachter und die Aufsichtskommission. b. Falls ja, welche Therapien und Behandlungen werden im Maßregelvollzug angeboten? Für Untergebrachte stehen alle psychiatrischen- und psychotherapeutischen Behandlungen , soziotherapeutische- und heilpädagogische Interventionen sowie Maßnahmen aktiver Freizeitgestaltung zur Verfügung, die nach medizinisch-therapeutischen und pädagogischen Erfordernissen die Ziele des Maßregelvollzuges unterstützen. Neben einer zielgerichteten medikamentösen Behandlung umfasst dies unter anderem : psychotherapeutische Einzelgespräche, psychotherapeutische Gruppentherapien, darunter evaluierte Programme wie Metakognitives Training (MKT), Dialektisch Behaviorale Therapie – Forensik (DBT-F), Reasoning&Rehabilitation-Programm (R&R- Training), Schematherapie, Sex Offender Treatment Program (SOTP), Psychoedukation (PE), Soziales Kompetenz Training (SKT), Kognitives Training (Cogpack) und andere. Weitere Elemente einer für die jeweilige Erkrankung erforderlichen Rehabilitation sind Morgenrunden, Stationsvollversammlungen, Suchtgruppen, Reha-Gruppen, Freizeitgruppen , Selbstversorgungstraining, externe Bekleidungseinkäufe, Arbeits- und Beschäftigungsangebote (inklusive Lehrausbildungen, siehe Anhang Therapieangebote FTZ), Schulausbildung (Alphabetisierung, Förderunterricht, Deutschkurse, Hauptschul - und Realschulabschluss) und so weiter. Drucksache 21/17395 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 c. Falls nein, weshalb nicht? Entfällt. d. Welche qualitätssichernden Maßnahmen wurden von den Trägern der Vollzugseinrichtungen seit dem Jahr 2015 jährlich durchgeführt? Hinsichtlich notwendiger und zusätzlicher Kenntnisse wurden zusammen mit Kongress -, Tagungs- und Seminarbesuchen, Teamtrainings und Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter aller Berufsgruppen regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen umgesetzt. Dies umfasste 2015 Fortbildungsmaßnahmen in 866 Fällen, 2016 Fortbildungsmaßnahmen in 807 Fällen, 2017 Fortbildungsmaßnahmen in 631 Fällen, 2018 Fortbildungsmaßnahmen in 1 013 Fällen. 6. § 2 Absatz 2 HmbMVollzG regelt: „Soweit wie möglich soll der Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden und die untergebrachte Person auf eine selbständige Lebensführung vorbereiten . Dazu gehört auch ihre familiäre, soziale und berufliche Eingliederung .“ a. Wie häufig können Untergebrachte im Maßregelvollzug Besuch erhalten? Gibt es feste Besuchszeiten? Falls ja, wann? Die Besuchszeiten sind am Mittwoch, Sonnabend und Sonntag in der Zeit von 15.00 bis 17.00 Uhr. Aus therapeutischen Gründen oder aus Gründen der Wiedereingliederung können im Einzelfall andere Tage und Uhrzeiten und andere Besuchsdauern festgelegt werden. Besuche im Reha-Bereich (Haus 10) sind täglich (8 bis 20 Uhr) möglich. Für Besuche bei längerfristig bestehender Partnerschaft steht ein Kontaktzimmer zur Verfügung. b. Welche Aus- und Fortbildungen werden für Untergebrachte aktuell angeboten? Informationen zu Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten des forensischen Therapiezentrums (FTZ) siehe https://www.asklepios.com/hamburg/nord/psychiatrie-ochsenzoll/ experten/psychiatrie-und-psychotherapie-ochsenzoll/stationaere-behandlungen/ forensische-psychiatrie/forensisches-therapiezentrum/ zur Verfügung. c. Welche Freizeitangebote gibt es aktuell im Maßregelvollzug? Auf den Stationen gibt es Angebote für Tischfußball, Dart, Fahrradergometer, Computerkonsolen , Gesellschaftsspiele. Für Entleihungen aus der Patientenbibliothek liegt ein umfassender Katalog bereit. Die Hofgärten werden nach Möglichkeit über das gesetzlich festgelegte Ausmaß hinaus zugänglich gemacht, Sport und Spiele sind auch auf der Station und in der hauseigenen Sporthalle möglich. Es gibt Möglichkeiten für Tischtennis, Schach, Spielegruppen, Videogruppen, Kochgruppen, eine Walking Gruppe, eine Fahrradgruppe, regelmäßige Sommerfeste und Weihnachtsfeste auf den Stationen mit externen Besuchern die eingeladen werden können. 7. Gemäß § 48 HmbMVollzG besucht die von der zuständigen Behörde einberufene Aufsichtskommission mindestens zweimal jährlich unangemeldet die Vollzugseinrichtungen, um zu überprüfen, ob die mit dem Maßregelvollzug verbundenen besonderen Aufgaben erfüllt und die Rechte der untergebrachten Personen gewahrt werden. Nach einem Besuch fertigt die Aufsichtskommission einen Bericht für die zuständige Behörde an, der das Ergebnis der Überprüfung sowie die vorgetragenen Wünsche und Beschwerden der untergebrachten Personen mit einer Stellungnahme der Aufsichtskommission enthält. Eine Zusammenfassung der Berichte übersendet der Senat alle zwei Jahre. Der letzte Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17395 5 zusammenfassende Bericht der Aufsichtskommission bezieht sich auf die Jahre 2014 und 2015 (Drs. 21/7243). a. Aus welchem Grund wurde noch kein zusammenfassender Bericht für die Jahre 2016 und 2017 an die Bürgerschaft übermittelt? Die entsprechende Drucksache wird derzeit erstellt. b. Hat die Aufsichtskommission den Maßregelvollzug auch in den Jahren seit 2016 jährlich mindestens zweimal besucht? Falls nein, in welchem Jahr aus welchen Gründen nicht? Ja. c. Wurden der zuständigen Behörde seit dem Jahr 2016 Ergebnisse der Überprüfungen durch die Aufsichtskommission mitgeteilt, die nicht zufriedenstellend waren, oder wurden Wünsche/Beschwerden von untergebrachten Personen mitgeteilt, denen seitens der Aufsichtskommission zugestimmt wurde? Falls ja, in welchem Jahr welche Empfehlungen und was wurde daraufhin jeweils eingeleitet? Siehe Antwort zu 7. a. 8. Welche Forensiken stehen für die Unterbringung Jugendlicher und Heranwachsender neben der Forensischen Psychiatrie in der Asklepios Klinik Nord zur Verfügung? Gibt es in Deutschland Forensische Psychiatrien speziell für Jugendliche und Heranwachsende, in denen Straftäter aus Hamburg untergebracht werden können? Falls ja, welche? Das Gesamtverzeichnis über die Einrichtungen des Maßregelvollzuges in Deutschland ist unter dem Link https://justiz.de/onlinedienste/vollstreckungsplaene/ einrichtungen_massregelvollzug.pdf abrufbar.