BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17779 21. Wahlperiode 16.07.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 09.07.19 und Antwort des Senats Betr.: Schulden über Schulden – Welche Unterstützung erhalten Inhaftierte im Rahmen der Resozialisierung tatsächlich? Am 1. Januar 2019 trat das neue Hamburgische Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz (HmbResOG) in Kraft. Ausgerichtet am Grundgedanken der Spezialprävention bezweckt das HmbResOG, straffällig gewordene Personen durch Resozialisierung zu befähigen, ein Leben in Eigenverantwortung und ohne weitere Straftaten zu führen. Angesichts der immensen Bedeutung einer in diesem Sinne erfolgreichen Resozialisierung für den Einzelnen und unsere Gesellschaft im Ganzen, ist es erforderlich und zweckmäßig, das HmbResOG regelmäßig und stetig an den Erfordernissen der Realität zu messen und gebotene Veränderungen vorzunehmen. Ein in diesem Sinne wesentliches und zu analysierendes Erfordernis stellen dabei die sich aus Schulden ergebenden Risiken dar. Schuldenspiralen führen immer wieder dazu, dass selbst resozialisierungsgeneigte Personen keinen anderen Ausweg mehr sehen, als erneut straffällig zu werden – entweder um Schulden zu tilgen oder um sich den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Insbesondere die durch die Straftat entstandenen, dem Geschädigten zu ersetzenden Schäden, die im Rahmen der Geltendmachung des Ersatzes dieser Schäden entstehenden Gerichts- und Anwaltskosten sowie die aus dem Ermittlungs- und Strafgerichtsverfahren herrührenden Kosten, belasten die straffällig gewordene Person in der Regel schwer und nachhaltig . Da der Ertrag während der Haftzeit geleisteter Arbeit zudem gering ist und die Ertragsrealität für die nach der Haftzeit geleistete Arbeit regelmäßig nicht ausreichend ist, um etwaige Schulden zu tilgen und künftig ein straffreies Leben zu führen, ist zu prüfen, ob und inwiefern das neue HmbResOG den Risikofaktor „Schulden“ in angemessener Form berücksichtigt und der straffällig gewordenen Person hinreichende Unterstützung bietet. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Nach § 7 Absatz 2 Nummer 8 HmbResOG beraten und unterstützen die zuständigen Stellen die dem Gesetz unterfallenden Klientinnen und Klienten bei der Inanspruchnahme der für die Resozialisierung förderlichen Leistungen oder der Kontaktaufnahme mit den jeweils zuständigen Leistungserbringern auf den Gebieten der Schuldnerberatung und der Schuldenregulierung. a) Welche Stelle beziehungsweise welcher freier Träger/Leistungserbringer ist für die Erbringung der unter § 7 Absatz 2 Nummer 8 Drucksache 21/17779 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 HmbResOG beschriebenen Schuldnerberatungs- und Schuldenregulierungsleistungen zuständig? b) Wie gestaltet sich die aktuelle Personalsituation der zuständigen Stelle/des freien Trägers/Leistungserbringers? (Bitte Sollstellen und Vollzeitäquivalenten zum Stichtag 30.06. angeben.) c) Welche konkreten Inhalte, Maßnahmen und Leistungen erfassen die Schuldnerberatung und Schuldenregulierung nach § 7 Absatz 2 Nummer 8 HmbResOG? (Bitte detailliert erläutern.) Die Justizbehörde unterhält eine eigene Schuldnerberatung für Gefangene. Die Schuldnerberatungsstelle ist gemäß § 305 Absatz 1 Nummer 1 Insolvenzordnung (InsO) in Verbindung mit § 1 S. 1 Hs. 2 Hamburgisches Ausführungsgesetz zur Insolvenzordnung (HmbAGInsO) im Verbraucherinsolvenzverfahren anerkannt. Die im Fachamt Straffälligen- und Gerichtshilfe des Bezirksamtes Eimsbüttel angesiedelte Schuldnerberatungsstelle steht allen Klientinnen und Klienten des Fachamtes und somit auch der Fachstelle Übergangsmanagement zur Verfügung. Die Schuldnerberatungsstelle ist