BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17593 21. Wahlperiode 28.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 20.06.19 und Antwort des Senats Betr.: „Jedes Schulkind zählt“: Schulabsentismus untersuchen und ihm entgegenwirken Aus der Presse erfahren Schulen und Parlament von einem Projekt der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB), das in Kooperation mit der Joachim Herz Stiftung und der Alfred Töpfer Stiftung F.V.S. Schulabsentismus untersuchen soll.1 Die Joachim Herz Stiftung erklärt die beiden Stiftungen als maßgebliche Initiatorinnen des Projekts, die BSB lediglich als Kooperationspartner .2 Dabei hat die Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft seit Langem Anträge und Anfragen zu Schulabsentismus vorgelegt und die Schwachstellen in der behördlichen Erfassung und den repressiven, klassenbezogenen Charakter im Umgang mit dem Fernbleiben vom Unterricht kritisiert.3 Die BSB hat das Projekt weder im Parlament oder in den parlamentarischen Gremien vorgestellt noch diskutiert. Sie ist in dem Projekt nur ein Anhängsel, wie es scheint. Die Gelegenheit, initiativ zu werden und die Mängel in Erfassung und Bearbeitung von Schulabsentismus anzugehen, hat die BSB wieder einmal versäumt. Ich frage den Senat: Die für Bildung zuständige Behörde stellt grundsätzlich den verlässlichen Schulbesuch aller Schülerinnen und Schüler sicher und hat die Hamburgische Bürgerschaft über die umfänglichen Maßnahmen informiert (siehe hierzu unter anderem Drs. 21/7589) sowie diese in der Handreichung zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen (siehe https://www.hamburg.de/contentblob/64418/46d564e4860379d34705cf997da787de/d ata/bbs-hr-schulpflichtverletzungen-pdf-2013.pdf) geregelt und beschrieben. Lehrkräfte müssen in jeder Stunde die Anwesenheit der Schülerinnen und Schüler kontrollieren und bei unentschuldigtem Fehlen noch am selben Tag die Sorgeberechtigten kontaktieren. Weitere Schritte umfassen unter anderem konsequent durchgeführte Hausbesuche, normenverdeutlichende Gespräche mit Schülerinnen und Schülern sowie den Sorgeberechtigten, pädagogische Sanktionen, Betreuung der Schülerinnen und Schüler durch besondere pädagogische Institutionen wie beispielsweise die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) bis hin zu Sanktionen gegen Sorgeberechtigte oder Schülerinnen und Schüler. 1 „die tageszeitung“ vom 19.6.2019, Seite 28; https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/ Hamburg-startet-Projekt-gegen-Schuleschwaenzen,schulschwaenzer128.html. 2 https://www.joachim-herz-stiftung.de/service/presse/detail/schulabbruch-fruehzeitigverhindern /. 3 Vergleiche Drs. 21/2476, 21/10833, 21/14266, 21/14401; https://www.linksfraktionhamburg .de/schulpflicht-schulzwang-recht-auf-bildung/; http://www.taz.de/!5468082/; siehe auch Drs. 21/3752. Drucksache 21/17593 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Generelle Grundlagen der Schulpflicht sind in den § 37 fortfolgende Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) geregelt. Eine Schulpflichtverletzung liegt vor, wenn eine Schülerin oder ein Schüler – auch unzusammenhängend – mehr als drei Tage oder 20 Schulstunden Unterricht in einem Zeitraum von einem Monat unentschuldigt versäumt hat. In diesen Fällen hat ein Hausbesuch durch eine Lehrkraft zu erfolgen. Diese Hausbesuche sind ein verlässliches Mittel, um den Schulabsentismus nachhaltig zu reduzieren. Schulpflichtverletzungen sind oft Ausdruck schwieriger Lebenssituationen und bergen zudem die ernste Gefahr, dass Kinder und Jugendliche in der Schule den Anschluss verlieren, den Schulabschluss nicht schaffen und auch im sozialen Umfeld aus der Bahn geworfen werden. Schülerinnen und Schüler mit problematischem Schulbesuchsverhalten werden an Stadtteilschulen durch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen beziehungsweise deren Beratungsdienst, für alle anderen Schulformen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des regional zuständigen ReBBZ betreut. Die Schülerinnen und Schüler werden in der Regel zeitnah wieder zum regelmäßigen Schulbesuch geführt, vor allem durch auf die Situation und Probleme der einzelnen Schülerinnen und Schüler individuell zugeschnittene Interventionen. Unterschiedliche Maßnahmen, Beratungs- und Hilfsangebote sowie Projekte der für Bildung zuständigen Behörde führen zur Verringerung von Schulpflichtverletzungen. Mit dem Ziel, weitere Erkenntnisse aus der Schulabsentismus- und Schulabbruch- Forschung für die Praxis und die Begleitung der Übertragung in den schulischen Alltag zu gewinnen, hat die für Bildung zuständige Behörde das Projekt „Jeder Schultag zählt – Strategien gegen Scheitern“ in Kooperation mit der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, der Joachim Herz Stiftung und der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. gestartet . Das Kooperationsprojekt stellt keine Evaluierung dar. Es handelt sich um ein kooperatives Praxisprojekt, dessen Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit am 