BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17785 21. Wahlperiode 16.07.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 10.07.19 und Antwort des Senats Betr.: Eine unangemeldete Verschnaufpause Am 6. Juli demonstrierten in Hamburg bis zu 4 000 Menschen, dem Aufruf von „Seebrücke“ folgend, gegen die Politik des Ertrinkenlassens im Mittelmeer und für Solidarität mit den Geflüchteten und der Seenotrettung. Nach Abschluss der Versammlung an den Landungsbrücken zerstreuten sich die Teilnehmer/-innen mit ihren Transparenten und Plakaten einzeln oder in kleinen Gruppen in alle Himmelsrichtungen. Drei Teilnehmerinnen steuerten die Häuser an der Hafenstraße an, um sich auszuruhen, eine ließ sich auf einer Sitzgelegenheit nieder, die beiden anderen blieben im Gespräch zunächst stehen; zwei mitgeführte Plakate hatten sie abgestellt. Nach wenigen Minuten kamen zwei Polizeibedienstete, die zunächst die beiden Stehenden und nach einiger Zeit die sitzende Person auf die Plakate und das T-Shirt einer Beteiligten („Refugees welcome“) ansprachen: Hier handele es sich um eine unangemeldete Versammlung. Eine Beamtin rief Verstärkung; als weitere Beamten/-innen eintrafen, umstellten sie die drei sitzenden Frauen und nahmen nach einigem Hin und Her ihre Personalien auf mit der Begründung einer unangemeldeten Versammlung. Währenddessen war eine kleine Gruppe weiterer Teilnehmer/-innen der Demonstration vorbeigekommen und auf Bitten der Betroffenen jenseits der abschirmenden Polizisten stehengeblieben , um den Polizeieinsatz zu beobachten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Versammlungen im Sinne des Artikels 8 Grundgesetz (GG) sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Dies betrifft Zusammenkünfte von zwei oder mehr Personen. Der Schutz des Artikels 8 GG umfasst im Rahmen des nachwirkenden Grundrechtsschutzes auch die Abreise/ Abwanderung von einer Versammlung. Auch hier ist im Einzelfall zu bewerten, ob nach Beendigung des Aufzuges nur ein bloßes Abwandern zu erkennen ist oder ob offensichtlich eine neue Versammlung beziehungsweise ein neuer Aufzug vorliegt. Ein Hinweis darauf kann das aktive Hochhalten von Plakaten oder das Skandieren von Parolen sein. Das alleinige Tragen von T-Shirts oder Plakaten mit politischer Botschaft stellt für sich genommen keine Versammlung dar. Ähnliches gilt für das Ausruhen oder das Sichaufhalten, zum Beispiel um sich zu unterhalten. Ob eine Versammlung gemäß Artikel 8 GG vorliegt, ist immer von einer Einzelfallbewertung abhängig. Gemäß § 14 Versammlungsgesetz (VersammlG) ist eine Versammlung oder ein Aufzug unter freiem Himmel bei der zuständigen Behörde anzumelden. Zuständige Behörde ist in Hamburg die Polizei. Im Rahmen einer Anmeldung erfolgt durch die Polizei eine Prüfung, ob es sich hierbei um eine Versammlung im Sinne des Artikels 8 GG handelt und diese entsprechend bestätigt werden muss. Die Gewährleistung des hohen Schutzgutes der Versammlungsfreiheit führt zu einer Privilegierung der Ver- Drucksache 21/17785 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 sammlungsteilnehmer gegenüber Personen in anderen Ansammlungen, gegen welche ein niedrigschwelliges Einschreiten nach dem Gefahrenabwehrrecht möglich ist. Das Einschreiten der Polizei vor Ort orientiert sich ausschließlich am VersammlG, welches durch die Polizei kooperativ und versammlungsfreundlich angewendet wird. Die Polizei geht im Zweifel vom Vorliegen einer Versammlung aus, da die Versammlungsteilnehmer in diesem Fall unter dem Schutz des Artikels 8 GG stehen. Eine Versammlungsanmeldung oder Ähnliches bezüglich der in dieser Drucksache als „unangemeldete Verschnaufpause“ bezeichneten Veranstaltung erfolgte bei der Polizei zuvor nicht. Vor Ort oblag es den eingesetzten Polizeibeamten festzustellen, ob es sich hierbei gleichwohl um eine Versammlung gemäß Artikel 8 GG handeln könnte. Dabei war für die eingesetzten Polizeibeamten erkennbar, dass ehemalige Versammlungsteilnehmer des Aufzuges den Endkundgebungsort verlassen hatten und sich über die St. Pauli Hafenstraße entfernten. Die Polizeibeamten stellten weiter fest, dass vor dem Eingang zum Hinterhof Bernhard-Nocht-Straße 24/26 circa zehn Personen stoppten und Gespräche mit Personen auf dem Hinterhof führten. Von einer der Personen wurde währenddessen vor dem Eingang zum Hinterhof ein Plakat deutlich sichtbar und mit entsprechender Außenwirkung nach oben gehalten. Das Plakat wurde dann einer weiteren Person übergeben, die es ebenfalls nach oben hielt und anschließend zurückgab. Innerhalb der Personengruppe wurden angeregte Diskussionen geführt. Die Personengruppe setzte sich aus ehemaligen Aufzugteilnehmern und neu hinzugekommenen Personen zusammen. Unter den Personen befanden sich drei weibliche Personen, deren Identität im weiteren Verlauf durch Polizeikräfte festgestellt wurde. Die Einsatzkräfte vor Ort bewerteten die angetroffene Personengruppe demnach als eigenständige Versammlung, die nicht angemeldet war. Somit bestand vor Ort der Verdacht einer Straftat gemäß § 26 in Verbindung mit § 14 VersammlG, wonach man sich als Veranstalter/Leiter strafbar macht, wenn man eine Versammlung ohne Anmeldung durchführt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wann begann die Seebrücken-Demonstration und wann wurde sie beendet? Der Aufzug „Sicherer Hafen für die Geretteten auf der Sea-Watch 3 – sofort! Freiheit für die Sea-Watch 3 und ihre Crew!