gemäß § 305 Absatz 1 Nummer 1 InsO in Verbindung mit § 1 S. 1 Hs. 2 HmbAGInsO im Verbraucherinsolvenzverfahren anerkannt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachstelle Übergangsmanagement vermitteln bei Bedarf an Schuldnerberatungsstellen in freier Trägerschaft. Darüber hinaus bieten die anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) Hilfe und Beratung bei der Überwindung von Verschuldungs- und Überschuldungssituationen , die auch von dieser Zielgruppe genutzt werden können. Eine Liste der anerkannten Beratungsstellen ist abrufbar unter https://www.hamburg.de/ beratungsstellen/128476/beratung-305inso/. Personen mit geringen Einkommen oder Personen, die Sozialleistungen beziehen, können die Angebote der öffentlich geförderten Schuldnerberatungsstellen kostenlos in Anspruch nehmen. Eine erste Kurzund Notfallberatung kann von allen Personen unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zielgruppe in Anspruch genommen werden. Die Schuldnerberatungsstelle der Justizbehörde umfasst 2,5 Stellen (VZÄ) Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater. Die Schuldnerberatungsstelle des Fachamtes Straffälligen- und Gerichtshilfe umfasst drei Stellen (VZÄ) Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater sowie eine Honorarkraft (Jurist) für Fachberatung, Schuldner- und Insolvenzberatung. Die vakante Abschnittsleitungsstelle (Volljurist) wird ab dem 01. August 2019 besetzt. In den übrigen öffentlich geförderten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen waren zum 30. Juni 2019 Beratungskräfte im Umfang von 41,81 Stellen (VZÄ) eingesetzt. Die Schuldnerberatung und die Schuldenregulierung nach § 7 Absatz 2 Nummer 8 Hamburgisches Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz (HmbResOG) gestaltet sich wie folgt: - Vorrangiges Ziel der für die Gefangenen kostenlosen Schuldnerberatung im Strafvollzug ist die Verringerung oder Verhinderung von erneuter Delinquenz aufgrund von Überschuldung. Die Beratung beziehungsweise Betreuung und die Darstellung der Nachvollziehbarkeit der Arbeit der Schuldnerberatung gegenüber den Betroffenen erfolgt ergebnisoffen und soll die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen stärken . - Die Schuldnerberatungsstelle der Justizbehörde arbeitet mit den Vollzugsanstalten zusammen und ergänzt deren Resozialisierungsbemühungen für die einzelnen Inhaftierten in einem wichtigen Bereich. Diese Zusammenarbeit erfolgt im Einvernehmen mit den ratsuchenden Gefangenen in direktem Gesprächsaustausch und bei kurzfristigen Interventionen (beispielsweise bei der Abwendung von Zwangsmaßnahmen ). - Die Motivation der Gefangenen zur Inanspruchnahme der Schuldnerberatung im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes wird in den Justizvollzugsanstalten durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Aufnahme in der Resozialisierungsplanung beziehungsweise Resozialisierungsplanfortschreibung unterstützt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17779 3 - Das Erstgespräch findet regelhaft in der Justizvollzugsanstalt statt, in welcher sich die Schuldnerin beziehungsweise der Schuldner befindet. Neben der Darstellung der Aufgaben und Arbeitsweise der Schuldnerberatung der Justizbehörde werden in diesem Gespräch persönliche Daten und Informationen über den beruflichen Werdegang und die aktuelle Beschäftigung der Klientinnen und Klienten erhoben. In diesem Rahmen wird mit dem der Schuldnerin beziehungsweise dem Schuldner die Abgabe einer Vollmacht besprochen, in welcher die Rahmenbedingungen der Beratung unter Berücksichtigung des Datenschutzes dargestellt sind. - Anschließend erfolgt die Klärung des Bedarfes. In Abhängigkeit hiervon werden dann konkrete