BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17597 21. Wahlperiode 28.06.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (fraktionslos) vom 20.06.19 und Antwort des Senats Betr.: Die Verarbeitung von Abwässern zu Klärschlämmen und landwirtschaftlichem Dünger Klärschlamm ist ein Vielstoffgemisch und kann neben Nährstoffen wie Phosphor , Stickstoff und Kalium sowie humusbildender Organik auch eine Reihe bedenklicher Inhaltsstoffe wie Schwermetalle, organische Rückstände (zum Beispiel Arzneimittelrückstände, hormonell wirksame Stoffe), nanoskalige Stoffe, Mikroplastik und diverse Krankheitserreger enthalten. Diese Abwasserinhaltsstoffe gelangen aus Haushalten, Gewerben und diffusen Quellen (zum Beispiel über verschmutztes Niederschlagswasser) in die Kanalisation und schließlich in den Klärschlamm. Über ihre Umweltrelevanz und -wirkung ist zumeist wenig bekannt. Wird der Klärschlamm thermisch behandelt, also verbrannt, werden viele dieser Stoffe, insbesondere die organischen, zerstört . Durch das Aufbringen von Klärschlamm in oder auf Böden, zum Beispiel als (kostengünstiger) Dünger in der Landwirtschaft, können bedenkliche Klärschlamminhaltsstoffe jedoch auf den Boden und damit in die Umwelt gelangen. In Drs. 21/17365 hat der Senat erklärt, dass Klärschlämme in Hamburg gegenwärtig zu 100 Prozent thermisch behandelt werden, und zwar an insgesamt vier Standorten. Dazu zählen neben der Monoverbrennungsanlage VERA auch die Mitverbrennungsanlagen MVB Müllverwertung Borsigstraße, MVR Müllverwertung Rugenberger Damm sowie AVG Sonderabfallverbrennungsanlage . Die Standorte zeichnen sich nicht nur durch ihre verschiedenen Funktionen, sondern auch durch die Kapazität ihrer Verbrennungslinien sowie das zur thermischen Behandlung eingesetzte Verfahren aus. Während in VERA und MVB Müllverwertung Borsigstraße ausschließlich beziehungsweise mitunter die sogenannte Wirbelschichtfeuerung zum Einsatz kommt, greift man in den übrigen Standorten auf die Rostfeuerung beziehungsweise Drehrohröfen zurück. Im Klärschlamm finden sich sämtliche Abfälle aus der Abwasserbehandlung: Das sind neben Schwermetallen auch organische Schadstoffe, wie Arzneimittelrückstände oder Krankheitserreger, Nanomaterialien und Kunststoffreste . Die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung ist daher immer auch mit einem möglichen Risiko einer Weiterverbreitung von Krankheitserregern und antibiotikaresistenten Bakterien für Menschen, Tiere und Pflanzen verknüpft. Einen konkreten hygienebezogenen Richtwert gibt es aktuell einzig für Salmonellen . Daher werden in der Klärschlammverordnung strenge Ausbringungseinschränkungen für Klärschlämme festgelegt. So ist zum Beispiel die Aufbringung von Klärschlämmen auf Gemüse- und Obstanbauflächen, auf Grünland sowie in Wasser- und Naturschutzgebieten generell nicht zulässig. Auf Ackerflächen, die zum Anbau von Feldgemüse genutzt werden, sind Wartezeiten einzuhalten. Außerdem begrenzen im Düngerecht bedarfsbezo- Drucksache 21/17597 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gene Ausbringungsreglementierungen für Phosphor und Stickstoff die Menge der zulässigen Klärschlammdüngung. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In Hamburg wird Klärschlamm ausschließlich in der Verbrennungsanlage für Rückstände aus der Abwasserbehandlung (VERA) verbrannt, siehe dazu auch Drs. 21/17365. