BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17619 21. Wahlperiode 02.07.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (DIE LINKE) vom 24.06.19 und Antwort des Senats Betr.: Masernimpfungen – Tut der Senat alles, um eine Impfpflicht überflüssig zu machen? Impfungen sind eine sehr wirksame Methode, tödliche beziehungsweise potenziell tödliche Krankheiten zu verhindern. Ein ausreichend hoher Durchimpfungsgrad der Bevölkerung ermöglicht die Verhinderung gefährlicher Krankheiten. Obwohl im Parlament große Einigkeit darüber herrscht, wie immens wichtig es ist, einen ausreichend hohen Durchimpfungsgrad von mindestens 95 Prozent zu erreichen, gibt es durchaus unterschiedliche Standpunkte, wie angemessen , effizient und sinnvoll es ist, eine Masernimpfpflicht (allgemein oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen) einzuführen. Prinzipiell scheint eine Impfpflicht erst dann gerechtfertigt, wenn zuvor alle Anstrengungen unternommen wurden, um ohne Zwangsmaßnahmen die Impfrate zu erhöhen und diese Anstrengungen dauerhaft nicht den notwendigen Erfolg bringen. Der Senat hielt eine Masernimpfpflicht im Jahr 2015 noch nicht für gerechtfertigt (siehe Bericht des Gesundheitsausschusses, Drs. 21/1035) und befand sich auch im April 2019 noch im Prozess der Meinungsbildung (siehe „Hamburger Morgenpost“ vom 14.04.2019). Kurz danach, am 23.5.2019, forderte Senatorin Prüfer-Storcks eine bundeseinheitliche Impfpflicht und kündigte gleichzeitig eine Reihe von Maßnahmen an, um die Impfrate zu erhöhen. Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, befürchtet sogar, dass eine Impfpflicht sich insgesamt negativ auf die Impfraten auswirken könnte, weil Menschen, die zu einer bestimmten Impfung gezwungen werden, sich umso weniger bereit zeigen, sich gegen andere Krankheiten impfen zu lassen (siehe unter anderem „Cicero“ vom 29.03.2019) Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Masern sind eine hochansteckende und potenziell schwer verlaufende Erkrankung, die mit erheblichen Folgeschäden einhergehen kann. Eine Impfung bietet den wirksamsten Schutz gegen Masern. Deutschland hat bisher auf das Instrument einer Impfpflicht verzichtet und mit dem Infektionsschutzgesetz auf Information und Eigenverantwortung gesetzt. Trotz jahrelanger Aufklärung wird die sogenannte Herdenimmunität nicht erreicht, die notwendig ist, damit sich die Masern nicht mehr ausbreiten . Die zur Elimination von Masern notwendigen Durchimpfungsraten werden in Hamburg und in anderen Ländern derzeit nicht erreicht. Es werden jedes Jahr neue Drucksache 21/17619 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Maserninfektionen gemeldet. Beispielsweise sind in Hamburg zwischen 2014 und 2018 insgesamt 133 Masernfälle gemeldet worden. Da die bisherigen Initiativen noch nicht die gewünschte Wirkung erzielt haben, um eine Durchimpfungsquote von 95 Prozent in der zweiten Masernimpfung bei Kindern zu erreichen, begrüßt der Senat daher die Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit, keine generelle Impfpflicht , sondern eine bundesweit einheitliche Regelung zur Masernimpfpflicht zu schaffen . Der Entwurf zum Masernschutzgesetz des Bundesministeriums für Gesundheit sieht den verpflichtenden Nachweis eines bestehenden Impf- beziehungsweise Immunschutzes gegen Masern für verschiedene Personengruppen vor. Dazu zählen Personen , die ab dem 1.3.2020 in eine Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgenommen und dort betreut werden oder dort tätig sind, sofern sie Kontakt zu den Betreuten haben. Weiterhin soll die Verpflichtung für medizinisch tätiges Personal in Einrichtungen nach § 23 Absatz 3 IfSG gelten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welchen neuen Tatsachen, Ereignisse und Erkenntnisse haben den Senat dazu bewogen, die Einschätzung von 2015, dass eine Impfpflicht nicht gerechtfertigt sei, zu revidieren und nun eine Impfpflicht zu fordern? 2. Gibt es aus Sicht des Senats auch Gesichtspunkte, die gegen eine Impfpflicht sprechen? Falls ja, welche sind das? 3. In der Pressemitteilung vom 23.5.2019 kündigt der Senat eine Reihe von Maßnahmen an, mit der die Impfrate gegen Masern erhöht werden soll. Könnte es aus Sicht des Senats mit diesen Maßnahmen gelingen eine Immunität gegen Masern von mindestens 95 Prozent zu erreichen, selbst wenn keine Impfpflicht eingeführt würde? Falls nein, welchen Immunitätsgrad hält der Senat für erreichbar? Siehe Vorbemerkung. 