Schritte und Maßnahmen mit dem beziehungsweise der Betreffenden unter Einbeziehung des Selbsthilfepotenzials besprochen. Über weitere Themen wie Forderungsermittlung, Pfändungsrecht und über Möglichkeiten anderweitiger Schuldenregulierung (insbesondere Insolvenzverfahren) wird informiert. - Fortführend wird versucht, eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Verbindlichkeiten und Schulden zu erstellen. Dann erfolgt eine Unterscheidung zwischen Verschuldung und Überschuldung. Nach dem Erstberatungsgespräch werden einzelne Forderungen im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen, Stundung der Forderungen , Forderungsnachlass (Vergleich) oder vollständiger Erlass der Forderung reguliert. In diesem Kontext erfolgt bereits primär die Abklärung möglicher Ersatzfreiheitstrafen und deren Regulierung vor dem Hintergrund möglicher Haftvermeidung . Regelhaft sind existenzsichernde Maßnahmen, beispielsweise die Sicherung der Miete, bereits durch die Bediensteten des Vollzuges erfolgt. - Bei Bedarf werden den Betreffenden zur Erfassung der Gesamtverbindlichkeiten Arbeitshilfen an die Hand gegeben und es wird Unterstützung bei der Beantragung der SCHUFA-Auskunft und der Umsetzung gewährt. Gleichzeitig wird bei den Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern der vormaligen Wohnorte der Schuldner eine Anfrage gestellt. Die Forderungen werden von der Schuldnerin beziehungsweise dem Schuldner zusammengestellt und geordnet. - In weiteren Gesprächen mit den Betreffenden und regelhaft schriftlicher Kontaktaufnahme mit Gläubigern beziehungsweise Gläubigervertretern wird versucht, eine Gesamtlösung des Schuldenproblems zu entwickeln bis hin zum Verbraucherinsolvenzverfahren , über das informiert wird. Wenn die Schuldnerin beziehungsweise der Schuldner gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schuldnerberatung zu dem Schluss kommt, dass aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Situation keine Möglichkeit der Rückzahlung der Schulden besteht, wird in intensiven Kontakten zu den Klienten das Verbraucherinsolvenzverfahren beziehungsweise für ehemals Selbstständige das Regelinsolvenzverfahren mit dem Ziel der Restschuldbefreiung in die Wege geleitet. - Im Zusammenhang mit dem Verbraucherinsolvenzverfahren wird zunächst versucht , eine außergerichtliche Einigung mit allen Gläubigern zu erreichen. Dies ist in der Praxis des Vollzuges fast aussichtslos, da Inhaftierte regelhaft nur einen „Null- Plan“ anbieten können, was bedeutet, dass die Gläubiger auf ihre Ansprüche verzichten , da die Schuldnerin beziehungsweise der Schuldner kein verwertbares Vermögen oder pfändbares Einkommen besitzt. Diesem Null-Plan müssen alle Gläubiger zustimmen, sonst gilt dieser als gescheitert. Anschließend muss eine geeignete Stelle (als diese gilt die Schuldnerberatung der Justizbehörde) das Scheitern der Einigung belegen und begründen. - Nachfolgend wird durch Unterstützung der Schuldnerberatung der Justizbehörde das Verbraucherinsolvenzverfahren bei dem zuständigen Gericht beantragt. Nach Prüfung der Voraussetzungen kündigt das Gericht die Restschuldbefreiung an. Während der Durchführung der regelhaft sechs Jahre dauernden Wohlverhaltensperiode werden die Schuldner auch nach Haftentlassung weiterhin durch die Schuldnerberatung der Justizbehörde betreut. - Ergänzend werden im Rahmen des sozialen Trainings zum Thema Schuldnerberatung und Schuldenregulierung Gruppenveranstaltungen mit Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Glasmoor, der JVA Billwerder und der Außenstelle der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg-Bergedorf durchgeführt. Drucksache 21/17779 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 - Die