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der Hamburger Stadtentwässerung (HSE) wie folgt: 1. Wie wird Abwasser in Hamburg gegenwärtig gereinigt? Die zugrunde liegende Behandlungskette bitte so detailliert wie möglich darstellen und dabei auch auf die einzelnen Behandlungsstufen (mechanische Vorreinigung , Vorklärung, biologische Reinigung, Nachklärung, P-Fällung sowie etwaige weitere) eingehen. Die Hamburger Kläranlage behandelt das Abwasser in folgenden Prozessschritten: Mechanische Reinigung: Rechen, Sandfang und Vorklärung Biologische Reinigung: Belebungsanlage Chemische Reinigung: Phosphorelimination durch chemische Fällung Die mechanische Reinigung, als erste Reinigungsstufe, besteht in Hamburg aus drei Feinrechen mit 22 mm Stababstand im Kläranlagenteil Köhlbrandhöft Nord und drei gestuften Rechen (2 x 30 mm, 1 x 60 mm als Grobrechen und 2 x 15 mm und 1 x 22 mm als Feinrechen). Nach Entzug des Rechengutes wird das Abwasser in der Sandfanganlage von überwiegend mineralischen Feststoffen befreit. Hierfür stehen auf dem Werksstandort Köhlbrandhöft insgesamt sieben Sandfangbecken mit einem Gesamtvolumen von 5 530 m³ zur Verfügung. Die Entfernung von überwiegend organischen , partikulären Stoffen erfolgt in der Vorkläranlage in insgesamt acht Vorklärbecken mit einem Gesamtvolumen von 33 140 m³. Die biologische Reinigung als zweite Reinigungsstufe des Abwassers erfolgt in Hamburg in zwei Belebungsanlagen, die in Belebungs- und Nachklärbecken aufgeteilt sind. Auf dem Werksstandort Köhlbrandhöft erfolgt eine biologische Vorreinigung in sechs Belebungs- und vierzehn Nachklärbecken mit einem Gesamtvolumen von 69 640 m³. Für die biologische Vollreinigung stehen auf dem Werksteil Dradenau sechzehn Belebungs- und vierundsechzig Nachklärbecken mit einem Gesamtvolumen von 303 840 m³ zur Verfügung. Für die chemische Reinigung als dritte Reinigungsstufe wird in Hamburg gelöstes Eisensulfat an zwei Dosierstellen in die Belebungsbecken eingeleitet. Weil die Phosphorelimination in den Belebungsbecken stattfindet, wird dieser Vorgang als chemische Simultanfällung bezeichnet. Zusätzlich werden auf dem Werksteil Dradenau zur Behandlung von stark belasteten Teilströmen aus der Schlammentwässerung eine Deammonifikationsanlage und zur Bekämpfung von fadenförmigen Bakterien eine Dosieranlage für Polyaluminiumchlorid betrieben. 2. Welche Arten von Klärschlämmen (Primärschlamm, Sekundärschlamm, Tertiärschlamm, Rücklaufschlamm et cetera) fallen in Hamburg im Rahmen der Abwasserreinigung an? In der ersten Reinigungsstufe fällt in der Vorkläranlage Primärschlamm an, der auch als Vorklärschlamm bezeichnet wird. In der zweiten Reinigungsstufe fällt in der Belebungsanlage Sekundärschlamm, auch als biologischer Überschussschlamm bezeichnet, an. Weil die dritte Reinigungsstufe in Hamburg als Simultanfällung ausgeführt ist, fällt der Tertiärschlamm, auch als chemischer Fällschlamm bezeichnet, gemeinsam mit dem Sekundärschlamm an. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17597 3 Der Rücklaufschlamm fällt in den Belebungsanlagen an. Er wird nach Sedimentation in der Nachkläranlage in die Belebungsanlage zurückgeführt, um in den Belebungsbecken die für die biologische Reinigung notwendige Belebschlammmasse zur Verfügung zu stellen. 3. Wie viele Klärwerke für Abwässer werden gegenwärtig in Hamburg betrieben und über welche Kapazitäten verfügen diese? In Hamburg wird als zentrale kommunale Kläranlage das Klärwerk Köhlbrandhöft /Dradenau betrieben. Die Kapazität beträgt 19 m³ pro Sekunde für die erste Reinigungsstufe . Die zweite und dritte Reinigungsstufe haben eine Kapazität von 12 m³ pro Sekunde. 