BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/17959 21. Wahlperiode 13.08.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 05.08.19 und Antwort des Senats Betr.: Krankt es in Harburg an der ärztlichen Versorgungsquote? Im Bezirk Harburg gibt es dem Statistikamt Nord zufolge insgesamt 322 niedergelassene Ärzte, das entspricht einer Versorgungsquote von 192 pro 100 000 Einwohnern und damit rund ein Drittel weniger als im Hamburger Gesamtdurchschnitt (Quote von 265 je 100 000 Einwohnern).1 Bei den niedergelassenen Allgemeinmedizinern sieht es der Statistik zufolge ähnlich aus: Bei nur 99 niedergelassenen Allgemeinärzten in Harburg liegt die Versorgungsquote rein rechnerisch bei 56 pro 100 000 Einwohnern. Zum Vergleich : In Gesamt-Hamburg ist die Versorgungsquote mit 1 318 Ärzten und 70 pro 100 000 Einwohnern um ein Fünftel höher. In einigen Stadtteilen sieht es ganz mager aus, beispielsweise in Neugraben- Fischbek: Hier entfallen auf den wachsenden Stadtteil gerade einmal 41 niedergelassene Ärzte, davon 15 Hausärzte. Das entspricht einer Versorgungsquote von 133 pro 100 000 Einwohnern bei den niedergelassenen Ärzten (halb so viel wie der Hamburger Gesamtdurchschnitt) und 49 pro 100 000 Einwohnern bei den Hausärzten. In den Stadtteilen Rönneburg, Francop, Altenwerder und Moorburg, Neuland und Gut Moor gibt es der Statistik zufolge gar keine Hausärzte, Neuenfelde hat einen Hausarzt, das dicht besiedelte Sinstorf nur drei. Die Landeskonferenz zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung Hamburgs sieht vor, dass der Weg zum Hausarzt nicht länger als drei Kilometer und zum Kinderarzt nicht länger als vier Kilometer sein sollte. Wer beispielsweise in Rönneburg oder Neuland wohnt, dürfte mit dieser Angabe kaum hinkommen. Bei den Fachärzten gelten längere Wege bis zwölf Kilometer als zumutbar; die Kassenärztliche Vereinigung hält sogar maximal nur zehn Kilometer bis zum nächsten Facharzt für zumutbar. Doch auch wenn der Weg zum Facharzt akzeptabel sein mag, die Wartezeit erhöht sich automatisch, je niedriger die Versorgungsquote ist. Im Koalitionsvertrag von 2015 zwischen SPD und GRÜNEN heißt es: „Wir werden uns weiter für eine bessere Verteilung insbesondere von Haus- und Kinderärzten in Hamburg einsetzen. Dazu sind die von der Landeskonferenz Versorgung beschlossenen Maßnahmen gute Instrumente, um gezielt lokale Versorgungsprobleme zu lösen, zum Beispiel durch Sonderbedarfszulassungen , finanzielle Förderung oder Verlegung von Arztpraxen.“ 1 Statistikamt Nord, „Niedergelassene Ärzte in Harburg am 31.12.2018“. Drucksache 21/17959 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Jeder Mensch, unabhängig von seinem Wohnort, muss in einer Großstadt wie Hamburg schnell und möglichst nah am Wohnort Zugang zu allen wichtigen Ärzten haben; zu Hausärzten ebenso wie zu Kinderärzten, Fachärzten, Zahnärzten sowie Psychotherapeuten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der für die Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) wie folgt: 1. Wie hat sich die Versorgungsquote bezogen auf 100 000 Einwohner im Bezirk Harburg mit seinen Stadtteilen im Vergleich zu den anderen Hamburger Bezirken und ihren Stadtteilen in Bezug auf a. Allgemeinmediziner, b. Kinderärzte, c. Fachärzte, d. Zahnärzte und e. Psychotherapeuten seit 2012 bis Ende 2. Quartal 2019 entwickelt? (Bitte für jeden Bezirk insgesamt sowie für die einzelnen Stadtteile jeweils jährlich darstellen.) Siehe Drs. 21/17378. 