BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17863 21. Wahlperiode 30.07.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Carola Ensslen (DIE LINKE) vom 24.07.19 und Antwort des Senats Betr.: Einstellung der Telefonberatung für Arbeitslose Wie inzwischen dem Register des Amtsgerichts Hamburg unter Aktenzeichen AZ 67a IN307/19 entnommen werden kann, hat der seit mehr als 30 Jahren tätige gemeinnützige Verein Arbeitslosen-Telefonhilfe e.V. am 11.07.2019 Insolvenz beantragt. Der beauftragte Insolvenzverwalter prognostiziert vorsichtig positiv, dass alle Löhne und Gehälter der rund 20 Mitarbeiter/-innen des Vereins langfristig gesichert seien. Zugleich wird aus den Recherchen deutlich, dass unter anderem eine Änderung des Abrechnungssystems sowie ein Rückzahlungsbescheid den Liquiditätsengpass mitverursacht haben. Seit 2004 wird der Verein Arbeitslosen-Telefonhilfe e.V. durch die Freie und Hansestadt Hamburg aus Steuermitteln finanziert. Der Homepage des Vereins ist zu entnehmen, dass jährlich rund 40 000 Beratungen durchgeführt wurden. Seit dem 01.04.2019 sind jedoch im Rahmen des neuen Finanzierungs- und Abrechnungssystems nur noch Fallkostenpauschalen abrechenbar. Eine Telefonberatung könne nicht mehr angeboten werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat hat bereits mit Drs. 21/17807 ausführlich zur Situation der Arbeitslosen- Telefonhilfe e.V. (ATH) Stellung genommen. Die psychosoziale Betreuung (Lebenslagenberatung) nach § 16 a Nummer 3 SGB II umfasst unabhängig von Bezeichnung und Satzung der Institutionen, die diese Leistung anbieten und unabhängig von der Art und Weise, wie diese Leistungen finanziert und abgerechnet werden, seit ihrer Neuausrichtung in 2011 die in Drs. 20/9375 ausführlich dargestellten Beratungsbausteine: - niedrigschwellige offene Eingangsberatungen, die zum Teil auch telefonisch stattfindet , - Informationsgespräche, - Krisenintervention sowie - stabilisierende und nachsorgende Beratungen. Diese intensive Beratungsarbeit setzt regelhaft den persönlichen Kontakt zwischen Beratenen und Beratern voraus und verursacht damit aufseiten der Ratsuchenden Fahrtkosten. Da keiner der Bieter im Vergabeverfahren entsprechende Beträge für Erstattungen in den anzubietenden Festpreis kalkuliert hatte, ist eine Fahrtkostenerstattung für die Ratsuchenden – wie bei den anderen kommunalen Leistungen nach § 16 a SGB II (Sucht- und Schuldnerberatung, Kindertagesbetreuung) – nicht vorgesehen . Drucksache 21/17863 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die zuständige Behörde beobachtet gemeinsam mit Jobcenter und den Anbietern der Lebenslagenberatung fortlaufend, ob sich dieser Umstand negativ auf die Inanspruchnahme der Lebenslagenberatung auswirkt. Die Ausschreibungs- und Vertragsunterlagen, aus denen auch die aktuellen Finanzierungs - und Abrechnungsmodalitäten hervorgehen, sind im Transparenzportal veröffentlicht und können hier eingesehen werden: http://daten.transparenz.hamburg.de/ Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessource100/GetRessource100.svc/d404ea77- 0c6c-4b14-b1d6-73b01d276d94/Akte_421.70-5-5-8-2.pdf. Weder der Vereinsname noch dessen Satzung standen der Teilnahme der ATH und dem darauf folgenden Vertragsschluss entgegen. Gegenstand des Vertragsverhältnisses ist die Erbringung und Vergütung der Leistung Lebenslagenberatung, nicht die Finanzierung der Institution ATH. Die Sicherstellung der Gesamtfinanzierung der ATH liegt in der Verantwortung ihrer Geschäftsführung. Über die interne Kalkulation des Vereins zu den Fallkostenpauschalen, zur Leistungserbringung und zur Finanzierung des Vereins liegen dem Senat keine Informationen vor. Das auf Grundlage des durchgeführten