BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17877 21. Wahlperiode 02.08.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 25.07.19 und Antwort des Senats Betr.: „Feindeslisten“ von Nazis und Information der Betroffenen Bereits seit Längerem ist bekannt, dass unterschiedliche Nazis und rechte Gruppen sogenannte Feindeslisten anlegen beziehungsweise angelegt haben, auf denen politische Gegner/-innen aufgelistet sind. So wurden bei den Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) Adresslisten mit mindestens 10 000 Datensätzen aufgefunden. In den Ermittlungen gegen die Rechten Franco A., Maximilian T. und Matthias F. wurden ebenfalls Namens- und Adresslisten beschlagnahmt. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen die extrem rechte Gruppierung „Nordkreuz“ wurden Listen aufgefunden, auf denen über 25 000 Personen geführt wurden. Das Bundeskriminalamt übermittelte die Listen damals an die jeweiligen Landesbehörden, damit dort über gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen in eigener Zuständigkeit entschieden werden konnte. Maßnahmen wurden allerdings – soweit bekannt – nicht ergriffen. Die Bedeutung solcher Listen und die damit verbundene potenzielle Bedrohung wurden von den Sicherheitsbehörden nicht erst genommen. Nach dem rechten Mord an Walter Lübcke in Kassel sind diese „Feindeslisten“ wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Einige Bundesländer haben sich nun dazu entschlossen, die auf den Listen verzeichneten Personen zu informieren . Gegenüber dem NDR hat die Polizei Hamburg jüngst mitgeteilt, dass auch mehr als 300 Personen aus Hamburg auf „Feindeslisten“ verzeichnet sind. Die Polizei Hamburg werde die Betroffenen aber nicht informieren, da sie davon ausgehe, dass eine konkrete Gefährdung nicht vorliege und man keine Verunsicherung verbreiten wolle.1 Bereits im August 2018 habe ich den Senat gefragt, wie viele Hamburger/ -innen und Örtlichkeiten in Hamburg auf den aufgefundenen „Feindeslisten“ verzeichnet sind (vergleiche Drs. 21/14032). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) werden häufig Informationen über den politischen Gegner gesammelt. Auch das sogenannte Outing, das heißt die 1 Vergleiche https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Rechtsextreme-Feindeslisten- Hamburg-informiert-nicht,feindeslisten102.html. Drucksache 21/17877 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Veröffentlichung, wer der politische Gegner ist, ist gängige Praxis. In der Vergangenheit fand es vorrangig nur zwischen den konträren Lagern der PMK -rechts- und PMK -links- Verwendung und zielte auf Szeneangehörige ab. Es werden aber immer wieder auch Daten von Personen festgestellt, die wenig oder keinerlei Bezüge zu politischen Aktivitäten haben. Im Zuge der propagandistischen Auseinandersetzung der rechten Szene mit der Flüchtlingsthematik wurden und werden aber auch zunehmend Personen des öffentlichen Lebens, Amtspersonen, Bürgerinitiativen und Medieneinrichtungen , aber auch engagierte Privatpersonen, die sich kritisch mit dem Rechtsextremismus sowie den handelnden Personen auseinandersetzen, Ziel der Agitation. Unter verschiedenen, zumeist dramatisierenden beziehungsweise irreführenden Begriffen sind in den letzten Tagen Personenlisten als Datenquellen öffentlich diskutiert worden, deren Relevanz für Hamburg vorliegend erfragt wird. Bei der als 25000er-Liste diskutierten Informationssammlung handelt es sich um eine Liste, die seit 2016 bekannt ist. Weitere Listen oder Informationssammlungen sind seither im Rahmen von Ermittlungsverfahren des BKA, zu denen auch das „Nordkreuz“-Verfahren gehört, bekannt geworden. Diese Informationssammlungen sind teilweise individuell zusammengestellt , sodass ein leitendes Interesse unterstellt werden muss, teilweise aber auch Teilmengen aus der oben genannten 25000er-Liste. Gleichwohl sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung gelisteter Einzelpersonen ersichtlich. Sofern die Informationssammlungen Gegenstand laufender Ermittlungsverfahren sind, können Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Verfahren nur durch den Generalbundesanwalt (GBA) mitgeteilt werden. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist für die zentrale Gefährdungsbewertung im Bereich der politisch motivierten Kriminalität zuständig. Das BKA stellt in einer Information an alle Länder aus Anlass der aktuellen öffentlichen Debatte fest: „Nach Sichtung und Bewertung dieser Informationssammlungen haben sich bisher grundsätzlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen einer konkreten Gefährdung unterliegen . Eine Gefährdung der genannten Personen, Institutionen und Organisationen ist nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes aktuell auszuschließen. Es handelt sich insofern nicht um „Feindes-“ oder gar „Todeslisten“.“ Die im Bundeskriminalamt erstellten Gefährdungseinschätzungen wurden an die betroffenen Bundesländer übersandt und bildeten dort jeweils die Grundlage für eine durch das zuständige Land zu erstellende, eigene Gefährdungsbewertung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und länderspezifischen Erkenntnisse. Lediglich in Fällen, in denen dort gefährdungserhöhende Erkenntnisse vorliegen, werden nach konkreter Einzelfallprüfung individuelle Maßnahmen veranlasst, um etwaige Gefahren abzuwenden (beispielsweise Unterrichtung der betroffenen Person bis hin zur Einleitung von Schutzmaßnahmen). Das BKA teilte hierzu weiter mit: „Die Nennung von Personen, Institutionen oder Organisationen in festgestellten Informationssammlungen alleine begründet in der Regel keine Notwendigkeit zur aktiven Unterrichtung der Betroffenen. Eine pauschale Benachrichtigung würde vielmehr der Intention der Täter Vorschub leisten.“ Insbesondere norddeutsche Länder wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben wegen der örtlichen Nähe zum Nordkreuz-Verfahren abweichend zur Empfehlung des BKA und in Abstimmung mit dem GBA begonnen, alle in Informationssammlungen genannten Personen mit Meldeadresse im jeweiligen Land zu benachrichtigen. Die Unterrichtungen folgen dem oben genannten Tenor der Mitteilungen des BKA. Hamburg hat sich nach Überprüfung der in sämtlichen vorliegenden Informationssammlungen genannten Personen mit aktueller Hamburger Meldeadresse entschieden derzeit weiter der Bewertung und Empfehlung des BKA zu folgen, weil über die Nennung von in Hamburg gemeldeten Personen hinaus keine weiteren Anzeichen für eine Gefährdung vorlagen beziehungsweise vorliegen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17877 3 1. Der NDR berichtete, es seien nach Auskunft der Polizei über 300 Personen aus Hamburg auf entsprechenden „Feindeslisten“ aufgeführt. In der Antwort des Senates in Drs. 21/14032 heißt es hingegen, dass im Fall Franco A. und „Nordkreuz“ keine Personen aus Hamburg betroffen seien und die NSU-Listen zwar Personen und Orte in Hamburg enthielten, diese Informationen aufgrund von Löschfristen aber nicht mehr zur Verfügung stünden. Ob im Rahmen von weiteren Ermittlungsverfahren gegen Rechte entsprechende Listen gefunden wurden, sei nicht zu beantworten . Aus welchen Verfahren gegen welche Personen aus welchen Zeiträumen an welchen Orten stammen die von der Polizei benannten über 300 Personen? Bitte detailliert ausführen. a. Sind unter den über 300 Betroffenen auch Personen, die auf den „Feindeslisten“ aus dem Umfeld von Franco A., Maximilian T. und Matthias F. verzeichnet waren? Die erfragten Listen liegen bei der Polizei Hamburg nicht mehr vor, wurden jedoch für eine erneute Überprüfung angefordert. Im Übrigen siehe Drs. 21/14032. b. Sind unter den über 300 Betroffenen auch Personen, die auf den „Feindeslisten“ aus dem Umfeld von „Nordkreuz“ verzeichnet waren? Das BKA hat der Polizei Hamburg im Juli 2017 Kopien von Asservaten aus einem Verfahren gegen Prepper in Mecklenburg-Vorpommern übermittelt; darunter befanden sich Daten, die nach Feststellung des BKA ein Auszug der 25000er-Liste waren, sowie weitere Daten aus anderen Quellen. In der Antwort auf die entsprechende Frage der Drs. 21/14032 hätte daher korrekt darauf hingewiesen werden müssen, dass in den übersandten Asservatenkopien eine Schnittmenge von Daten zu Personen mit Bezug zu Hamburg aus der 25000er-Liste enthalten ist. Die Gründe, weshalb dies nicht erfolgt ist, sind aktuell nicht mehr zu ermitteln. Nach erneuter Übermittlung der Informationssammlungen an das LKA Hamburg (Mitte Juli 2019) wurden 24 Personen mit Bezug zu Hamburg identifiziert, die zugleich auf der sogenannten 25000-er Liste stehen; davon haben aktuell 13 Personen eine Hamburger Meldeanschrift. Nach fachlicher Prüfung ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Personen einer konkreten Gefährdung unterliegen. c. Sind aus den über 300 Betroffenen auch Personen, die auf den Feindeslisten aus dem Umfeld vom „NSU“ verzeichnet waren? Wenn ja, bitte jeweils angeben, warum dies nicht bereits zum Zeitpunkt der Anfrage Drs.21/14032 bekannt war und welche neuen Erkenntnisse es aufgrund welcher Umstände seitdem gegeben hat. Die erfragten Listen liegen bei der Polizei Hamburg nicht mehr vor, wurden jedoch für eine erneute Überprüfung angefordert. Im Übrigen siehe Drs. 21/14032. 