BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18013 21. Wahlperiode 20.08.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 12.08.19 und Antwort des Senats Betr.: Schulabsentismus in Hamburg: Stand und Prognosen zum neuen Schuljahr Wiederholt wurde Schulabsentismus und der Umgang mit diesem Phänomen thematisiert. Detaillierte Antworten, die von einem Problembewusstsein oder einer Sensibilisierung zeugen, sind Mangelware, auch weil relevante Daten, die Schulabsentismus sozial beschreibbar machen könnten, von der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) nicht zentral erfasst werden (vergleiche Drs. 21/2476).1 Somit bleiben Hunderte Einzelfälle zurück. Überraschenderweise kooperiert die BSB mit der Joachim Herz Stiftung und der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. jetzt in einem Projekt an ausgesuchten Schulen. Leider sind hier Konzept, Arbeitsweise, Verantwortlichkeiten und aufgewendete Ressourcen unklar. Da das Forschungsprojekt wahrscheinlich viel Papier und heiße Luft durch die BSB aber kaum ein genaues und oder repräsentatives Bild produzieren wird, ist es angebracht, Stand und Prognose des Schulabsentismus aus der BSB abzufragen. Ich frage den Senat: Mit dem Ziel weitere Erkenntnisse aus der Schulabsentismus- und Schulabbruchforschung für die Praxis und die Begleitung der Übertragung in den schulischen Alltag zu gewinnen, hat die für Bildung zuständige Behörde das Projekt „Jeder Schultag zählt – Strategien gegen schulisches Scheitern“ in Kooperation mit der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, der Joachim Herz Stiftung und der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. eingerichtet. Das Ziel ist, dass alle Beteiligten Bildung und Erziehung als Gemeinschaftsaufgabe begreifen und lokale Verantwortungsgemeinschaften geformt werden. Im Ergebnis sollen möglichst alle Kinder und Jugendliche einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Schulabschluss erreichen. Handlungsfelder sind die Themen Elternkooperation , Bildungsübergänge und soziale Kompetenzen. Siehe Drs. 21/17593. Das Projekt wurde erst am 18. Juni 2019 gestartet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Fälle von Schulabsentismus verzeichnete die BSB im Schuljahr 2018/2019? (Bitte in einer Excel-Tabelle angeben und differenzieren 1 Bisweilen fehlen Angaben über das Geschlecht der absenten Schüler/-innen; polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Schulpflicht werden nicht entsprechend dokumentiert; Hausbesuche bei Schüler/-innen durch Lehrkräfte, andere Pädagogen /-innen oder dritte Mitarbeiter/-innen der Schule werden nicht zentral und differenziert erfasst; stadtteilbezogene Daten werden nicht erhoben; auch ob Sorgerechtsverfahren die Verletzung der Schulpflicht beinhalten, wird nicht erfasst. Drucksache 21/18013 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 nach der Schulform, dem Bezirk, dem Geschlecht, der Schulstufe und dem Alter. In den Regionalen und Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) werden während einer laufenden Schulpflichtverletzung personenbezogene Daten von Schülerinnen und Schülern aus Grundschulen, Sonderschulen, Gymnasien und Privatschulen zur Kontaktaufnahme elektronisch erfasst. Bei Beendigung der Schulpflichtverletzung werden anonymisiert weitere statistische Daten (Geschlecht, Schulform, Klassenstufe und weitere fallbezogene Daten zu Formen der Schulpflichtverletzungen und individuellen Problemlagen von den fallbearbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur späteren elektronischen Auswertung) erhoben. Die