BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17475 21. Wahlperiode 14.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann und Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 06.06.19 und Antwort des Senats Betr.: Symposium „70 Jahre Verfassung – 70 Jahre Schutz“ – Aussagen des Amtsleiters des LfV (Torsten Voß) auf „den Zahn gefühlt“ Der Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg, Torsten Voß, eröffnete am Donnerstag, den 23. Mai 2019, im Altonaer Museum das Symposium anlässlich des 70. Geburtstages des Grundgesetzes unter dem Motto „70 Jahre Verfassung – 70 Jahre Schutz“. In seiner Rede widmete er sich den Gefahren für die freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch Extremisten und dem jüngst häufiger von den Verfassungsschutzämtern beschriebenen Phänomen der „Entgrenzung“. Mit Bezug auf den Rechtsextremismus äußerte sich Torsten Voß wie folgt: „Für den Rechtsextremismus steht exemplarisch die „Identitäre Bewegung“, die wir in Hamburg seit drei Jahren beobachten. Um nicht von der Mehrheit der Gesellschaft sofort als Rechtsextremisten stigmatisiert zu werden, vermeiden die Identitären alle Begrifflichkeiten des klassischen Rechtsextremismus und setzen sich vom historischen Nationalsozialismus ab. Sie benutzen Begriffe, die zunächst einmal harmlos klingen, zum Beispiel den „Ethnopluralismus “. Das klingt fast ein bisschen nach multikulturell, ist aber etwas völlig anderes. Der Ethnopluralismus meint nichts anderes, als Europa nur für die Europäer, Deutschland nur für die Deutschen – und alle anderen Kulturen mögen dort bleiben, wo sie herkommen. Ethnopluralismus ist völkischer Rassismus in Reinkultur – und ich möchte es betonen: Der Ethnopluralismus ist für mich der Rechtsextremismus des 21. Jahrhunderts. Wer sich den Internetauftritt der Identitären anschaut, findet dort Veröffentlichungen und Aktionen , die auf die gesellschaftlich breit diskutierten Fragen um den Themenbereich Flucht und Migration abzielen. Hierüber versuchen die Identitären, den Anschluss in die bürgerliche Mitte zu gewinnen. Absicht ist aber eindeutig, pauschal Muslimen, Zugewanderten, Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund für Kriminalität und Anschlagsgefahr verantwortlich zu machen. Über solche Aktivitäten, Veröffentlichungen und Pauschalisierungen wird der geistige Boden bereitet für andere Menschen, die später als Täter einen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim begehen und die Begründungen unter anderem hier finden. Genau deswegen ist die frühzeitige Information der Öffentlichkeit durch den Verfassungsschutz so wichtig und eine zentrale Aufgabe.“1 Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1 https://www.hamburg.de/contentblob/12622486/ 9601421b047ec24d3b1fcddfe7034254/data/symposium-70-jahre-verfassung-rede-vl.pdf (abgerufen am: 20.05.2019). Drucksache 21/17475 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Auf welche (politik-)wissenschaftlichen Quellen, Studien oder Gutachten stützen sich Amtsleiter Voß und das LfV bei ihren Äußerungen/ Veröffentlichungen zum „Ethnopluralismus“? Bitte die Quellen unter Angabe der Literatur präzise benennen. Die Bewertung bestimmter Verhaltensweisen als Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nimmt das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg aufgrund gesetzlicher Bestimmungen vor. Der Begriff des sogenannten Ethnopluralismus geht zurück auf einen der Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland , Henning Eichberg, der ihn zu Beginn der Siebzigerjahre in die Debatte einbrachte . Die Neue Rechte knüpft an die Ideologie der antidemokratischen „Konservativen Revolution“ an, die in der Weimarer Republik die Demokratie