2. Wie viele Personen aus Hamburg sind genau betroffen? Auf der sogenannten 25000er-Liste (mit tatsächlich 24 554 Datenzeilen) befanden sich 364 Datensätze mit Bezug zu Hamburg, darunter 236 Personen mit aktueller Hamburger Meldeanschrift, 79 ohne aktuelle Hamburger Meldeanschrift und weitere 49 ohne eindeutige aktuelle Meldeanschrift. Nach derzeitigem Kenntnisstand befinden sich weitere zwei Personen mit Hamburger Meldeanschrift auf Informationssammlungen , die Gegenstand laufender Ermittlungsverfahren sind. 3. Welchen Umfang haben die auf den Listen erfassten Daten über die betroffenen Personen (Name, Anschrift, Telefonnummer, Emailadresse et cetera)? Auf den Listen und in den Sammlungen befinden sich beispielsweise Namen, Adressen und Telefonnummern von Personen, Institutionen und Organisationen. Bei der 25000er-Liste handelt es sich nach derzeitigem Erkenntnisstand um Kundendaten aus dem Hacking eines Online-Versandhandels. Andere Informationssammlungen umfassen Auszüge dieser 25000er-Liste, teilweise gezielt recherchierte Informationen zu Drucksache 21/17877 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 einzelnen Personen beziehungsweise lediglich Versatzstücke wie beispielsweise Namensteile. 4. Sind neben Personen auch Örtlichkeiten in Hamburg (zum Beispiel linke Zentren, Parteibüros, Gedenkstätten et cetera) auf „Feindeslisten“ aufgelistet ? Wenn ja, wie viele und welcher Art? In zwei Fällen wurde festgestellt, dass anstelle privater Adressen Firmenadressen angegeben waren. 5. Welche Erkenntnisse hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde darüber, woher die Daten der über 300 Personen jeweils stammen? Teilweise stammen die Informationen aus Datenleaks beziehungsweise Datenhacks von beispielsweise Online-Händlern. Andere wurden aber offenkundig auch individuell zusammengestellt, vermutlich aus öffentlich verfügbaren Informationen wie Zeitungsartikeln oder Auszügen von Internetauftritten. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Dem Bericht des NDR nach sehe die Polizei Hamburg von einer Information der Betroffenen ab, da es nach ihrer Auffassung das Ziel solcher Listen sei, Verunsicherung zu verbreiten, was man nicht unterstützen wolle. Eine konkrete Gefährdung für die betroffenen Personen liege nicht vor. Aus welchen Gründen geht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde davon aus, dass eine konkrete Gefährdung für die Betroffenen nicht vorliege? a. Erfolgte eine individuelle Beurteilung der Gefährdungslage hinsichtlich jeder einzelnen betroffenen Person? Wenn ja, welche Prüfungen und/oder Ermittlungen wurden unternommen , um die konkrete Gefährdungseinschätzung hinsichtlich jeder einzelnen Personen einzuschätzen? Wenn nein, wie und anhand welcher Kriterien erfolgte die Beurteilung der Gefährdungslage und warum wurde keine individuelle Beurteilung vorgenommen? Über die grundsätzliche Gefährdungsbewertung der Agitationsform „Outing“ hinaus, erfolgte aktuell eine erneute individuelle Beurteilung der 238 bekannten Personen mit aktueller Hamburger Meldeanschrift. Nach dieser fachlichen Prüfung ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Personen einer konkreten Gefährdung unterliegen . Im Übrigen betrifft die Fragestellung die Ermittlungstaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. b. Wurde die Einschätzung der Gefährdungslage seit dem erstmaligen Bekanntwerden der Listen durch die zuständige Landesbehörde überprüft? Wenn ja, wann, aus welchen Anlässen und im welchen Umfang? Wenn nein, warum nicht? Die Gefährdungslage wird fortlaufend, ausgehend von aktuellen Erkenntnislagen, überprüft. Dies gilt auch für die Beurteilung von Datensammlungen im Zusammenhang mit „Outing“ in anderen Phänomenbereichen. Aktuelle erneute Prüfungen der sogenannten NSU-Liste dauern an. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. c. Hat es einen Austausch zwischen dem Bundeskriminalamt und/oder mit Behörden anderer Länder und der zuständigen Landesbehörde über den Umgang und die Gefährdungseinschätzung der Listen gegeben? Wenn ja, wann, mit welchen Inhalten und welchen Ergebnissen? Ja. Der Informationsaustausch dauert an. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.