Vergabeverfahrens begründete Vertragsverhältnis ist auf einen Zeitraum von drei Jahren mit der Option auf zweimalige Verlängerung angelegt. Die Höhe der Fallpauschalen bemisst sich nach dem Angebot, das die ATH im Rahmen ihrer Kostenkalkulation im Vergabeverfahren abgegeben hat. Eine Anpassung der Fallkostenpauschalen beispielsweise aufgrund gestiegener Kosten ist jeweils bei einer Verlängerung möglich. Im Hinblick auf das eingeleitete Insolvenzverfahren wäre das Bekanntwerden der Rückforderungssumme geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der ATH zu gefährden. Das Bekanntwerden der Fallkostenpauschalen sowie die Höhe der Auszahlungen seit dem 1.4.2019 wiederum wären vor dem Hintergrund des eingeleiteten Insolvenzverfahrens und einer möglichen, kurzfristig anstehenden Neuausschreibung der bisher durch ATH erbrachten Leistung geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenten der ATH zu steigern. Bei diesen Informationen handelt es sich deshalb gemäß § 67 Absatz 2 S. 2 SGB X um Geschäftsgeheimnisse des Trägers, die der Senat gemäß § 67 b Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder gemäß Artikel 6 Absatz 1 S. 1 Buchstabe a DS-GVO mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Eine Einwilligung des Trägers zur Datenübermittlung liegt nicht vor. Der Senat ist daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach § 35 SGB I, §§ 67 fortfolgende SGB X an der Mitteilung der Rückforderungssumme sowie an einer Aufschlüsselung der Fallkostenpauschalen gehindert. Die Frage des Umgangs mit der Rückforderung im weiteren Verfahren richtet sich nach dem Insolvenzrecht. Die zuständige Behörde hat keine Kenntnis von ähnlichen finanziellen Problemen bei den anderen Anbietern der Lebenslagenberatung. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Was war der Anlass für den besagten Rückzahlungsbescheid, welche Höhe hat die Rückforderung der Freien und Hansestadt Hamburg, wie viel wurde bereits zurückgezahlt und was geschieht nunmehr im Insolvenzverfahren mit der Forderung beziehungsweise einer Restforderung? Siehe Vorbemerkung. 2. In welcher Höhe wurde der Verein Arbeitslosen-Telefonhilfe e.V. seit 2004 jährlich (für 2019 Stichtag 31.03.) jeweils durch Steuermittel gefördert ? Bitte in einer Tabelle darstellen. Zuwendungszeitraum Zuwendungshöhe 01.01.2004 bis 31.12.2004 952 234,37 € 01.01.2005 bis 31.12.2005 1 195 422,03 € 01.01.2006 bis 31.12.2006 1 203 069,56 € 01.01.2007 bis 31.12.2007 1 217 124,91 € 01.01.2008 bis 31.12.2008 1 230 000,00 € Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17863 3 Zuwendungszeitraum Zuwendungshöhe 01.01.2009 bis 31.12.2009 1 234 752,08 € 01.01.2010 bis 31.12.2010 1 214 136,37 € 01.01.2011 bis 31.12.2011 1 250 690,37 € 01.01.2012 bis 31.12.2012 1 254 039,21 € 01.01.2013 bis 31.12.2013 1 512 242,92 € 01.01.2014 bis 31.12.2014 976 152,07 € Im Übrigen siehe Drs. 21/17807. 3. Nach welchen Kriterien wurden die Gelder vor der Änderung des Finanzierungs - und Abrechnungssystems ausgezahlt und seitens des Vereins abgerechnet? Bitte ausführlich darstellen. Die Auszahlung und Abrechnung der Zuwendung erfolgt gemäß der Regelungen zu den Verwaltungsvorschriften zu § 46 Landeshaushaltsordnung (LHO) und der Dienstvorschrift (DV-Zuwendungen) der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration . 4. Nach welchen Kriterien werden die Gelder seit der Änderung des Finanzierungs - und Abrechnungssystems am 01.04.2019 ausgezahlt und seitens des Vereins abgerechnet? Bitte ausführlich darstellen. 5. Welche Erwägungen haben zur Änderung des Finanzierungs- und Abrechnungssystems hin zu Fallkostenpauschalen geführt? 