BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17730 21. Wahlperiode 09.07.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 03.07.19 und Antwort des Senats Betr.: Planungen Neubau Jugendanstalt Billwerder – Welche offenen Fragen müssen noch geklärt werden? Aktuell kritisieren namhafte Experten die extreme Verdichtung der Bauplanung zur Jugendanstalt Billwerder. Überall sollen sich in der Nähe und im Blickfeld der jugendlichen Inhaftierten Hausfassaden, Mauern und kleine Innenhöfe befinden. Grünflächen könnten zu wenig eingeplant sein. Es besteht die Gefahr, dass Ziele eines modernen Jugendvollzugs nicht erreicht werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In Umsetzung des einstimmig beschlossenen bürgerschaftlichen Ersuchens „Justizvollzugsfrieden “ aus Drs. 21/12547 hat die zuständige Behörde im April 2018 gemeinsam mit der Sprinkenhof GmbH als möglicher Realisierungsträgerin die konkrete Planung der Jugendanstalt Hamburg aufgenommen. Anknüpfend an die sich bereits im Rahmen der vorgelagerten Prüfung von Standortalternativen für den Hamburger Jugendvollzug bewährte Beteiligung von Praxis und Fachöffentlichkeit, hat sich die zuständige Behörde auch bei der konkreten Planung der Jugendanstalt Hamburg umfassend von externen Expertinnen und Experten beraten lassen. Seit Beginn der Prüfung und Planung von Neustrukturierungsmaßnahmen für den Hamburger Jugendvollzug Anfang 2016 wurden in insgesamt zehn Treffen des Projektbeirats, der aus über 20 Fachleuten aus den Bereichen Praxis und Wissenschaft besteht, unterschiedliche Ansätze zur Steigerung der Qualität des Jugendvollzugs diskutiert. Im September 2017 hat sich der Projektbeirat schließlich auf die sogenannten „Leitgedanken einer künftigen inhaltlichen Ausgestaltung des Jugendvollzugs“ – abrufbar unter https://www.hamburg.de/contentblob/11748430/ 79694892f2512976046e32cf328517eb/data/leitgedanken-jugendvollzug.pdf – verständigt , in denen die aus Sicht der Fachleute wesentlichen Anforderungen an einen modernen Jugendvollzug niedergelegt sind. Die zuständige Behörde hat darüber hinaus im September 2018 die Fachtagung „Bauliche und konzeptionelle Ausgestaltung der Jugendanstalt Hamburg“ durchgeführt. Über 100 Expertinnen und Experten haben an der Veranstaltung teilgenommen und Anforderungen an den Neubau formuliert, siehe hierzu auch https://www.hamburg.de/ justizbehoerde/justizvollzug/11748014/fachtagung-jugendanstalt-hamburg/. Die auf der Fachtagung behandelten Themen wurden im Frühjahr 2019 in drei von der zuständigen Behörde veranstalteten Folgeterminen mit wiederum insgesamt über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Bereichen Praxis und Wissenschaft vertieft . Die im Rahmen dieses in Bezug auf Planungen von Justizvollzugsgebäuden bundesweit einmaligen Beteiligungsprozesses erörterten Ideen und Anregungen von Expertinnen und Experten hat die zuständige Behörde gegeneinander abgewogen. In ihrem Drucksache 21/17730 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Realisierungskonzept zur Beantwortung des bürgerschaftlichen Ersuchen aus Dr. 21/12547, das in Kürze die Hamburgische Bürgerschaft erreichen wird, empfiehlt sie auf dieser Grundlage eine zusammenhängende Bauweise, die insbesondere aufgrund der guten Einsehbarkeit und Übersichtlichkeit der Vollzugsbereiche gewaltpräventiv wirkt und der Entstehung von Subkulturen möglichst wenig Raum lässt. Nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie praktischen Erfahrungen ist die Chance, dass sich junge Gefangene vollzuglichen Erziehungs- und Behandlungsmaßnahmen