4. Wie viele Kubikmeter Abwässer sind in Hamburg zwischen 2010 und 2018 angefallen? Bitte für jedes Jahr separat antworten.1 Die in Hamburg angefallene Abwassermenge schwankt aufgrund des variierenden Wassergebrauchs und der Wetterlage. Die Schwankungsbreite der Rohabwässer vor der Behandlung im Kläranlagenverbund betrug in den vergangenen Jahren zwischen 139 und 170 Millionen Kubikmeter. Die jährliche Rohabwassermenge betrug: 2010 159,3 Mio. m³ 2011 149,3 Mio. m³ 2012 139,6 Mio. m³ 2013 141,7 Mio. m³ 2014 138,6 Mio. m³ 2015 159,7 Mio. m³ 2016 157,8 Mio. m³ 2017 170,2 Mio. m³ 2018 158,8 Mio. m³ 5. Wie viele Kubikmeter gereinigte Abwässer beziehungsweise Tonnen Klärschlämme sind im Rahmen der Reinigung während dieser Zeit entstanden ? Bitte für jedes Jahr separat antworten.2 Folgende Abwassermengen sind vollständig über alle drei Reinigungsstufen gereinigt worden. Die Mengen sind etwas geringer als in der Antwort zu 4 angegeben, da bei Erreichen der maximalen Behandlungskapazität der zweiten und dritten Reinigungsstufe vorbehandeltes Abwasser nach der ersten Reinigungsstufe abgeleitet wird. Die jährliche gereinigte Abwassermenge betrug: 2010 156,9 Mio. m³ 2011 146,7 Mio. m³ 2012 138,7 Mio. m³ 2013 139,1 Mio. m³ 2014 136,4 Mio. m³ 2015 157,0 Mio. m³ 2016 156,1 Mio. m³ 2017 167,3 Mio. m³ 2018 157,1 Mio. m³ Die bei der Abwasserreinigung anfallenden Primär-, Sekundär- und Tertiärschlämme, siehe dazu auch Antwort zu 2., werden als Rohschlamm bezeichnet und statistisch zusammen erfasst. Neben der Ermittlung des Rohschlammvolumenstroms in Kubikmeter wird durch Analyse des Feststoffgehaltes die jährliche Rohschlamm-Masse als Trockenrückstand (TR) ermittelt, wobei diese Werte aufgrund schwieriger Messbedingungen nur als Orientierungswerte betrachtet werden können. 1 Falls eine Beantwortung innerhalb der geltenden zeitlichen Frist nicht für alle Jahre möglich ist, wird darum gebeten, sich auf das Jahr 2018 zu beschränken. 2 Falls eine Beantwortung innerhalb der geltenden zeitlichen Frist nicht für alle Jahre möglich ist, wird darum gebeten, sich auf das Jahr 2018 zu beschränken. Drucksache 21/17597 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die jährliche Rohschlammmenge und Trockenrückstand betrugen: 2010 1,31 Mio. m³ 80 930 t TR 2011 1,37 Mio. m³ 80 580 t TR 2012 1,41 Mio. m³ 83 960 t TR 2013 1,39 Mio. m³ 82 850 t TR 2014 1,39 Mio. m³ 85 780 t TR 2015 1,49 Mio. m³ 86 690 t TR 2016 1,40 Mio. m³ 81 310 t TR 2017 1,39 Mio. m³ 79 590 t TR 2018 1,40 Mio. m³ 78 880 t TR Der Rohschlamm wird auf dem Werksteil Köhlbrandhöft biologisch (anaerobe Schlammfaulung), mechanisch (Zentrifugation) und thermisch (Teiltrocknung und Verbrennung ) behandelt. 6. Im Jahr 2018 fielen insgesamt 58 176 Kilogramm Klärschlamm an, die zu 100 Prozent thermisch behandelt wurden. Wie viele Kubikmeter Abwasser haben dieser Masse im Jahr 2018 zugrunde gelegen? Es sind 58 176 t TR ausgefaulter und teilgetrockneter Klärschlamm (42 Prozent) thermisch behandelt worden. Zur dazu gehörigen Abwassermenge siehe Antwort zu 5. 7. Welche Masse der folgenden Endprodukte bleibt in Hamburg gegenwärtig nach der Behandlung eines Kubikmeters Abwasser zurück? Die Ergebnisse bitte in Kubikmeter beziehungsweise in Tonnen angeben. a) Gereinigtes Abwasser b) Klärschlamm3 Siehe Antworten zu 5. und zu 6. 