während der Haftzeit begonnene Schuldnerberatung wird bei Bedarf an die Schuldnerberatungsstelle des Fachamtes Straffälligen- und Gerichtshilfe im Rahmen der Kooperationsvereinbarung übergeleitet. In der Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen werden die Klientinnen und Klienten in eine Warteliste eingetragen . Ist eine „Notfallberatung“ erforderlich, so erhält die Schuldnerberatungsstelle hiervon über das Funktionspostfach Kenntnis. - Die Fallzuständigkeit der Schuldnerberatung beginnt mit dem Eingang des Anmeldebogens beziehungsweise mit der Übergabe eines Falls im Rahmen der Kooperationsvereinbarung mit der Schuldnerberatungsstelle der Justizbehörde. Mit erfolgreicher Gesamtregulierung, erfolgreicher Teilregulierung, Übergang in das Verfahren nach der InsO, Abschluss von Stundungen, Abschluss der Notfallberatung , Abbruch durch die Beratungsstelle, Abbruch durch die Klientin beziehungsweise den Klienten, Ende der Bewährungszeit oder Überleitung an eine externe Beratungsstelle endet die Fallzuständigkeit. Die Arbeitsweise der Schuldnerberatung ist inhaltlich mit der Arbeitsweise der Schuldnerberatungsstelle der Justizbehörde identisch. d) Wie viele Termine zur Schuldnerberatung/Schuldenregulierungsleistung wurden seit Januar 2019 jeweils monatlich in den einzelnen JVA angeboten? Die Termine der Schuldnerberatungsgespräche in den einzelnen Justizvollzugsanstalten sind vom 01.Januar 2019 bis zum 30. Juni 2019 erfasst. Für eine Aufschlüsselung auf die einzelnen Monate müssten insgesamt 553 Gesprächsakten händisch ausgewertet werden. Die ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich: - Untersuchungshaftanstalt Hamburg 70 Gespräche = circa elf/Monat, - JVA Fuhlsbüttel 188 Gespräche = circa 31,3/Monat, - Sozialtherapeutische Anstalt Hamburg 69 Gespräche = circa elf/Monat, - Außenstelle Bergedorf 18 Gespräche = circa drei/Monat, - JVA Glasmoor 142 Gespräche = circa 23/Monat, - JVA Billwerder Männer 424 Gespräche = circa 70/Monat, - JVA Billwerder Frauen 87 Gespräche = circa 14/Monat, - JVA Hahnöfersand 78 Gespräche = circa 13/Monat. e) Inwiefern werden Gläubiger und/oder Angehörige in die Schuldnerberatungs - und/oder Schuldenregulierungsleistungen miteinbezogen ? Die Einbeziehung von Gläubigern in die Schuldnerberatung ist unabdingbar. Im Kontext mit der Regulierung der Forderungen im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen , Stundung der Forderungen, Forderungsnachlass oder vollständiger Erlass der Forderung werden Gläubiger regelhaft angeschrieben. Angehörige werden über für sie infrage kommende Schuldenberatungsstellen in Kenntnis gesetzt und bei Bedarf in die Beratung mit einbezogen. 2. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde darüber vor, ob, wie und in jeweils welchem Umfang die angebotenen Schuldnerberatungs- und Schuldenregulierungsleistungen hinsichtlich des Resozialisierungsziels Erfolg hatten/haben? Ein Ziel der Arbeit der Schuldnerberatung besteht darin, Gefangene in ihrer aktuellen und perspektivischen Lebensführung zu unterstützen. Daraus resultierend ist die Vermittlung von Informationen im Bereich der eigenen Finanzen sowie in Bezug auf Geld und Schulden ein wichtiger Baustein. Hierzu gehört auch der Umgang mit Mahnungen , Pfändungen und Schreiben von Gläubigern. In diesen Bereichen sind mehr Selbständigkeit und Problembewusstsein feststellbar. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17779 5 Die Effekte der Beratung auf den Resozialisierungsprozess in seiner Gesamtheit können derzeit nicht valide eingeschätzt werden. Hierzu bedarf es einer umfangreicheren Evaluation gemäß § 42 HmbResOG, die derzeit von den zuständigen Behörden vorbereitet wird. Im Übrigen siehe Drs. 21/17116.