BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17482 21. Wahlperiode 14.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 06.06.19 und Antwort des Senats Betr.: Was unternimmt Senator Rabe zukünftig für ein faires Mathematik- Abitur? Nach der Kritik am Mathematik-Abitur in Hamburg erhält ein Teil der Schüler/ -innen die Möglichkeit, sich noch mündlich prüfen zu lassen. Dies betrifft alle 1 200 Schüler/-innen, die die Abiturprüfung in der Stufe „grundlegendes Niveau“ abgelegt haben. Sie erhalten dadurch die Chance, ihre Note zu verbessern , teilte die Schulbehörde mit. Zudem hat die Schulbehörde nun nach weiterer Prüfung entschieden, die Noten der Betroffenen anzupassen. Das bedeutet im Klartext, dass die Behörde zu der Einsicht gelangt ist, dass das Mathe-Abitur auf grundlegendem Niveau eindeutig zu schwer war und dies nicht an mangelnden Leistungen der jungen Menschen gelegen hat. Laut Schulbehörde haben die Hamburger Abiturienten im Grundkurs Mathe in diesem Jahr im Schnitt etwa eine Note schlechter abgeschnitten als in den Vorjahren. Lag der Schnitt sonst zwischen 3,1 und 3,4, wurden die Klausuren 2019 im Schnitt gerade noch mit einem Ausreichend bewertet. Die Noten sollen nun mithilfe eines „differenzierten Modells“ angepasst werden – was genau das für die Schüler bedeutet , ist noch unklar. Klar ist nur, dass die Klausuren besser bewertet werden als ursprünglich geplant. Aus dem Umkreis schulischer Gremien ist massive Kritik an der Behördenentscheidung bezüglich des freiwilligen Angebots einer mündlichen Nachprüfung zu vernehmen, insbesondere dazu, dass allein die betroffenen Schüler/-innen „die Suppe auslöffeln müssen“, die ihnen die Behörde eingebrockt hat. Das bedeute für die jungen Menschen zusätzlichen Stress und Unsicherheit. Dabei stelle sich die Frage nach der Bereitschaft des Schulsenators , Verantwortung für das missglückte Mathe-Abitur zu übernehmen. Es fehle an einer angemessenen Lösung der entstandenen Problematik und daran, aufzuzeigen, wie solche Fehler zukünftig vermieden werden können. Ich frage den Senat: 1. Ist es richtig, dass auch der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde der Auffassung ist, dass die Abiturprüfung auf grundlegendem Niveau unangemessen war? Wenn ja, bitte sachlich und fachlich begründen. Wenn nein, wieso nicht? 2. Wenn ja, bedeutet das, dass die verantwortlichen Stellen innerhalb der zuständigen Behörde ihren Aufgaben nicht angemessen nachgekommen sind und offenbar auch qualitätssichernde Maßnahmen nicht entspre- Drucksache 21/17482 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 chend getroffen wurden? (Bitte die qualitätssichernden Maßnahmen und entsprechenden Zuständigkeiten konkret darstellen.) 3. Welche Konsequenzen zieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde aus dem unverhältnismäßigen Mathe-Abitur auf grundlegendem Niveau, um ein solches Debakel für die Zukunft sicher ausschließen zu können? Siehe Drs. 21/17249, 21/17402 und 21/17454. 4. Was bedeutet es, wenn jetzt von der Behörde angekündigt wird, „die Noten sollen nun mithilfe eines „differenzierten Modells“ angepasst werden “? Bitte fachlich erklären. 5. Hamburg hat als einziges Bundesland alle Aufgaben für die Mathe- Abiturprüfung aus dem zentralen bundesweiten Pool genommen. Warum? Bitte fachlich begründen. Der Bewertungsschlüssel für alle Abiturprüfungen des grundlegenden Niveaus, die am 3. Mai 2019 geschrieben wurden, wurde von der für Bildung zuständigen Behörde auf Empfehlung des von der Kultusministerkonferenz mit der Aufgabenentwicklung beauftragten Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) angepasst. Anstelle von 100 Bewertungseinheiten entsprechen nun 85 Bewertungseinheiten 100 Prozent der zu erbringenden Leistung. Der prozentuale Bewertungsschlüssel für das Erreichen einer bestimmten Note in der Abiturklausur wird auf eine Gesamtzahl von 85 zu erreichenden Bewertungseinheiten angewandt. Im Übrigen siehe Drs. 21/17249, 21/17402 und 21/17454. 