öffnen, deutlich größer, je sicherer sie sich fühlen und je weniger Möglichkeiten sie haben, selbst- und fremdschädigende Verhaltensmuster beizubehalten beziehungsweise sich anzueignen. Die bauliche Ausgestaltung von Jugendanstalten hat hierauf erheblichen Einfluss, vergleiche hierzu zum Beispiel die Studie „Gewalt im Gefängnis“, 2017, Verfasser: Sven Hartenstein, Dr. Maja Meischner-Al-Mousawi und Sylvette Hinz vom Kriminologischen Dienst Sachsen, veröffentlicht unter https://www.justiz.sachsen.de/kd/content/712.htm sowie https://www.hamburg.de/ justizbehoerde/justizvollzug/12728644/jugendanstalt-hamburg/. Die Mitwirkungsbereitschaft der jungen Gefangenen ist wiederum unbedingte Voraussetzung für den Erfolg von Erziehungs- und Behandlungsmaßnahmen und somit für das Erreichen der gesetzlich normierten Ziele des Jugendvollzugs, vor allem einer gelingenden Resozialisierung . Eine möglichst gewaltarme Atmosphäre führt im Übrigen auch zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die aktuellen Pläne zur Jugendanstalt Hamburg weisen für den geschlossenen Jugendvollzug Außenflächen in einer Größe von insgesamt circa 3,5 ha zuzüglich Verkehrsflächen aus. Soweit sie bereits konkret in die Planungen einbezogen wurden, sind sie vor allem für sportliche Aktivtäten sowie als Grünflächen vorgesehen, deren Pflege und Bewirtschaftung dem anstaltseigenen Ausbildungs- und Qualifizierungsbetrieb Garten- und Landschaftsbau obliegen wird. Nordöstlich des Gebäudes befindet sich darüber hinaus noch eine circa 1,1 ha große Freifläche, die perspektivisch für ein oder auch mehrere Formen des aktiven sozialen Lernens im Rahmen von begleiteten Freizeitangeboten genutzt werden soll. Die aktuellen Planungen nehmen insoweit bewusst keine Konkretisierung vor, um flexibel auf Veränderungen der Behandlungsbedarfe der jungen Hamburger Gefangen bis zur voraussichtlichen Inbetriebnahme der Jugendanstalt Hamburg in 2026/2027 reagieren und neuste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen zu können. Die Gestaltung der Fläche wird Teil der weiteren fortlaufenden konzeptionellen Planung sein, in die insbesondere auch der Projektbeirat einbezogen werden wird. Eine entsprechende Vereinbarung wurde im Rahmen seiner Sitzung vom 20. Juni 2019 getroffen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Architekten haben welche Entwürfe für die Planungen der Jugendanstalt Billwerder eingereicht? 2. Welche inhaltlichen und baulichen Vorgaben wurden gemacht? Die Sprinkenhof GmbH hat als mögliche Realisierungsträgerin nach Durchführung des Verfahrens nach der Vergabeverordnung (VgV-Verfahren) das Architektenbüro agn Niederberghaus & Partner GmbH mit der Planungsleistung bis zur Leistungsphase 3 (Kostenberechnung) der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) beauftragt. Städtebauliche 3-D-Ansichten des derzeitigen Planungsstandes der Jugendanstalt Hamburg hat die zuständige Behörde in der Sitzung des Ausschusses für Justiz und Datenschutz vom 4. Juni 2019 vorgestellt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung sowie Protokolle des Ausschusses für Justiz und Datenschutz der Sitzungen vom 26.Juni 2018, vom 31. August 2018 sowie vom 13. November 2018, Nummern 21/26, 21/27 und 21/29. 3. Gibt es Jugendanstalten mit vergleichbar verdichteter Anordnung der Gebäude? Wenn ja, welche? 