8. Die thermische Behandlung von Klärschlämmen ist trotz der erreichten Reduktion enthaltener Schadstoffe noch immer ausgesprochen umweltschädlich . Trotzdem wurden in Deutschland 2017 noch immer annähernd 70 Prozent der produzierten Klärschlämme einer thermischen Behandlung unterzogen, wohingegen lediglich 18 Prozent zu landwirtschaftlichem Dünger weiterverarbeitet wurden. Drs. 21/17365 zufolge werden Klärschlämme in Hamburg zu 100 Prozent verbrannt. Warum werden Hamburger Klärschlämme nicht in Dünger umgewandelt? Die Hamburger Klärschlämme entsprechen nicht den Anforderungen der bisherigen Abfallklärschlammverordnungen. Die neue Klärschlammverordnung untersagt eine bodenbezogene Verwertung für Klärschlämme aus Kläranlagen mit einer Kapazität größer 100 000 angeschlossene Einwohner. Damit ist auch zukünftig eine direkte landwirtschaftliche Verwertung der Hamburger Klärschlämme nicht zugelassen. 9. Wann wurden Hamburger Klärschlämme zuletzt zu landwirtschaftlichem Dünger verarbeitet? 10. Welche Verfahren kamen dabei zum Einsatz? Entfällt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 11. Welche Verfahren stehen gegenwärtig zur Verarbeitung von Klärschlämmen zu landwirtschaftlichem Dünger zur Verfügung? Für den Hamburger Klärschlamm keine. Nach der Klärschlammverordnung von 2017 ist eine direkte Aufbringung der Schlämme oder eine Herstellung von Gemischen aus Klärschlämmen und anderen Stoffen, zum Beispiel Klärschlammkompost, möglich. 3 Hierzu bitte nicht nur die zurückbleibende Gesamtmasse angeben, sondern die Angabe bitte auch nach den oben genannten Schlammarten differenzieren. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17597 5 12. Wie hoch belaufen sich die in Norddeutschland die Kosten der landwirtschaftlichen Klärschlammausbringung pro Tonne Trockenrückstand?4 Entfällt. Siehe Vorbemerkung. 13. Ist dem Senat bekannt, ob es nach aktuellem Stand der Technik möglich ist, Klärschlämme unter Aussparung der thermischen Behandlung direkt zu landwirtschaftlichem Dünger zu verarbeiten? Falls ja, welche? Klärschlämme können grundsätzlich, soweit sie die Anforderungen der Klärschlammund der Düngemittelverordnung einhalten, ohne Verarbeitung als Düngemittel ausgebracht werden. Eine direkte Ausbringung der Klärschlämme als Flüssigdünger, unter Berücksichtigung der Regelungen der Klärschlammverordnung, ist ein übliches Verfahren, das keine weiteren Verfahrensschritte erfordert. Ein weiteres Verfahren ist die Herstellung von Gemischen. Aufgrund der geänderten Dünge- und Düngemittelverordnung sowie der novellierten Klärschlammverordnung ist die bodenbezogene Klärschlammverwertung seit Ende 2017 stark rückläufig. So werden Klärschlämme in Niedersachsen, die bisher in der Landwirtschaft verwertet werden konnten, teilweise in Zwischenlagern aufbewahrt oder sogar im Ausland thermisch verwertet, weil nicht genügend Entsorgungskapazitäten in Deutschland verfügbar sind. 14. Wie viele Tonnen Klärschlämme, die aus anderen Bundesländern stammen, wurden zwischen 1997 und 2019 in Hamburg thermisch behandelt? 15. An welchen Standorten hat diese Behandlung im Einzelnen stattgefunden ? Ab 2002 wurden kommunale Klärschlämme aus anderen Ländern (Schleswig- Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen) in der VERA thermisch behandelt. Summarisch waren dies 744 495 Tonnen Originalsubstanz, das heißt eingedickter oder mechanisch behandelter Schlamm. Auf Trockenrückstand umgerechnet ergeben sich 163 789 Tonnen. Die Schlämme wurden in der VERA behandelt. 4 Maß für den Gehalt an Feststoff der nicht abfiltrierten Schlammprobe beziehungsweise den Anteil der Trockenmasse an der gesamten Schlammmasse. Bestimmung durch Verdampfung des Wassers.