durch eine Art „geistige Revolution“ überwinden wollte. Mit dem Konzept des sogenannten Ethnopluralismus versucht die Neue Rechte, einen wertenden, insbesondere durch den Nationalsozialismus belasteten Rassismus-Begriff zu vermeiden. Gleichwohl: Die Annahme homogener Ethnien beziehungsweise Rassen, die ihrerseits von „fremden“ Einflüssen bewahrt werden müssen, eint beide rechtsextremistischen Denkmuster. Insofern stützen sich die Aussagen der Verfassungsschutzbehörden primär auf strategische Überlegungen aus der rechtsextremistischen Szene. Die Politikwissenschaftliche Forschung hat die rechtsextremistische Theorie aufgegriffen und als Bestandteil der rechtsextremistischen Ideologie eingeordnet. Entsprechende Beiträge ziehen die Verfassungsschutzbehörden zur Bewertung heran . Vergleiche hierzu insbesondere: Hans-Gerd Jaschke: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen , Praxisfelder. 2. Auflage, Wiesbaden 2001. Richard Stöss: Rechtsextremismus im Wandel, Berlin 2010 (herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung). Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl: Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. 3., aktualisierte Auflage, Münster 2017. Uwe Backes: Gestalt und Bedeutung des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 46/2001, Seiten 24 – 30. Florian Finkbeiner: Armin Mohler und die Frühgeschichte der Neuen Rechten in Deutschland, in: Armin Pfahl-Traughber: Jahrbuch Extremismus und Terrorismusforschung 2015/2016 (I), Brühl 2016, Seiten 209 – 233. 2. Woraus geht aus den Quellen (Frage 1.) hervor, dass Verfechter des sogenannten Ethnopluralismus pauschal – wie von Voß öffentlich behauptet – „Europa nur für die Europäer“ und „Deutschland nur für die Deutschen“ postulieren und diese Forderung gleichzeitig mit einer pauschalen Abwertung beziehungsweise Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen einhergeht (Voß: „völkischer Rassismus in Reinkultur“)? Insbesondere: Gibt es nach wissenschaftlicher Quellenlage sowie nach Einschätzung des LfV ausschließlich ein „extremistisches“ Konzept des sogenannten „Ethnopluralismus“ oder gibt es ferner auch andere gemäßigtere Formen eines „Ethnopluralismus“ (gegebenenfalls auch mit abweichenden Bezeichnungen), die zwar die quantitative Dimension von Zuwanderung kritisieren, nicht aber eine Abwertung beziehungsweise Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen beinhalten beziehungsweise sich von einer solchen distanzieren? Der sogenannte Ethnopluralimus richtet sich gegen wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sein Grundgedanke ist die Verschiedenheit homogener Völker mit einer eigenen Identität, die wiederum nur in ihrem eigenen Territorium existieren könnten. Deshalb sei die eigene Identität gegen „fremde“ Einflüsse, etwa Zuwanderung, zu schützen, beziehungsweise bereits bestehende „fremde“ Einflüsse seien zurückzudrängen, was in letzter Konsequenz die Ausweisung und Vertreibung bestimmter Gruppen von Menschen zur Folge hätte. Der sogenannte Ethnopluralismus führt in Verbindung mit Forderungen wie „Remigration“ zwangsläufig zu Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17475 3 einer pauschalen Abwertung und Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen. Vom klassischen Rassismus unterscheidet den sogenannten Ethnopluralismus, dass er in der Theorie keine Wertigkeit einzelner „Rassen“, „Ethnien“ oder „Kulturen“ vornimmt. Bestandteil des sogenannten Ethnopluralismus ist ferner ein völkischer Kollektivismus, also eine Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv, der ebenfalls nicht mit dem Prinzip der Menschenwürde vereinbar ist. Insofern ist angesichts der Begriffsgeschichte und der völkischen Konzeption keine verfassungskonforme Form des sogenannten Ethnopluralismus möglich. Dagegen werden Formen der Zuwanderungskritik, die „nicht aber eine Abwertung bzw. Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen beinhalten“ vom Begriff des sogenannten Ethnopluralismus nicht erfasst. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 3. Nach einem Artikel der Zeit vom 8. Dezember 2018 gibt es im Bundesamt für Verfassungsschutz „Analysten“, die der Meinung sind, „der sogenannte Ethnopluralismus der Identitären sei nicht unbedingt als extremistisch einzustufen“.2 Hat das LfV Kenntnis von der Argumentation dieser Analysten des BfV? Wenn ja: Bitte die Argumentation detailliert darlegen. Wenn nein: Sieht sich das LfV dazu veranlasst, diese Expertise des BfV einzuholen und in seine Einschätzungen hinsichtlich der „Identitären Bewegung Hamburg“ einfließen zu lassen? Ist es ferner möglich, die Expertise den Mitgliedern des Innenausschusses zur Verfügung zu stellen ? Der Senat nimmt zu Meinungsäußerungen Dritter grundsätzlich keine Stellung. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und zu 2. 4. Handelt es sich bei der Bewertung von Torsten Voß, nach welcher der „Ethnopluralismus“ der Identitären „völkischer Rassismus in Reinkultur“ sei, um eine persönliche Einschätzung/Meinungsäußerung des Amtsleiters oder um die offizielle und abgeschlossene Bewertung durch das LfV? Es handelt sich um eine offizielle Bewertung des LfV Hamburg. 5. Anhand welcher Quellen/Aussagen/Aktionen lässt sich für die „Identitäre Bewegung Hamburg“ dezidiert die systematische Absicht nachweisen, dass sie ein Konzept des Ethnopluralismus vertritt, das im Kern Kritik an der quantitativen Dimension von Zuwanderung sowie der Ausprägung einer multikulturellen Gesellschaft beinhaltet und diese Kritik eindeutig und pauschal (oder zumindest sehr überwiegend) mit der Abwertung beziehungsweise Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen einhergeht ? Bitte hierzu konkrete qualitativ und quantitativ aussagekräftige Belege jeweils für die Jahre 2016, 2017 und 2018 darlegen. (Anmerkung: Bitte nicht nur einzelne „Schlagworte“ oder „Wortgruppen“ von Verlautbarungen der „Identitären Bewegung Hamburg“ darlegen wie in den Verfassungsschutzberichten zumeist üblich, sondern die ausführlichen Quellen/ Zitate inklusive Kontext angeben.) Ferner: Inwieweit behandelt das LfV in diesem Kontext politische Stilmittel wie „Zu- bzw. Überspitzung“, „Polemisierung“, „Provokation“, „Ironie“ und „Aktion(en)“ als noch verfassungskonforme Äußerungen/Betätigung im politischen Meinungswettstreit und damit als entlastend hinsichtlich der Bewertung zu möglichen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung? 2 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-12/verfassungsschutz-afd-junge-alternativefluegel -beobachtung (abgerufen am: 31.05.2019). Drucksache 21/17475 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Das LfV bewertet objektiv Aussagen und Verhaltensweisen. Stilmittel sind keine Bewertungsparameter des Verfassungsschutzes. Im Übrigen siehe Verfassungsschutzberichte der zurückliegenden Jahre; https://www.hamburg.de/innenbehoerde/ publikationen-verfassungsschutz/231572/verfassungsschutzberichte-pdf/. 6. Wie haben sich die bis heute gesammelten Belege gemäß Frage 5. in ihrem Verlauf seit 2016 in qualitativer und quantitativer Hinsicht entwickelt ? Bitte detailliert darlegen. Insbesondere: Haben die Verlautbarungen, aus denen nach Einschätzung des LfV eine eindeutige und pauschale Abwertung beziehungsweise Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen hervorgeht, zu- oder abgenommen beziehungsweise stagnieren diese in ihrer Häufigkeit? 