4. Vor Kurzem wurde der Referenten-/-innenentwurf für ein Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz ) veröffentlicht. Ist ein solches Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig ? Laut Referentenentwurf geht die Bundesregierung nicht von Zustimmungsbedürftigkeit aus. Die Frage ist zu prüfen. 5. Wie viele Masernfälle wurden 2019 in Hamburg gemeldet (Stichtag 15.6.2019)? Mit Stichtag 15.6.2019 sind im Jahr 2019 in Hamburg 20 Masernfälle gemeldet worden . 6. Maserninfektionen sind besonders gefährlich, weil sie schwere Komplikationen und Folgeerkrankungen nach sich ziehen können. a. Wie viele Masernkranke in Hamburg erlitten sei 2015 eine Komplikation oder Folgeerkrankung? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Art der Komplikation.) Maserinfektionen: Komplikationen/Folgeerkrankungen 1/2015 – 6/2019 Komplikationen/Folgeerkrankung 2015 2016 2017 2018 2019 Gesamt 5 2x Masern- Pneumonie, 1x Masern- Enzephalitis, 2x Sonstige 0 1 1x Masern- Pneumonie 0 0 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17619 3 b. Wie viele Krankenhausfälle gab es seit 2015 aufgrund von Masern oder einer Folgeerkrankung beziehungsweise Komplikationen? (Bitte aufschlüsseln nach jährlichen Masernfällen und Krankenhausfällen .) Maserinfektionen: Komplikationen/Folgeerkrankungen 1/2015 – 6/2019 Krankenhausfälle 2015 2016 2017 2018 2019 Gesamt 31 6 2 3 9 Aufgrund der Art der Krankheit (hochansteckende Virusinfektion) kann es zu erheblichen Schwankungen in der Zahl der Erkrankungsfälle kommen. Siehe im Übrigen Antwort zu 6. a. c. Wie viele Menschen starben seit 2015 in Hamburg an Masern oder einer Folgeerkrankung beziehungsweise Komplikationen? In den Jahren 2015 bis 2017 gab es keine Todesfälle, die auf eine Maserninfektion zurückzuführen sind. Daten für das Jahr 2018 liegen nicht vor. 7. Welche Erkenntnisse hat der Senat darüber, wie groß die Gruppe der Kinder ist, die nicht gegen Masern geimpft ist, weil ihre Eltern Impfungen grundsätzlich ablehnen („Impfgegner/-innen“)? Dem Senat liegen hierzu keine Kenntnisse vor. 8. Welche Erkenntnisse hat der Senat darüber, welche Gründe dafür verantwortlich sind, dass Kinder die zweite Masernimpfung nicht erhalten? Dem Senat liegen hierzu keine gesicherten Erkenntnisse vor. Unwissenheit oder Vergessen können gleichwohl als Gründe angenommen werden. 9. In Drs. 21/2111 wird angegeben, dass im Rahmen der Masernkampagne des Senats 2 020 Impfdosen an die teilnehmenden Kooperationspartner /-innen ausgegeben wurden. Wie viele dieser Impfdosen wurden verabreicht? Es wurden 660 Impfdosen verabreicht. 10. In seiner Pressemitteilung vom 23.5.2019 kündigt der Senat an, dass die Schuleingangsuntersuchungen dazu genutzt werden sollen, Eltern auf den Impfstatus ihrer Kinder anzusprechen. Soll im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen auch die Möglichkeit geschaffen werden, dass Kinder und Eltern sich vor Ort auch gleich impfen lassen können? Falls ja, welche Impfungen werden möglich sein und mit welchem zusätzlichen personellen Aufwand wird gerechnet? Falls nein, warum nicht? Der schulärztliche Dienst der Bezirke soll die Schuleingangsuntersuchungen dazu nutzen, die Eltern auf ihren Impfschutz anzusprechen und bestehende Impflücken unkompliziert vor Ort zu schließen. Auf diesen Service werden die Eltern künftig bereits im Rahmen der Einladung zur Schuleingangsuntersuchung hingewiesen. Das aufsuchende Impfangebot in den Klassenstufen 8 und 9 soll weiter fortgeführt werden. Die Abstimmungen zu den möglichen zusätzlichen Impfangeboten und die Berechnungen zu einem zusätzlichen personellen Aufwand sind noch nicht abgeschlossen. 11. Die Gesundheitsämter führen Impfsprechstunden durch und bieten auch die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Abgesehen vom Impfzentrum im Beltgens Garten, finden in den Bezirken aber nur zehn bis zwölf Mal im Jahr Impfsprechstunden von ein bis zwei Stunden statt. Über die Impfsprechstunden wird schriftlich im Internet auf www.hamburg.de, über Pressemitteilungen und über öffentliche Aushänge und Handzettel informiert. Mündlich wird in der Mütterberatung und den schulärztlichen Sprechstunden informiert. Drucksache 21/17619 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Im Rahmen von Impfkampagnen hat die zuständige Behörde auch gesondert über die Impfsprechstunden der Gesundheitsämter informiert. a. Wo wird über die Impfsprechstunden informiert? b. Welche Maßnahmen werden ergriffen, um das Angebot niedrigschwellig zu gestalten? c. Sind die