6. Wie will und wird der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde für die Zukunft sicherstellen, dass die Abiturienten/-innen ohne zusätzlichen Stress ihre Prüfungen entsprechend des angebotenen Lehrinhalts absolvieren können? Siehe Drs. 21/17249, 21/17402 und 21/17454. 7. Die Schulbehörde hat die Schulen aufgefordert, sicherzustellen, „dass die Schülerinnen und Schüler auch auf die mit einer Zusatzprüfung verbundenen Risiken einer Verschlechterung ihrer Abiturnote hingewiesen werden“. Warum stellt die zuständige Behörde nicht im Gegenteil sicher, dass die Abiturienten/-innen, die sich nun freiwillig einer weiteren mündlichen Prüfung unterziehen, ihre Note dadurch auf keinen Fall verschlechtern können? Wäre das nicht Teil einer angemessenen Wiedergutmachung des – von den jungen Menschen unverschuldeten – Mathedebakels ? Bitte fachlich begründen. Die Teilnahme an der mündlichen Prüfung dient der Leistungsfeststellung in der Abiturprüfung . Eine Prüfung, die ungeachtet der erbrachten Leistung ausschließlich eine Verbesserung der Leistungsbewertung zum Ziel hätte, stünde im Widerspruch zum Diagnosecharakter der Abiturprüfung als Abschlussprüfung und widerspräche dem rechtstaatlichen Willkürverbot. 8. Trifft es zu, dass nach der jetzigen Regelung der mündlichen Abiturprüfung die Schüler/-innen von vornherein ihre Vornote nicht erreichen können , wenn sie im schriftlichen Abitur darunter lagen? Wenn das so ist, teilt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Sorge mancher Schulen, dass betroffene eher leistungsschwächere Schüler/-innen aus Angst gar nicht erst die zusätzliche mündliche Prüfung in Anspruch nehmen und dadurch womöglich eine gewisse Chancenungleichheit entstehen könnte? Die Vermutung trifft nicht zu. 9. Welche Auswirkungen haben die nun notwendig werdenden Beratungsgespräche mit den betroffenen Schülern/-innen und die zusätzlichen mündlichen Matheprüfungen (Vorbereitung, Durchführung, Beurteilung) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17482 3 auf die Arbeitszeit der betroffenen Lehrkräfte? In welcher Weise erhalten sie dafür Kompensation? Bitte ausführen und begründen. 10. Warum hat die zuständige Behörde auf das missglückte Abitur in Mathematik auf grundlegendem Niveau derart zeitverzögert und in Etappen reagiert? Bitte konkret darstellen und begründen. 11. Wie ist die Einschätzung des Senates beziehungsweise der zuständigen Behörde dazu, welche Auswirkungen ihre scheibchenweisen Wiedergutmachungsmaßnahmen auf die betroffenen Schüler/-innen haben? Die für Bildung zuständige Behörde hat in einem ersten Schritt die Empfehlung der Amtschefkonferenz der Kultusministerkonferenz umgesetzt, die empfohlen hatte, länderspezifische Maßnahmen zur Sicherung der – auch langjährigen – Vergleichbarkeit zu entwickeln. So wurde den Schülerinnen und Schülern, die auf dem grundlegenden Niveau geprüft wurden, die Möglichkeit eingeräumt, eine mündliche Prüfung abzulegen , die zur Hälfte in die Endnote im Fach Mathematik einfließen kann. Unmittelbar nachdem das IQB die Empfehlung ausgesprochen hatte, dass der Bewertungsschlüssel in diesem besonderen Fall angepasst werden sollte, hat die für Bildung zuständige Behörde dies umgesetzt. Im Übrigen siehe Drs. 21/17402 und 21/17454. 