2. Wie bewertet der Hamburger Senat die Versorgungsquote des Bezirks Harburg mit seinen Stadtteilen im Vergleich? Hält der Senat die Versorgungsquote der einzelnen Harburger Stadtteile gemessen an den von der Landeskonferenz zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung Hamburgs formulierten Kriterien für ausreichend und bedarfsgerecht ? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum nicht? 3. Hält der Senat die Versorgungsquote generell in Hamburger Stadtteilen für unzureichend? Wenn ja, in welchen Stadtteilen und warum? Ziel der Bedarfsplanung ist eine bedarfsgerechte vertragsärztliche Versorgung im jeweiligen Planungsbereich. Dabei gilt ein Versorgungsgrad von 100 Prozent als bedarfsgerecht. Die Selbstverwaltung hat zum 1. Juli 2019 eine überarbeitete Bedarfsplanungsrichtlinie verabschiedet. Auch nach dieser Richtlinie ist Hamburg für alle Facharztgruppen überversorgt (über 110 Prozent). Auch nach der aktuellen Überarbeitung der Bedarfsplanungsrichtlinie bleibt räumliche Grundlage für die Ermittlung des Versorgungsgrades zum Stand der vertragsärztlichen Versorgung sowie für die Feststellungen zur Über- oder Unterversorgung in Hamburg der Planungsbereich 1, also der Gesamtbereich der Freien und Hansestadt Hamburg. Die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie hat „zumutbare Erreichbarkeitszeiten“ festgelegt, die nach Aussage der KVH in Hamburg im gesamten Stadtgebiet deutlich unterschritten werden. Bei der Anpassung der Verhältniszahlen sind zudem die demografische Entwicklung sowie die Sozial- und Morbiditätsstruktur zu berücksichtigen. Die konkreten Auswirkungen der weiterentwickelten Bedarfsplanungs-Richtlinie mit der Folge veränderter Verhältniszahlen werden voraussichtlich bis Ende des Jahres 2019 ermittelt . Das Hamburger „Maßnahmenpapier“ (Anlage zum Hamburger-Bedarfsplan der Selbstverwaltung) hat sich als Instrument zur punktuellen Nachsteuerung bei lokal Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17959 3 konzentrierten Versorgungsengpässen bewährt. Entsprechend seiner Zielsetzung soll es insbesondere bei der wohnortnahen Primärversorgung verstärkt genutzt werden. Es findet konsequent bei Praxisverlegungen ein Vergleich der lokalen Versorgungssituationen in den beiden betroffenen Bereichen in einem Radius von 3 beziehungsweise 4 Kilometern statt (Haus- beziehungsweise Kinderärzte und Kinderärztinnen), unabhängig von Stadtteilgrenzen. Im Übrigen siehe Drs. 21/13378 sowie Antwort zu 4. 4. Welche Maßnahmen hat der Hamburger Senat seit 2012 getroffen, um die Versorgungsquote im Bezirk Harburg und in den unter Frage 3. gegebenenfalls genannten Stadtteilen zu erhöhen und mit welchen Ergebnissen? Siehe Drs. 21/11112 und 21/17378. Hamburg hat sich zudem im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (TSVG) eingebracht, um eine möglichst ausgewogene und flächendeckende Verteilung von Vertragsärztinnen beziehungsweise -ärzten mit weiteren regional flexiblen Steuerungsinstrumenten sicherzustellen. Das am 11. Mai 2019 in Kraft getretene TSVG – ebenfalls auf Initiative von Hamburg – sieht in doppelter Hinsicht eine Ausweitung der Zuständigkeiten beziehungsweise Rechte der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden vor: Einerseits ist für die Zulassungsausschüsse eine Ausweitung der Teilnahme- und Mitberatungsrechte durch eine Ergänzung des § 96 SGB V um einen Absatz 2a erfolgt (Artikel 1 Nummer 53 TSVG). Für die Landesausschüsse ist darüber hinaus eine Ausweitung der Mitwirkungsrechte durch eine Ergänzung des § 103 Absatz 2 SGB V festgelegt (Artikel 1 Nummer 55 Buchstabe a TSVG). 