anonymisierte Auswertung der statistischen Daten zur Anzahl der Fälle in den ReBBZ ermöglicht eine Aufstellung nach Kalenderjahr, Schulform, Klassenstufen und Geschlecht. Die Anzahl der Meldungen für das Jahr 2018 sind der nachfolgenden Übersicht zu entnehmen: Schulform Anzahl Meldungen Grundschule 141 Gymnasium 66 ReBBZ-Bildungsabteilung 61 Spezielle Sonderschule 2 Vorschulbereich 5 Berufsvorbereitung im allgemeinbildenden Bereich* 1 Summe 276 davon männlich 156 davon weiblich 120 davon Fälle mit erneuter Schulpflichtverletzung 16 Quelle: Daten der für Bildung zuständigen Behörde * Die Schulformen Berufsvorbereitungsschule beziehungsweise Berufsvorbereitungsfachschule gehören zu den Einrichtungen Freie Schule Hamburg e. V. in Wilhelmsburg und zum Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Winterhude. Hinweis: Nach der Richtlinie zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen werden die Meldungen der Stadtteilschulen zur weiteren Bearbeitung an die Schulberatungsdienste der eigenen Schulen weitergegeben. Die Anzahl der den ReBBZ gemeldeten Schulpflichtverletzungen im Jahr 2018 differenziert nach Klassenstufen ist der nachfolgenden Übersicht zu entnehmen: Klassenstufe Anzahl Meldungen Vorschulbereich 5 Klassenstufe 1 45 Klassenstufe 2 36 Klassenstufe 3 27 Klassenstufe 4 33 Klassenstufe 5 29 Klassenstufe 6 20 Klassenstufe 7 13 Klassenstufe 8 17 Klassenstufe 9 22 Klassenstufe 10 28 Klassenstufe 11 1 gesamt 276 Quelle: Daten der für Bildung zuständigen Behörde 2. Wie viele Fälle davon dauerten drei Tage/20 Stunden pro Monat? (Bitte wie Tabelle zu Frage 1. angeben.) 3. Wie viele Fälle davon waren drei Tage/20 Stunden pro Monat plus zwei Wochen (laut Richtlinie der BSB zum Umgang mit Schulabsentismus Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18013 3 wird jetzt die Beratungslehrkraft eingeschaltet)? (Bitte Tabelle wie zu Frage 1. angeben.) Die erfragten Daten werden von der für Bildung zuständigen Behörde nicht zentral erfasst. Sie können nur mittels Einzelabfragen bei sämtlichen Schulen erhoben werden . Dies ist im Rahmen der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Wie viele Fälle waren drei Tage/20 Stunden pro Monat plus vier Wochen (das ReBBZ wird eingeschaltet)? (Bitte Tabelle wie Frage 1. angeben.) Da die Fälle laut Richtlinie gegenüber dem ReBBZ meldepflichtig sind, siehe Antwort zu 1. 5. In wie vielen Fällen wurden Hausbesuche vorgenommen (in Tabelle wie Frage 1. angeben sowie die fachliche Qualifikation der besuchenden Person angeben)? Hausbesuche werden entsprechend der Richtlinie für den Umgang mit Schulpflichtverletzungen nach drei Tagen/20 Schulstunden pro Monat durch pädagogische Fachkräfte durchgeführt. Die Anzahl dieser Hausbesuche wird von der für Bildung zuständigen Behörde nicht zentral erfasst. 6. In wie vielen Fällen wurden polizeiliche Maßnahmen ergriffen? (Tabelle wie zu Frage 1. angeben, nach Maßnahmen differenzieren.) Siehe Drs. 21/2476. 7. In wie vielen Fällen wurden Bußgelder verhängt? (Tabelle wie zu Frage 1. angeben.) Für die Anzahl der verhängten Bußgelder im Jahr 2018 siehe Anlage. a. Wie hoch waren die verhängten und wie hoch die gezahlten Bußgelder im letzten Schuljahr? Es wurden im Kalenderjahr 2018 Bußgelder in Höhe von rund 183 500 Euro verhängt und mit Stand 14. August 2019 rund 99 000 Euro Bußgelder eingenommen. 