Impfsprechstunden barrierefrei zugänglich? (Bitte nach Bezirk aufschlüsseln.) d. Sind die Impfsprechstunden zugänglich für Menschen ohne Krankenversicherung ? e. Sind die Impfsprechstunden zugänglich für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus? Die Impfberatung und die Impfung im Gesundheitsamt sind kostenlos. Die Impfung beruht auf einer Impfvereinbarung mit den gesetzlichen Krankenversicherungen und umfasst den Kreis der dort Versicherten. Es ist keine gesonderte Terminvereinbarung notwendig. Die Impfberatung erfolgt individuell auf dem geeigneten Sprachniveau. Alle Impfsprechstunden sind barrierefrei zugänglich. f. In welchen Sprachen wird die Impfberatung angeboten? Aufklärungsmaterial ist in mehreren Sprachen (Deutsch, Englisch, Türkisch, Russisch und Arabisch) vorhanden. Die Beratung kann in Deutsch, Englisch oder Französisch erfolgen, nach vorheriger Absprache auch über Sprachmittler in weiteren Sprachen. 12. In Drs. 21/1035 gibt der Senat an, dass man die Umsetzung des Präventionsgesetzes abwarten wolle, bevor über eine Ausweitung der Impfsprechstunden befunden werden solle. Sollen die Impfsprechstunden ausgeweitet werden? Falls ja, was ist geplant? Falls nein, warum wird das als nicht notwendig erachtet? Der Ausbau von Impfsprechstunden ist eine Option, die derzeit geprüft wird, um das Angebot für aufsuchende Impfberatungen und Impfungen in Hamburg zu erhöhen. 13. In Drs. 21/16678 gibt der Senat an, dass es aufsuchende Impfangebote des Instituts für Hygiene und Umwelt gäbe für Schüler/-innen der Klassenstufen 8 und 9. Wie viele Schulklassen wurden seit 2015 durch das Institut für Hygiene und Umwelt aufgesucht und welche und wie viele Impfungen wurden durchgeführt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Jahrgang , Schulart, Zahl und Art der Impfungen.) Insgesamt wurden vom 01.01.2015 bis zum 25.06.2019 674 Schulklassen der Jahrgangsstufen 8 und 9 aufgesucht und über 6 000 Schülerinnen und Schüler anhand der Impfbücher beraten. Bei vorliegender Einverständniserklärung wurden 1 804 Schülerinnen und Schüler vor Ort geimpft. Insgesamt 2 971 Impfungen wurden verabreicht . Impfart 2015 2016 2017 2018 2019 bis 25.06.19 Hepatitis B Erwachsene (ab 16 Jahren) 10 7 25 29 9 Hepatitis B Kinder 102 25 80 54 26 Masern-Mumps-Röteln 68 15 60 51 21 2. Impfung Masern-Mumps-Röteln 36 7 28 9 10 Meningokokken 231 80 104 78 67 Kinderlähmung 24 11 34 17 5 Wundstarrkrampf Diphterie Kinderlähmung 250 106 256 194 139 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17619 5 Impfart 2015 2016 2017 2018 2019 bis 25.06.19 Keuchhusten Wundstarrkrampf Diphterie Keuchhusten 81 17 63 41 59 Windpocken 119 48 119 98 58 Gesamt 2 971 921 316 769 571 394 14. Auf welchen Wegen erfahren Schulen und Lehrkräfte von diesem Angebot des Instituts für Hygiene und Umwelt? Die kooperierenden Schulen werden über die Schulleitung oder über beauftragte Personen der Schule durch das Impfzentrum auf das Impfangebot hingewiesen. Der Informationsfluss innerhalb der Schule wird von der Schule eigenständig sichergestellt . 15. Wie werden die Eltern über den bevorstehenden Besuch des Instituts für Hygiene und Umwelt und die Impfmöglichkeiten informiert und wie wird die Zustimmung der Eltern zu einer Impfung eingeholt? Die Schule erhält schriftliche Informationsmaterialien und informiert die Elternschaft mittels Rundschreiben und/oder im Rahmen von Elternabenden. In den schriftlichen Informationen wird auch auf das Angebot einer individuellen Beratung zum Impfangebot beziehungsweise zum Thema Impfen durch das Impfzentrum hingewiesen. Die Zustimmung zur Impfung wird als schriftliche Einverständniserklärung der Eltern eingeholt , die zum Impftermin vorliegen muss. 16. Wie viele Anfragen von Schulen beziehungsweise Lehrkräften für einen Besuch des Instituts für Hygiene und Umwelt gab es und wie viele konnten realisiert werden? Wenn sie nicht realisiert werden konnten, was waren die Gründe hierfür? Eine Jahresstatistik wird in diesem Zusammenhang nicht geführt. 17. Mit welchen Vorlaufzeiten mussten die Schulen kalkulieren? Bitte aufschlüsseln nach Jahr. Die kooperierenden Schulen werden regelhaft mit mehrwöchiger Vorlaufzeit über das geplante Impfangebot informiert und in die Terminplanung eingebunden. Zeitnah zum geplanten Impftermin erfolgt eine weitere Kontaktaufnahme mit Abstimmung der Zeitplanung auf Grundlage der angemeldeten Schülerzahl. Eine Jahresstatistik mit Vorlaufzeiten wird in diesem Zusammenhang nicht geführt.