7. Hat das LfV Kenntnis von Quellen/Aussagen/Aktionen, aus denen hervorgeht , dass sich die „Identitäre Bewegung Hamburg“ glaubhaft von einer pauschalen und rassistisch motivierten Abwertung beziehungsweise Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen distanziert? Bitte darlegen . Sollte das LfV mögliche dahingehende Quellen/Aussagen/Aktionen als „unglaubwürdig“ oder als „taktisch“ einstufen: Welche Gründe führen zu dieser Einstufung als „unglaubwürdig“ oder „taktisch“? Bitte detailliert anhand einzelner Beispiele inklusive der Kontexte erläutern. Nein. 8. Laut aktuellem Bericht des LfV (2017) „sank die Anzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten 2017 auf 15 (2016: 28). Es handelte sich um neun Körperverletzungen, einzelne gefährliche Körperverletzungen, eine Widerstandshandlung sowie eine schwere Brandstiftung. Unter den tatverdächtigen Personen waren sechs dem LfV Hamburg bekannte Rechtsextremisten“.3 a) Wie definiert das LfV eine „rechtsextremistische Gewalttat“? Bitte die Merkmale darlegen. b) Waren für die begangenen „rechtsextremistischen Gewalttaten“ Mitglieder der „Identitären Bewegung Hamburg“ verantwortlich? Wenn ja: Bitte die Anzahl und Art der von „Identitären“ verdächtigerweise begangenen Straftaten angeben. c) Gibt es zu den von „Identitären“ gegebenenfalls begangenen „rechtsextremistischen Gewalttaten“ rechtskräftige Urteile (bitte darlegen )? Wenn ja: Haben die Gerichtsverhandlungen und -urteile zweifelsfrei rechtsextremistische Motive für die begangenen Gewalttaten bestätigt oder haben sie ergeben, dass andere Motive (zum Beispiel Streit, gegenseitige Provokation, Alkohol et cetera) maßgeblich für die Gewalttaten verantwortlich waren? d) Liegen dem LfV zu den nicht von „Identitären“ begangenen „rechtsextremistischen Straftaten“ Erkenntnisse aus Gerichtsverhandlungen oder -urteilen vor, die zweifelsfrei rechtsextremistische Motive für die begangenen Gewalttaten bestätigen oder inwieweit haben diese ergeben, dass andere Motive (zum Beispiel Streit, gegenseitige Provokation, Alkohol et cetera) maßgeblich für die Gewalttaten verantwortlich waren? Bitte fallweise darlegen. e) Sofern eine fallweise gerichtliche Darlegung der „rechtsextremistischen Gewalttaten“ nicht möglich ist, warum spricht das LfV dann bereits von „rechtsextremistischen Gewalttaten“? 3 Landesamt für Verfassungsschutz, Bericht 2017, Seite 130. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17475 5 Die Bekämpfung der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) und deren statistische Erfassung ist Aufgabe der Polizeibehörden. Zur Erfassung von Straftaten der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK), den Auswertemöglichkeiten und deren Grenzen siehe Drs. 21/3165. Als PMK-rechts eingestufte Straftaten werden als extremistisch gewertet , sofern tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 3 HmbVerfsch G vorliegen. Nach derzeitigem Ermittlungsstand werden die ermittelten Tatverdächtigen nicht der „Identitären Bewegung Hamburg“ zugeordnet. Eine Beiziehung und händische Auswertung der 15 bekannten Verfahrensakten bei der zuständigen Justizbehörde ist innerhalb der für die Beantwortung einer Schriftlich Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 9. Wie viele Gewaltdelikte sind den Ordnungsbehörden und/oder dem LfV eigentlich bekannt, denen ein dezidiert deutschfeindliches Motiv zugrunde liegt (zum Beispiel durch vorausgehende Beschimpfungen wie „sch… Deutscher“, „Kartoffel“, „Ungläubiger“, „Kufar“ et cetera)? 