“ wurde durch die Aufzugsleiterin um 14.20 Uhr mit der Anfangskundgebung begonnen. Die Endkundgebung wurde von der Leiterin um 16.15 Uhr beendet. 2. War den Polizeikräften im Bereich der Hafenstraßen-Häuser bekannt, dass am Nachmittag des 06.07. eine große Seebrücken-Demonstration stattgefunden hatte, die kurz vor ihrem Einsatz gegen die drei Frauen in der Bernhard-Nocht-Straße an den Landungsbrücken beendet worden war? 3. Trifft zu, dass die Demonstrierenden nach dem Abschluss der Demonstration nach und nach einzeln oder in Gruppen den Ort der Abschlusskundgebung verlassen und die Transparente und Plakate, die sie auf der Demonstration getragen hatten, dabei mitgenommen haben? 4. Unter welchen Bedingungen werden Kleingruppen ehemaliger Versammlungsteilnehmer /-innen von der Hamburger Polizei als unangemeldete Versammlung bewertet? Macht das Mitführen von Plakaten, das Tragen von T-Shirts mit politischer Botschaft („Refugees welcome“) oder anderen politischen Symbolen (Weste) aus drei abziehenden Leuten eine Versammlung? Gilt als verdächtig, wenn Menschen nicht unverzüglich nach Hause eilen, sondern sich irgendwo ausruhen oder aufhalten, zum Beispiel um sich zu unterhalten? Wenn ja, waren die Veranstalter/-innen beziehungsweise Teilnehmer/ -innen der Demonstration durch die Polizei darauf hingewiesen worden? Wenn nein, warum haben die beiden Polizeibediensteten die drei Frauen als unangemeldete Versammlung bewertet? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17785 3 Siehe Vorbemerkung. 5. Trifft zu, dass die drei Frauen bestritten haben, eine Versammlung durchgeführt zu haben oder durchführen zu wollen und dass die Polizeibeamten /-innen ihnen gegenüber ihre gegenteilige Auffassung mit den abgestellten beiden Plakaten und zunächst auch mit dem T-Shirt einer Betroffenen begründet haben („Refugees welcome“)? Die zunächst am Einsatzort tätigen Polizeibeamten erläuterten ihre rechtliche Einschätzung . Daraufhin verneinten die drei Frauen die Durchführung einer Versammlung . Zudem gab sich auf Anfrage der Polizeibeamten keine der anwesenden drei Personen als Versammlungsleiterin zu erkennen beziehungsweise stellte sich nicht als solche zur Verfügung. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Wann begann der Einsatz durch zunächst zwei Beamte/-innen? Wann kam die Verstärkung? Wann war der Einsatz beendet? Die zunächst vor Ort befindlichen zwei Polizeibeamten trafen ihre Feststellungen am 6. Juli 2019 um 16.24 Uhr. Weitere Kräfte trafen gegen 16.40 Uhr am Einsatzort ein. Der Einsatz wurde um 17.21 Uhr beendet. 7. Die „Hamburger Morgenpost“ vom 08.07.2019 (online) gibt als Darstellung der Polizei wieder, es hätten sich die drei Personen nicht zum Verschnaufen hingesetzt, sondern eine Gruppe von ungefähr 13 Personen sei vor dem Hinterhof an der Bernhard-Nocht-Straße 34 stehen geblieben und habe ihre Transparente, unter anderem mit der Aufschrift „Black Lives Matter“, hochgehalten. a. Von wann bis wann sollen die „ungefähr 13 Personen“ vor dem Hinterhof stehen geblieben sein und ihre Transparente hochgehalten haben? Die Feststellungen wurden ab 16.24 Uhr durch die vor Ort befindlichen Polizeibeamten getroffen. Um 16.30 Uhr begaben sich die Polizeibeamten zum Zwecke der Verbindungsaufnahme direkt zur angenommenen Versammlung. Ein Großteil der Personen entfernte sich daraufhin vom Versammlungsort. b. Was stand auf den anderen Transparenten, die von „ungefähr 13 Personen“ hochgehalten worden sein sollen? Plakate, die vor Ort festgestellt wurden, trugen Aufschriften mit dem Tenor „Black Lives Matter“ und „Evacuate Refugees from Libya“. c. Von wie vielen der behaupteten „ungefähr 13 Personen“, die eine unangemeldete Versammlung durch Hochhalten ihrer Transparente durchgeführt haben sollen, haben die Polizeibeamten/-innen die Personalien festgestellt? Wenn nur von den drei Frauen: Warum wurden sie ausgewählt? Es wurden lediglich Personalien von drei weiblichen Personen festgestellt. Diese trugen die in Rede stehenden Transparente und führten den Dialog mit den Polizeibeamten . Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 7. a. 8. Werden beziehungsweise wurden Ermittlungen gegen die drei Frauen eingeleitet? a. Wenn ja, mit welchem Vorwurf? b. Wenn nein, werden beziehungsweise wurden die Daten der Frauen gelöscht? Nein. Es wird beim Landeskriminalamt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Durchführung einer unangemeldeten Versammlung, strafbar gemäß § 26 Absatz 2 VersammlG, gegen Unbekannt geführt, in dem die drei Frauen als mögliche Versammlungsteilnehmerinnen unter der Rubrik „sonstige Person“ geführt werden. Eine Löschung der erhobenen Daten erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Fristen.