4. Wie ist die fast genaue Übereinstimmung der Planungen mit der Untersuchungshaftanstalt in Augsburg-Gablingen zu erklären? Inwiefern wur- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17730 3 den dieselben Architekten in Bayern und in der Freien und Hansestadt Hamburg beauftragt? Das von der zuständigen Behörde eingesetzte Projekt Justizvollzug Hamburg 2020 hat im Zuge seiner Prüfungen und Planungen diverse Jugendanstalten sowie auch Justizvollzugsanstalten besucht beziehungsweise kontaktiert. Die auf diese Weise zusammengetragenen Erfahrungswerte – negative wie positive – sind in die Planungen der Jugendanstalt Hamburg eingeflossen. Die aktuelle bauliche Planung vereint Vorzüge einiger anderer Anstalten. Soweit sich bauliche Gegebenheiten anderer Anstalten in der Praxis als nachteilig erwiesen haben, sind hierfür andere Lösungen gefunden worden. Bei der im Jahr 2015 fertiggestellten JVA Augsburg-Gablingen handelt es sich um eine moderne Justizvollzugsanstalt. Insbesondere die gewaltpräventive Bauweise entspricht aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die nicht nur für den Jugendvollzug , sondern auch für den Erwachsenenvollzug gelten. Es gab keine Beauftragung des in Augsburg tätigen Architekturbüros; im Übrigen siehe Vorbemerkung sowie Antwort zu 1. und 2. 5. Warum wurden bisher acht kleine Innenhöfe mit eng begrenzten Möglichkeiten für Garten- und Landschaftspflege, Sport, Freizeit et cetera und bisher keine Nutzung der freien großen Fläche in der Jugendanstalt Billwerder vorgesehen? 6. Inwieweit wird der Vorschlag der Ergänzung/Erweiterung bezogen auf die freie grüne Fläche bereits jetzt in die Planung einbezogen? Für die vier Hafthäuser zuzüglich des Gebäudeteils für die Sozialtherapeutische Abteilung sind insgesamt zehn Freistundenhöfe für den geschlossenen Jugendvollzug vorgesehen . Sie ermöglichen die Realisierung gesetzlich oder gerichtlich vorgegebener und vollzugsfachlich angezeigter Gefangenentrennungen sowie Binnendifferenzierungen . Mit jeweils einer Fläche von circa 550 m2 bis circa 1 000 m2 bieten die Freistundenhöfe , auf denen sich zeitgleich jeweils in der Regel bis zu zwölf junge Gefangene aufhalten werden, hinreichend Raum für Sport- und sonstige Freizeitaktivitäten. Darüber hinaus wird die Jugendanstalt Hamburg über eine eigene Sporthalle verfügen. Die aktuellen Planungen sehen neben einer Begrünung der Freistundenhöfe insbesondere vor, dass dort jeweils ein Kleinspielfeld errichtet wird. Für den anstaltseigenen Betrieb Garten- und Landschaftsbau ist zusätzlich zur Pflege und Bewirtschaftung der Freistundenhöfe und sonstigen Freianlagen ein separater 400 m2 großer Außenbereich vorgesehen, der nach Bedarf um bis zu 1 400 m2 erweitert werden kann. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 7. Welche Distanzen und Blickfelder werden als Mindeststandards für erforderlich gehalten, um jugendgerechte Kommunikationsformen, Bewegung, Nähe zur Natur und zur Umwelt ermöglichen? Siehe Antwort zu 5. und 6. Darüber hinaus ist auch eine Begrünung der sonstigen Freiflächen mit Ausnahme der Verkehrswege beabsichtigt. Die aktuellen Planungen werden insgesamt als bedarfsgerecht erachtet. 8. Ist eine Besichtigung der modellhaften Anstalt in Neustrelitz geplant? Wenn ja, wann? Wenn nein, warum nicht? Aktuell gibt es keine konkreten Planungen für eine Besichtigung der in den 1990er- Jahren geplanten JVA Neustrelitz. Im Übrigen siehe Vorbemerkung sowie Antwort zu 3. und 4. 9. Inwiefern ist eine Expertenanhörung geplant? Wenn ja, in welchem Zeitraum? Drucksache 21/17730 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn nein warum nicht? Siehe Vorbemerkung. Bezüglich Planungen zu einer Expertenanhörung in den zuständigen Gremien der Hamburgischen Bürgerschaft hat die zuständige Behörde keine Kenntnis.