BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17506 21. Wahlperiode 18.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Dr. Carola Ensslen (DIE LINKE) vom 11.06.19 und Antwort des Senats Betr.: Durchsuchungen in Geflüchtetenunterkünften zum Zweck der Abschiebung Im Februar hat das Verwaltungsgericht Hamburg entschieden, dass auch Geflüchtetenunterkünfte unter den Schutz der Wohnung aus Artikel 13 GG fallen, die Abholung von Geflüchteten aus ihrer Wohnunterkunft zum Zweck der Abschiebung eine Durchsuchung darstellt und daher ein Durchsuchungsbeschluss für diese Maßnahme erforderlich ist (vergleiche VG Hamburg , Urteil vom 15.02.2019, 9 K 1669/18). Die Hamburger Rechtsprechung schließt sich nahtlos in verwaltungsgerichtliche Entscheidungen anderer Bundesländer an, die ebenfalls einen Durchsuchungsbeschluss in solchen Fällen für notwendig erachten. Die Praxis sieht leider anders aus: Die Wohnräume von Menschen in Gemeinschaftsunterkünften werden von der Polizei ohne Durchsuchungsbeschluss aufgesucht, um die Personen zu ergreifen und abzuschieben. In Berlin wurde dieser Praxis nun Einhalt geboten: Die Berliner Sozialsenatorin hat gegenüber den Leitungen von Berliner Geflüchtetenunterkünften angeordnet, dass der Polizei ohne Durchsuchungsbeschluss kein Zutritt zu den Unterkunftsräumlichkeiten gewährt werden darf. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das benannte Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg hat bisher keine Rechtskraft erlangt, weil die zuständige Behörde das vom Verwaltungsgericht ausdrücklich zugelassene Rechtsmittel der Berufung eingelegt hat. Das Berufungsverfahren ist seit dem 14. März 2019 beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht anhängig. Die zuständige Behörde hat die Berufung darauf gestützt, dass nach ihrer rechtlichen Bewertung das Hineingelangen in den Wohncontainer nebst Herantreten an die Ausreisepflichtigen zur Durchführung einer Rückführung keine Durchsuchung, sondern lediglich ein Betreten im Sinne des § 23 Absatz 1 Hamburgisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (HmbVwVG) darstellt. Insofern bedurfte es nach Auffassung der zuständigen Behörde keiner richterlichen Anordnung nach § 23 Absatz 3 HmbVwVG. Das vom Deutschen Bundestag am 7. Juni 2019 beschlossene Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (BR.-Drs. 275/19) sieht bundesgesetzliche Klarstellungen in § 58 Absatz 5 bis 10 –neu – Aufenthaltsgesetz vor, welche die Auffassung der zuständigen Behörde stützen. Die Betreiber der Unterkünfte sind in verschiedenen Zusammenhängen ausdrücklich auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und deren Durchführung hingewiesen Drucksache 21/17506 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 worden, siehe Drs. 21/6772. f & w fördern und wohnen AöR (f & w) hat zur Umsetzung eine interne Regelung verfasst, wonach die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unterkunfts- und Sozialmanagements von f & w zur Unterstützung der Ausländerbehörde verpflichtet sind. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von f & w wie folgt: 1. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt nach Auffassung des Senates beziehungsweise der zuständigen Behörde die Betretung von Wohnraum in Geflüchtetenunterkünften durch Polizeikräfte zum Zweck der Abholung einer Person zur Abschiebung? 2. Welche Rechtsauffassung hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde zur Erforderlichkeit eines Durchsuchungsbeschlusses zum Zweck der Abholung von Personen zur Durchführung der Abschiebung aus Gemeinschaftsunterkünften? Siehe Vorbemerkung. 3. Wie häufig wurden in 2018 und 2019 bisher Wohnräume in Geflüchtetenunterkünften zum Zweck der Abholung einer Person zur Abschiebung durch die Polizei betreten? Bitte hier und in den Unterfragen nach Jahren aufschlüsseln und nach Erstaufnahmeeinrichtung und Folgeunterkunft differenzieren. a. In wie vielen dieser Fälle verfügte die Polizei über einen Durchsuchungsbeschluss ? b. In wie vielen Fällen wurden die Schlüssel des Wohnraumes durch Mitarbeiter/-innen der Unterkunft an die Vollzugskräfte übergeben? c. In wie vielen Fällen wurde die Aushändigung der Schlüssel beziehungsweise die Gewährung des Zuganges ohne Durchsuchungsbeschluss durch die Mitarbeiter/-innen der Geflüchtetenunterkünfte verweigert? Die Angaben werden statistisch nicht erfasst. Für eine Beantwortung müssten mehrere Hundert elektronische Ausländerakten händisch ausgewertet werden. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Wie häufig wurden zum Zweck der Abschiebung in den Jahren 2018 und 2019 ein Durchsuchungsbeschluss für a. Privatwohnungen von der abzuschiebenden Person, b. Privatwohnungen von Dritten, c. Wohnraum in Erstaufnahmeeinrichtungen, d. Wohnraum in Folgeunterkünften beantragt? In keinem Fall, siehe Vorbemerkung. 5. Aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen wurde bisher auf einen Antrag zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zum Zweck der Abschiebung einer in einer Geflüchtetenunterkunft untergebrachten Person verzichtet? Siehe Vorbemerkung. 6. Welche Informationen wurden von den zuständigen Behörden an die Leitungen von EA und Folgeunterkünfte gegeben, wie mit Polizeikräften, die Personen aus Geflüchtetenunterkünften zum Zweck der Abschiebung abholen wollen, umzugehen ist? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17506 3 a. Gibt es eine entsprechende Anweisung über die (Nicht-)Gewährung des Zutritts von Polizeikräften in Unterkünften ohne Durchsuchungsbeschluss ? b. Inwieweit wurden diese Informationen oder die Anweisung aus Anlass des in der Einleitung zitierten Urteils angepasst? c. Wurden die Leitungen der Geflüchtetenunterkünfte über das Urteil beziehungsweise dessen Tenor informiert? Da das benannte Urteil derzeit keine Rechtskraft erlangt hat, besteht für die zuständige Fachbehörde keine Veranlassung Anpassungen vorzunehmen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 7. Ebenfalls gängige Praxis in Geflüchtetenunterkünften ist, dass die Mitarbeiter /-innen und/oder der Wachdienst die Wohnräume der Geflüchteten betreten, um zum Beispiel die Räume auf den Besitz verbotener Gegenstände zu kontrollieren. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgen diese „Begehungen“ und welchem Zweck dienen sie? Bitte detailliert angeben, inwieweit die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Rechtsgrundlage erfüllt sind. Siehe Drs. 21/14668 und Drs. 21/11368. 8. Welche Konsequenzen ergeben sich aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörden aus der Praxis der Betretung beziehungsweise Durchsuchung durch die Mitarbeiter/-innen des Betreibers beziehungsweise den Wachdienst der jeweiligen Einrichtung? Da das Urteil nicht rechtskräftig ist, ergeben sich derzeit keine Auswirkungen des Urteils auf die bisherige Praxis in den Einrichtungen.