18. Juni 2019 unterzeichnet wurde und die im Hamburgischen Transparenzportal veröffentlicht wird. Das Projekt „Jeder Schultag zählt“ ist aus einer Zusammenarbeit im Kooperationsprojekt „heimspiel. Für Bildung“ entstanden, das 2012 in Hohenhorst (Wandsbek) und Neuwiedenthal (Harburg) von der für Bildung zuständigen Behörde, der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und der Joachim Herz Stiftung gestartet wurde. Später kam die Region Rahlstedt und seit dem Sommer 2016 die Region Billstedt hinzu. Ziel des Vorhabens ist es, dass alle Beteiligten Bildung und Erziehung als Gemeinschaftsaufgabe begreifen und lokale Verantwortungsgemeinschaften formen. Diese werden so unterstützt, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Schulabschluss erreichen. Handlungsfelder sind die Themen Elternkooperation, Bildungsübergänge und soziale Kompetenzen. Das ergänzende Vorhaben „Jeder Schultag zählt“ wurde zunächst in den beiden langjährigen Partnerregionen des Kooperationsprojektes „heimspiel. Für Bildung“ angeboten . Die beteiligten Schulen konnten ihr Interesse an der Teilnahme am Projekt „Jeder Schultag zählt“ bekunden. Im Schuljahr 2018/2019 haben sich die die Grundschule Großlohering, die Grundschule Neugraben, die Stadtteilschule Altrahlstedt und die Stadtteilschule Süderelbe für eine Teilnahme ausgesprochen. Die Planungen zur Einbindung weiterer Schulen sind noch nicht abgeschlossen. Das Projekt endet mit Ablauf des 31. Dezember 2022. Die für Bildung zuständige Behörde und die beteiligten Schulen bringen personelle Ressourcen in das Projekt ein. Der Personaleinsatz der Schulen obliegt der Schulleitung im Rahmen der selbstverantworteten Schule. Die weiteren Ressourcen werden von den anderen Vertragspartnern (Stiftungen und Universität Oldenburg) eingebracht . Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat, teilweise auf Grundlage von Auskünften der Joachim Herz Stiftung und der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., die Fragen wie folgt: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17593 3 1. Wie lautet die Vereinbarung zwischen Joachim Herz Stiftung, Alfred Töper Stiftung und BSB genau? (Bitte Vereinbarung als Anhang beifügen .) 2. Welche Ressourcen bringen die jeweiligen Vertragspartner ein? 3. Welches Ziel verfolgt die Untersuchung nach Auffassung des Senats? 4. Wie kam es konkret zu der Vereinbarung? Wer trat zu welchem Zeitpunkt an welchen Vertragspartner heran? 5. Welche genaue Laufzeit hat das Projekt? 6. Welche Wissenschaftler/-innen sind in das Projekt eingebunden und in welchem Verfahren unter welcher Beteiligung wurden sie ausgewählt? 7. Welche Laufzeit hat das Projekt und wie werden die Ergebnisse präsentiert ? 8. Wie werden die Ergebnisse methodisch und systemisch von der BSB in ihrer pädagogischen Gestaltung aufgegriffen? Siehe Vorbemerkung. 9. Weshalb unternahmen es BSB und ihr Präses nicht, die Überlegungen zur Untersuchung zu Schulabsentismus im Parlament und seinen Gremien zu diskutieren? (Bitte detailliert Stellung beziehen.) Über die Tagesordnung der parlamentarischen Gremien entscheidet die Bürgerschaft. 10. Warum findet die Untersuchung nur an diesen vier Schulen in Neuwiedenthal /Hausbruch und Rahlstedt statt? Welche Billstedter Schulen sollen eingebunden werden? 11. Werden die Ergebnisse meiner Schriftlichen Kleinen Anfragen und der Großen Anfragen der Fraktion DIE LINKE zu Schulabsentismus einbezogen ? 12. Wie gedenken der Senat/die BSB oder die Projektpartner, methodisch mit den vielfältigen Leerstellen in der Erfassung von Schulabsentismus durch die BSB umzugehen, die in den oben genannten Drucksachen zu Tage treten (Schlagworte: „wird statistisch nicht erfasst“, „wird statistisch nicht gesondert erfasst“, „händische Auswertung“ nötig, „Eine Auswertung ist … nicht möglich“, „…werden nicht zentral erfasst“)? Siehe Vorbemerkung. 13. In der aufgeführten Literatur zum Schulabsentismus wird der jetzige Leiter des Forschungsprojekts, Heinrich Ricking, nicht aufgeführt (vergleiche Drs. 21/2476). Weshalb nicht? Diese Aussage trifft nicht zu. In der Drs. 21/2476 findet sich in der Antwort zu 2. eine als solche gekennzeichnete Auswahl an wissenschaftlicher Literatur zu dem Thema Schulabsentismus, der genannte Leiter des Forschungsprojekts Prof. Dr. Heinrich Ricking ist dort als Herausgeber eines einschlägigen Werks zu dem Thema Schulabbruch aufgeführt. 14. Werden die Reflektion auf das Schulsystem und die ungleichen Machtbeziehungen zwischen Schülern/-.innen und Lehrkräften begutachtet? Wenn nein, welche sachlichen und fachlichen Gründe kann der Senat für diese Ausklammerung aufführen? (Bitte detailliert ausführen.) 15. Werden auch die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte und des sonstigen pädagogischen Personal Teil der Untersuchung sein? Wenn nein, welche fachlichen und sachlichen Gründe liegen dafür vor? (Bitte detailliert ausführen.) 16. Wann rechnet der Senat damit, dass die restlichen Schulen in Hamburg in den Genuss einer solchen Evaluation kommen? Siehe Vorbemerkung.