10. Inwieweit hat das LfV die Öffentlichkeit jemals über Gewalttaten mit deutschfeindlichem Hintergrund informiert? Inwieweit plant das LfV, darüber zu informieren? Insbesondere: Warum hat Torsten Voß weder auf dem Symposium noch sonst wann in der Öffentlichkeit als Leiter des Amtes für Verfassungsschutz über Gewalttaten mit einem deutschfeindlichen Hintergrund gesprochen? Daten im Sinne der Fragestellung werden in der Kriminaltaktischen Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK) erst seit dem 1. Januar 2019 statistisch auswertbar erfasst. Im Zeitraum 1. Januar bis 31. Mai 2019 wurden mit Stand 7. Juni 2019 keine Straftaten im Sinne der Fragestellung in der KTA-PMK registriert. Darüber hinaus werden Statistiken im Sinne der Fragestellung bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums beim Landeskriminalamt (LKA 7 – Staatsschutz) erforderlich. Die Auswertung mehrerer Tausend Akten ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 11. Wie viele rechtsextremistisch motivierte Straftaten folgender vom LfV angeführter Deliktarten wurden jeweils in den Jahren 2016, 2017 und 2018 Mitgliedern der „Identitären Bewegung Hamburg“ zugerechnet: a) Propagandadelikte, b) Fremdenfeindliche Delikte, c) Antisemitische Delikte, d) Gewaltdelikte?4 Ferner: Inwieweit handelt es sich hierbei um laufende Ermittlungs- oder Strafverfahren und inwieweit um rechtskräftige Urteile? Bitte fallweise darlegen. Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg wird nicht erfasst, ob eine beschuldigte Person der Identitären Bewegung zuzuordnen ist. Die Beiziehung und händische Auswertung sämtlicher Ermittlungsakten – es handelt sich dabei um knapp 1 000 Ermittlungsakten allein im Aktenzeichenjahrgang 2018 in dem Register 7101 der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft – ist innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 12. In Drs. 21/6207 (Anfrage der AfD-Abgeordneten Dirk Nockemann und Dr. Alexander Wolf) teilt der Senat mit, dass im Zeitraum von 2014 bis 2016 in Hamburg „keine politisch motivierten Branddelikte in Flüchtlingsunterkünften bekannt“ seien (Frage 2. b)). 4 Einteilung gemäß dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz (2017), Seite 130. Drucksache 21/17475 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Wie viele politisch motivierte Brandanschläge sind seit diesem Zeitraum (seit dieser Anfrage) den Ordnungsbehörden oder dem LfV bekannt und wie viele davon haben ein rechtsextremistisches Motiv und wie viele wurden von Rechtsextremisten begangen? Bitte detailliert erläutern. Der Polizei: keine. 13. Die „Identitäre Bewegung Hamburg“ umfasst nach Angaben des LfV aktuell „rund 20 bis 30 Personen“.5 Das entspricht einem Anteil von weniger als 10 Prozent des gesamten vom LfV taxierten rechtsextremistischen Personenpotenzials in Hamburg. Wie viele Mitglieder der „Identitären Bewegung Hamburg“ werden oder wurden jeweils in den Jahren 2016, 2017 und 2018 dem gewaltorientierten Spektrum zugeordnet? Die Identitäre Bewegung wird durch das LfV Hamburg bisher als nicht gewaltorientierte Gruppierung eingestuft. 14. Vom Bundesamt sowie von den Landesämtern für Verfassungsschutz werden Begriffe wie „großer Austausch“ oder „Bevölkerungsaustausch“ dem rechtsextremistischen Spektrum, speziell auch der „Identitären Bewegung“ zugeordnet.6 Welche konkreten Belege liegen dem LfV vor, dass mit der Verwendung dieser Begriffe zwangsläufig eine pauschale und rassistische Abwertung beziehungsweise Herabwürdigung anderer ethnischer Gruppen einhergeht oder von einer „rechtsextremistischen Diktion“ gesprochen werden kann? Ferner: Inwieweit berücksichtigt das LfV bei der Bewertung solcher Begriffe als „rechtsextremistisch“ die Verhältnismäßigkeit, also die sich vollziehenden gesellschaftlich-demografischen Veränderungen? Nicht bestreitbar ist doch, dass sich insbesondere in westdeutschen Großstädten die ethnisch-kulturelle Zusammensetzung der Gesellschaft mit großem