5. Wurden seit Beschluss des Koalitionsvertrages 2015 Sonderbedarfszulassungen vergeben? Wenn ja, wie viele und bezogen auf welche Stadtteile? Wenn nein, warum nicht? Über (Sonderbedarfs-)Zulassungen entscheidet die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärztinnen beziehungsweise Ärzten im Zulassungsausschuss, siehe Vorbemerkung und Drs. 21/11112. Die KVH berichtet der Sektorenübergreifenden Landeskonferenz für gesundheitliche und pflegerische Versorgung jährlich über erteilte Sonderbedarfszulassungen. Die Anzahl der in Hamburg im Zeitraum 2015 bis 30. Juni 2018 erteilten Sonderbedarfszulassungen und -anstellungen ergeben sich aus der Anlage 1. Für den Zeitraum ab 1. Juli 2018 hat die KVH mitgeteilt, dass 19 Sonderzulassungen im Umfang von 13,75 Vollzeitäquivalenten erteilt wurden (Anlage 2). 6. Wurden seit 2015 finanzielle Förderungen vergeben oder Arztpraxen auf Initiative des Senats verlegt, wie im Koalitionsvertrag formuliert? Wenn ja, wie viele und bezogen auf welche Stadtteile? Wenn nein, warum nicht? Initiativ- und Ausführungsrecht für Förderungen oder Verlegungen liegen nicht beim Senat, im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/11112. 7. Dem Morbiditätsatlas von 20132 zufolge zeigt der Faktor „soziale Belastung “ vorrangig in Stadtteilen von Hamburg-Mitte sowie in Neuallermöhe, Harburg, Hausbruch, Dulsberg, Steilshoop und Jenfeld besonders hohe Ausprägungen. Welche Erkenntnisse hat der Hamburger Senat zur Krankheitsdichte in diesen Stadtteilen im Vergleich zum gesamten Hamburger Stadtgebiet? 2 https://www.hamburg.de/contentblob/4133362/35bef19f920952a5b4bb098389834170/ data/morbiditaetsatlas.pdf. Drucksache 21/17959 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Datengestützte Informationen und Erkenntnisse zu abrechnungsbezogenen Krankheitslasten einzelner Volkskrankheiten und fachgruppenspezifischen Leitdiagnosen liegen der für Gesundheit zuständigen Behörde ausschließlich über den Morbiditätsatlas von 2013 vor. 8. Im Morbiditätsatlas 2013 ist formuliert: „Inwiefern die regionale Morbiditätsstruktur mit der regionalen Versorgungsstruktur verzahnt ist und welche Implikationen sich daraus für die Sicherstellung der Versorgung ergeben, stellt eine notwendige weiterführende Arbeit zu diesem Gutachten dar.“ Welche Konsequenzen hat der Hamburger Senat daraus gezogen ? Gibt es entsprechende weiterführende Arbeiten, wie als notwendig beschrieben? Wenn ja, welche und mit welchen Erkenntnissen? Wenn nein, warum nicht? Die zuständige Behörde hat sich dafür eingesetzt, dass der Aspekt der Morbidität bei der Weiterentwicklung der Bedarfsplanung einbezogen wurde, siehe auch Drs. 21/11112. 9. Hat der Senat Erkenntnisse zu Wartezeiten in Hamburger Arztpraxen? Wenn ja, welche? Wie lang sind die durchschnittlichen Wartezeiten in Bezug auf a. Allgemeinmediziner, b. Kinderärzte, c. Fachärzte, d. Zahnärzte und e. Psychotherapeuten? Gibt es diesbezüglich auch stadtteilbezogene Erkenntnisse? Wenn ja, wie lauten diese für Harburg? Nach Auskunft der KVH liegen hierzu keine Informationen vor. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/17959 5 Anlage 1 Zeitraum Anzahl (LANR) genehmigter Sonderbedarfs - zulassungen Stadtteil Anzahl (LANR) genehmigter Anstellungen im Sonderbedarf (Anzahl von LANR) Stadtteil 01.07.2015 bis 30.06.2016 2 Veddel (1), Wilhelmsburg (1) 01.07.2016 bis 30.06.2017 0 2 Jenfeld (1), Lohbrügge (1) 01.07.2017 bis 30.06.2018 2 Billstedt (1), Wilhelmsburg (1) 4 Jenfeld (2), Neustadt (1), Rahlstedt (1) Stand: 06.08.2019 Quelle: KVH-Evaluation Maßnahmenpapier LANR= Lebenslange Arztnummer Drucksache 21/17959 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Anlage 2 17959ska_Text 17959ska_Anlage2