12. Kann der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde sicherstellen, dass die betroffenen Schüler/-innen vor ihrer mündlichen Nachprüfung das Ergebnis ihrer dann hochgestuften schriftlichen Prüfung bereits kennen ? Wenn nein, warum nicht? Die für Bildung zuständige Behörde hat in ihrem Schreiben vom 4. Juni 2019 an die weiterführenden Schulen die Schulleitungen angewiesen, die von dieser Regelung betroffenen Schülerinnen und Schüler im Tagesverlauf des 5. Juni 2019 von der veränderten Bewertung ihrer schriftlichen Abiturklausur in Kenntnis zu setzen und mit ihnen die daraus erwachsenden Möglichkeiten für eine mündliche Nachprüfung zu besprechen. 13. Prof. Dr. Olaf Köller hat als Vorsitzender der von der Hamburger Schulbehörde einberufenen wissenschaftlichen Begleitung des Mathematikunterrichts im Rahmen einer Expertenkommission in seinem Gutachten bezüglich einer bestehenden Diskrepanz zwischen der Entwicklung schuleigener Curricula und den Anforderungen zentraler Prüfungen folgende Überlegungen angestellt: „Ein an fachlicher und prozessbezogener Kompetenzentwicklung orientierter Mathematikunterricht an den Schulen setzt eine klare und gut abgestimmte Diskussion in der Fachschaft Mathematik über Ziele mit entsprechender Inhaltsauswahl und passender methodischer Umsetzung in den Jahrgangsteams zwingend voraus. Deshalb bedarf es zur Umsetzung der KMK-Bildungsstandards einiger mit Schulvertreterinnen und -vertretern abgestimmter ausgearbeiteter Vorschläge. Es bietet sich an, solche ausgearbeiteten Vorschläge statt in schulinternen Arbeitsgruppen zentral in Form eines Kerncurriculums zu formulieren, welches auf der Grundlage bestehender Erfahrungswerte mit den aktuellen Bildungsplänen als Rahmenorientierung für schulspezifische Umsetzungen dienen kann.Einen solchen Weg haben inzwischen die meisten anderen Bundesländer beschritten“. Wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde diese Aussagen, gerade auch im Kontext der zentral gestellten (unangemessenen ) Prüfungsaufgaben in Mathematik? Bitte fachlich darlegen. 14. Sieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde Entwicklungsbeziehungsweise Optimierungsbedarf hinsichtlich einer dringend notwendigen Handlungssicherheit der Fachlehrer/-innen für Mathematik und einer unbedingt notwendigen Orientierungssicherheit für die Schüler/ -innen, was die zu vermittelnden Lerninhalte und deren Überprüfung Drucksache 21/17482 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 anbelangt, auch und gerade vor dem Hintergrund der von Prof. Dr. O. Köller oben zitierten Voraussetzungen? Wenn ja, bitte fachlich ausführen. 15. Was bedeutet die Aussage des Pressesprechers der zuständigen Behörde, Peter Albrecht, zitiert in der heutigen Ausgabe der Zeitung „Die Welt“: „Wir merken, dass es insgesamt noch Nachbesserungsbedarf gibt“? Bitte erläutern. Die Empfehlung der Expertenkommission Mathematik zur Formulierung eines zentralen Kerncurriculums auf der Grundlage bestehender Erfahrungswerte mit den aktuellen Bildungsplänen ist ein Schwerpunktthema in der Diskussion zur Umsetzung der Empfehlungen in den verschiedenen Gremien. Eingang in die Überlegungen finden vor allem die Anregungen der Fachleitungen, die während der Fachtagung Mathematik am 21. Februar 2019 in einem Workshop zu dem Thema „Weiterentwicklung des Bildungsplans“ benannt wurden. Mit Beginn des Schuljahres startet die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die in ihrer Zusammensetzung Fachleute aus verschiedenen Bereichen vereinen soll mit dem Ziel der Weiterentwicklung der Rahmenpläne. Ein daraus folgendes zentrales Kerncurriculum Mathematik soll dann als Richtschnur für die schulspezifische Umsetzung der Rahmenpläne dienen. Im Übrigen siehe auch Antwort zu 6. und Drs. 21/17249.