8. In wie vielen Fällen wurde Strafanzeige gestellt? (Tabelle wie 1. angeben .) Eine Abfrage der im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft (unter anderem) wegen des Vorwurfs einer Straftat nach § 114 Hamburgisches Schulgesetz erfassten Verfahren hat für das Schuljahr 2018/2019 Folgendes ergeben: Schulform Weitere Tatbestände Beschuldigte / Geschlecht Stadtteilschule § 171 Strafgesetzbuch weiblich Quelle: Daten der zuständigen Behörde 9. In wie vielen Fällen auswärtiger Unterbringung liegen auch Fälle des Schulabsentismus vor? Siehe Drs. 21/14266. 10. Welche Veränderung insgesamt und hinsichtlich der einzelnen Stufen des Absentismus gab es zu den vorigen Schuljahren? (Bitte nach Stufen des Absentismus in absoluten Zahlen und relativ in einer Excel-Tabelle für die Jahre 2017/2016, 2016/2017, 2017/2018 und 2018/2019 angeben .) Siehe Antwort zu 1. und Drs. 21/14266. Drucksache 21/18013 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. In wie vielen Fällen war Schulabsentismus mit Mobbing- und Ausgrenzungserfahrungen in der Schule verbunden? Die erfragten Angaben werden von der für Bildung zuständigen Behörde nicht zentral erfasst. Bei den ReBBZ sind die jeweiligen Ursachen und deren Bedingungsgefüge für den Schulabsentismus aus der Einzelfallakte ersichtlich. Für die Beantwortung der Frage wäre die Auswertung von mehreren Tausend Schülerbögen in den Schulen und der Fallakten in den ReBBZ notwendig. Dies ist im Rahmen der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 12. Bezieht die zuständige Behörde die asymmetrische Gewalt zwischen Schülern/-innen und Lehrkräften in die Überlegungen zum Schulabsentismus mit ein? Wenn ja, die Überlegungen konkret darlegen. Wenn nein, fachlich und sachlich begründen, weshalb sie es nicht tut. Wenn sie nicht auf ihre Methoden reflektiert, diese Untätigkeit ebenfalls sachlich und fachlich begründen. In der von der für Bildung zuständigen Behörde herausgegebenen Handreichung zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen sind unter anderem Ängste vor Fächern oder Lehrkräften als ein möglicher Schulabsentismus auslösender Faktor benannt. Dementsprechend enthält die Handreichung Vorschläge zu Handlungsansätzen mit Blick auf die Sensibilisierung der Lehrkräfte für dieses Phänomen, darüber hinaus gibt es in der Handreichung Beobachtungskriterien zur Wahrnehmung schulvermeidender Verhaltensmuster bei Schülerinnen und Schülern sowie zur Gestaltung der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden in einer Weise, die dazu beitragen kann, Absentismus aufgrund von Schulangst zu vermeiden. 13. Wie prognostiziert bei einer Steigerung der Schüler-/-innenzahl um bis zu 25 Prozent in den kommenden zehn Jahren die zuständige Behörde die Entwicklung des Schulabsentismus? (Bitte pro Schuljahr, ausgehend von 2018/2019, für die nächsten zehn Schuljahre bis 2030 angeben.) Der Senat sieht von der Beantwortung hypothetischer Fragestellungen ab. 14. Welche Maßnahmen plant sie zu ergreifen, um Absentismus präventiv entgegen zu wirken? In der Handreichung zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen sind neben der Richtlinie und den Anlagen zum Verfahren auch präventiv wirkende Beobachtungskriterien und Handlungsansätze bei Schulpflichtverletzungen aufgeführt. Die Hamburger Schulen sind angewiesen, diese konsequent umzusetzen. Die ReBBZ, die Beratungsstelle Gewaltprävention und das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung bieten allen Schulen dafür Beratung und Unterstützung sowie Fortbildungen an. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 15. Wie verschafft sie in Zukunft Lehrkräften die zeitlichen Ressourcen, Bindungsarbeit – welche die BSB selbst fordert – in ihren schulischen Alltag zu integrieren? (Konkret anhand der Zeitkontingente von Lehrkräften darstellen.) Eine gute Bindung zu den anvertrauten Schülerinnen und Schülern aufzubauen, ist Voraussetzung für jeden Unterricht. Zugleich ist es eine originäre Aufgabe von Schulen , auch zu den Elternhäusern eine gute Beziehung aufzubauen. Insofern sind Zeiten dafür in den Lehrkräften zur Verfügung stehenden Unterrichts- und Organisationszeiten enthalten, in der Lehrerarbeitszeitverordnung abgebildet und von jeder Lehrkraft unter anderem durch Sprechzeiten, Lernentwicklungsgespräche oder die Teilnahme an Elternabenden zu realisieren. Da die unterrichtlichen Einsätze variieren, Klassenleitungen in der Regel gesondert faktorisiert werden, Aufgabenverteilungen in multiprofessionellen Teams in Schulen unterschiedlich vorgenommen werden und zudem der Bedarf an Bindungsarbeit je nach Schülerschaft und Einzelfall stark variieren, ist ein konkretes Zeitkontingent für eine einzelne Lehrkraft nicht sachdienlich. m unbekannt* w Ziff. 8.4 anhaltende Schulpflichtverletzung Berufliche Schulen 2 - 3 Grundschulen 7 - 8 Gymnasien 5 - 1 Sonderschulen 11 - 4 Stadtteilschulen 116 - 97 Grundschulen 1 - 2 Sonderschulen 4 - 2 Stadtteilschulen 40 - 33 Berufliche Schulen - - 1 Grundschulen 1 - - Sonderschulen 3 - - Stadtteilschulen 38 - 15 Gymnasien 4 - - ohne Angabe der Schulform 2 - 1 Sonderschulen 9 - 1 Stadtteilschulen 65 1 54 Berufliche Schulen 1 - - Grundschulen 14 - 5 Gymnasien 1 - 4 Sonderschulen 3 - 3 Stadtteilschulen 102 - 84 Berufliche Schulen 1 - - Grundschulen 4 - 2 Gymnasien 2 - 1 Sonderschulen 1 - 1 Stadtteilschulen 62 - 35 Grundschulen 2 - 4 Gymnasien 4 - - Sonderschulen 5 - 1 Stadtteilschulen 57 - 41 Ziff. 8.4 a Nichtteilnahme an einer Klassenreise Grundschulen 1 - 2 Stadtteilschulen - - 6 Grundschulen 1 - - Stadtteilschulen - - 3 Stadtteilschulen - - 1 Gymnasien - - 1 Ziff. 8.4 b Ferienverlängerung Hamburg-Mitte Altona Eimsbüttel Hamburg-Nord Wandsbek Bergedorf Harburg Hamburg-Mitte Hamburg-Nord Wandsbek Bergedorf Harburg Hamburg-Mitte Anzahl der Fälle, in denen von der Rechtsabteilung der für Bildung zuständigen Behörde ein Bußgeld verhängt wurde *Aufgrund eines Softwarefehlers werden die Daten zum Geschlecht der bzw. des Betroffenen nicht immer in das Auswertungswerkzeug übertragen. Daraus erklärt sich die Zahl von Betroffenen "unbekannten" Geschlechts Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18013 5 Anlage m unbekannt* w Grundschulen 6 - 8 Gymnasien 3 - 2 Stadtteilschulen 16 - 20 Grundschulen 4 - - Stadtteilschulen 1 - - Grundschulen 1 - 1 Gymnasien 1 - - Stadtteilschulen 1 - 1 Berufliche Schulen 2 - - Grundschulen 1 - 2 Gymnasien 1 - 2 Stadtteilschulen 11 - 6 Grundschulen 3 - 7 Gymnasien 3 - 2 Stadtteilschulen 10 - 9 Grundschulen 2 - 2 Stadtteilschulen 4 - 2 Grundschulen 7 - 2 Gymnasien 2 - 1 Stadtteilschulen 7 - 9 Ziff. 8.4 c verpflichtende Sprachförderung Grundschulen - - 1 Stadtteilschulen 1 - - Stadtteilschulen 2 - - Grundschulen - - 1 Stadtteilschulen - - 2 Grundschulen - - 1 Grundschulen 2 - - Ziff. 8.4 d sonstige schulische Veranstaltungen Grundschulen 1 - - Ziff. 8.5 Berufsschule Berufliche Schulen 100 - 37 ohne Angabe der Schulform 1 - - Berufliche Schulen 13 - 4 Berufliche Schulen 26 - 6 ohne Angabe der Schulform 3 - - Berufliche Schulen 7 - 3 Berufliche Schulen 14 - 8 Quelle: Interne Daten der zuständigen Behörde Altona Eimsbüttel Hamburg-Nord Wandsbek Harburg Wandsbek Hamburg-Mitte Hamburg-Mitte Hamburg-Nord Wandsbek Bergedorf Eimsbüttel Hamburg-Nord Wandsbek Bergedorf Harburg Altona Bergedorf Drucksache 21/18013 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 18013ska_Text 18013ska_Anlage