Tempo verändert. Nach Angaben des Hamburger Senats haben bereits mehr als 50 Prozent der Schüler an Hamburger Schulen einen Migrationshintergrund; in einer rasant wachsenden Anzahl von Schulen liegen die Anteile bereits über 70, 80 und 90 Prozent (wer integriert da eigentlich wen?).7 Inwieweit sieht das LfV vor diesem Hintergrund die Verwendung des Begriffes „Bevölkerungsaustausch“ eindeutig als „rechtsextremistisch“ an und inwieweit kann dieser Begriff aus Sicht des LfV nicht auch für eine demografische Zustandsbeschreibung oder auch für eine verfassungskonforme politische Kritik an der quantitativen Dimension von Zuwanderung stehen? Eine kritische Auseinandersetzung mit demografischen Entwicklungen, auch mit dem Migrationsgeschehen, begründet grundsätzlich keine Einordnung als rechtsextremistisch . Soweit diese Auseinandersetzung mit Veränderungen der Bevölkerung, wie sie sich in vielen Metropolen seit langen Zeiträumen abbildet, allerdings in dem vom Fragesteller beschriebenen Kontext mit Begrifflichkeit verbunden wird, die die Bevölkerung in ethnische Gruppen aufzuteilen vorgibt und mit Begrifflichkeiten wie „Bevölkerungsaustausch “ Bezug zur sogenannten ethnopluralistischen Theorie aufnimmt, ergeben sich hieraus ausreichende Anhaltspunkte für eine entsprechende Einstufung. Kritik an demografischen Entwicklungen wird durch das LfV ohne weitere Anhaltspunkte nicht als rechtsextremistisch eingestuft. Im Übrigen suggeriert die Verwendung dieser von Rechtsextremisten geprägten Begriffe, es gäbe ein diesbezügliches Programm des Staates oder anderer Organisationen. Der Begriff entstammt der Agitation 5 Landesamt für Verfassungsschutz, Bericht 2017, Seite 147. 6 Vergleiche zum Beispiel folgende Veröffentlichung des LfV: https://www.hamburg.de/ innenbehoerde/schlagzeilen/11592582/mittwochs-versammlung-rechtsextremistischestrukturen / (abgerufen am: 31.05.2019). 7 Vergleiche zum Beispiel Drs. 21/16419. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17475 7 rechtsextremistischer Verschwörungstheoretiker. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und zu 2. 15. Betrachtet das LfV eigentlich Eltern von schulpflichtigen Kindern, die ihre Kinder bewusst nicht auf bestimmte Hamburger Schulen schicken möchten , weil sie die Befürchtung haben, sie könnten dort kaum noch „deutsche “ Freunde finden auch als „Ethnopluralisten“ beziehungsweise als „völkische Rassisten“? Das LfV Hamburg beobachtet im Hamburgischen Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfsch G) definierte Bestrebungen, nicht politische Auffassungen einzelner Bürger. 16. Handelt es sich bei der „Identitären Bewegung Hamburg“ bereits um eine nachgewiesene extremistische Bestrebung oder derzeit um einen „Verdachtsfall“? Wenn nein: Wann ist hier mit einer entsprechenden Entscheidung zu rechnen und wie viel zeitlicher Spielraum bei der Bewertung/Einschätzung steht dem LfV hierbei noch zu? Bitte anhand der entsprechenden Rechtsvorschriften erläutern. Die Identitäre Bewegung ist Beobachtungsobjekt des LfV Hamburg. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. 17. Welche Gründe könnten beziehungsweise müssten dazu führen, dass a) die „Identitäre Bewegung Hamburg“ nicht als „extremistische Bestrebung“ im Verfassungsschutzbericht ausgewiesen wird, b) der Beobachtungsstatus gegenüber der „Identitären Bewegung Hamburg“ gemäß HmbVerfSchG aufgehoben beziehungsweise geändert wird? Bitte hierbei spezifisch auf die konkreten Umstände der „Identitären Bewegung Hamburg“ eingehen. Es gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des LfV Hamburg, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten. Eine Beratungsfunktion für extremistische Bestrebungen sieht das Gesetz nicht vor.