6. Der Verein heißt Arbeitslosen-Telefonhilfe e.V., bietet aber aufgrund des veränderten Abrechnungssystems in Zukunft nur noch persönliche Beratungen , nicht mehr jedoch telefonische Beratungen an. Gerade das niederschwellige telefonische Angebot war aber ein wichtiger Baustein im Beratungssystem. a. Welche vergleichbaren telefonischen Angebote gibt es in Hamburg noch? Falls es keine gibt, wie will der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde ein solches Angebot wieder ermöglichen? b. Für die Förderwürdigkeit sowie die Anerkennung der Gemeinnützigkeit stellt sich die Frage, ob die Veränderungen der Abrechnung, Finanzierung und des Angebots dem Satzungszweck sowie dem Namen des Vereins entgegenstehen. c. Falls ja, wie kann gewährleistet werden, dass der Verein trotz veränderten Angebots und veränderter Finanzierungs- und Abrechnungsmodalitäten weiterhin satzungskonform tätig sein kann? Siehe Vorbemerkung. 7. Für die Finanzierung des Vereins auf Grundlage von Fallkostenpauschalen könnte sich die Zahl der jährlich durchgeführten Beratungen verändern . Entsprechend niedriger könnte die zukünftige Finanzierung ausfallen . a. Wie viele telefonische Beratungen hat der Verein in den Jahren 2014 bis 2019 (Stichtag 31.03.2019) jeweils durchgeführt? Bitte in einer Tabelle darstellen. b. Wie viele persönliche Beratungen hat der Verein in den Jahren 2014 bis 2019 (Stichtage 31.03.2019 und 30.06.2019) jeweils durchgeführt ? Bitte in derselben Tabelle wie zu Frage 7. a. darstellen. 2014 2015 2016 2017 2018 31.03.2019 Eingangsberatung gesamt 14 080 17 707 12 733 11 266 12 154 2 561 davon telefonisch 12 461 14 642 8 769 7 364 3 287 772 davon persönlich 1 619 3 065 3 964 3 902 8 867 1 789 Krisenintervention gesamt 246 2 613 3 065 3 374 2 760 594 Drucksache 21/17863 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 2014 2015 2016 2017 2018 31.03.2019 davon telefonisch 121 1 722 1 782 837 1 334 444 davon persönlich 125 891 1 283 2 537 1 426 150 Stabilisierende Beratung Anzahl Teilnehmer 456 720 920 947 917 235 Nachsorgende Beratung Anzahl Teilnehmer 50 71 84 109 78 10 Flankierende Beratung 0 0 0 0 0 0 Die Zahlen für den Zeitraum 01.04.bis 30.06.2019 liegen der zuständigen Behörde noch nicht vor. 8. Wie hoch ist die Fallkostenpauschale bemessen und welche Berechnungsgrundlage zur Finanzierung des Vereins hat sie? In welcher Höhe erhielt der Verein seit dem 01.04.2019 Mittel seitens der Freien und Hansestadt Hamburg? Welchen Eigenanteil soll der Verein aus welchen Mitteln aufbringen? 9. Soll die Fallkostenpauschale künftig auch angepasst werden, etwa aufgrund von Inflationsausgleich, gestiegenen Löhnen oder Ähnlichen? Falls ja, auf welcher Bemessungsgrundlage und in welchen Zeitabständen genau? Falls nein, warum nicht? 10. Welchen Einfluss auf das Finanzierungsvolumen des Vereins hatte die Einstellung der Telefonberatung ab dem 01.04.2019? In welchem Umfang (absolut und prozentual) ist es gesunken? 11. Welche Maßnahmen sind für den Fall geplant, dass die Finanzierung des Vereins ausschließlich auf Grundlage von Fallkostenpauschalen die Gesamtfinanzierung und somit auch die Löhne und Gehälter des hauptamtlichen Personals gefährdet? 12. Der Wegfall der telefonischen Beratung führt zu erhöhten Fahrtkosten des ohnehin finanziell schlecht aufgestellten Klientels. Können entstehende Fahrtkosten der Ratsuchenden durch den Verein oder andere Stellen erstattet werden? Falls nein, warum nicht? Falls ja, durch welche Stellen? 13. In Hamburg gibt es weitere Träger, die Arbeitslosen- oder Sozialberatungen anbieten. Bei welchen weiteren Trägern wurde die Finanzierung seit 2014 ebenfalls abgeändert auf eine Fallkostenpauschale? Bei welchen Trägern löste dies ähnliche finanzielle Probleme aus? Siehe Vorbemerkung.